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Zeitgenössische Kunst ist im landläufigen Sinne nicht eingängig, sondern fußt auf verschiedenartigen Voraussetzungen und differenziert sich in vielfältige Strömungen und Positionen aus. Bis in die 60er Jahre hinein orientieren wir uns noch weitgehend an gattungs- und stilsignifikanten Begriffen, in den letzten drei Jahrzehnten entwickelte die international vernetzte Kunstproduktion und -rezeption ein Theoriebewusstsein und eine Fachbegrifflichkeit, deren Diskursivität der Erläuterung bedarf. Daraus resultiert bei Kunsthistorikern, Künstlern und Studenten, bei Kritikern, Übersetzern, Sammlern…mehr

Produktbeschreibung
Zeitgenössische Kunst ist im landläufigen Sinne nicht eingängig, sondern fußt auf verschiedenartigen Voraussetzungen und differenziert sich in vielfältige Strömungen und Positionen aus. Bis in die 60er Jahre hinein orientieren wir uns noch weitgehend an gattungs- und stilsignifikanten Begriffen, in den letzten drei Jahrzehnten entwickelte die international vernetzte Kunstproduktion und -rezeption ein Theoriebewusstsein und eine Fachbegrifflichkeit, deren Diskursivität der Erläuterung bedarf. Daraus resultiert bei Kunsthistorikern, Künstlern und Studenten, bei Kritikern, Übersetzern, Sammlern und vielen anderen Interessierten das Bedürfnis nach kompakten, übersichtlich strukturierten Informationen zur zeitgenössischen Kunst. Anders als in traditionellen Lexikonartikeln hat der Herausgeber des Buches, Hubertus Butin, eine Textkonzeption erarbeitet, die grundlegende Begriffe und Phänomene in der Kunst der letzten 30 Jahre prägnant beschreibt und kritisch diskutiert. Das Lexikon v erzeichnet etwa 70 zentrale Begriffe, mit deren Erläuterung Butin über 40 Autorinnen und Autoren aufgrund ihrer ausgewiesenen Kennerschaft beauftragt hat. Der inhaltliche Schwerpunkt der Publikation liegt auf den 70er, 80er und 90er Jahren bis zur Gegenwart; einige Begriffe aus den 60er Jahren erscheinen jedoch als unverzichtbar, weil sie paradigmatische Bedeutung gerade für die 90er Jahre besitzen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sachlichkeit im Sinne nüchterner Objektivität ist nicht das Konzept dieses Lexikons. Die einzelnen - insgesamt 40 - Artikel haben eine starke essayistische Tendenz, die Autoren sind keineswegs nur Kunsthistoriker. Erwähnt und zitiert werden die "Popintellektuellen" Diedrich Diederichsen und Tom Holert, auch Ulf Poschardt, der sich mit "Camp" befasst - und gerade dieses Ausfransen des Kunstdiskurses, in Richtung Pop oder Film, Theorie oder Werbung sei ja überaus charakteristisch, meint die Rezensentin Gisa Funck, für den gegenwärtigen Zustand der Kunst, deren Autonomie angesichts fortgesetzter Grenzüberschreitungen längst in Frage stehe. Das muss das Lexikon gar nicht als These vor sich her tragen, das ergebe sich, als Bestandsaufnahme, durch Auswahl von Autoren und Themen "patchworkartig", so Funck, wie von selbst. Klingt nach großem Lob.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2002

Es ist kaum zu entscheiden, ob die diversen Rezeptionstheorien die zeitgenössische Kunst vor sich hertreiben, oder ob diese die Theoretiker willentlich in immer neue, vermeintlich unbeackerte Gebiete lockt. Sicher ist: Wo bindende akademische Regularien längst im bunten Rauch der Kunstgeschichte verschwunden sind, kann kein Werk ohne Diskurs bleiben, es wollte denn ganz unverstanden bleiben oder hoffnungslos rückständig wirken.
Der DuMont-Verlag hat nun den löblichen Versuch unternommen, eine Schneise zu schlagen ins Dickicht der Neu- und Umdefinitionen von Kunst. Eine „Orientierungsmöglichkeit” solle das „Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst” bieten, so dessen Herausgeber Hubertus Butin. Dabei werden einzelnen Strömungen wie „Minimal Art” oder „Arte Povera” ebenso viel Platz eingeräumt wie Gattungen („Installation”, „Videokunst”) und konzeptuellen Einzelproblemen („Kunst und Psychoanalyse”, „Kunst im öffentlichen Raum”). Die insgesamt 74 ausführlichen und materialreichen Beiträge sind weniger Lexikonartikel als bewusst subjektiv gehaltene Essays.
Kunst werde „aus allen möglichen Gründen produziert”, und genauso verhalte es sich eben auch mit Kunstgeschichte und Kunstkritik, zitiert Tom Holert in seinem Beitrag die englischen Künstler Michael Baldwin und Charles Harrison. Einer dieser Gründe sei, so Holert, (neben der Selbstbestätigung des Rezensenten als Produzent möglichst origineller Kritiken) sein Wunsch, direkt auf die aktuelle und zukünftige Kunstproduktion Einfluss zu nehmen. Dass das angesichts der postmodernen Prämisse der Konventionslosigkeit ein höchst schwieriges Unterfangen ist und nur im Einzelfall greifen wird, versteht sich.
Wie leicht hatte es da noch Andy Warhol. Theoretiker und Künstler in einem, konnte er die Ästhetisierung des Banalen ausrufen und sie dann selbst schamlos betreiben. Im DuMont-Lexikon illustriert seine Fotografie „Two Male Models Posing for
,Querelle‘-Poster” von 1982 allerdings den Artikel zu „Queer Culture und künstlerische Praxis”.
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HUBERTUS BUTIN (Hrsg.): DuMont Begiffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. DuMont Literatur- und Kunstverlag, Köln 2002. 320 Seiten, 32 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2002

Der Avantgardist ist ein gewitzter Archivar
Im Code: Hubertus Butins mit Film, Mode, Werbung unterfüttertes Lexikon zur Gegenwartskunst

Die in den neunziger Jahren aufkommende Diskussion über Medien, die mittlerweile alle kulturwissenschaftlichen Disziplinen erfaßt hat und beherrscht, bescherte dem Kunstbetrieb eine Namensvielfalt, die zunehmend unübersichtlicher wird. Regelmäßig proklamieren Kunsthistoriker seitdem den Tod der Kunstgeschichte zugunsten einer "Bildwissenschaft". Und je öfter sie dabei vom "Bild" und vom "Medium" sprechen, desto stärker verlieren diese Begriffe an Kontur - und bedürfen einer terminologischen Ergänzung.

Inzwischen ist es selbst für Kenner nicht leicht, den Überblick im ausschweifenden Diskurs zu behalten. Ein "Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst" herauszugeben bedeutet von daher zweierlei: Es tut not und ist gleichzeitig riskant. Fünfundsiebzig Begriffe verzeichnet das von Hubertus Butin herausgegebene Kompendium, das Kunstphänomene der letzten dreißig Jahre mit deutlichem Schwerpunkt auf der jüngsten Vergangenheit beschreibt. Butin, selbst ein profilierter Kenner Gerhard Richters, hat dazu vierzig Autoren beauftragt, von denen man etliche als Kritiker in Fachzeitschriften kennt. Neben ausgewiesenen Kunsthistorikern stößt man da auf "Popintellektuelle" wie Tom Holert oder Diederich Diederichsen, die beide als ehemalige Herausgeber der Zeitschrift "Spex" maßgeblich daran beteiligt waren, die vormals glatt ignorierten Codes jugendlicher Subkultur in die Sphäre der Kulturkritik aufzunehmen. Und ebenso wie die früher rotzige "Spex" längst im Mainstream der Musikzeitschriften angekommen ist, schreiben auch ihre Gründerväter inzwischen für etablierte Zeitungen und Verlage.

Insofern paßt es ganz gut, wenn Diederichsen in seinem Lexikoneintrag "Kunst und Ökonomie" feststellt, daß die einmal wilde Bohemé nun weitgehend gezähmt sei. "Der Künstler als Unternehmer - der Unternehmer als Künstler ist eine beliebt gewordene magische Formel", glaubt er und mahnt bereits düster an, daß wer sich herrschenden Marktgesetzen allzu sehr unterordnet, "nicht die Anmaßung aufbringen (kann), sich in besonderer Weise für zuständig zu erklären für politische und andere außerästhetische Belange."

Die Frage nach einer gesellschaftspolitischen Zukunft der Kunst spielt in fast allen Texten von Butins Ratgeber eine Rolle. Gleich mehrfach wird hier auf das Verschwinden des bürgerlichen Genie-Konzepts verwiesen und jene Entwicklung nachgezeichnet, wonach der einst berufene Meister sich zum beflissenen "Manager" gewandelt hat, "der seinen Namen einsetzt wie eine Marke" (Diederichsen). Angefangen mit den Kunstprotesten der sechziger Jahre wie Maciunas' "Fluxus", der sich noch dezidiert gegen die traditionelle Hochkultur wandte, über die verstecktere Bedeutungsverweigerung der "Minimal Art" und das illegale "Graffiti"-Sprayen bis hin zur subversiven Anpassung im "Moskauer Konzeptualismus" und dem gänzlich zur Pose geschrumpften Schockeffekt bei den "Young British Artists": Mit der Aufhebung der politischen Fronten hat sich seit den neunziger Jahren zwangsläufig auch das künstlerische Selbstverständnis gewandelt. Herrschte in den sechziger und siebziger Jahren in weiten Teilen des Betriebs noch die Überzeugung vor, man müsse "eine grundlegende Veränderung des gesellschaftlichen Bewußtseins erreichen" (Butin), nutzen Künstler heute vielfach lieber die einst bekämpften Institutionen, um mit ihnen die gewandelten Prämissen von Kritik und Aufklärung durchzusetzen.

Butin weist an dieser Stelle exemplarisch auf die Museumsrundgänge von Andrea Fraser hin, die durch theatralische Übertreibung versuchte, das Sprechen über Kunst als ein Spiel von Codes bloßzustellen. Eigentlich ein kritischer Akt, der von ihren Auftraggebern jedoch keineswegs so verstanden, sondern sogar als "kommunikationsverstärkend" gelobt wurde. Kunst avanciert in dieser Sichtweise zur (wiederholbaren) Dienstleistung, so wie die Dienstleistung umgekehrt immer häufiger für sich reklamiert, Kunst zu sein. Die Aufsätze in Butins Lexikon sind angesichts des Wandlungsprozesses ganz bewußt weniger in Form nüchterner Definitionen gehalten als im Duktus streitbarer Essays. Patchworkartig fügen sich die Einträge zu einer Erzählung zusammen und enthüllen dabei wie nebenbei, daß es die Kunst des dritten Jahrtausends natürlich gar nicht mehr geben kann. Dafür hat sich die Gattung längst dermaßen innig mit allen anderen Kulturdisziplinen vermengt, daß man oft nicht einmal mehr Trennlinien zu erkennen vermag.

In jenem verstärkten Ausmaß, in dem sich die Öffentlichkeit für zeitgenössische Kunst zu interessieren begann, paktierte diese mit der Mode, der Popmusik, der Werbung, dem Film und allen möglichen Wissenschaftstheorien. "Nicht das Kunstwerk selbst, sondern vor allem die Rede über Kunst mit ihren Wertmaßstäben entscheidet darüber, was echt oder unecht, original oder falsch ist", beurteilt Stefan Römer entsprechend den gegenwärtigen Stand im Kapitel "Fake".

Tatsächlich provoziert die fortlaufende Grenzüberschreitung schon lange Zweifel am hergebrachten Leitgedanken einer Autonomie des Kunstwerks. In Butins Register führt sie zudem notwendig zu ständigen Inhaltsüberschneidungen. Nicht genug, daß die Fluxus-Aktivisten sich der gesondert beschriebenen Techniken des "Give away" oder der "Partizipation" bedienten. Vor allem Strömungen, die eher Haltungen als Handgriffe meinen, unterscheidet oft kaum mehr als ihr Name.

Wenn Ulf Poschardt etwa beim Stichwort "Camp" feststellt, daß es sich hierbei um eine dandyhafte Sehnsucht handele, "die Nichtigkeit der Existenz zumindest als eine stilvolle auszuweisen", dann könnte man das genausogut auch unter "Glamour" fassen, den die britische Künstlerin Victoria Halford als Methode definiert, "alles Widerliche zu ästhetisieren". Und haufenweise lassen sich wiederum "Camp"- und "Glamour"-Elemente in jener "Retro-Ästhetik" der neunziger Jahre entdecken, die Wolfgang Pauser später als eine Mode vorstellt, den Alltag mittels antiquierter Gebrauchsartikel aufzupeppen. "Der Avantgardist von heute ist ein gewitzter Archivar", erklärt Pauser. Und durch immer neue Etikettierungen, so schwant einem, versucht er den drohenden Bedeutungsschwund der Bohème zu kaschieren.

GISA FUNCK.

Hubertus Butin (Hrsg.): "DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst". DuMont Buchverlag, Köln 2002. 320 S., geb., 32,- [Euro].

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