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Der Redakteur der Frankfurter Zeitung und Herausgeber der FAZ war einer der bedeutendsten deutschen Journalisten des 20. Jahrhunderts.Benno Reifenbergs Vita ist auf das Engste verbunden mit der Geschichte der »Frankfurter Zeitung«, die im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik zu den wichtigsten Stimmen des deutschen Liberalismus zählte. In der NS-Zeit konnte das Blatt als Vorzeige-Zeitung für das Ausland bis 1943 weiter erscheinen und genoss dabei größere Freiräume als die meisten anderen deutschen Medien. Dennoch musste die Redaktion täglich einen heiklen Balanceakt zwischen…mehr

Produktbeschreibung
Der Redakteur der Frankfurter Zeitung und Herausgeber der FAZ war einer der bedeutendsten deutschen Journalisten des 20. Jahrhunderts.Benno Reifenbergs Vita ist auf das Engste verbunden mit der Geschichte der »Frankfurter Zeitung«, die im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik zu den wichtigsten Stimmen des deutschen Liberalismus zählte. In der NS-Zeit konnte das Blatt als Vorzeige-Zeitung für das Ausland bis 1943 weiter erscheinen und genoss dabei größere Freiräume als die meisten anderen deutschen Medien. Dennoch musste die Redaktion täglich einen heiklen Balanceakt zwischen Anpassung und Widerstand leisten. Als »Halbjude« war Reifenbergs Situation dabei besonders prekär. Von 1945 bis 1958 wirkte er als Herausgeber der Halbmonatsschrift »Die Gegenwart«, die sich in der rasch wandelnden Medienlandschaft der jungen Bundesrepublik nicht behaupten konnte. Nach der Fusion der »Gegenwart« mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« war Reifenberg von 1959 bis 1966 FAZ-Herausgeber und zählte damit erneut zu den tonangebenden Publizisten in Deutschland.Dagmar Bussiek porträtiert Reifenberg als politischen Kommentator und leidenschaftlichen Feuilletonisten, der fünf Jahrzehnte deutscher Geschichte schreibend mitgestaltet hat. Reifenberg war Demokrat und zugleich mental verankert in der Bürgerwelt des 19. Jahrhunderts. Seine Mission war die Bewahrung der bürgerlichen Lebenswelt und Deutungsmacht über historische Zäsuren hinweg.
Autorenporträt
Dagmar Bussiek, geb. 1973, ist Professorin für Sozial- und Kulturgeschichte an der Universität Lüneburg. Veröffentlichungen u.a. zur Parteien- und Pressegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2011

Ist das Feuilleton wirklich ein Thema für Historiker?

Benno Reifenberg stammte aus Frankfurt und verkörperte den Geist der Frankfurter Zeitung. Seine Biographin Dagmar Bussiek sieht ihn als unpolitischen Augenmenschen, hat aber leider keinen Begriff von ästhetischer Bildung.

Benno Reifenberg war Kriegsheimkehrer und Student, als er im März 1919 zur Redaktion der Frankfurter Zeitung stieß. Als fester freier Mitarbeiter war er für die lokale Kunstberichterstattung zuständig. Das Studium der Kunstgeschichte brach er 1921 ab. Im Alter von 32 Jahren übernahm er 1924 die Leitung des Feuilletons. 1930 wechselte er als Korrespondent nach Paris, aber schon 1932 war er wieder in Frankfurt, als Leiter der Innenpolitik. Im Hitlerstaat fiel ihm der Vorsitz der Redaktionskonferenz zu. 1943 wurde die Zeitung auf Befehl Hitlers geschlossen. Als Gründer der Zeitschrift "Die Gegenwart" sammelte Reifenberg von 1948 an Kollegen aus der Frankfurter Zeitung um sich. 1958 ging "Die Gegenwart" in der seit 1949 erscheinenden Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf, die ihrerseits an die Frankfurter Zeitung anknüpft. Bis heute erinnert die Seite "Die Gegenwart" an diese Wiedervereinigung. Reifenberg wurde mit 66 Jahren ins Herausgebergremium dieser Zeitung aufgenommen, dem er bis 1966 angehörte. Er starb 1970.

Noch bevor er die erste Zeile in der Frankfurter Zeitung veröffentlicht hatte, sah Benno Reifenberg das liberale Blatt aus seiner Heimatstadt in geradezu schwärmerischer Weise als seine Zeitung an, als Spiegelbild oder Idealporträt des Menschen, der er sein wollte. Seiner polnischen Verlobten offenbarte er in einem Brief vom 19. Februar 1918 seine Befürchtung, dass der absehbare Ausgang des Krieges ihn als Deutschen in den Augen seines künftigen Schwiegervaters herabsetzen werde. "Es wäre mir angenehm, wenn er, um eine Vorstellung von meiner Gesinnung zu haben, ab und zu die ,Frankfurter Zeitung' lesen könnte. Im großen und ganzen finde ich dort nichts, was meinen politischen Ansichten widerspräche."

In der Hitlerzeit wie danach galt Reifenberg im Kollegenkreis als geborener Treuhänder des Geistes der Frankfurter Zeitung. Im Lichte des Briefs an die Verlobte kann man pointierend von einer wechselseitigen Prägung sprechen: Der Redakteur machte die Zeitung, der er seine eigene Bildung verdankte. Karl Korn, Herausgeber dieser Zeitung, sagte in seiner Trauerrede: "Benno Reifenberg hat ein Leben lang der Bewahrung gedient." Jetzt hat die Historikerin Dagmar Bussiek eine Biographie Benno Reifenbergs geschrieben: das Leben eines Erben und Nachlassverwalters.

Reifenberg stammte väterlicherseits aus einer Familie jüdischer Kaufleute. Sein Großvater mütterlicherseits war ein holländischer Reeder. An den Anfang ihrer Erläuterungen zum Begriff des Bürgertums stellt die Biographin ein Zitat von Dolf Sternberger, dem Kollegen Reifenbergs im Frankfurter Feuilleton, über die Metapher des Schiffbruchs in bürgerlichen Selbstzeugnissen. Die komfortablen Verhältnisse, in denen Reifenberg aufwuchs, darf man nicht auf den Begriff der Sekurität bringen, da die Existenz des Kaufmanns auf das Risiko gegründet war. Den Druck der Erwartungen auf den Sohn, der sich alles aus eigener Kraft erarbeiten musste, erlebte der Gymnasiast, als er die Versetzung in die Obersekunda verfehlte. Die Mutter weinte, der Vater schwieg und ist, wie Reifenberg in einer autobiographischen Aufzeichnung festhielt, "auch später nie auf jenen Misserfolg von mir zurückgekommen".

1912 bestand Benno Reifenberg sein Abitur mühelos, und als er zwei Jahre später seinen Vater in Briefen flehentlich bat, den Habitus des Schweigens abzulegen, war Adolf Reifenbergs Misserfolg der Grund, Zahlungsschwierigkeiten der Holzwarenfabrik: "Ich habe nicht das Recht, Dir Lehren zu geben, aber ich bitte Dich inständig und koste es was es wolle, die Bilanzen zu ziehen." So waren auch Geldsorgen für den Studenten ein Antrieb, bei der Frankfurter Zeitung ein erstes Manuskript einzureichen. Thema: "Altfrankfurt". Enttäuscht teilte er dem Vater mit: "Vom treulosen Dr. Simon habe ich bis jetzt auch nicht ein Wort gehört, obwohl ich ihm einen langen Brief gesandt habe." Heinrich Simon, der mit einer Arbeit über Novalis promoviert worden war, war 1906 ins Feuilleton eingetreten und 1910 mit seinem Bruder Kurt in die Geschäftsleitung berufen worden. Die Brüder Simon waren Enkel von Leopold Sonnemann, dem Gründer der Frankfurter Zeitung.

Heinrich Simon, in dessen Villa am Untermainkai berühmte Künstler ein und aus gingen, war ein Freund der Familie Reifenberg, der sich gegenüber Benno Reifenberg als die Treue selbst erwies. Nach dem Tod Adolf Reifenbergs 1917 versprach Simon dem Sohn, ihm das Studium zu finanzieren. Er nahm Benno und Maryla Reifenberg für mehrere Jahre in sein Haus auf. Der Feuilletonchef Reifenberg galt als Kronprinz Simons. Liberale Historiker sahen im römischen Adoptivkaisertum die rationale, mit der Meritokratie versöhnte Form der Erbmonarchie. So gab es in der Frankfurter Zeitung ein Adoptivredakteurswesen.

Dagmar Bussiek entdeckt Muster in den Familiengeschichten der Frankfurter Zeitungsmacher. Leopold Sonnemann und Adolf Reifenberg waren Autodidakten aus Weberfamilien, die sich vom jüdischen Glauben der Vorväter lösten und strategische Ehen eingingen. In der Ehe von Benno und Maryla Reifenberg wiederholte sich die religiöse Arbeitsteilung der Eltern Reifenberg: indifferenter Vater, fromme Mutter, die den Sohn katholisch erzog. Jan Reifenberg, geboren 1923, schlug die Laufbahn seines Vaters ein und berichtete für diese Zeitung aus Washington und Brüssel.

Karl Korn sagte am Grab Benno Reifenbergs: "Sein Teil und sein Auftrag war die Bewahrung von etwas, das er theoretisch zu formulieren nicht unternommen hat." Wie viel dieses Untheoretische an Reifenbergs Konservatismus mit der erweiterten Familiengeschichte zu tun hat, mit der Selbstverständlichkeit und Problematik einer im Erbgang erlangten Stellung, muss Spekulation bleiben. Leider fehlt jedoch auch der Biographin die theoretische Phantasie. Sie zitiert ausführlich aus den Briefen und Tagebüchern im Marbacher Nachlass und bemüht sich um ein gerechtes Urteil. Aber über Korns Formulierungen für Reifenbergs unausgesprochenes Lebensprogramm ("bewahren, was im Patrimonium aufgehoben ist, das heißt die guten Kräfte der Natur, die künstlerische Urbanität, Geselligkeit, Bildkraft, das Erlebte") kommt Dagmar Bussiek nicht hinaus.

Dieses Buch ist ein typisches Produkt einer Zeitgeschichte der Ideen, die die Protagonisten des bürgerlichen Kulturbetriebs zu Objekten akademischer Erörterung macht. Die Vertrautheit mit den Gegenständen der Kultur wird nicht mehr erwartet: Frau Bussiek informiert in einer langen Fußnote darüber, wer Wilhelm Furtwängler war, inklusive Verweis auf eine von Alfred Brendel "herausgegebene" CD-Box des "Zeit"-Verlags. Gut und schön: Wissenschaft ist voraussetzungslose Betrachtung von außen. Aber an die Stelle der unbegrifflichen Fortschreibung der Tradition in der bürgerlichen Geistesgeschichte alten Stils tritt in der neuen Ideengeschichte eine Basisversion von Wissenssoziologie, die sich die Faszination von Kunst und Literatur nur mit Statusvorteilen erklären kann.

Dagmar Bussiek sieht Reifenberg als unpolitischen Kunstliebhaber, den auch die Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg nicht politisiert habe. Sie hat keine Erklärung dafür, warum er in der Endphase der Weimarer Republik nach der Macht des Leitartiklers strebte. Dichte Interpretationen werden Reifenbergs literarischer Verarbeitung seiner Kriegserinnerungen zuteil. Aber eine vergleichende Einordnung der Kunstschriftstellerei, die seine Hauptarbeit war, findet nicht statt. Das ist auch in einer historischen Qualifikationsarbeit - einer Kasseler Habilitationsschrift - ein schweres Manko. Wenn das Feuilleton wirklich ein Thema für Historiker sein soll, dann müssen an die Texte der Feuilletonisten historische Fragen gestellt werden: stilgeschichtliche, geschmacksgeschichtliche, verhaltensgeschichtliche.

Nach einem Artikel über van Goghs aus dem Frankfurter Städel entferntes Bildnis des Dr. Gachet wurde Reifenberg 1938 von der Gestapo verhaftet und mit der Einweisung ins Konzentrationslager bedroht. Er verglich die Erfahrung mit einer Vergewaltigung, überließ das Leitartikelschreiben den Kollegen und zog den Anzug, den er beim Verhör getragen hatte, nie wieder an. Die Biographin stellt den traumatischen Vorgang in die Lebensbilanz ein: Es war kein Zufall, dass eine Bildbeschreibung Reifenberg in Gefahr brachte. "Reifenbergs persönliche Liebe zur bildenden Kunst muss im Kontext seiner Sozialisation in einem bildungs- und kulturbewussten, städtisch-bürgerlichen Umfeld gesehen und interpretiert werden. Vor dem gleichen Hintergrund wird auch seine - nicht spontan, aber mittel- und langfristig - heftige emotionale Reaktion auf die Inhaftierung erst in Gänze verständlich: Der Bürger in der Gefängniszelle, im Verhör mit den Organen der Staatsgewalt - dieses Szenario ließ jenen ,Schiffbruch' der Existenz ahnen, den Dolf Sternberger Jahrzehnte später thematisiert hat."

Hier ist alles schief. Sternbergers Betrachtung steht in seinem Buch "Gerechtigkeit für das neunzehnte Jahrhundert". Der "Schiffbruch" eines Kaufmanns wie Adolf Reifenberg hat nichts zu tun mit der mörderischen Willkür des totalen Staates. Die Gestapo bedrohte die Existenz des "Halbjuden" Benno Reifenberg im buchstäblichsten Sinne - bildungsbürgerliches "Ahnen" erübrigte sich. Wem ist nicht sofort "in Gänze verständlich", dass jemand über einen solchen Schreck nicht hinwegkam? Dass ein Gestapoverhör für einen Arbeiter oder Adligen nicht so schlimm gewesen sei wie für einen kunstsinnigen Bürger - das ist der letzte Schluss einer Bürgertumsforschung, die ihre Vorstellungskraft an die Sozialisationstheorie ausgelagert hat.

PATRICK BAHNERS

Dagmar Bussiek: "Benno Reifenberg 1892-1970". Eine Biographie.

Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 512 S., br., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht wirklich erwärmen kann sich Patrick Bahners für Dagmar Bussieks Biografie Benno Reifenbergs (1892-1970), der ab 1924 das Feuilleton der Frankfurter Zeitung leitete, auch unter dem NS-Regime in leitender Position blieb und 1948 die Zeitschrift "Die Gegenwart", die 1958 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aufging, gründete. Das Buch wird seines Erachtens diesem unpolitisch-konservativen Feuilletonisten nicht wirklich gerecht. Zum einen weil der Autorin seines Erachtens ein "Begriff von ästhetischer Bildung" fehlt und er Reifenberg von Bussiek zu einem "Objekt akademischer Erörterung" gemacht sieht, die mit ihrem kulturellen Gegenstand nicht vertraut sei. Zum anderen vermisst er in vorliegender Biografie eine nähere Betrachtung und Einordnung von Reifenbergs feuilletonistischen Texten, seiner "Kunstschriftstellerei".

© Perlentaucher Medien GmbH