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Jüdische Studentenverbindungen als Orte der deutsch-jüdischen Identitätsfindung.Als Reaktion auf die zunehmende Ausgrenzung aus den traditionellen deutschen Studentenverbindungen gründeten jüdische Studenten 1886 die erste eigene Korporation. Die in der Folge entstehenden jüdischen Verbindungen übernahmen die traditionellen verbindungsstudentischen Formen: Sie legten Farben an, trugen bei Feierlichkeiten die studentische Uniform, den Wichs, sangen »auf ihren Kneipen« studentische Lieder und bildeten einen »Lebensbund«. Vor allem der Ehrbegriff und die Wehrhaftigkeit nahmen in der…mehr

Produktbeschreibung
Jüdische Studentenverbindungen als Orte der deutsch-jüdischen Identitätsfindung.Als Reaktion auf die zunehmende Ausgrenzung aus den traditionellen deutschen Studentenverbindungen gründeten jüdische Studenten 1886 die erste eigene Korporation. Die in der Folge entstehenden jüdischen Verbindungen übernahmen die traditionellen verbindungsstudentischen Formen: Sie legten Farben an, trugen bei Feierlichkeiten die studentische Uniform, den Wichs, sangen »auf ihren Kneipen« studentische Lieder und bildeten einen »Lebensbund«. Vor allem der Ehrbegriff und die Wehrhaftigkeit nahmen in der verbandsinternen Erziehung eine wichtige Rolle ein. Durch Mensur und Fechtübungen sollte die Anerkennung seitens der nichtjüdischen Studenten erreicht werden.Miriam Rürup untersucht in ihrer Arbeit vor allem die Vielfalt der Zugehörigkeiten und Selbstbeschreibungen innerhalb der Verbindungen. Sollten sich die Mitglieder der verschiedenen Verbände als deutsch, deutsch-jüdisch, jüdisch, zionistisch oder jüdisch-national verstehen? Vor der Folie der deutschen verbindungsstudentischen Tradition ergeben sich so ganz neue Aspekte der deutsch-jüdischen Identitätsfindung.
Autorenporträt
Miriam Rürup ist Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien. Von 2012 bis 2020 war sie Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg. Davor arbeitete sie als Post-Doc Research Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington DC und von 2006 bis 2010 als Wissenschaftliche Assistentin am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen. 2007 publizierte sie ihre Dissertation zum Thema deutsch-jüdische Studentenverbindungen (»Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten 1886-1937«). Sie hat Geschichte, Soziologie und Europäische Ethnologie an den Universitäten Göttingen, Tel Aviv und Berlin studiert und an der Stiftung »Topographie des Terrors« in Berlin, dem Franz Rosenzweig-Zentrum in Jerusalem und dem Simon Dubnow Institut in Leipzig gearbeitet.

Dan Diner, geb. 1946, ist Professor Emeritus für Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Von 1999 bis 2014 war er Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur sowie Professor am Historischen Seminar an der Universität Leipzig. Er ist Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Er ist Herausgeber der siebenbändigen Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (2011-2017).Veröffentlichungen u. a.: Ein anderer Krieg. Das jüdische Palästina und der Zweite Weltkrieg 1935-1942 (2021); Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust (2007, 2020); Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage (2015).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.11.2008

Feigheit und Ehre
Miriam Rürup über jüdische Studentenverbindungen
Am 31. August 1864 erlag Ferdinand Lassalle, der Gründer der deutschen Sozialdemokratie, einer Schussverletzung, die er sich bei einem Pistolenduell mit einem Nebenbuhler beim Werben um eine Frau zugezogen hatte. Die beiden Duellanten trugen eine Ehrenstreitigkeit aus. Unabhängig von diesem unzeitgemäßen und unsinnigen Tod hätte dieses Duell eigentlich gar nicht stattfinden können – denn Lassalle war Jude. Und als Jude war er nicht satisfaktionsfähig. So wollten es die gesellschaftlichen Normen jener Zeit.
Traditionell galt als satisfaktionsfähig, wer das Recht zum Waffentragen besaß – Adlige, Offiziere, Studenten. Zum Adel aufsteigen konnten in Deutschland (in aller Regel) Juden ebenso wenig, wie sie Offiziere werden konnten. Und als Studenten wurden sie von ihren Kommilitonen ausgegrenzt, von den Studentenverbindungen, schlagenden zumal, durch einen „Arierparagraphen” ferngehalten. Das galt selbst dann, wenn jüdische Studenten bereit gewesen wären, sich den Verhaltensregeln, dem „Comment” zu unterwerfen. Im Standesdenken des 19. Jahrhunderts wurden Juden von den „höheren” Gesellschaftskreisen ausgeschlossen, weil ihnen das „feinere” Ehrgefühl ebenso fehlte wie das deutsche „Blut”.
In ihrer Dissertationsschrift geht Miriam Rürup der Frage nach, wie die jüdischen Studenten seit 1880 auf den sich wachsenden Antisemitismus im Kaiserreich, seine Verschärfung im Weltkrieg, seine sich mehr radikalisierenden Verbreitung in den Jahren von Weimar und seine Institutionalisierung in der NS-Zeit bis 1938 reagierten.
Deutsch-jüdische Verbindungsstudenten waren eine Minderheit in der Minderheit. Diese jedoch war es, die nach Abschluss ihres Studiums Führungspositionen innerhalb des deutschen Judentums ernahm. Anders als bei nichtjüdischen Verbindungsstudenten befanden sich die jüdischen Studenten in einem permanenten „Aushandlungsprozess”, dessen Rahmen der verbindungsstudentische Lebensstil bot und in dem sich Zugehörigkeiten herausbildeten. Ohne die fortwährenden (Selbst-)Inszenierungen und das unentwegte Agieren in einem feindlich gesinnten „arischen” verbindungsstudentischen Umfeld, so die These der Autorin, wären nicht nur das deutsch-jüdische Bürgertum der Weimarer Zeit, sondern auch die deutsch geprägten zionistischen Institutionen andere geworden.
Jüdische Studentenverbindungen mit ihrem stark ritualisierten Lebensstil traditioneller Verbindungen sind historisch betrachtet eine Reaktion auf den modernen Antisemitismus. Letztlich stehen sie damit im Kontext der Herausbildung des Nationalsozialismus. Ihre „Ehre” und „Ehrhaftigkeit”, die Übernahme des verbindungsstudentisch dominanten akademischen Ehrenkodex, wenn man es denn so ausdrücken möchte, ließ sie eigene Korporationen gründen. Sie wollten als zugehörig anerkannt sein. Und deswegen übernahmen oder imitierten sie die Praxis auf dem Fechtboden und bei den Mensuren, auch um das Vorurteil vom „feigen” Juden zu widerlegen und Respektabilität zu erlangen. Der wehrhafte – satisfaktionsfähige – Jude wollte ein Gegenentwurf zum angeblich verweichlichten „Ghettojuden” sein.
Schneid fürs Selbstbewusstsein
Der Stellenwert von studentischen Korporationen prägte das akademische und bildungsbürgerliche Milieu bis weit in die zwanziger Jahre. Dem konnten und wollten sich die jüdischen Studenten nicht entziehen. Ihr eigenes Regelsystem sollte ihnen als Marginalisierten im universitären Leben jenes Selbstbewusstsein geben, mit dem den antisemitischen Erniedrigungen stolz entgegenzutreten war. Dies hat Miriam Rürup in dieser quellengesättigten Studie eindrucksvoll herausgearbeitet. Dass junge, deutsche, männliche Juden sich für das traditionelle Verbindungswesen begeistern konnten, kann nur diejenigen irritieren, die deterministisch den Blick auf den Nationalsozialismus als Fluchtpunkt der deutsch-jüdischen Geschichte und des Antisemitismus richten. LUDGER HEID
MIRIAM RÜRUP: Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten 1886-1937. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 502 Seiten, 40 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2008

Der Stolz auf die eigene Farbe
Jüdische Studentenverbindungen vom deutschen Kaiserreich bis ins "Dritte Reich"

Beschäftigt man sich mit einer Minderheit in einer Minderheit, bedarf dies in der Regel einer besonderen Rechtfertigung. Gerne schreibt man der fraglichen Gruppe exemplarischen oder repräsentativen Charakter zu oder verspricht durch den Blick von den Rändern ins Zentrum Aufschlüsse über Befindlichkeiten und Konflikte einer Gesellschaft. Miriam Rürup hat sich eines solchen Falls angenommen. Sie hat Archive und Bibliotheken zwischen New York, Berlin und Jerusalem konsultiert, um die sich über ein halbes Jahrhundert erstreckende Geschichte jüdischer Studentenverbindungen in Deutschland von der Wilhelminischen Zeit bis zur endgültigen Auflösung der Korporationen 1937 darzustellen. Ihr Interesse an diesem Thema begründet sie nicht zuletzt mit dem Verweis auf ein grundlegendes Paradox: Ein namhafter Teil jüdischer Studenten in Kaiserreich und Republik eignete sich eine Organisationsform und Wertvorstellungen und Praktiken an, die nicht nur zunehmend als unzeitgemäß, als archaisch und rückwärtsgewandt kritisiert wurden, sondern den soziokulturellen Humus für einen virulenten Antisemitismus bildeten. Bereits seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bemühten sich studentische Korporationen an deutschen Universitäten mit "Arierparagraphen" oder schlichtweg mittels einer diskriminierenden Aufnahmepraxis den Eintritt von Studierenden jüdischer Herkunft zu unterbinden - eine Politik, die in der Weimarer Zeit zum Standard wurde. Im Gegenzug gründeten jüdische Kommilitonen seit 1886 eigene Verbindungen, deren Binde- und Prägekraft sich als derart mächtig erwies, dass ihre Mitglieder teilweise noch nach der Auswanderung oder Flucht bis zu ihrem Tod, ob in den Vereinigten Staaten oder in Israel, an ihren alten "Farben" und dem hoch ritualisierten Brauchtum festhielten.

Das jüdische Verbindungswesen spiegelte seit seinen Anfängen die ideologische Binnendifferenzierung der deutschen Juden zwischen einer "deutsch-vaterländischen", jüdisch-nationalen und religiösen Richtung wider. Die Einzelgründungen schlossen sich bald in Verbänden zusammen, zuerst die "deutsch-vaterländischen" 1896 im KC, dem Kartellconvent der Verbindungen jüdischen Glaubens, der als Vorfeldorganisation des größten Zusammenschlusses deutscher Juden, des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, fungierte, und in dem unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs aus der Fusion zweier Kartelle entstandenen zionistisch orientierten KJV, dem Kartell Jüdischer Verbindungen. Diese waren keineswegs Massenorganisationen. 1913 verzeichnete der KC um die 930 Mitglieder in zehn Verbindungen. Das konkurrierende KJV umfasste bei seiner Gründung 1914 dreizehn Verbindungen und zählte 1919 knapp 490 Angehörige. Die Korporierten stellten unter den jüdischen Studenten eine Minderheit dar. Vor dem Ersten Weltkrieg war ein knappes Drittel unter ihnen organisiert, während dieser Anteil bei den nichtjüdischen Studierenden immerhin fast 80 Prozent betrug.

Frau Rürup will das jüdische Verbindungswesen nicht, wie in der Forschung meist praktiziert, als Reflex auf den Antisemitismus oder im Fall der jüdisch-nationalen Korporationen als Kern der zionistischen Bewegung interpretieren, sondern deutet den Aufbau jüdischer Verbindungen vielmehr als "Platzgewinn im akademischen Feld", als Ausdruck des Bestrebens einer Elite jüdischer junger Männer, sich ihre Zugehörigkeit zur "Ehrgemeinschaft" der satisfaktionsfähigen Gesellschaft zu sichern und das Stereotyp des "weibischen", "feigen" Juden für immer hinter sich zu lassen. Damit übernahmen die jüdischen Studenten auch bestimmte Vorstellungen und Inszenierungen von Männlichkeit, einen "schneidigen", zackigen kommentmäßigen Habitus, den sie im Auftritt in vollem Wichs, auf dem Paukboden sowie auf Kneipe und im Kommers einübten und demonstrierten.

Symptomatisch für die Fixierung jüdischer Verbindungsstudenten auf den Wertehorizont der Korporationen erscheint der Umstand, dass ihren Mitgliedern über alle Konflikte hinweg bis in den Ersten Weltkrieg hinein eine Abwehr des Antisemitismus nahezu ausschließlich auf "studentische Weise", das heißt in den Bahnen des Komments, nötig und denkbar erschien, aus dem sie antisemitische Korporationen, zunehmend aber auch akademische Organe ausschlossen. Die Imagination von Gleichheit und Zugehörigkeit über den gemeinsamen Nenner eines bestimmten Ideals von Männlichkeit ließ sich im Alltag nicht einlösen. In der Weimarer Zeit führte die Identifikation der jüdischen Korporationen mit der Republik neben dem erstarkenden Antisemitismus zu ihrer Exklusion aus der angestrebten Gemeinschaft mit anderen Verbindungen.

Handelten die jüdischen Verbindungsstudenten wie ein Dienstmädchen, "das sich die Kleider der Herrin angezogen hat und nun deren Benehmen und Sprachweise mit heißem Bemühen nachahmt", wie ein ehemaliger Korporierter in seinen Erinnerungen bemerkte? Für Frau Rürup stellt der Gegenstand ihrer Untersuchung weit mehr dar als nur das Beispiel der Adaptation einer Hegemonialkultur durch soziale Außenseiter. Im verbindungsstudentischen Umfeld verdichteten sich Debatten über Fragen der Zugehörigkeit und Orientierung der deutschen Juden. Im Kontext der Korporationen konnte sich ein spezifischer jüdischer Ehrbegriff entwickeln. Die Korporationen waren soziale Orte eines neuen Selbstbewusstseins. Die erste jüdische Verbindung, die Breslauer Viadrina, wählte demonstrativ die Farben der deutschen Urburschenschaft. Die gelbe Farbe des mittelalterlichen Schandflecks wurde vom Stigma zum Zeichen des Stolzes umdefiniert. Zionistische Korporationen entwickelten aus verbindungsstudentischen Ritualen eine eigene national-jüdische Festkultur: Die Makkabäerfeier wurde in Kommersform begangen, die Zeder am Jordanstrand nach der Melodie der "Wacht am Rhein" besungen, was nicht ausschloss, dass man bis in den Ersten Weltkrieg hinein auch Kaisers Geburtstag feierte. Die daraus resultierende Widersprüchlichkeit kommt im empörten Kommentar eines niederländischen Juden kurz vor Kriegsbeginn 1914 zum Ausdruck, der sich über das Auftreten deutscher zionistischer Verbindungsstudenten bei einer Palästina-Fahrt, über deren "deutsch-imperialistische Einkleidung" und "horrende Unjüdischkeit" beklagte.

Ein zentraler Befund der umfassenden Studie, die Organisationsgeschichte in einer erhellenden sozial- und kulturgeschichtlichen Perspektive bietet, verweist auf die tiefe Prägung männlicher deutsch-jüdischer Eliten durch die verbindungsstudentische Sozialisation. Das Bild vom Einzug deutscher zionistischer Studenten in jüdische Kolonien in Palästina in strammer Marschformation und unter Absingen deutscher Lieder, der das große Befremden des holländischen Kommilitonen auslöste, gehört so auch zur Vorgeschichte des Staates Israel.

MARTIN BAUMEISTER.

Miriam Rürup: Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten 1886-1937. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 502 S., 40,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eindrucksvoll findet Ludger Heid diese Dissertationsschrift von Miriam Rürup. Wie sich jüdische studentische Korporationen als Reaktion auf den Antisemitismus im deutschen Kaiserreich, in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit herausbildeten und wie deren Einfluss auf das bildungsbürgerliche Milieu aussah, lässt sich Heid von der Autorin gerne auseinandersetzen. Ihre "quellengesättigte" Darstellung der Begeisterung deutscher Juden für das traditionelle Verbindungswesen führt dem Rezensenten einen Determinismus vor Augen, der den Nationalsozialismus stets als Fluchtpunkt der deutsch-jüdischen Geschichte begreift.

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