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Laurenz Berges, 1966 geboren und einer der jüngsten Becher-Schüler, ist dem einmal gewählten Thema seit seinen Anfängen in den frühen 90er Jahren treu geblieben. Sein typologisches Interesse gilt Räumen und Häusern, die von ihren Bewohnern oder Nutzern verlassen wurden, der Tristesse und Ödnis leerstehender Behausungen. Waren es anfangs Kasernen im ehemals deutschdeutschen Grenzgebiet, die nach der Wiedervereinigung geräumt wurden, sind es jetzt die Geisterdörfer zwischen Köln und Aachen - Ortschaften und Wohnhäuser, die dem Braunkohletagebau weichen mussten -, die Berges mit einem…mehr

Produktbeschreibung
Laurenz Berges, 1966 geboren und einer der jüngsten Becher-Schüler, ist dem einmal gewählten Thema seit seinen Anfängen in den frühen 90er Jahren treu geblieben. Sein typologisches Interesse gilt Räumen und Häusern, die von ihren Bewohnern oder Nutzern verlassen wurden, der Tristesse und Ödnis leerstehender Behausungen. Waren es anfangs Kasernen im ehemals deutschdeutschen Grenzgebiet, die nach der Wiedervereinigung geräumt wurden, sind es jetzt die Geisterdörfer zwischen Köln und Aachen - Ortschaften und Wohnhäuser, die dem Braunkohletagebau weichen mussten -, die Berges mit einem untrüglichen Gespür für Ausschnitt und Komposition dokumentiert. Etzweiler, einem dieser verlassenen Dörfer, ist sein neuer Band gewidmet. Stellvertretend für gewesenes Leben sprechen die kargen Relikte menschlicher Präsenz ihre eigene, formal aufs äußerste reduzierte Sprache: nackte Zimmerwände, ausgebleichte Blumentapeten, verstaubte Einbauschränke, Gras, das zwischen Eternitplatten wächst, verwahrloste Vorgärten ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2005

Form folgt der Destruktion: Laurenz Berges fotografiert rheinische Geisterhäuser

Zu diesen Räumen braucht man keinen Schlüssel mehr. Dabei geben sie alles preis, sind nackt bis auf die Knochen und hätten so am meisten vor dem Betrachter zu verbergen. Solche Wände kennen die meisten nur von Umzügen: aus jenen kurzen, rasch übertünchten Momenten, wenn eine Wohnung schon verlassen, aber noch nicht reif für die Übergabe ist. Doch die Bilder des 1966 geborenen Düsseldorfer Fotokünstlers Laurenz Berges fixieren keinen Übergangszustand von einem Bewohner zum nächsten: Der Nachmieter seiner Zimmer ist der Tod.

Bekannt wurde der Becher-Schüler durch seine Aufnahmen der aufgegebenen Kasernen der Roten Armee in Ostdeutschland, die als Sinnbild einer Zeitenwende dienen konnten. Seine neuen Fotografien zeigen großformatige, schmutzig-farbige Innenansichten von Häusern und Wohnungen, die im rheinischen Braunkohlegebiet dem Abraum geopfert werden. "Garzweiler" wurde zum politischen Synomym für eine Standortpolitik über die Köpfe der Ortsansässigen hinweg und trieb beinahe die rot-grüne Koalition Nordrhein-Westfalens zum Bruch. "Etzweiler" nennt Berges seine Serie, die überwiegend im gleichnamigen Ort aufgenommen wurde, der wie zahlreiche andere in der Gegend um Grevenbroich, Erkelenz und Jülich inzwischen zu einem Geisterdorf geworden ist. Berges fotografiert die verlassenen, leer geräumten Wohnungen als Menetekel der Vergänglichkeit einer sich selbst zerstörenden menschlichen Zivilisation.

Doch nicht das Politische oder Historische interessiert Berges. Nur bei wenigen Außenaufnahmen dringt der Kontext in das Blickfeld. Sein Maßstab rückt die Motive ins Abstrakte, die Fotografie vollendet die Defunktionalisierung der Wohnungen, die die Räumung ins Werk setzt. Wände, Böden, Leisten und Decken bilden horizontal gegliederte Farbflächen, die wie dreckig-schmierige Antworten auf die Werke von Mark Rothko erscheinen könnten. Doch ist die Entstofflichung nicht vollständig; meist ragen Gegenstandsrelikte ins Bild: eine Glühbirne, ein Maßband, ein Glas, verstreute Zigaretten, ein Aschenbecher. Vor allem sind es immer wieder die Steckdosen und unverkleideten Kabel, die dem Blick Halt in der Wirklichkeit bieten (wie auf unserer Abbildung "Etzweiler, 2000") - ein fast ironischer Verweis auf den eigentlichen Anlaß der Räumung, die Stromgewinnung im Braunkohlekraftwerk.

So stellen die Fotos immer wieder die Frage, wann ein Artefakt zum reinen Formelement wird. Wann etwa eine funktional-häßliche Wohnzimmerschrankwand (die fast das Möbel gewordene Kompositionsprinzip der Bilder sein könnte) oder eine Kacheltapete allein unter ästhetischen Gesichtspunkten wahrgenommen werden. Zugleich ereignet sich dabei eine merkwürdige Umkehrung des Blicks: Was sonst als Makel und Verunstaltung erschiene -, eine Kinderkrakelei auf der Tapete, ein Riß im Furnier, der Schimmel an der Wand - wird nun zur Spur des ausgehauchten Lebens, zum letzten Rest sozialer Realität. Denn der Fotograf antizipiert bereits auf der Bildfläche jene tabula rasa, die die Abraumbagger aus der ganzen Landschaft machen werden. (Laurenz Berges: "Etzweiler". Mit einem Text von Michael Lentz. Verlag Schirmer/Mosel, München 2005. 108 S., 48 Farbtafeln., geb., 39,80 [Euro].)

RICHARD KÄMMERLINGS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2005

Nüchterne Liebe: Laurenz Berges’ verlassene Wohnungen von Etzweiler
Leerstehende Räume in einem dem Kohletagebau preisgegebenen Dorf, hin und wieder ein Blick auf eine wenig spektakuläre Landschaft im Rheinland - das ist das Sujet von Laurenz Berges’ Fotografieband „Etzweiler”. Wie fast alle Absolventen der Fotografieklasse Bernd Becher erweist er seinem Lehrmeister dadurch seine Reverenz, dass er seine nüchterne Liebe zum Gegenstand teilt, wie karg auch immer dieser zunächst erscheinen mag. Mit seinem stärkenden Blick im Rücken entwickelt Berges eine distanzierte und doch bewegte Sicht auf die verlassenen Wohnstätten der Einwohner Etzweilers (Laurenz Berges: Etzweiler. Mit einem Text von Michael Lentz. Schirmer/Mosel, München 2005. 108 Seiten, 59,80 Euro).
Eindringlich ist eine nur wenig variierte Anordnung: Fast die Hälfte der Fotos zeigt eine kahle Wand, mit Raufaser tapeziert - das ist die traurige Variante - oder mit einer kühnen Tapete versehen: Blütenmuster auf schwarzem Grund, Trauerweide und Seerosen, Figürchen. Das ist für sich schon anrührend. Lichtschalter und Steckdose wurden nicht abmoniert, ebenso wenig die Fußleisten. Ein Stück vom Boden, meist Teppichboden, hat gleichfalls überdauert, aber Kehricht, Glasscherben, Zigaretten, Federn machen sich breit. Die entblößten Wände werden zur Leinwand eines Heimkinos, das gelebtes und ungelebtes Leben dokumentiert. Deshalb wohl ist, außer zum Auftakt, nur selten ein Fenster zu sehen und wenn doch, dann mit heruntergelassener Jalousie. Erst ganz am Ende erscheint ein weiteres Fenster mit Ausblick, falls man das, was man da zu sehen bekommt (Sandhaufen, Hütten, Bogenlampen), Ausblick nennen möchte.
Dazwischen gibt es Einzelstudien mit freundlichem Blick für Materialien aus dem Baumarkt: Furnier, Pressspan, Sperrholz. Ein Foto zeigt eine Wand, an die all das zugleich genagelt wurde, Feuchtigkeit ist eingedrungen, Rosttöne dominieren. Ein liegengebliebener blauer Plastikdeckel funkelt in diesem Ambiente in wasserresistenter Unverwüstlichkeit.
Zum Höhepunkt der Ereignisse wird eine zurückgelassene Einbauschrankwand in Nussbaumimitat. Pittoresk sind diese Aufnahmen nie, stattdessen von geradezu heiterer Nüchternheit. Ein poetischer Essay von Michael Lentz mit schönen „Bildern” und viel Gefühl leitet das Buch ein. Was der Fotograf sich bewusst versagt, inszeniert der Schriftsteller: Erinnerung, Heimweh, Entsagung. Es sei also empfohlen, zuerst dem Fotografen zu folgen, danach dann dem Dichter zuzuhören.
ANDREA GNAM
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"So sieht das Erhabene aus, wenn es keinen Schlafplatz finden kann und schon lange nichts mehr gegessen hat", schreibt Ulf Erdmann Ziegler über die Fotografien von Laurenz Berges, dem er große Ambition - die Ästhetisierung von Untergang, nämlich dem von ein paar Bergbauorten bei Aachen - bescheinigt, aber auch einen ausgeprägten Hang zur Verrätselung. Man kann sich ja wundern, schreibt der Rezensent, man kann auch Morbides ("Baumarkt-minus-X") inszenieren - nichts dagegen. Doch etwas wohlfeil wird es, wenn die "fotografische Erfahrung" verschleiert bleibt. Wenn einem bloß "mulmig" wird, und es das gewesen sein soll. Was übrigens auch, so der Rezensent, für den Text von Michael Lentz gilt.

© Perlentaucher Medien GmbH