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Hirnforschung im Spannungsfeld von esoterischer Wissenschaft und massenmedialer Inszenierung.Die Hirnforschung trifft seit mehr als zehn Jahren auf große Resonanz in Wissenschaft und Medien. Sie wird als Schlüsseldisziplin zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und existenzieller Fragen angesehen. Die Analyse neuronaler Prozesse und Strukturen verspricht Antworten auf Fragen nach der Entstehung und Heilung von Krankheiten, Faktoren für schulischen Erfolg, Auswirkungen von Stress oder unser Selbstverständnis als Menschen. Torsten Heinemann zeigt, dass der Erfolg der Neurowissenschaften wenig zu…mehr

Produktbeschreibung
Hirnforschung im Spannungsfeld von esoterischer Wissenschaft und massenmedialer Inszenierung.Die Hirnforschung trifft seit mehr als zehn Jahren auf große Resonanz in Wissenschaft und Medien. Sie wird als Schlüsseldisziplin zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und existenzieller Fragen angesehen. Die Analyse neuronaler Prozesse und Strukturen verspricht Antworten auf Fragen nach der Entstehung und Heilung von Krankheiten, Faktoren für schulischen Erfolg, Auswirkungen von Stress oder unser Selbstverständnis als Menschen. Torsten Heinemann zeigt, dass der Erfolg der Neurowissenschaften wenig zu tun hat mit wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn. Die Bedeutung der Hirnforschung besteht vor allem in einem neuen Umgang mit dem generierten Wissen. Die Disziplin kennzeichnet eine konsequente Popularisierung von Wissen, die die Trennung von Grundlagenforschung und Anwendungskontext überholt erscheinen lässt und zugleich eine Voraussetzung für den interdisziplinären Dialog und die mediale Inszenierung ist. Heinemann räumt mit dem Vorurteil auf, Hirnforschung sei ein hegemoniales Expansionsprojekt und rekonstruiert die Disziplin als Integrationsfeld, das auf konsequenter Popularisierung basiert.
Autorenporträt
Torsten Heinemann, geb. 1979, studierte Soziologie, Politikwissenschaft, Philosophie und Psychologie in Frankfurt a. M. und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heisenbergprofessur für Biotechnologie, Natur und Gesellschaft an der Universität Frankfurt.Veröffentlichungen u.a.: Hirnforschung zwischen Labor und Talkshow - Ideal der Wissenstransformation?, in: Jenseits des Labors (2011); Neuro-Enhancement. Gesellschaftlicher Fortschritt oder Medikalisierung des Sozialen, in: Leben mit den Lebenswissenschaften (2010).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Endlich einmal eine angemessene Würdigung der Hirnforschung! Freut sich Philip Kovce angesichts einer Veröffentlichung, mit der es dem Autor offenbar gelingt, die Erfolgsgeschichte des Gehirns, den Neuro-Hype, sachlich und souverän aus Soziologen-Perspektive zu betrachten. Das Ergebnis ist eigentlich ernüchternd: Alles ein großes Theater, das sich ein von "Arbeitsbündnissen" aus Forschung, Journalistik, Politik und Ökonomie eingelulltes Publikum gefallen lässt! Der kritische Blick des Autors, der die Sucht des Publikums nach deterministischen Erklärungen mitverantwortlich macht, gefällt dem Rezensenten. Etwas allerdings missfällt ihm auch: Auf die ein oder andere Redundanz, meint er, hätte Torsten Heinemann verzichten sollen, auf ein Register und ein nummeriertes Inhaltsverzeichnis lieber nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2012

Der Neuro-Hype lässt sich entzaubern
Gedankenlesen als neue Leitwissenschaft? Ein Soziologe erklärt die Popularität der Hirnforschung
An einem frühlingshaften Aprilabend fanden sich im Frankfurter Bankenviertel Hunderte Personen ein. Die Damen: festlich gewandet, manche in wallendem Kleid, andere eher geschäftsmäßig im Hosenanzug. Die Herren: ebenso chic, zumeist im Anzug mit Hemd und Krawatte. Das Ziel: der geräumige Veranstaltungssaal einer deutschen Bank. Doch die Zusammenkunft drehte sich nicht um klassische Musik oder neoklassische Ökonomik. Vielmehr ging es ums menschliche Gehirn, über das ein neurowissenschaftliches Forum nicht unbescheiden informieren wollte: „Das verkabelte Gehirn: Vom Implantat bis zur Gedankensteuerung“.
Beim Plausch danach wurde Torsten Heinemann wohl wieder einmal gefragt, was er denn beruflich so mache: Soziologie? Gegenüber seiner Frau, einer Neurowissenschaftlerin, stand er damit wie immer auf verlorenem Posten. Denn während seine Profession kaum mehr als betretenes Schweigen hervorruft, will man von seiner Herzallerliebsten andauernd wissen, ob man mit dem Gehirnscanner wirklich Geist sehen, Gedanken lesen oder Lügner überführen könne.
Die regelmäßige Degradierung hat Heinemann anscheinend angespornt, eine Disziplin genauer unter die Lupe zu nehmen, die derzeit Soziologen (und nicht nur diese) in den Schatten stellt: die Hirnforschung. Sein Ziel ist es herauszufinden, was Ursachen und Folgen der neurowissenschaftlichen „Erfolgsgeschichte“ sind. Herausgekommen ist ein Werk, mit dem sich die Soziologie sehen lassen kann: sachlich, souverän, selbstbewusst.
Der Neuro-Hype der letzten Jahrzehnte ist – so Heinemanns Kernthese – weder allein durch wissenschaftliche Resultate noch ausschließlich durch populärwissenschaftliche Inszenierungen erklärbar. Entscheidend seien vielmehr die „Arbeitsbündnisse“, die Hirnforscher mit wissenschaftlichem, journalistischem, politischem und ökonomischem Personal schmieden, sowie die gesamtgesellschaftliche Situation, die dem Neuro-Schauspiel eine Bühne bereitet.
Auf dieser Bühne agiert der Protagonist Hirnforschung auf den ersten Blick sehr überzeugend: gelingt es doch, neue Therapiemöglichkeiten für Alzheimer, Demenz oder Parkinson zu erschließen; unzählige Fächer und Fragen der Geistesgeschichte als „Leitwissenschaft“ zu vereinen; Risikoforschung und Kostenexplosionen zu vermeiden; Orientierungshilfe für den Alltag anzubieten, von der musikalischen Früherziehung bis zum Gehirnjogging im Alter.
Ein zweiter Blick stimmt allerdings skeptischer. Denn vieles von dem, was durch die Hirnforschung versprochen wurde, ist bis jetzt nicht eingelöst. Von wirksamen Therapien ist man oft meilenweit entfernt; der „Mythos von der neuen Wissenschaft des Geistes“ entpuppt sich als „repressive Integration“, die der Durchsetzung eigener Paradigmen verpflichtet ist; das „Diktat der Popularisierung“ verkoppelt neuartig fachliche Anerkennung und Prominenz und erhebt Medienpräsenz zur ersten Forschungsmotivation.
Für diese kritischen Blicke ist man dem Autor dankbar. Denn eine „so aufgeklärte Hirnforschung verliert sicher etwas von dem Zauber, der sie zuweilen umgibt“. Überhaupt sieht man mit Heinemanns Entzauberung realistischer, auch den neurowissenschaftlichen Forschungsalltag im Labor. Dieser hat mit den verstiegenen Thesen einiger Neuro-Populisten, etwa zum freien Willen, herzlich wenig zu tun.
Bleibt jedoch die Frage, wie es der Hirnforschung in so kurzer Zeit gelingen konnte, so omnipräsent zu sein – zumal populärwissenschaftliches Wissen nicht einfach „der weiße Dampf ist, der für jeden sichtbar aufsteigt, wenn die wissenschaftliche Lokomotive scheinbar unbeirrt dem Fortschritt entgegenfährt“.
Jenseits verschiedener „Arbeitsbündnisse“ ist für den Neuro-Boom, so Heinemann, vor allem eine Gesellschaft verantwortlich, die gleichzeitig auf deterministische und konstruktivistische Erklärungen versessen ist: „Auf der einen Seite scheint es eine schicksalhafte Determiniertheit des Menschen durch das Gehirn zu geben, die zuweilen als Handlungsentlastung erlebt wird. Auf der anderen Seite versprechen die Neurowissenschaften die Veränderbarkeit der Persönlichkeit und des Lebens, die nicht nur als wünschenswertes Ideal, sondern auch als Handlungsdruck und Notwendigkeit zum Selbstmanagement erlebt wird.“
Die Hirnforschung als einerseits „exakte Wissenschaft“ liefert also andererseits „flexible Deutungsangebote“. Jeder kann nach eigener Façon durch die bunten Computerbilder vom Gehirn selig werden. Und während um deren Interpretationen dann und wann ein interdisziplinärer Bilderstreit entbrennt, vermag die Hirnforschung als solche in der Öffentlichkeit den Anschein eines widerspruchsfreien Kollektivs zu wahren. Dies gilt trotz einiger Skandale, wie den 2009 enttarnten „Voodoo-Korrelationen“: Renommierte Forscher hatten damals bestimmte Zusammenhänge zwischen Gehirnaktivität und Verhalten „mit absoluter Sicherheit“ nachgewiesen – so sicher, dass die Werte statistisch unmöglich waren.
Vieles, aber nicht alles an Torsten Heinemanns Arbeit ist gelungen: Sie ist eindeutig zu lang, nicht der Seitenanzahl, sondern der sich häufenden Redundanzen wegen. Auch fehlen ein Register und ein sinnvoll nummeriertes Inhaltsverzeichnis. Aber das alles sei dem Autor, der an der Heisenberg-Professur für Soziologie „mit dem Schwerpunkt Biotechnologie, Natur und Gesellschaft“ in Frankfurt am Main forscht, verziehen. Denn die Lektüre dieses Buches hinterlässt gerade nicht jenen Eindruck, den Heinemann in Bezug auf seinen Gegenstand gut kennt: „Es bleibt immer das Gefühl zurück, dass man die Hirnforschung entweder zu ernst und wichtig nimmt oder gerade nicht ernst und wichtig genug.“ Nicht hier. Hier bleibt das Gefühl, dass sie angemessen gewürdigt wurde.
PHILIP KOVCE
TORSTEN HEINEMANN: Populäre Wissenschaft. Hirnforschung zwischen Labor und Talkshow. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 302 Seiten, 29,90 Euro.
Von musikalischer Früherziehung
bis zum Gehirnjogging im Alter:
Neuro-Forschung ist überall
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2012

Hirnforschung als Integrationsprojekt

Sie erinnern sich noch an die neuronale "Entzauberung des Menschen", an schneidige neurowissenschaftliche Manifeste, den pulverisierten freien Willen, an eine Hirnforschung, die als neue Leitwissenschaft unser Menschenbild von Grund auf revolutioniert? Lang ist's nicht her, dass sich rund um diese Stichworte heftige Debatten in allen möglichen medialen Formaten entfalteten. Aber mittlerweile ist deren Intensität doch spürbar gesunken, sind die groß zugeschnittenen Thesen und Prognosen deutlich seltener zu hören.

Tatsächlich hatte man ohnehin schnell den Eindruck gewonnen, dass hinter ihnen eine realistische Einschätzung neurowissenschaftlicher Verfahren und Möglichkeiten tendenziell verschwand. Bei den lautstärksten selbsternannten Vertretern neurowissenschaftlicher Weltbildansprüche war die Forschungsrealität kaum mehr zu erraten. Man geriet da eher vorschnell in Versuchung, oft nur alten Wein in neuen Schläuchen oder vielmehr Tomographenröhren zu vermuten.

Eine solche Diagnose sprach zwar nicht gegen den öffentlichen medialen Erfolg der neuen Stardisziplin, zumal das Anknüpfen an Erwartungshaltungen, die sowohl das Gefühl einer Determiniertheit von Entscheidungen wie das Versprechen neuer, "wissenschaftlich" fundierter Praktiken offener Selbstgestaltung befriedigen - Stichwort zerebrale Plastizität mit allen ihren Marketingfolgen -, offensichtlich gut funktioniert. Doch bei dieser naheliegenden Fokussierung auf die öffentliche Schauseite der Wissenschaft gerät das Faktum der fraglosen Erfolgsgeschichte der Neurowissenschaft in den Labors und Forschungseinrichtungen selbst leicht ins Hintertreffen. Eine exzellente Möglichkeit, solcher Einseitigkeit vorzubeugen, gibt nun die Untersuchung, die der Frankfurter Soziologe Torsten Heinemann der Attraktionskraft der Hirnforschung gewidmet hat ("Populäre Wissenschaft". Hirnforschung zwischen Labor und Talkshow. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 302 S., geb., 29,90 [Euro]).

Der große Vorzug von Heinemanns Darstellung ist, alle Facetten dieser Anziehungskraft und deren Wechselspiel im Blick zu haben. Ein Wechselspiel, das im Fall der Hirnforschung auf exemplarische Weise über die Grenzen der Terrains von "Wissenschaft selbst" und ihrer öffentlichen (Selbst-)Darstellung hinwegreicht: Das öffentliche Image ist von maßgeblicher Bedeutung für die forschungspolitische Durchsetzungskraft. Letztere darf man sich allerdings nicht als neurowissenschaftliche Kolonisierung vorstellen: Heinemann arbeitet auf der Grundlage seiner Beobachtungen und Interviews heraus, dass sich die Hirnforschung erfolgreich als Integrationsprojekt etablieren konnte, das nicht zuletzt Ankoppelungen an avancierte und hoch bewertete Labortechnik anbietet.

Wobei die neurowissenschaftliche Offenheit für die Integration von Forschungsfragen sich dann durch die Anerkennung der methodischen Imperative bezahlt macht, die mit den Techniken verknüpft sind. Heinemann kann da auf manche offenherzige Bekundungen seiner Gesprächspartner auf dem neurowissenschaftlichen Feld zurückgreifen. Ein ideologiekritischer Zungenschlag Frankfurter Provenienz fehlt bei ihm übrigens nicht - aber er ist sehr gut unterbaut.

HELMUT MAYER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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