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Adolf Endler blickt genau und unsentimental zurück auf die frühen Jahre, die Kindheit im Krieg und seine Anfänge als Schriftsteller.Adolf Endler wollte nie eine Autobiographie im herkömmlichen Sinn schreiben. Es schien ihm ganz unmöglich und falsch, sein Leben, das in seinen Augen eher einem Zickzackkurs folgte, als einen runden Bogen zu erzählen. Trotzdem hat er sich in seinen letzten Lebensjahren immer wieder mit Renatus Deckert getroffen, um in langen Gesprächen frühe Prägungen auszuleuchten und sich an seine Kindheit im Rheinland zu erinnern: an die aus Belgien stammende Mutter, deren…mehr

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Produktbeschreibung
Adolf Endler blickt genau und unsentimental zurück auf die frühen Jahre, die Kindheit im Krieg und seine Anfänge als Schriftsteller.Adolf Endler wollte nie eine Autobiographie im herkömmlichen Sinn schreiben. Es schien ihm ganz unmöglich und falsch, sein Leben, das in seinen Augen eher einem Zickzackkurs folgte, als einen runden Bogen zu erzählen. Trotzdem hat er sich in seinen letzten Lebensjahren immer wieder mit Renatus Deckert getroffen, um in langen Gesprächen frühe Prägungen auszuleuchten und sich an seine Kindheit im Rheinland zu erinnern: an die aus Belgien stammende Mutter, deren Verwandte von den Nazis umgebracht wurden, an den Vater und dessen scheiternde Versuche, ein Unternehmen aufzubauen. Er erzählt von den Schrecken des Krieges, dem Sirren der Bombergeschwader und dem als Befreiung empfundenen Einmarsch der Amerikaner. Nach dem Krieg saugte Endler begierig auf, was an moderner internationaler Literatur zu lesen war, und lernte die Schriftstellerin Irmgard Keun kennen. Er begann selbst zu schreiben und wurde 1952 zu der legendären Niendorfer Tagung der Gruppe 47 eingeladen, wo er Heinrich Böll und Paul Celan begegnete. 1955 ging er voller Illusionen in die DDR, rasch verlor er sie. Endler hat das Manuskript der Gespräche noch gelesen und autorisiert - er betrachtete sie als sein letztes literarisches Werk.
Autorenporträt
Adolf Endler (1930-2009), Lyriker, Prosaautor, Essayist; geboren in Düsseldorf, 1955 Übersiedlung in die DDR. Er erhielt bedeutende Literaturpreise, darunter: Bremer Literaturpreis, Peter-Huchel-Preis, Hans Erich Nossack-Preis, Kritikerpreis der SWR-Bestenliste, Brüder-Grimm-Preis der Stadt Hanau, Ehrengabe der Schiller-Stiftung, Rainer-Malkowski-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.09.2010

Im Scheunenviertel, Parterre
Renatus Deckerts Gespräche mit dem Schriftsteller Adolf Endler, der 1955 als junger Mann in die DDR ging, sie überlebte und 2009 in Berlin starb
Der Schriftsteller Adolf Endler ist vielleicht das letzte große Geheimnis der DDR. Er blieb bis zum Ende dieses Staatswesens dort wohnhaft und ging völlig unbeschadet daraus hervor. Endler war der grand old man und spiritus rector der Literatur am Prenzlauer Berg und dabei auch für die Stasi nicht zu fassen. Vor einem Jahr, kurz vor dem Erreichen seines 80. Lebensjahrs, ist er gestorben und hatte seine Biografie schon durch etliche vielschillernde Bruchstücke in seine Texte geschmuggelt. Aber was es genau damit auf sich hatte, wurde nie von letzter Hand geklärt. Dass Endler 1955 im Alter von 25 Jahren aus Düsseldorf in die DDR übersiedelte und dort auch wirklich blieb, ist eine der hermetischsten Chiffren, die er zurückließ. Deshalb ist es fast wie ein Geschenk, dass Renatus Deckert Endler, der im August 2009 starb, in den letzten Lebensjahren mehrfach aufsuchte, um ihn zu Biographie und Werk zu befragen.
Am meisten war ja bisher Endlers Vorzeit ins Dunkel gerückt: die Jahre der Kindheit unter den Nazis im Rheinland, die Bombennächte in Düsseldorf, die DDR 1955 bis 1961. Genau diese ominöse Zeitspanne wird jetzt behandelt, die in dem Buch skizzierte mündliche Autobiographie endet etwa 1963, 1964. Eingeschlossen in die DDR, vollzieht sich bei Endler nach dem Mauerbau eine Kehre in seinen literarischen Texten, zeigt sich die charakteristische Haltung des schwarzen Humors, des Verlachens aller staatlichen Rede, wie wir es von ihm kennen. Die diffusen Nebelzonen vorher aber werden jetzt zum ersten Mal ausgeleuchtet.
Dass Endlers erste Erinnerung einen Karnevalsumzug betrifft, wirkt wie ein Fingerzeig: als Dreijähriger habe er in der Ortschaft Itter „schwarz angemalte und auf primitive aber lustige Weise verkleidete Dörfler“ gesehen: „Sie fuhren vom einen Ende des kleinen Dorfes zum anderen und tranken dabei, so viel es gab.“ Dass ein mittlerweile als fester Bezugspunkt der DDR-Literatur gehandelter Autor wie Endler eine explizit rheinische Prägung hat, ist eine Irritation, die einiges über seine spätere Berliner Exzentrik verrät. Zudem gibt er Details seiner Familiengeschichte preis. Wie er das tut, hat allerdings schon wieder den Charakter einer literarischen Mystifikation. Recht „zwielichtig“ scheint seine Großmutter gewesen zu sein, ein „Mädchen aus Bruxelles“, wie es in einem Gedicht benannt wird: eine Belgierin, die mehr oder weniger im Vergnügungsgewerbe tätig war, sich anlässlich des Ersten Weltkrieges „mit deutschen Offizieren herumgetrieben“ habe und dabei „auf meinen Großvater gestoßen“ sei.
Ob Endler die gedruckte Fassung noch beträchtlich redigiert hat, wird nicht genau erklärt, jedenfalls könnten die rhetorischen Schlenker, mit denen er die Ausgangsbedingungen seiner Existenz kennzeichnet, direkt in seine schriftlich niedergelegte Literatur überführt werden: „Auf jeden Fall war meine Großmutter unter erotischem Aspekt sehr anziehend und für meinen Geschmack etwas undurchsichtig. Es gibt da eine Geschichte, der zufolge meine Großmutter meinen Vater verführt haben soll, der ja immerhin der Mann ihrer Tochter war. Ich habe auch das dunkle Gefühl, ich habe mal so eine Phantasiegeschichte geschrieben, dass sie versucht hat, als ich klein war, sich an mir zu vergreifen.“
Trost für Paul Celan
Die Mutter, die Belgierin, war der Garant, dass der junge Endler den Nazis mit Skepsis gegenüberstand. Sie sorgte dafür, dass er sich der Hitlerjugend weitgehend entzog. Endler versuchte recht früh, ausländische Sender im Radio zu finden, und erklärt das mit einer eindeutig künstlerischen Disposition: er habe „schon als Elfjähriger an der Welt gelitten, nicht nur an den Nazis, sondern an der Welt schlechthin“, und habe „nach etwas gesucht, das anders ist“. Das setzte sich nach dem Krieg nahtlos fort, als Endler „alle möglichen Zeitschriften gekauft und förmlich aufgefressen“ hat: das englische Kulturzentrum „Die Brücke“ am Düsseldorfer Hauptbahnhof sei seine eigentliche Schule und Universität gewesen.
Dieser Gesprächsband birgt auch eine kleine Sensation: Endler hat, als 22-Jähriger, an der legendären Tagung der Gruppe 47 in Niendorf 1952 teilgenommen. Hans Werner Richter veröffentlichte in seiner kurzlebigen Zeitschrift „Die Literatur“ ein Gedicht von ihm („ein Mistgedicht, dürftig noch und noch, dem Zeitgeist entsprechend“) und lud ihn ein. Er traute sich dann allerdings nicht, dort vorzulesen und zog seinen Text zurück.
Es war die berühmte Tagung, an der Paul Celan teilnahm und auf zum Teil heftiges Unverständnis stieß: „Und da habe ich ihn getröstet! Ich habe den großen Paul Celan getröstet! Das glaubt man nicht!“ Bald kamen zwei Sachen zusammen, die unvereinbar schienen und doch das Charakteristische Endlers ausmachen: zum einen die Begeisterung für den Surrealismus, den er in den bis zur Währungsreform existierenden Zeitschriften entdeckte, zum anderen die Hinwendung zum Kommunismus.
Endler lernte durch das Gebaren seines Vaters die kapitalistische Geschäftemacherei hassen, die alten Seilschaften zwischen Nazis und Industrie, die unter Adenauer bald wieder florierten (der Vater machte allerdings bald Pleite). Endler engagierte sich für den Kulturbund und für Kreise, die offenkundig vom Osten finanziert wurden, er gehörte sogar zu einer Clique von „quasi Agenten“, die Geld aus der DDR in die Bundesrepublik einschleusten. So übergab er dem Vater von Heinar Kipphardt oder der Pflegemutter von Ulrike Meinhof jeweils ein paar Hundert Mark aus dubiosen Quellen („ein Mann im Ledermantel, der mir sehr unsympathisch war“). Mit Anfang Zwanzig geriet er bald in Gefahr, durch derlei strafbare Handlungen in der Bundesrepublik vor Gericht zu kommen. Als er vom Verlag der Nation in Ostberlin den Auftrag erhielt, eine Anthologie mit westdeutscher Lyrik herauszugeben, ging er eine Zeitlang nach Berlin.
Aus der Anthologie – Endler wollte etliche moderne westliche Stimmen aufnehmen – wurde zwar nichts, aber er bekam vom mächtigen Kulturfunktionär Alfred Kurella das Angebot, am neugegründeten Literaturinstitut in Leipzig mit einem Stipendium studieren zu können. So blieb er „in der DDR hängen“ und wurde zum DDR-Schriftsteller.
Ein Mann im Ledermantel
Dies ist Zeitgeschichte, die aus ungewöhnlicher Perspektive wahrgenommen wird, in leider allzu kurzen, aber prägnanten Schlaglichtern. Lehrer am Literaturinstitut wie Wieland Herzfelde (aus Angst dogmatisch) und Georg Maurer (überschätzt, aber redlich) tauchen in genauso präzisen Porträts auf wie die „Sächsische Dicherschule“ mit Volker Braun oder Sarah Kirsch, die eine neue Generation von DDR-Schriftstellern definierte. Dass sie alle den Mauerbau begrüßten, wird als Groteske auf einfühlsame Weise nachvollziehbar gemacht.
Literaturgeschichtlich ist dieser schmale Band eine Fundgrube. Es spannt sich schlüssig ein Bogen vom frühen, versponnenen Künstler mit avantgardistisch-sozialistischen Vorstellungen hin zum mittellosen, verdächtigen DDR-Schriftsteller mit einer kleinen Parterre-Wohnung im Scheunenviertel: „In einem Winter habe ich dreißig oder vierzig Ratten mit Briketts erschlagen; eine furchtbare Metzelei war das.“ So lebten einmal die Dichter.
HELMUT BÖTTIGER
ADOLF ENDLER: Dies Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 185 Seiten, 19 Euro.
Adolf Endler Foto: Isabel Mahns-Techau, IMT Pressbuero Hamburg
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Aus diesem autobiografischen Gesprächsband von Adolf Endler lässt sich was lernen. Helmut Böttiger staunt nicht nur, wie man als DDR-Dichter hauste, er erfährt auch jede Menge literaturgeschichtlich Interessantes: Porträts aus der Sächsischen Dichterschmiede etwa oder wie Endler als kleine graue Maus an der hochberühmten Niendorfer Tagung der Gruppe 47 teilnahm und den großen Celan trösten musste. Dass Endler mit seinen rheinischen Ursprüngen ein dolles Irrlicht der DDR-Literatur ist, machte den Band für Böttiger ohnehin spannend. Bombennächte im Rheinland, DDR 1955, eine geheimnisumwobene Großmutter, das alles passt zum Autor, findet Böttiger. Endlers schwarzer Humor und die Rhetorik der Aufzeichnungen machen den Band für ihn zu einem quasi literarischen Erlebnis. 

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