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Mit seinen Romanen "Flughunde" und "Spione" hat sich Marcel Beyer als Erzähler weithin einen Namen gemacht. Mit seinem Gedichtband "Falsches Futter" bewies Marcel Beyer auch als Lyriker seine überragende Könnerschaft: "Ein Ereignis" (Süddeutsche Zeitung). In seinen neuen Gedichten erkundet er, ausgehend von Dresden, dem Ort seines Lebens und Schreibens, den europäischen Osten, Polen, Estland und Tschechien. Seine Gedichte werden zur Erdkunde an den Grenzen zwischen Geschichte, Sprachen und Kulturen. Und am nachdrücklichsten verdichten sich seine Auseinandersetzungen mit der Historie zu einem bedrückenden Kaliningrad-Zyklus.…mehr

Produktbeschreibung
Mit seinen Romanen "Flughunde" und "Spione" hat sich Marcel Beyer als Erzähler weithin einen Namen gemacht. Mit seinem Gedichtband "Falsches Futter" bewies Marcel Beyer auch als Lyriker seine überragende Könnerschaft: "Ein Ereignis" (Süddeutsche Zeitung). In seinen neuen Gedichten erkundet er, ausgehend von Dresden, dem Ort seines Lebens und Schreibens, den europäischen Osten, Polen, Estland und Tschechien. Seine Gedichte werden zur Erdkunde an den Grenzen zwischen Geschichte, Sprachen und Kulturen. Und am nachdrücklichsten verdichten sich seine Auseinandersetzungen mit der Historie zu einem bedrückenden Kaliningrad-Zyklus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Wo Fragen sich in Staub auflösen
Weltgeschichte hinter Märchenzauber: Marcel Beyer sieht aus Bienenaugen / Von Heinrich Detering

Wer Marcel Beyers zweiten Gedichtband aufschlägt, betritt eine dunkle Gegend. Sie ähnelt dem sarmatischen "Schattenland", das Johannes Bobrowski vor vierzig Jahren beschworen hat, und wie dieses ist es halb geographisch und historisch, halb mythisch bestimmt: ein ostwestliches Gelände zwischen Elbe und Narva, zwischen Böhmerwald, Tallinn und Krim, zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Jetztzeit. Nur daß diese Gegenwart jetzt die unserer Jahrtausendwende geworden ist, und das ändert fast alles.

Wer in Marcel Beyers Gedichtband eintritt, durchwandert Zwielichtwelten, deren Erdboden aus den verwesten Relikten der Kriege und Pogrome zu bestehen scheint und in denen sich dennoch ein neues Leben behauptet; eine Welt, in der noch immer Gespenster umgehen, die Ludendorff oder Stalin heißen. Und in dieser Schattenbeschwörung flackern viele, manchmal zu viele Bilder aus der Biographie des Reisenden auf, des Nachgeborenen: aus den achtziger Jahren in der westdeutschen Provinz und der Wendezeit in Ostdeutschland, Filmschnipsel und Fernsehspots, Poster und Pokémons. Verschollen geglaubte Echos werden wieder hörbar; private und Welt-Geschichten, heraufbeschworen durch Spuren im Gelände und in der Sprache, verhaken sich ineinander und bilden verwirrende Muster.

Beyers "Erdkunde" bewegt sich im Sprachgelände, in einem doppelten Sinn: in Landschaften als sedimentierter Sprache und in der Sprache als imaginärer Landschaft. Geschichtliche Bewegung und Stillstand der Dinge, Erzählung und Meditation halten einander die Waage, und die Durchdringung der Zeiten wird hörbar in der Vermischung der Redeweisen und Signalwörter. "Wellnesszonen" treffen da auf "Oststeppen", Sielmanns Tierfilme auf Stalin-Oden. Und in der mittelalterlichen Bilderwelt des Johannes von Tepl erscheint, im "Renault, sponsored by / Mutti oder Mausi", der Tod an der Leitplanke.

"Ich halte Ausschau nach den Toten", hat Beyer in seinem letzten Roman geschrieben und damit das Thema seiner nunmehr fünf Bücher resümiert. Was sich aber in "Spione" zeitweise im selbstreferentiellen Spiel der Zeichen verlor, das ist hier in oft unheimlicher Dichte gelungen. Beyers "Erdkunde" ist vor allem Kunde von der Erde als einem Totenacker der Geschichte. Das beginnt, im titelgebenden ersten Zyklus, mit dem Traum vom Übergang in eine unterirdische Welt, einem Traum von Acker, Asche und Rauch, von Knochen und vom Knochenmann, hinter dem das spätmittelalterliche Gespräch zwischen dem Tod und dem "Ackermann von Böhmen" sichtbar wird und zugleich die jüngste deutsch-tschechische Geschichte; dies alles präzise auf kleinstem Raum.

Das setzt sich fort auf dem prototypischen Schauplatz dieses Bandes, in Kaliningrad. Beyers Gedichte verfremden das zerstörte, wieder aufgebaute und zerfallende Königsberg zu einer Collage aus Alltagsanblicken. Im Blitzlicht der Schnappschüsse erscheinen da "Natojacken- und Cassettenbuden" und abgerissene Plakate mit dem "Milchpulverblick" von Babygesichtern, ein Schlachtendiorama des Ersten Weltkriegs und die Klebstoff schnüffelnden Jugendlichen auf dem Parkplatz am Kriegerdenkmal; so wird die Stadt lesbar als Palimpsest. Enden wird der Weg dann in den archetypischen Bildern vom Schnee, in dessen blauweißer Kälte alle Sprachbewegungen erstarren, und in der Frage nach dem Staub, in den sich alles, endlich auch die Frage selbst, auflöst: "Staub in den Himmel, bis es dunkel ist."

Wie im Verlauf dieser halb realen, halb imaginären Reise Beobachtung, Erinnerung und Imagination ineinandergleiten, so werden auch die Grenzen des redenden Ich ungewiß. In einem alten Mann erblickt es auf einmal "meine Person", träumerisch sieht es sich selbst unter den Toten und streift kurz darauf als fremder Besucher unter den Lebenden umher. Und im Hotel Kaliningrad wird es sich geisterhaft fremd - "manchmal betastet jemand meine Füße, / nachts, das bin ich selbst". Im letzten Teil des Bands rücken mit dem Wechsel der Perspektive von den Augen des Schreibers zu denen der Bienen die Menschen an den Rand der Welt, verblassen zur grauen Außenansicht, unter ihnen das Ich selbst. Als eine andere Art der "Spracharbeit" hat Beyer das Ausschwärmen und Kreisen der Bienenvölker zuvor beschrieben. So beiläufig dringt die postmoderne Zeichentheorie, die in seinem vorigen Buch manchmal aufdringlich hervortrat, in diese Gedichte ein. Die Sprachbewegungen, an denen sie selbst teilhaben, bringen am Ende auch ihren Sprecher zum Verschwinden.

Auch wenn die Rätselhaftigkeit der Anspielungen und Kombinationen, die Beyer provozierend ausstellt, sich oft nur als verrätselt und geheimniskrämerisch erweist und die elliptische Schreibweise die Grenze zur bloßen Privatsprache überschreitet - die halluzinatorische Kraft dieser Verse ist doch, gerade dank ihrer Balance zwischen Prägnanz und Geheimnis, beträchtlich. Beyer zeigt sich in diesen Gedichten nicht weniger als in seiner Prosa als versierter Tonmeister. Er hat, was sich nicht von vielen Schriftstellern seiner Generation behaupten läßt, einen Sound - dunkel und nüchtern, manchmal ironisch, zuweilen elegisch.

Gewiß, es gibt Passagen von so forcierter Dunkelheit, daß auch neugierige Leser faulen Zauber argwöhnen und die Lektüre vorzeitig abbrechen werden. Wer aber trotzdem weiterliest, kann erleben, wie sich disparate Bilder und Erinnerungen nach musikalischen Mustern zusammenfügen, wie Motive einander antworten, wie sich aus der Fülle der Beziehungen eine rätselhafte Schönheit ergibt. Wer das Schwindelgefühl beim Gehen über schwankende Böden mag, wird hier lange Spaziergänge machen können.

So manieriert Beyer zuweilen auch schreibt, so bemerkenswert ist doch seine Souveränität, ja Virtuosität im Umgang mit seinem Material. Zeitweise wird die Sprache hier, als müsse ihr unheimliches Eigenleben beherrscht werden, demonstrativ in ein mechanisch starres Raster gezwungen, in abrupten Zeilenbrüchen oder in der willkürlichen Anordnung prosaischer Sequenzen zu einer Serie von Kurzgedichten mit je fünf Versen, unter der Überschrift "Fünf Zeilen" (dann aber fällt eines, es ist gerade das fünfte, mit elf Zeilen aus der Reihe). Und zeitweise fügt sich wie nebenbei der prosaische Sprachfluß zu melodischen Blankversen, verfällt in langsame Daktylen, stolpert, gerät aus dem Tritt und steht in der Wiederholung eines Wortes wieder still. Halb verborgen bilden sich Reimpaare wie das altmodische "Hauch" auf "Rauch" und "schnell" auf "Ritornell", erscheint hinter der "Klabauterfrau" der "Stacheldrahtverhau", hinter dem Märchenzauber die Weltgeschichte. Und selbst die flapsige "Ossifizierung", die der von West nach Ost umgezogene Schreiber an sich selbst beobachtet, gewinnt - nimmt man ihre lateinische Nebenbedeutung wahr - einen unheimlichen Doppelsinn: als die Verwandlung des Toten ins Knochenmaterial. Beyers präziseste Beobachtungen gelten den banalsten Gebrauchsgegenständen, denen er in seinen Reiseländern begegnet. So gibt es hier einen Gedichtzyklus über Kondensmilch und einen über Autoreifen; und es sind nicht die schlechtesten dieser Expeditionen ins Schattenland, die sich aus den unverbrauchten Motiven ergeben.

In ihrer zyklischen Verflechtung lesen diese Gedichte sich wie der kühne Versuch einer Inventur des Jahrhundertendes. "Das ist die Atmosphäre", notiert der Reisende einmal, "dies / der Nerz, der feuerfeste Anzug, dies dein / Lunchpaket". Am Ende blickt er ausdrücklich zurück auf "das zwanzigste / Jahrhundert: Bienenbilder". In der Tat, was dieser Band gezeigt hat, sind - mit der im Schlußteil kunstreich entwickelten Bienen-Allegorie zu sprechen - Bilder versunkener Bienenstaaten, ist die Angst Stalins als des "Bienenkönigs" vor der "Drohnenschlacht", sind die Mühsal des Wabenbaus und die Süße des Honigs, sind Erstarrung und "Bienentod". In diesem Bildfeld läßt sich beides noch einmal anschauen: die Genauigkeit der Beobachtungen, aus denen die poetische Erdkunde sich zusammensetzt, und die dunkle Schönheit ihrer Komposition. Auf den Spuren der Bienen wandert Beyer durch sein ostwestliches Schattenland und zeichnet Figuren auf die Erde, rätselhaft, traurig und schön.

Marcel Beyer: "Erdkunde". Gedichte. DuMont Literaturverlag, Köln 2002. 116 S., geb., 16,90 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2002

In der Ackermanngegend
Unter Sprachspielzwang: Marcel Beyer erkennt die Wortfelder des Ostens
Erdkunde, das war doch das Nebenfach mit den Landkarten und mit dem Lehrer, der die Kreide quer nahm, wenn er mit geübtem Strich die deutschen Mittelgebirge an die Tafel malte. Fichtelgebirge, Erzgebirge, Riesengebirge, alles deutsche Mittelgebirge, denn Westermanns Wandkarten kannten Deutschland nur in den Grenzen von 1937. Dort draußen, an den östlichen Rändern, hat sich auch Marcel Beyer für seinen neuen Gedichtband herumgetrieben. Er heißt „Erdkunde”.
Ein Titel, der Erinnerungen weckt an verträumte Schulstunden, dessen poetische Anmutung Beyer aber von Beginn an entschieden durchkreuzt. „Erdkunde” heißt auch der erste Zyklus aus sechs Gedichten. „Im Gelände”, und das heißt im nördlichen Böhmen, in der „Ackermanngegend”, hat dem Autor von Knochen geträumt. Knochen oder auch einmal Knorpel sind das erste, was sich, geträumt oder erlebt, aus der Erdbetrachtung heraus kristallisiert; Kohlen das nächste, und zwischendrin ist schließlich ein paar mal von Fingern die Rede. Beyers erster Erderkundungsgang führt, wie es scheint, auf Wortfelder.
Mit dem Akkordeon in die Fresse
Wie fruchtbar solche Recherchen sind, ist nach den ersten sechs Gedichten noch schwer zu entscheiden. Der allererste Eindruck ist einer von großer Sprödigkeit. Was gäbe es nicht alles lyrisch zu entdecken „in Teplitz, in Teplice oder in Tepl”, und wie sonderbar gehemmt, wie verhalten ist dieser Auftakt. Offenbar ist der Autor in den vergangenen Jahren weit herumgekommen, von Böhmen bis Ostpreußen und darüber hinaus, aber die Welt hält sich in seinen Gedichten trotzdem gut versteckt.
Den Schlüssel zur geographischen Erkenntnis des Ostens scheinen Beyer bestimmte Stofflichkeiten des dürftigen Alltags zu liefern: Kohlen zum Beispiel, „Schwamm und Leder”, Schilf, Staub, „Gewölle” und, Hommage an Beuys, Filz. Es sind solche bodennahen, bescheidenen Texturen und Textilien, um die seine Gedichte kreisen. Das Ich, kein lyrisches in einem emphatischen Sinn, hält sich aus den Betrachtungen weitgehend heraus; lieber beobachtet es das sprachliche Gewölle dabei, wie es sich selbst permutiert. „Trockenfisch” heißt ein typisches Stück aus diesem Band; es geht in ihm ums Schichten. Das hat fraglos den semantischen Mehrwert, dass Geschichte darin mitgedacht werden muss. So richtig von der Stelle kommt das Gedicht trotzdem nicht. Ein bisschen ermüdend und asketisch ist es dann schon, wenn Zeile um Zeile Dinge formuliert werden wie „Ich/schichte nach Nacht, schichte Antworten/erdwärts. Schichte auf immer, Luft auf den Tisch, Hauch auf die Luft”. Auch im Gelände neigt Beyer bisweilen einer Laborpoesie zu, deren Sprachspielzwang ihm nur selten den unbekümmerten Zugriff auf die vorhandenen Realien erlaubt.
Manchmal geht es dann aber doch, etwa in „Ton”. Zuerst gibt es auch hier wieder nicht viel zu verstehen. „Du mußt bis zu den/ersten Seiten zurück: Abwärts, Sprache, alles ist wichtig/doch nichts will mehr/festgehalten werden”. Dann aber erinnert sich jemand an eine Kindheit in einem „Schlafdorf”, „bloß Wolkenwände vom/Heizkraftwerk und gezuckerte/Luft und der gelbliche/Schimmer über den Rübenmieten./Weckhoven, eine Einkaufszeile”.
Nicht im Osten befinden wir uns, sondern in den diesigen Gegenden des linken Niederrheins. Eine Landschaft, die Beyer in wenigen Zeilen mit vollendeter Stimmigkeit auferstehen lässt. Für einen Moment wenigstens ist der Sound des Fragmentarischen, das Wohlfeil-Spröde und Theorie-Kompatible, einer intensiven Anschauung gewichen, die an alles denken lässt, nur an eines nicht: die Sprache. Dann wieder: Holz, Sägemehl, Packpapier, „Glaswolle, Ziegenhaut, Ruß”. Bestimmt kann man eine Wahrnehmungs-Inventur des „Ostens” auch mit seinen Materialitäten beginnen lassen, mit dem haptisch und olfaktorisch Beweisbaren, mit „Tallinn mit dem Geruch nach Holz/in der Erinnerung”. Aber so eine lyrische Materialkunde käme auch ohne das sprachliche Totholz aus, das Beyer ohne Not dazwischen streut. Man atmet auf, wenn man liest: „Ich stehe da zur Lungerstunde am späten Nachmittag/die Sonne auf Kaliningrad. MEI HEIMATLAND, MEI/WOLGALAND, hier lernst du fix, was FUNKY ganz/genau bedeutet, mit dem Akkordeon direkt in deine/Fresse”. Ist das nicht beinahe eine Situation, ein die Vorstellung beflügelndes Bild, ein Augenblick lyrischer Welterschaffung?
Dann kommen wieder Gedichte, in denen aus dem Durchspielen des Stoffvorrats nichts oder wenig folgt. „Kondensmilch” etwa. Sieben Gedichte über Kondensmilch sind vielleicht doch das eine oder andere zu viel. Nicht weil sie kein lyrischer Gegenstand werden könnte, sondern weil es mit ihr auch nach sieben Gedichten noch keine nennenswerte Bewandtnis hat. „Kondensmilch, Flecken, Stickereien”, wieder so ein Beyerscher Dreiklang. Ohnehin dominieren bei ihm die Substantive, vor allem in gereihter Form, eine Parade von Nomina, die der Autor nach der Rückkehr aus den östlichen Regionen über seinem Schreibtisch ausgeleert hat, die aber kein Leben zu Sätzen verbindet. Man fragt sich nach den Gründen für Beyers freiwillige Selbstbeschränkung. Er kann es anders, aber er fühlt sich sichtlich wohler im Gehege des Sprachexperiments, dort wo, Gerüchten zufolge, die Sprache sich selber prozessiert.
Mit der Biene nach Hellerau
„Bienenwinter”, auch dies wohl eine Anspielung auf Beuys‘ arte povera, heißt der abschließende Zyklus in Beyers Band. Darin sieht man deutlicher als sonst, dass Beyers Ansprache der einfachen Materialien auf multiple Geschichtsbilder hinaus will. Der Genosse Stalin kommt ins Bild, „mit Imkerstiefeln, Handschuhen/und Pfeife”. Von Honig und Wachs ist die Rede, letzte Zutaten zu Beyers Universum. Zwischendrin der Dichter im Dresdner Garten, wie er den Bienen zuschaut bei einem Spiel, das dem seinen nicht unähnlich ist. Von Stalin nach Hellerau und zurück im Zeichen der Biene: wer kennt die Regeln dieses Spiels? „Auch das ist Spracharbeit”, heißt es einmal über das Spiel der Bienen, und Spracharbeit sind auch diese Gedichte. Darin liegt ihre Konsequenz und ihre Beschränkung.
CHRISTOPH BARTMANN
MARCEL BEYER: Erdkunde. Gedichte. DuMont Verlag, Köln 2002. 116 Seiten, 16, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

In seinem neuen Gedichtband geht der Schriftsteller Marcel Beyer auf historische Spurensuche, berichtet Michael Braun. So rekonstruiert er poetisch Joseph Beuys' Absturz über der Krim im Winter 1943, wo ihn Tartaren mit Filz und Fett das Leben gerettet hatten. Viele Ereignisse der letzten Jahrzehnte kommen hier zur Sprache, so der Rezensent. Insbesondere aber jene geologischen und historischen Tiefenschichten, die in der Vergangenheit zu Schauplätzen von Kriegen, Konflikten und dem Zerreißen des europäischen Kontinents geworden seien, also die Stätten des Zweiten Weltkriegs. Martin Beyers Gedichte entzauberten nicht das Fremde der beobachteten oder über Fotos und andere Dokumente rekonstruierten Phänomene, sondern führten, erklärt Braun, mitten in ihr Geheimnis hinein. Ganz beeindruckt ist der Rezensent, wie es dem Autor gelungen ist, so eindringlich über Geschichte zu schreiben, und zwar in Gedichten, die Geschichte benennen und gleichermaßen verschweigen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Marcel Beyer schreibt Gedichte, die nicht von der Fremdheit der Phänomene erlösen, sondern - wie der Autor in einem Essay über ein 'ungeschriebenes Gedicht' ausgeführt hat - mitten in ihr 'Geheimnis' hinein führen. Hier wird in grosser Eindringlichkeit über Geschichte gesprochen - in Gedichten, die gleichermaßen aus Benennen und Verschweigen bestehen."
FRANKFURTER RUNDSCHAU