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Ein Junge geht statt zur Schule ins Kino und stolpert Hals über Kopf in die New Yorker Unterwelt: eine dreifache Liebeserklärung - an die Mutter, an die Traumwelt des Films und an die Bronx der vierziger Jahre - und an eine wunderschöne Geschichte voller Zärtlichkeit, Wehmut und Humor.

Produktbeschreibung
Ein Junge geht statt zur Schule ins Kino und stolpert Hals über Kopf in die New Yorker Unterwelt: eine dreifache Liebeserklärung - an die Mutter, an die Traumwelt des Films und an die Bronx der vierziger Jahre - und an eine wunderschöne Geschichte voller Zärtlichkeit, Wehmut und Humor.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die zwei sind eins. Fiktion und Wirklichkeit sind bei diesem Autor offenbar schwer auseinander zu halten. Robert Brack jedenfalls liest Jerome Charyns Erinnerungsbuch "Der schwarze Schwan" (erschienen bei Alexander Fest) und den Krimiroman "Abrechnung in Little Odessa" (Rotbuch Verlag) wie zwei Teile ein und derselben Geschichte. Die durchaus bestehenden stilistischen Unterschiede fallen kaum ins Gewicht, wenn hier wie dort die Fakten nicht allzu ernst genommen werden. In beiden Bücher stößt Brack auf einen Reigen miteinander in Beziehung stehender Personen, die "große Politik" machen und dabei als Einzelne verloren, dem Moloch New York ausgeliefert bleiben. Die "poetische Kraft", die der Autor aufbringt, um diese Verlorenheit zu schildern, hat dem Rezensenten imponiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2002

War er pathologisch?
Jerome Charyn verwischt die Grenzen von Welt und Kino
Als Neunjähriger hat Jerome „Baby” Charyn einen kleinen Bruder bekommen und einen Hund verloren. „Habt ihr Beauty weggegeben?” fragt er seinen Vater. „Nein”, lautet die Antwort. „Wir haben ihn vergasen lassen.” Zwei Jahre später schreibt man das Jahr 1949 in der New Yorker Bronx, und Charyn setzt nun fort, was er mit seinem Erinnerungsbuch „Die dunkle Schöne aus Rußland” begonnen hat.
Die dunkle Schöne, seine Mutter Faigele, ist nun vom zweijährigen Nachkömmling Marve beansprucht, dessen erste Worte lauten „Dada, tu Jerome nicht weh.” Denn Jerome hat sich zum Problemkind entwickelt, das statt zur Schule heimlich ins Kino geht, Bekanntschaften mit Transvestiten und Feuerwehrleuten schließt und als Geldeintreiber für den Gegenspieler des legendären jüdischen Gangsters Meyer Lansky arbeitet. Ganz schön viel für einen Elfjährigen, auch wenn ihm sein Boss einen Maßanzug spendiert hat. Doch gar nicht so ungewöhnlich für die Bronx.
„War er pathologisch?”, fragt Jerome seine Bewährungshelferin, nachdem sie ihm von einem Jungen erzählt hat, der in einer Besserungsanstalt gelandet war. Das Wort „pathologisch” hat ihm seine literarisch gebildete Cousine Dubbie beigebracht, die als junge Frau an einem Herzfehler sterben wird: „Es beschrieb eine Krankheit der Bronx, die Einsamkeit des Lebens auf einem Archipel, eine Isolation, die einen nach innen wandte, bewirkte, daß man verrückte Sachen tat.”
Zu diesen verrückten Sachen gehört bald auch, dass Mutter Faigele ihren alten Job als Kartengeberin im berühmten Catskills-Kasino „Black Swan” wiederaufnimmt, wo sich zu den Gangstern aus New York auch noch eine Bande schlagkräftiger Hillbillies gesellt. Der 1937 als Sohn jüdischer Einwanderer in der Bronx geborene Jerome Charyn hat Kinderbücher und zahlreiche verrückte Krimis geschrieben. „Der Schwarze Schwan” verwischt die Grenzen von Welt und Kino, von Phantasie und Erinnerung: Ein Kind, das wegen seiner großen Ohren von den Mitschülern „Dumbo” genannt wird, isoliert und nach innen gewandt, flieht vor den kleinen Dramen seiner Kindheit zu den großen Melodramen des Lebens und der Leinwand. Ein bisschen weniger Phantasie und etwas mehr Erinnerung hätte dem Buch aber nicht geschadet.
ULRICH BARON
JEROME CHARYN: Der schwarze Schwan. Eine Erinnerung an die Bronx. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002. 187 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2002

Ein Beduine in der Bronx
Über die Schulter geschaut: Jerome Charyns Erinnerungsbuch

"Mein Gespür für die Unterwelt hatte ich in besseren Billardhallen und bei Straßenbanden in der Bronx erworben. Ich war im Alter von zwölf Jahren so was wie ein Mini-Schutzgelderpresser, aber ich wuchs aus dieser Angelegenheit raus", hat Jerome Charyn einmal in einem Interview gesagt. Nun ist er wieder in die alte Haut geschlüpft, zurückgekehrt in die Bronx des Jahres 1949, und man kann sich fragen, ob es die Kindheitserinnerungen waren, welche die Figuren der Kriminalromane um den New Yorker Cop Isaac Sidel ins Leben riefen, ob diese Figuren sich nachträglich in die Welt der Kindheit geschlichen haben oder ob sie womöglich alle beide Fleisch vom Fleische, Fiktion von den Fiktionen des Kinos sind, in dessen dunklem Bauch der kleine Jerome seine zweite Heimat fand.

Der heute fünfundsechzigjährige Amerikaner in Paris hat mit "Der Schwarze Schwan" jenes Kindheitsmuster weitergeknüpft, das er vor zwei Jahren mit "Die dunkle Schöne aus Weißrußland" (2000) begonnen hatte. "Baby", wie man ihn damals nannte, ist älter geworden, er heißt nicht mehr "Baby", weil er inzwischen einen kleinen Bruder hat, und in der Schule nennt man ihn ohnehin "Dumbo" wegen seiner großen Ohren. Ein altes Kino, das "Luxor" in der West Bronx, ist sein magischer Fluchtort, wo der Elfjährige wieder und wieder "Samson und Delilah" sieht. Der schlafwandelnde Victor Mature und die lockende Philisterin Hedy Lamarr werden ihm zu Rollenmodellen für eine Außenwelt, die deshalb so eklektisch, so phantastisch und so fern von jedem kleinlichen Realismus erscheint wie Ausstattung und Kostüme in Cecil B. DeMilles Epos.

Der kleine Jerome schwänzt die Schule, und er verliebt sich in die Bewährungshelferin, die ihm die Schulbehörde verordnet. Sie wird zu seiner "Milady", der Lady de Winter aus den "Drei Musketieren", die natürlich die Züge einer Lana Turner trägt, denn "ich konnte die Gesichter auf der Leinwand lesen". Er trifft auf "König Farouk", der Fatso Levine heißt und Klein Jerome in einen teuren Anzug steckt, damit er für ihn Geld eintreibt, denn Farouk ist der Mann, der Willige wie Widerwillige mit Selleriewasser beliefert. Der kleine Inkasso-Beauftragte gerät in den komplizierten Frontverlauf zwischen den Gegnern und den rivalisierenden Vasallen des jüdischen Großgangsters Meyer-Lansky, und wie eines der Traumkinder, der "lost boys" aus "Peter Pan", entkommt er allen Situationen unversehrt.

Eine kleine Pastorale aus den Catskills, dem jüdischen Feriengebiet im "Borscht-Belt", beschließt den Band. Mutter Fannie, genannt Faigele, das Vögelchen, gibt im Kasino "Black Swan" Karten, wie sie es so virtuos schon im ersten Erinnerungsbuch getan hatte - in der Phantasie ihres Sohnes wird sie selbst zum schwarzen Schwan, dessen Charme alle Männer, Gangster wie Politiker, erliegen, die an ihrem Spieltisch sitzen.

Mit den großen Augen und der noch größeren Phantasie eines Kindes läßt Charyn die Bronx-Welt des Jahres 1949 noch einmal auferstehen, ohne je verwischen zu wollen, daß dem Jungen hier der Erwachsene über die Schulter schaut. Die Bilder des Kinos, die Strichführung der Comics werden mit der Realität jener Jahre zu einem verzauberten Gewebe, in dem die Fäden von Fiktion und Fakten sich unauflöslich ineinander verschlungen haben. Die manchmal chaplineske Komik, die kleinen slapstickartigen Einlagen, wenn Jeromes Kleingangster-Freunde ihm einen Schnurrbart aufmalen, damit er in ein Striplokal in New Jersey kommt, entstehen aus den schnellen, leichtfüßigen, kurzen Sätzen, die eine Szenerie so ausleuchten können wie eine Comiczeichnung. Und wie die Komplementärfarbe gehört die melancholische Grundierung dazu, die des Erzählers älteres Ich aufträgt.

Vom Montparnasse fällt der Blick zurück auf ein "paradise lost", das in der East Bronx liegt, die wiederum "wie die Sahara" war, in der ein kleiner, einsamer Beduinenjunge "in einer unendlichen Sanddüne verlorengehen konnte". Es sind die Augen eines Schlafwandlers, einer Figur, die immer wieder in Charyns breitgefächertem Werk auftaucht. Der Schlafwandler ist einer, der mit offenen Augen träumt, und so wird ihm jede Welt zur Phantasielandschaft, die sich mit merkwürdigen Gestalten bevölkert - eine Fata Morgana, die Luftspiegelungen einer Prosa.

Und wie schon im ersten Band geht auch im "Schwarzen Schwan" die Angst des Schriftstellers vorm Verstummen um, vorm Verschwinden der Worte, wenn Charyn schreibt, er sei "der Chronist, dem Tag um Tag die Sprache verlorengeht", während er zugleich die Erinnerung an die Eltern zu retten versucht, die aus Weißrußland nach Amerika kamen und die neue Sprache mehr schlecht als recht zu sprechen, aber nie zu schreiben lernten. In diesem traurig-schönen kleinen Buch, das so wenig ein Memoirenband ist, wie Charyns Romane bloß Krimis und seine Sachbücher bloß faktentreu sind, ist auch Ödipus ein verlorener Junge aus der New Yorker Unterwelt. Denn so abgöttisch Charyn seine Mutter verehrt und ihr erneut ein Denkmal aus Worten setzt, so melancholisch porträtiert er sich als einen zögerlichen Vatermörder, der mit dem Problem hadert: "Wie ihn töten und gleichzeitig am Leben lassen?"

PETER KÖRTE

Jerome Charyn: "Der Schwarze Schwan". Eine Erinnerung an die Bronx. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002. 192 S., geb., 17,90 [Euro].

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