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Autorenporträt
Professor Dr. Bernd Schünemann, ist Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie sowie Direktor des Instituts für die gesamten Strafrechtswissenschaften, Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat die Untreuevorschrift im (führenden) Leipziger Kommentar zum StGB kommentiert und seit 25 Jahren zahlreiche Untersuchungen über "Unternehmenskriminalität und Strafrecht" vorgelegt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.03.2006

Recht und Verantwortung
Was Politiker und Juristen immer beachten sollten
Es gibt Buchtitel, die locken, während andere fast abschrecken. Jener der Festschrift für den Münchner Rechtsphilosophen Lothar Philipps - „Gerechtigkeitswissenschaft” - tut beides. „Gerechtigkeit” - ein schillernder Lockvogel schon bei Aristoteles bis hin zu den Wahlkämpfen. „Wissenschaft” dagegen lässt ein trockenes Jurabuch befürchten. Doch der Titel trifft den Punkt. Es geht um mehr als um Rechtswissenschaft, es geht um Gerechtigkeit, vor allem aber darum, wie diese erzielt werden kann. Titel und Inhalt werden aber auch der Person Lothar Philipps’ gerecht. Der ist Wissenschaftler durch und durch, lässt sich aber keinem Gebiet fest zuordnen; er schlägt Brücken, nicht nur zwischen „seinen” Disziplinen Rechtstheorie, Rechtslogik, Rechtsinformatik und Strafrecht, sondern auch zu anderen Fächern, wie die Laudatio und ein kurzer Blick in das Verzeichnis seiner Schriften belegen. Deren Spektrum erstreckt sich in den vergangenen Jahren über die Fuzzy-Logik, neuronale Netze, die evolutionsbiologische Theorie der Memetik, Ansätze dieser Idee bei Rousseau bis hin zur Bedeutung des goldenen Schnittes und der Fibonacci-Zahlen für die Verteilungsgerechtigkeit.
Entsprechend bunt gemischt ist der Reigen der 26 Beiträge. Nicht allen vermag der Leser problemlos zu folgen, und mögen die Gebiete abgesehen vom Strafrecht auch die Aura des Theoretisch-Lebensfremden tragen, belegen etliche Aufsätze das Gegenteil. Norbert Brieskorn, Rektor der Münchner Hochschule für Philosophie, untersucht die Geschichte des Rates, der Räte und der Berater speziell im Hinblick auf Regierungsgeschäfte. Gesellschaftverändernde Gesetze tragen den Namen des Beraters - nicht Politikers -, auf den sie zurückgehen. Und so scheint eine theoretische Auseinandersetzung überfällig. Brieskorn zieht unter anderem den Jesuiten Pedro de Ribadeneira heran, der 1604 empfahl, dass der Ratgeber Universalist zu sein hat und nur, falls ein solcher nicht zu finden sei, man auf Spezialisten zurückgreifen dürfe. Diese, die Spezialisten „sind und bleiben jedoch schlechterer Ersatz”!
Der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel geht ein heißes Eisen an: Handlungs- und Willensfreiheit und strafrechtliche Schuld. Im ersten Moment überrascht, dass er dabei die aktuellen neurophysiologischen Befunde zwar aufgreift, aber nicht vertieft auf sie eingeht. Schnell wird freilich Merkels charakteristische Herangehensweise klar: das logische Sezieren. Er kommt in der Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zum Ergebnis: Auch wenn alle Entscheidungen determiniert sind, kann der Einzelne das Ergebnis nicht kennen, da dieses sonst ein anderes wäre. Für die Zuschreibung der Verantwortung aber reicht das aus, da der Einzelne damit vor seiner Entscheidung logisch zwingend frei gewesen ist. Allerdings wäre es verwunderlich, wenn die komplette Sektion der naturwissenschaftlich-philosphisch-juristischen Debatte jetzt nicht noch folgen würde. Eine Grundlage hat er in der Festschrift dafür auf jeden Fall gelegt; zugleich wieder einmal einen Beitrag, der geeignet ist, eine Diskussion zu ordnen oder sie, wie hier, wenigstens auf saubere Füße zu stellen.
Verfassungsrichter sind „der Verfassung untergeordnet . . ., doch die Verfassung ist, was von Richtern als Verfassung bestimmt wird”. Diesen Satz des ehemaligen Richters am Obersten Gerichtshof der USA, Charles Evan Hughes, zitiert der slowenische Verfassungsrechtler Marijan Pavcnik. Die Aktualität dieses Zitats zeigt sich auch angesichts der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Neuwahl des Bundestages. Wie weit darf ein Gericht bei der Auslegung gehen? In Rückgriff auf den Rechtsphilosophen Radbruch stellt Pavcnik fest, es sei nichts Schlechtes, dass die Verfassung klüger sein könne als der Verfassungsgeber und der Ausleger klüger als die beiden. Entscheidend sei nur, ob die Rechtsspieler die verfassungsmäßig verfestigten Institute des Rechtsstaats beachteten. Innerhalb dieses Rahmens dürften, so Pavcnik, auch neue, vom Verfassungstext nicht beabsichtigte Lösungen gefunden werden.
Ein tagesaktueller Bezug konnte kaum beabsichtigt sein, enthält die Festschrift doch Beiträge eines Kolloquiums, das schon im Februar 2004 in Salzburg aus Anlass von Philipps’ 70. Geburtstag stattfand, zu einem Zeitpunkt, zu dem etwa die Auflösung des Bundestages nicht ansatzweise zur Debatte stand. Die Aktualität liegt jedoch bei der nur vermeintlich lebensfremden Rechtstheorie in der Natur der Sache - und in der Person Lothar Philipps’.
RAINER ERLINGER
BERND SCHÜNEMANN, MARIE-THERES TINNEFELD, ROLAND WITTMANN (Hrsg.): Gerechtigkeitswissenschaft - Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstags von Lothar Philipps. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2005. 490 Seiten, 128 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rainer Erlinger kann sich vorstellen, dass der Titel der aus Anlass des 70. Geburtstags vom Rechtsphilosophen Lothar Philipps entstanden Festschrift etwas abschreckend wirken könnte, versichert aber, dass die verschiedenen Beiträge "bunt gemischt" und durchaus spannend sind. Philipps wird dieser Band damit "gerecht", weil auch der Wissenschaftler sich nicht festlegen lässt, sondern "Brücken" zu so verschiedenen Gebieten wie Rechtslogik, Strafrecht, Evolutionsbiologie oder Rousseauschen Theorien schlägt, betont der Rezensent.

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