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Ernst Cassirer (1874-1945) gehört zu den bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts. Der in Breslau geborene und im New Yorker Exil verstorbene Cassirer war lange Jahre Professor und 1929/30 Rektor an der Hamburgischen Universität und verließ die Hansestadt nach Machtantritt der Nationalsozialisten. Er ist Autor zahlreicher ideengeschichtlicher Werke, u. a. zu Renaissance und Aufklärung sowie zur Goethezeit. In der dreibändigen "Philosophie der symbolischen Formen" (1923-29) entwirft er eine neue Sprach- und Kulturphilosophie. In der vorliegenden Biografie werden erstmals Leben und Werk auf der Grundlage umfangreicher Archivrecherchen dargestellt.…mehr

Produktbeschreibung
Ernst Cassirer (1874-1945) gehört zu den bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts. Der in Breslau geborene und im New Yorker Exil verstorbene Cassirer war lange Jahre Professor und 1929/30 Rektor an der Hamburgischen Universität und verließ die Hansestadt nach Machtantritt der Nationalsozialisten. Er ist Autor zahlreicher ideengeschichtlicher Werke, u. a. zu Renaissance und Aufklärung sowie zur Goethezeit. In der dreibändigen "Philosophie der symbolischen Formen" (1923-29) entwirft er eine neue Sprach- und Kulturphilosophie. In der vorliegenden Biografie werden erstmals Leben und Werk auf der Grundlage umfangreicher Archivrecherchen dargestellt.
Autorenporträt
wurde 1966 in Bernkastel-Kues geboren. Nach dem Studium der Philosophie promovierte er 2003 über Ernst Cassirer. Zahlreiche Fach- und Zeitungsartikel zur jüdischen Philosophie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2006

Ein Stich ins Jüdische
Thomas Meyers großes Porträt des Philosophen Ernst Cassirer
„Es gibt Worte, an denen scheiden sich die Geister, wenn sie auf das jüdische Leben in unserem Land bezogen werden – das Wort ,Normalität‘ zum Beispiel oder ,Selbstverständlichkeit‘.” So sprach Bundespräsident Horst Köhler zur Eröffnung der neuen Hauptsynagoge in München.
Noch ist nichts normal. Darum ist die Biographie „Ernst Cassirer” von Thomas Meyer zu begrüßen, mehr als 60 Jahre nach dem Tod eines des bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Das Selbstverständliche ist nicht selbstverständlich: ein Deutscher jüdischer Herkunft. „Er war”, sagte Albert Einstein, „einer der wenigen in unserer Generation, die einem helfen, so etwas wie den Glauben an die Menschen aufrechtzuerhalten.” Thomas Meyer, engagiert in der Wiederentdeckung jüdischer Geistesgeschichte, ist ein Cassirer-Kenner; er hat dessen Werk auf die Formel gebracht: „Gesucht: Der freie Mensch”. Cassirer gehe es um die Grundspur des Humanismus in Zeiten der Obdachlosigkeit.
Meyers Biographie ist eine populäre Darstellung mit wissenschaftlichem Anspruch, interessant nicht nur für Philosophen. Man wird die Lektüre mit einem „Das habe ich ja gar nicht gewusst!” quittieren. Auf 287 gut geschriebenen Seiten das Ergebnis einer unermüdlichen Recherche bis in den Nachlass und private Archive: das mit Sympathie fein gezeichnete, ungemein detailreiche, auch durch Fotos anschauliche Porträt eines Lebens, vorrangig in Beziehungen zu Menschen, nachrangig zu Ideen und Theorien. Zu denen sollte man Massimo Ferraris „Ernst Cassirer. Stationen einer philosophischen Biographie” (2003) lesen. Meyer öffnet die Tür zu jemandem, der persönliche Befindlichkeit nicht öffentlich machen wollte; das Subjektive sollte hinter dem Philosophen verschwinden. Diese Biographie rückt den Menschen an Orten – Breslau, Marburg, München, Berlin, Hamburg, Oxford, Göteborg, Yale, New York –, in privaten und öffentlichen Beziehungen, in philosophischen und politischen Auseinandersetzungen, in Freundschaften und Gegnerschaften ins Zentrum, ohne die knapp vorgestellten Werke zu verfehlen.
Ernst Cassirer, am 28. Juli 1874 geboren, studiert Rechtswissenschaft in Berlin und Philosophie in Leipzig, Heidelberg und Berlin. 1896 wird er beim Marburger Neukantianer Hermann Cohen promoviert. 1906 erscheint der erste von vier Bänden zum „Erkenntnisproblem”, 1910 mit „Substanzbegriff und Funktionsbegriff” eine wegweisende Kritik an der traditionellen Logik und Metaphysik. 1919 bis 1933 lehrt Cassirer in Hamburg und schreibt im Kontext der „Bibliothek Warburg” die „Philosophie der symbolischen Formen” (1923-1929), die seinen Weltruhm begründet. Die Geschichte und die Zukunft der Freiheit sind der Grund für den Plural, dem seine Kulturphilosophie folgt: Menschliche Aktivität begründet die Pluralität der Formen der Weltgestaltung in Sprache, Mythos, Religion und Wissenschaft, „aus denen sich für uns die Welt des ,Wirklichen‘, wie des Geistigen, die Welt des Ich aufbaut”. 1930 ist Cassirer Rektor der Universität Hamburg, bis 1933 der Nationalsozialismus das Exil erzwingt. 1944 erscheint „An Essay on Man” und posthum „The Myth of the State”, eine der klarsichtigsten Auseinandersetzungen mit den Ursprüngen und ideologischen Techniken des Faschismus. Cassirer stirbt am 13. April 1945 in New York.
Sein Werk kommt spät zurück nach Deutschland. Exilierte sind störend wie Deserteure, bedroht doch die Erinnerung die Lebenslüge „Wir konnten ja nicht anders”. Seit den späten 1980er Jahren ist Cassirer sein Bürgerrecht in seiner Kultur zurückgegeben. Die 25 Bände der vorzüglichen Hamburger Ausgabe liegen bald vollständig vor; erste Bände aus dem Nachlass sind erschienen.
Völkisch gegen Unveräußerlich
Cassirer ist der Historiker von Renaissance, Aufklärung und Goethezeit, zugleich einer der wichtigsten Wissenschaftsphilosophen der Mathematik und Physik. Dies ist viel, aber nicht alles. Der Europäer Cassirer ist der Denker des Pluralismus und der Einheit menschheitlicher Kultur; er ist – 1914 nicht anders als 1933 – einer der wenigen, die sich mit Mut gegen die Zerstörung des Vernünftigen zur Wehr setzen, Verteidiger einer demokratischen Bürgergesellschaft, in der Menschenwürde und Menschenrechte kein vergessener Traum sind. 1920 tritt er offen für die von vielen verachtete Weimarer Reichsverfassung ein. Noch 1932, in der Krise der Republik, hält er Wort und fragt in einem seiner letzten Hamburger Vorträge: Was bedeutet Freiheit? Die Antwort gibt er mit Voltaire: „Es heißt nichts anderes, als die Rechte des Menschen kennen; denn sobald man sie einmal erkannt hat, kann man nicht wieder aufhören, sie zu verteidigen.”
Der vermeintlich Unpolitische zeigt als Hamburger Rektor Zivilcourage gegen den Boykott der „Völkischen”. Als die Republik ihre Sprecher verliert, spricht er über „Die Idee der republikanischen Verfassung”: „Das Individuum als solches, die Menschheit als Ganzes bildet das eigentliche Rechtssubjekt für die unveräußerlichen Grundrechte. Und damit sind, was diese Rechte betrifft, nicht nur alle ständischen, sondern auch alle nationalen Schranken gesprengt und für kraftlos und nichtig erklärt.” Eng vertraute Schüler wie Hermann Noack und Joachim Ritter, mit denen man sich noch im April 1933 berät, folgen diesem Wegweiser nicht. Toni Cassirer berichtet darüber verbittert in „Mein Leben mit Ernst Cassirer”. Heidegger, dessen Treffen mit Cassirer in Davos 1929 Meyer dicht beschreibt, wird zum philosophischen und politischen Gegner.
Liberalismus oder wie das heißt
Nicht nur SA-Leute halten andere Reden. Carl Schmitt meint 1933, der „neue” Staat denke „nicht daran, die neuen Machtmittel seinen eigenen Feinden und Zerstörern zu überliefern und seine Macht unter irgendwelchen Stichworten: Liberalismus, Rechtsstaat oder wie man es nennen will, untergraben zu lassen”. Ernst Jünger schreibt 1933: „Im gleichen Maße, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu können, unvollziehbar werden.”
Deshalb ist es richtig, dass Meyer die „jüdische Herkunft Cassirers” von der Heirat mit seiner Frau Toni in Wien an („gemäß dem Gesetz des Staates und der Religion im Israelitischen Tempel”) und bis in die Konfrontation mit heimlichem oder offenem Antisemitismus stärker als in der bisherigen Literatur hervorhebt. Der denunziatorische Ton reicht bis zum Philosophen Nicolai Hartmann, der 1915 zu Cassirer mutmaßt: „Aber sein Interesse am Kriege hat doch auch einen nicht ganz geschickt verborgenen Stich ins Jüdische.” 1919 engagiert sich Cassirer bei der „Akademie für die Wissenschaft des Judentums”. Noch 1933 spricht er in Berlin über „Philosophie und Judentum”.
Und doch wirft Meyers verdienstvoll informative und höchst lesenswerte Biographie Fragen auf, die mehr als einen bloß historischen Kontext haben – nicht nur den brutalen Antisemitismus, sondern auch den blinden Philosemitismus, der angesichts von Menschenrechtsverletzungen zur Selbstzensur führt und mit der Duldung von Unrecht auch innergesellschaftlich die Gewöhnung an Gewalt betreibt. Hat den deutschen Kosmopoliten Cassirer nicht erst Goebbels zu genau dem „Juden” gemacht, dessen familiäre Herkunft heute „eigens betont” werden muss? War nicht Cassirer den Nazis auch als Repräsentant der Aufklärung und der Menschenrechtstradition von 1789 ein Dorn im Auge, wenn sie seinen Hamburger philosophischen Lehrstuhl in einen für Rassenbiologie umwandelten?
Toni Cassirers Lebensbericht fordert zu derartigen Fragen auf: „Ernst hatte unter seinen Freunden ebenso viele Nichtjuden als Juden, und es kam ihm niemals in den Sinn, nach der Abstammung eines Menschen zu forschen.” „Für uns gab es jüdische Deutsche, jüdische Polen, jüdische Russen usw.” Meyer entzieht sich der Frage, die Jürgen Habermas 1971 in seinem Bericht „Der deutsche Idealismus der jüdischen Philosophen” aufgeworfen hat: „Würde nicht dieses wie immerhochherzig geplante Unternehmen der Erinnerung an die jüdischen Philosophen] doch dazu führen müssen, den Ausgetriebenen und den Erschlagenen noch einmal einen Judenstern anzuheften?”
HANS JÖRG SANDKÜHLER
THOMAS MEYER: Ernst Cassirer. Hamburger Köpfe. Herausgegeben von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2006. 291 Seiten, 19,95 Euro.
„Das Individuum als solches, die Menschheit als Ganzes bildet das eigentliche Rechtssubjekt . . .”: Ernst Cassirer (1874-1945).
Foto: bpk
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit dieser Biografie habe Thomas Meyer dem Philosophen Ernst Cassirer ein Denkmal gesetzt, schreibt Rezensentin Hedwig Linden. Überzeugen konnte Meyer die Rezensentin besonders mit der sachlichen Darstellung von Cassirers Werk und dessen Einbettung in Biografie und Zeitgeschichte. Auch findet sie den Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und der vom Konzept der Reihe, in der das Buch erschien, verlangten "populären Darstellungsweise" ausgesprochen gelungen. Der Rezensent skizziert Stationen in Leben und Denken Ernst Cassirers und streut immer wieder Zustimmungsbekundungen für Darstellungen und Urteile des Autors ein. Insgesamt hat man den Eindruck, Meyers Biografie könnte ein biografisches Standardwerk zu Ernst Cassirer geworden sein.

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