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In zahlreichen, meist unveröffentlichten persönlichen Aufzeichnungen, Briefen, Vorträgen und Katalogbeiträgen gibt hier einer der bedeutendsten Künstler Deutschlands einen lebendigen und interessanten Einblick in die geistige Werkstatt seines Schaffens und seiner künstlerischen Entwicklung. In der temperamentvollen und lebendigen Sprache Nays werden dem Leser gleichzeitig die Probleme, Reflexionen und Ereignisse der Kunstwelt in einer fast 40-jährigen Periode des 20. Jahrhunderts vor Augen geführt wie auch die politischen und sozialen Veränderungen verdeutlicht. Man findet in diesen Texten…mehr

Produktbeschreibung
In zahlreichen, meist unveröffentlichten persönlichen Aufzeichnungen, Briefen, Vorträgen und Katalogbeiträgen gibt hier einer der bedeutendsten Künstler Deutschlands einen lebendigen und interessanten Einblick in die geistige Werkstatt seines Schaffens und seiner künstlerischen Entwicklung. In der temperamentvollen und lebendigen Sprache Nays werden dem Leser gleichzeitig die Probleme, Reflexionen und Ereignisse der Kunstwelt in einer fast 40-jährigen Periode des 20. Jahrhunderts vor Augen geführt wie auch die politischen und sozialen Veränderungen verdeutlicht. Man findet in diesen Texten viel Unbekanntes und gewinnt einen intimen Eindruck vom Charakter und der Eigenart dieses vitalen und fantasievollen Malers. Die Aussagen Nays erscheinen wie eine Brücke zu einem neuen Verständnis seines künstlerischen Werks, das bis heute durch die Originalität und Farbigkeit seine Ausstrahlung behalten hat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2002

Trunkene Höhenflüge
Zum hundertsten Geburtstag: Die Schriften des Malers E. W. Nay

Am liebsten hätte man am heutigen Tag seines hundertsten Geburtstags seine strahlenden Bilder wiedergesehen und gefeiert. Doch auf die große Nay-Ausstellung muß man bis zum Herbst warten. Ersatz bietet ein "Lesebuch", das zum ersten Mal umfassend Schriften des Malers aus den Jahren 1931 bis 1968 publiziert.

Der Verfechter einer absoluten, sich selbst begründenden und zelebrierenden Malerei war ein kristallklarer Analytiker, der jedoch ein wenig arrogant über seine Umwelt und die Zeitgeschichte hinwegsah. Seine Aufmerksamkeit gilt fast ausschließlich seiner Kunst, der Klärung, Kommentierung und Apologie seiner Rolle und Mission. Nay wirbt unermüdlich für die eigene Sache in Tagebuchnotizen, Briefen, Katalogbeiträgen, in Reden und Interviews, aber auch in größeren Aufsätzen - darunter eine präzeptorale Selbstinterpretation als Handreichung für Werner Haftmanns Nay-Monographie von 1958 und sein berühmtester Essay "Vom Gestaltwert der Farbe", der 1953 als Vortrag verfaßt wurde und 1955 in Buchform erschien.

Ernst Wilhelm Nay (1902 bis 1968) war der mächtigste Künstler der deutschen Nachkriegszeit. Seine leuchtende, sich sichtbar entschlackende Malerei begleitet nach 1945 den Aufstieg aus dem Desaster. Sie war ein Antidepressivum, brachte Farbe in eine triste Bußästhetik, festigte eine wieder freie künstlerische Öffentlichkeit und gab noch einmal das Beispiel eines großbürgerlichen, weltläufigen, weltüberwindenden Künstlertums. Nay verkörperte, mehr noch als Baumeister oder Winter, ein Stück ungebrochener, nicht kompromittierter Moderne in einer Zeit, da alle Traditionen zerschlagen waren und vielfach hilflos und mühsam wieder aufgenommen werden mußten. Nay hatte den Dialog mit Cézanne, Matisse, Kandinsky oder Kirchner fortgesetzt und überführte den Expressionismus zu Beginn der fünfziger Jahre in eine kosmopolitische Abstraktion.

Diese Künstlerkarriere illustrieren die Texte. Nur wenig erfährt man von der Person, dem Leben und Schicksal. Nay nennt sich einmal den "jüngsten Entarteten" (1937), erzählt lakonisch von äußerster Armut und Einsamkeit in Berlin, von der rettenden Lofoten-Reise und einem eher verlegenen Besuch beim Wohltäter Munch. In den vierziger Jahren war Nay Soldat in Frankreich. Nichts liest man darüber, wie sich seine farbtrunkene, dithyrambische Malerei im Umkreis des Grauens und der Katastrophe entfalten konnte. Nay wollte die Realität durch ihre Ignorierung und Überwindung meistern und befestigte sein Selbstbewußtsein im Blick auf die modernen Naturwissenschaften und die Philosophie. Heidegger, Freud und Einstein sind seine Bezugsfiguren. Nach dem Krieg reinigt er sich von verquollener Mythomanie der dreißiger Jahre.

Nays Hochmut verblüfft: Er sieht nun die Kunstgeschichte schnurstracks auf sich selbst zulaufen und spricht von sich in der dritten Person. Seine zeitgenössische Konkurrenz nimmt er nur sarkastisch wahr. Die frühen Dialogpartner Poussin, Cézanne, Matisse sind für ihn überwunden und aufgehoben. Rom und Griechenland langweilen ihn auf Reisen: Nur die Kykladenkunst hat Bestand. Früh war sich Nay seiner Sendung und Auserwähltheit bewußt: Er mache, so hieß es schon 1943, die "Malerei der Zukunft". Er allein, schreibt er später, "weiß weiter": "Ich arbeite geradewegs auf das Letzte zu, das die Malerei zu geben vermag." Die moderne Genealogie sieht in seinen Augen so aus: "Malewitsch, Kandinsky, Rothko, Tobey, Pollock, Nay."

Die Texte konservieren die Hitzeform eines utopisch beflügelten Kunstglaubens. Nay entwickelt eine farbige Bildsyntax, kämpft um einen dynamischen "Bildflachraum" und die Verwandlung der Fläche in eine "eigene potentielle Energie". Die "perfekte Realität" ist für Nay "die Gestaltfarbe, eine "arithmetisch zu setzende Chromatik". Sein existentielles Credo: "Das Leben zu bestehen ist für einen Maler, die Fläche zu bestehen." In den berühmten, chromatischen Scheibenbildern der fünfziger Jahre kulminiert Nays Ideal einer neuen "objektiven Satztechnik der Malerei".

Der Farbdichter läßt uns in den Schriften an seinem Suchen, seinen Gewißheiten und seinem Glück teilnehmen. Nay teilt seinen Höhenflug mit den amerikanischen Utopisten der Abstraktion. Auch bei ihm folgte auf die Euphorie der Sturz. Die Begeisterung des Publikums flaute angesichts der collagenhaften späten Farbform-Bilder ab. Auf die lichte Nay-Ära folgte in der Bundesrepublik bald die Beuys-Ära mit ihrem "Rückfall" in eine graue und schmutzige Buß- und Erinnerungsästhetik. Voll Ingrimm und Enttäuschung registriert der Maler noch die Rückkehr von Naturalismus, Dadaismus und Anti-Kunst und den "Kniefall" vor den Amerikanern. Wenige Tage vor seinem Tod befürchtet er das Schlimmste für die vierte documenta, die ihn nach seinem triumphalen Kasseler Auftritt von 1964 nicht wieder ausstellen wollte. Nay prophezeit: "Pop funèbres Kassel 68."

EDUARD BEAUCAMP

E. W. Nay: "Lesebuch". Selbstzeugnisse und Schriften 1931-1968. Zusammengestellt von Madalene Claesges. Mit einer Einführung von Elisabeth Nay-Scheibler. DuMont Verlag, Köln 2002. 335 S., 16 Farbtafeln, zahlr. Abb., geb., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auf die große Nay-Ausstellung zum hundersten Geburtstag des Malers muss man noch bis zum Herbst warten. Trost, verspricht Eduard Beaucamp, spendet derweil das "Lesebuch", in dem zum ersten mal Nays Schriften versammelt sind. Nay war "Verfechter einer absoluten sich selbst begründenden und zelebrierenden Malerei", schreibt Beaucamp, und 'einer Malerei' meint hier 'seiner Malerei'. Nach dem Krieg habe er der "tristen Bußästhetik" entsagt, wie Beaucamp hübsch formuliert, und mit leuchtenden Farben "den Expressionismus in eine kosmopolitische Abstraktion" getragen. Nays Texte zeichnen seine Karriere als Künstler - nicht sein Leben - nach, so der Rezensent, und offenbaren einen "Hochmut", der den Rezensenten "verblüfft". In seinem Sendungsbewusstsein fasse Nay sich selbst als den Endpunkt der modernen Kunstgenealogie auf. Beaucamp erklärt, die Hitze dieses "utopisch beflügelten Kunstglaubens" sei in seinem Schreiben spürbar, sowohl im Suchen als auch in den Gewissheiten. Doch auf die Euphorie folgte der Sturz, erzählt Beaucamp, - die vierte documenta lud ihn aus - und enttäuscht prophezeite Nay in unerschütterlicher Selbstsicherheit: "Pop funèbres Kassel 68".

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