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Seit im Herbst 1999 der Deutsche Bundestag in die neue, alte Hauptstadt gezogen ist, spricht man von der 'Berliner Republik'. Seit die rot-grüne Bundesregierung einen Kulturstaatsminister im Bundeskanzleramt installiert hat, soll der Kulturpolitik in der öffentlichen Debatte eine neue Rolle zufallen. Die 'Hauptstadtkultur' avancierte zum Schlagwort. Wie keine andere Stadt schwelgt Berlin in einer Fülle von Opern, Orchestern, Theatern, Museen und Bibliotheken. Spricht sich darin das Sehnen der Deutschen nach Einheit, nach Mitte und Metropole aus? Wie steht es um den kooperativen Föderalismus?…mehr

Produktbeschreibung
Seit im Herbst 1999 der Deutsche Bundestag in die neue, alte Hauptstadt gezogen ist, spricht man von der 'Berliner Republik'. Seit die rot-grüne Bundesregierung einen Kulturstaatsminister im Bundeskanzleramt installiert hat, soll der Kulturpolitik in der öffentlichen Debatte eine neue Rolle zufallen.
Die 'Hauptstadtkultur' avancierte zum Schlagwort. Wie keine andere Stadt schwelgt Berlin in einer Fülle von Opern, Orchestern, Theatern, Museen und Bibliotheken. Spricht sich darin das Sehnen der Deutschen nach Einheit, nach Mitte und Metropole aus? Wie steht es um den kooperativen Föderalismus? Wie gestalten Kommunen und Länder ihr Bündnis für Kultur?
Diese neue Politik für Kunst und Kultur in der Berliner Republik hat am Ende der Legislaturperiode eine kritische Kommentierung nötig - nicht zuletzt in Zeiten knapper Kassen. Experten melden sich zu Wort und führen in diesem Band eine Debatte, die eine Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert zu entwerfen versucht.

Mit Beiträgen vo n: Dieter Bartetzko, Joschka Fischer, Thomas Frickl, Gregor Gysi, Lydia Hartl, Walter Homolka, Thomas Krüger, Angela Merkel, Joachim Sartorius, Herbert Schirmer, Thomas Schmidt, Gerhard Schröder, Michael Vesper, Christina Weiss, Guido Westerwelle u. a.
Autorenporträt
Hilmar Hoffmann, geboren 1925, wurde bekannt als Kulturdezernent von Frankfurt. Seit 1990 ist Hilmar Hoffmann Präsident des Goethe-Instituts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2003

Zumutungen statt Zuteilungen
Die Krise der deutschen Konsensgesellschaft / Politik in Zeitschriften

Im Januar-Februar-Heft der Politischen Studien wertet Gerhard Hirscher die Analysen der Bundestagswahl 2002 durch verschiedene Wahlforscher und entsprechende Institute aus. Er erinnert daran, daß Union und FDP monatelang klar vor Rot-Grün lagen, weil sie erfolgreich die ökonomische Lage, die Arbeitslosigkeit und die Zukunft der Sozialsysteme ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit rückten. Man müsse sich fragen, weshalb dieser Vorsprung kurz vor dem 22. September wegen des Hochwassers und des Irak-Konflikts verlorenging. Insgesamt seien offenbar kurzfristig wirksame Faktoren wichtiger als langfristig wahrnehmbare Kompetenzen. Daher sei die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen der Meinung, angesichts der weiter wachsenden Zahl wechselbereiter Wähler gewönnen aktuelle Themen und Ereignisse für die Wahlentscheidung immer stärker an Bedeutung und ließen Regierungsmehrheiten zufälliger werden.

Hirscher hebt hervor, daß nach Auffassung der Forschungsgruppe einem großen Teil der Wahlberechtigten keine der im Bundestag vertretenen Parteien ein überzeugendes Programm und damit auch kein Konzept auf den relevanten Politikfeldern anbieten konnte - was einerseits Verunsicherung und Skepsis der Wählerinnen und Wähler zeige, andererseits aber auch einfach nur ihr Desinteresse oder ihre Unkenntnis der politischen Angebote. Wenn das stimmt, meint Hirscher, dann sind die Politiker auf drei Ebenen mit dem Problem fehlender Kompetenz konfrontiert: bei der Erarbeitung adäquater Problemlösungen, bei ihrer Verkörperung durch geeignete Politiker und beim überzeugenden öffentlichen Nachweis der eigenen Programme und Führungsfähigkeiten.

Noch deutlicher betont Infratest Dimap die Bedeutung geeigneten Führungspersonals. So habe die Beliebtheit des Kanzlers und des Außenministers, der das Lebensgefühl der 68er-Generation am besten anspreche, vor allem bei sozialdemokratischen Wählern ihre erkennbare Enttäuschung über die rot-grüne Wirtschafts- und Sozialpolitik überdeckt. Umgekehrt sei es der Union trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage und der ihr nachgesagten ökonomischen Kompetenz nicht gelungen, sich als personell überzeugende Alternative zu präsentieren. Zusammenfassend meint Hirscher: "Neben dem überzeugenden Kandidaten wird immer das überzeugende Politikangebot eine Rolle spielen. Zeiten, in denen der Politik die ,harten' Themen von innen (Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Sozialsysteme) oder von außen (Krieg, Terrorismus, Migration) aufgezwungen werden, werden künftig wohl nur wenig Spielraum für emotional aufgewärmte, symbolische Politik lassen, sondern eher das Angebot belohnen, das die beste Sachkompetenz für Problemlösungen mit der besten kommunikativen Kompetenz verbindet. Die nächste Bundestagswahl wird mehr nach diesem Drehbuch ablaufen."

Bei dieser Prognose schwingt offenkundig die Hoffnung mit, es möge so sein, so kommen. In Heft 1/2003 der Zweimonatsschrift Berliner Republik tritt Alexander Cammann dem Ruf nach der Revolte entgegen, den er in den Medien zu vernehmen glaubt, und preist den Konsens als das wirklich Revolutionäre an dieser Republik. Die Schlüsselworte der westdeutschen Gesellschaft seien Stabilität und Konsens. "Keine europäische Gesellschaft hat derartig starke Systemumbrüche und gesellschaftliche Verwerfungen erlebt und erlitten wie die deutsche im 20. Jahrhundert . . . Die Lehren daraus waren Konsens und Stabilität. Mit dem vielgescholtenen Konsens hat die Bundesrepublik im ganzen weitaus glücklichere Erfahrungen gemacht . . . Denn es ist ja gerade die neuerdings wieder beklagte Verriegelung und Verschränkung, die den Konsens erzwingt, der Reformen zwar langwierig und schwierig, aber auch dauerhaft macht."

Nun fragt sich freilich, ob Cammann nicht eine wesentliche Voraussetzung für die Konsensgesellschaft unerwähnt läßt. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten war - anfangs real, später eingebildet - immer ein kräftiger Wirtschaftszuwachs da, stand also ein stets größerer Kuchen zur Verfügung, um dessen halbwegs gerechte Verteilung es ging. Wie aber bringt man jetzt Zumutungen statt Zuteilungen unter die Leute? Man hat gegenwärtig nicht den Eindruck, daß unter diesen neuen, unerfreulichen Voraussetzungen die Konsensgesellschaft funktioniert. Das wird der Grund sein, weshalb man heute in allen politischen Formationen viel Bewunderung für Margaret Thatcher und Ronald Reagan findet. Beide erleben momentan eine lagerübergreifende Renaissance, die ihnen die Zeitgenossen - nach Cammanns Einschätzung - kaum vorhergesagt hätten. Der inzwischen beliebte Lobpreis des englischen Vorbilds leuchtet ihm nicht ein. "Oft ist zu hören, den Deutschen stünden ähnliche Umwälzungen bevor wie den Briten unter der eisernen Lady. Dabei war die wirtschaftliche Lage in England Ende der siebziger Jahre durch einen bereits Jahrzehnte währenden Niedergang mit massenhafter Verelendung geprägt. Das machte Thatchers Revolution nötig - und zugleich erst möglich. Von dergleichen kann im Weihnachtsgeld-Deutschland auf absehbare Zeit nicht die Rede sein."

Das mag er richtig, vielleicht aber auch falsch sehen - weil er das britische Massenelend der siebziger Jahre übertreibt, den deutschen Niedergang nicht wahrhaben will und ebensowenig erwägt, ob die Briten nicht vielleicht einen längeren Geduldsfaden haben als die Deutschen. Wie auch immer: In derselben Nummer 1 der Berliner Republik betont Corinna Edmundts zu Recht, daß auch in der Konsensgesellschaft irgendwann energische Beschlüsse gefaßt werden müssen. "Politik als lernendes System bindet die Zivilgesellschaft idealerweise mit in die Entscheidungsfindung ein - und überträgt ihr damit auch mehr Verantwortung. Politik sollte . . . Diskussionsprozesse initiieren und moderieren. Am Ende muß sie allerdings trotzdem alleine zwischen den unterschiedlichen Interessen entscheiden."

ARNULF BARING

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Kulturpolitik habe mit dem ersten Amtsantritt von Bundeskanzler Schröder und der Berufung eines "Bundeskulturbeauftragten" eine Aufwertung erfahren, meint Siegline Geisel und begrüßt insofern den Versuch einer Bestandsaufnahme der aktuellen Kulturpolitik zur zweiten Amtsperiode der Schröder-Regierung. Leider enthielten die vom ehemaligen Präsidenten des Goethe-Instituts Hilmar Hoffmann und dem Kulturwissenschaftler Schneider zusammengestellten Beiträge die übliche Phrasendrescherei, bedauert Geisel. Erst bei der frischgebackenen Kulturstaatsministerin Christina Weiss sei sie zum ersten Mal auf Worte gestoßen, die von einer persönlichen Beziehung, gar einer Begeisterung für Kultur, für Kunst zeugen. Dass sich die Leser die wichtigsten Basisinformationen zur bundesdeutschen Kulturpolitik mühsam zusammenklauben müssen, findet Geisel ebenfalls eher ärgerlich. Gerade mal 3,6 Prozent der Fördermittel kommen vom Bund, weiß Geisel beizusteuern, den Rest teilen sich Land und Kommunen.

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