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William Dodd legt mit diesem Band die intellektuelle Biographie Dolf Sternbergers (1907-1989) als Sprachkritiker vor. Im Mittelpunkt stehen dabei zunächst Sternbergers kultur- und sprachkritische Veröffentlichungen als Redakteur der Frankfurter Zeitung in den Jahren 1934-1943. Erstmals werden hier seine wichtigsten Veröffentlichungen im »Dritten Reich« zum Thema Sprache eingehend erörtert und der Wandel seiner sprachkritischen Praxis im Nationalsozialismus dargestellt. Dodd zieht dazu unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass und in Vergessenheit geratene Beiträge aus der Frankfurter Zeitung…mehr

Produktbeschreibung
William Dodd legt mit diesem Band die intellektuelle Biographie Dolf Sternbergers (1907-1989) als Sprachkritiker vor. Im Mittelpunkt stehen dabei zunächst Sternbergers kultur- und sprachkritische Veröffentlichungen als Redakteur der Frankfurter Zeitung in den Jahren 1934-1943. Erstmals werden hier seine wichtigsten Veröffentlichungen im »Dritten Reich« zum Thema Sprache eingehend erörtert und der Wandel seiner sprachkritischen Praxis im Nationalsozialismus dargestellt. Dodd zieht dazu unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass und in Vergessenheit geratene Beiträge aus der Frankfurter Zeitung heran, die zum Teil im Textanhang abgedruckt sind. Der von Sternberger in der »inneren Emigration« entwickelte sprachkritische Habitus sollte für die in der Wandlung veröffentlichten Glossen, das »Wörterbuch des Unmenschen«, bestimmend werden. Mit den späteren Buchausgaben dieses Wörterbuches setzte eine öffentliche Rezeption ein, die einen Höhepunkt im »Sprachstreit« der 1960er Jahre fand. Dodd legt mit der Rekonstruktion dieser Kontroverse eine Neubewertung der damaligen Positionen nahe, die für die heutigen Debatten über eine sprachwissenschaftlich fundierte Sprachkritik von nicht nur historischem Interesse ist.
Autorenporträt
Willam J. Dodd, geb. 1950, ist Professor of Modern German Studies an der University of Birmingham, U.K. Studium der Germanistik und Slawistik an der University of Leeds und der angewandten Linguistik an der University of Manchester. Promotion über Kafkas Dostojewski-Rezeption. Publikationen auf den Gebieten Grammatik und Sprachpädagogik des Deutschen, deutsche Literatur (vor allem zu Kafka), Korpuslinguistik, Sprachkritik. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift Aptum: Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2008

Kainsmale der Worte

Ist der Mensch Herr oder Knecht der Sprache? Dolf Sternberger wendete diese Frage ins Politische. William Dodd hat nun Sternbergers Sprachkritik erforscht.

Kann denn Sprache schuldig sein? Können Wörter sündigen? Das wohl nicht. Aber sie können durch ihren Gebrauch Kainsmale bekommen. So ist es einigen Wörtern gegangen, die die Nationalsozialisten gern verwendeten. Neue Bedeutungszuweisungen, die ihrer Weltsicht entsprangen, beschädigten manche Wörter nachhaltig. Wörter können zwar nicht schuldig, wohl aber gebrandmarkt werden. Das ist ein sehr feiner Unterschied, den ein Sprachforscher beachten muss, wenn er Wörter und ihren Gebrauch untersucht. Ein Essayist oder ein Dichter darf ihn getrost ignorieren. Denn Sprachwissenschaft und Sprachkritik sind zweierlei Dinge, und Letztere braucht ihre Begründung nicht aus der Ersteren zu beziehen.

Die Sprachkritik an den Nationalsozialisten begann nicht erst nach dem Krieg. Viktor Klemperer verfasste seine Notizen zur "lingua tertii imperii", zur Sprache des "Dritten Reiches", während des Krieges; publizieren konnte er sie erst danach. Andere konnten während der Diktatur Sprachkritisches drucken lassen, das anspielungsreich war. Das war eine Gratwanderung und allemal lebensgefährlich. Zu diesen mutigen Publizisten gehörte Dolf Sternberger (1907-1989). Aus Anlaß seines hundertsten Geburtstags hat der britische Germanist William Dodd eine umfassende Studie zur politischen Sprachkritik Sternbergers vorgelegt. Dodd arbeitet aus den Quellen, präsentiert also viel Neues. Das macht seine Untersuchung sehr lesenswert: Es ist eine exemplarische Studie über das Verhalten eines liberal-konservativen, humanistisch geerdeten Intellektuellen während der Hitlerjahre und über seine Beiträge zu einem geistigen Neubeginn in den Jahren danach, als die Fundamente einer neuen deutschen Demokratie zu legen waren.

Sternberger war einer der Begründer der Wissenschaft von der Politik in Deutschland. Als Heidelberger Student fand er in Karl Jaspers seinen wichtigsten Lehrer. Promoviert wurde er von Paul Tillich mit einer Arbeit über die Deutung des Todes in Martin Heideggers "Sein und Zeit" (1932). Schon als Student war er freier Mitarbeiter der "Frankfurter Zeitung" geworden, von 1934 bis zu ihrem Verbot 1943 gehörte er ihrer Redaktion an. Er war Mitbegründer der "Wandlung", Herausgeber von "Die Gegenwart" (1950 bis 1958) und Berater und Leitartikler für diese Zeitung. Seit 1947 baute er das Institut für Politikwissenschaft der Universität Heidelberg auf. Dort erhielt er 1960 einen Lehrstuhl. Für seine journalistische, wissenschaftliche und literarische Arbeit wurde er vielfach geehrt. Sein Gesamtwerk ist in zwölf Bänden im Insel-Verlag erschienen. Die in Heidelberg ansässige Dolf-Sternberger-Gesellschaft pflegt sein Andenken.

Als Sprachkritiker machte er sich früh einen Namen. Im Jahre 1932 hatte er eine Sammlung von Glossen, das "Wörterbuch der Regierung von Papen", veröffentlicht. Es war also 1933 "vorbelastet". Während der nationalsozialistischen Diktatur veröffentlichte er in der "Frankfurter Zeitung" Glossen und Betrachtungen, deren Sprachkritik listig bemäntelte politische Kritik war, etwa in "Menschen als Material" (1940). Das entging seinen Lesern nicht, weder den ihm wohlgesinnten noch solchen Nationalsozialisten, die zwischen den Zeilen lesen konnten, und die gab es. In diesen Jahren entwickelte der "innere Emigrant" Sternberger die Kunst des äsopischen Schreibens, bei dem das Gemeinte sehr indirekt, oft in Gleichnissen gesagt wird. Eine Leitfrage Sternbergers lautet: "Der Mensch: Herr oder Knecht der Sprache?"

In den Jahren 1945 bis 1948 verfasst er zusammen mit Gerhard Storz und Wilhelm E. Süßkind das "Wörterbuch des Unmenschen". Es umfasst achtundzwanzig Stücke, in denen einzelne Wörter kommentiert werden, die den Verfassern als typisch für die Sprache der Nationalsozialisten galten, etwa Anliegen, Betreuung, durchführen, echt, Einsatz, Frauenarbeit, Kulturschaffende, Mädel, organisieren, querschießen, Schulung, untragbar, Vertreter, wissen (um) und Zeitgeschehen. Im Jahre 1957 und erneut 1967 wurde die Sammlung in Buchform veröffentlicht. Dodds philologische Lektüre und Kommentierung dieser Artikel ist erhellend. Sie sind keineswegs sprachwissenschaftliche Abhandlungen, sondern Elemente einer politischen Sprachkritik, die die nationalsozialistische Propaganda ihrer sprachlichen Verbrämung entledigt, sie als barbarisch kenntlich macht. Darin lag und liegt ihr Wert, bis heute. Das "Wörterbuch des Unmenschen" bekam es in den sechziger Jahren mit akademischen Fachbeamten zu tun, die es rüffelten, weil es die germanistische Anstaltsordnung missachte. Diese Ordnung war damals im Umbruch. Die "Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft" Saussures hatten fünfzig Jahre nach ihrem Erscheinen (1916) Einzug in die germanistischen Institutsbibliotheken gehalten. Seither gelten seine Überlegungen zu "langue" und "parole" als unhintergehbarer Forschungsstand, und sie werden unnachsichtig eingefordert, auch dann, wenn sie gar nicht zum Thema passen.

Sprachkritik hat mehr mit Ästhetik, Eleganz und Stil zu tun als mit Sprachtheorie. Man kann sie deshalb nicht als "feuilletonistisch" abtun, wie das geschah und geschieht. Dodds Bericht über die Auseinandersetzungen Sternbergers mit einigen Germanisten, die der Sprachkritik eine "wissenschaftliche Basis" verpassen wollten (manche wollen das noch heute), ist ermüdend. Eine Schwäche des Buches liegt darin, dass naheliegende Bezüge nicht hergestellt werden, etwa zur keineswegs nur linientreuen Sprachkritik aus dem "Deutschen Sprachverein" in den dreißiger Jahren, die Dodd unterschätzt, denn dort agierten nicht nur puristische Dummköpfe.

Auch die Anfänge des "Streiflichts" (Fred Hepp) in den Nachkriegsjahren und die Sprachkritik in dieser Zeitung in den fünfziger und sechziger Jahren (Karl Korn, Nikolas Benckiser) kommen nur am Rande vor. Die - gelegentlich angesprochene - Vorbildfunktion der "Fackel" von Karl Kraus bleibt undeutlich. Auch die Parallelen und Unterschiede zu Theodor W. Adornos "Jargon der Eigentlichkeit" (1964) arbeitet Dodd nicht heraus. Zu bedauern ist schließlich, dass er die "Vorgeschichte" unbeachtet lässt; Wolfgang Sauers maßgebliche Arbeit "Der Sprachgebrauch der Nationalsozialisten vor 1933" kennt er nicht. Dennoch ist diese Studie über einen hellsichtigen deutschen Sprachkritiker der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ein nützliches und gut lesbares Buch, das neue Einsichten in das Werk eines großen Demokraten, Publizisten und Politikwissenschaftlers eröffnet.

HELMUT GLÜCK

William J. Dodd: "Jedes Wort wandelt die Welt". Dolf Sternbergers politische Sprachkritik. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 358 S., geb., 29,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Neue Einsichten in das Werk Dolf Sternbergers hat der Band Helmut Glück beschert. Dass William J. Dodd seine Studie zur politischen Sprachkritik Sternbergers umfassend und gut lesbar angelegt hat, dankt ihm der Rezensent. Ebenso die Quellenfundierung. Viel Neues über Sternberger als einem humanistisch geprägten Intellektuellen während der Hitlerjahre und über sein Mittun beim geistigen Neubeginn erfährt Glück, etwa durch Dodds philologische Lektüre von Sternbergers "Wörterbuch des Unmenschen" von 1948. Ein wenig ärgerlich dagegen findet Glück, dass der Autor es versäumt, Bezüge herzustellen, die dem Rezensenten als naheliegend erscheinen. Zur Sprachkritik des "Deutschen Sprachvereins" etwa, zum "Streiflicht", zur "Fackel". Dass Dodd die Vorgeschichte des nazistischen Sprachgebrauchs unter den Tisch fallen lässt, findet Glück gleichfalls bedauerlich.

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