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Die Bäuerin Sonka, die im polnisch-weißrussischen Grenzgebiet in der Nähe von Sluczanka lebt, hatte als junges Mädchen eine stürmische Liebesbeziehung mit einem SS-Offizier, die nach einem Jahr in einer Tragödie endete. Jahrzehnte später strandet Igor, ein angesagter Theaterregisseur aus Warschau, nach einer Autopanne in ihrer Hütte. Sonka erzählt ihm ihre Geschichte und befreit sich so von der Last der Vergangenheit. Aufgewühlt beschließt Igor das Gehörte in einem Theaterstück zu verarbeiten. Damit provoziert er das Publikum - aber nicht nur das, denn die Macht der Gefühle führt ihn auch zu…mehr

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Produktbeschreibung
Die Bäuerin Sonka, die im polnisch-weißrussischen Grenzgebiet in der Nähe von Sluczanka lebt, hatte als junges Mädchen eine stürmische Liebesbeziehung mit einem SS-Offizier, die nach einem Jahr in einer Tragödie endete. Jahrzehnte später strandet Igor, ein angesagter Theaterregisseur aus Warschau, nach einer Autopanne in ihrer Hütte. Sonka erzählt ihm ihre Geschichte und befreit sich so von der Last der Vergangenheit. Aufgewühlt beschließt Igor das Gehörte in einem Theaterstück zu verarbeiten. Damit provoziert er das Publikum - aber nicht nur das, denn die Macht der Gefühle führt ihn auch zu sich selbst. "Alles hier steht in Gänsefüßchen, ist leicht ironisch und selbstironisch gefärbt, überall schwingt die Furcht vor dem allzu Direkten, Sentimentalen oder einfach Gestrickten mit. Vertrauen wir also 'Sonka' und genießen dieses Angebot zugleich mit Vorsicht - das ist es, was Ignacy Karpowicz von uns will." Dariusz Nowacki
Autorenporträt
Karpowicz, Ignacy
Ignacy Karpowicz, geboren 1976 in Sluczanka nahe Bialystok (Polen), ist Schriftsteller, Übersetzer und Reisender.

Kowarczyk, Katharina
Katharina Kowarczyk, wurde 1982 bei Katowice/Polen geboren und studierte Polonistik und Philosophie an der Universität Hamburg. Die Übersetzerin aus dem Polnischen lebt seit 1989 in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2017

Vom vierfachen Erzählsinn
Der raffinierte Roman "Sonka" des polnischen Autors Ignacy Karpowicz

Die Handlung ist, wie es scheint, ganz einfach: In einem Dorf an der polnisch-weißrussischen Grenze kommt es zu einer seltsamen Begegnung: Igor, ein bekannter Warschauer Theaterregisseur, der ausgerechnet hier, in dieser fast menschenleeren Gegend, eine Autopanne hat, wird von einer alten Dorfbewohnerin auf ein Glas Milch eingeladen. Die Frau wird Sonka genannt, und ihr ganzer Besitz besteht aus einem heruntergekommenen Haus und einer Kuh. Sie hat aber eine spannende Geschichte aus der Kriegszeit zu erzählen, und Igor, dessen Karriere schon seit einiger Zeit stockt und der auf der Suche nach neuen Ideen ist, hört ihr bereitwillig zu. Sein Gespür trügt ihn nicht - die Geschichte, die 1941 in ebendiesem Ort spielt und zu der verbotene Liebe, Hass, Verrat und Tod gehören, scheint tatsächlich ein großartiges Material für ein Theaterstück zu sein.

Damit wäre die Grundidee eigentlich schon erzählt: Eine alte Bäuerin legt eine Beichte ab - denn Sonka hat sichtlich das Bedürfnis, sich eine alte Last von der Seele zu reden -, und ein Theatermacher konzipiert parallel zu ihrer Erzählung ein Bühnendrama, nicht ohne sich auch schon dessen sensationellen Erfolg auszumalen ("eine Viertelstunde Applaus, mindestens; die Damen fallen reihenweise in Ohnmacht . . ."). Doch nicht zufällig haftet dem 1976 geborenen polnischen Schriftsteller Ignacy Karpowicz, der mit diesem seinem sechsten Roman für den renommierten Nike-Preis nominiert war, der Ruf eines äußerst listigen Autors an, dessen Texte sehr aufmerksamer Lektüre bedürfen. In Wirklichkeit spielt "Sonka" nämlich auf vier Ebenen, oder besser: Das Buch hat vier verschiedene Erzähler, von denen jeder die eigene Version der Ereignisse beziehungsweise seine eigene Interpretation derselben liefert und die zudem in komplizierten Relationen zueinander stehen.

Zum einen ist es Sonka, die ihre Geschichte von 1941 erzählt: Sie hatte damals eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit Joachim, einem gutaussehenden und - wie es ihr schien - gütigen SS-Offizier namens Joachim, die sehr plötzlich begann und aus ihr - die bis dahin ein stilles, willenloses, von ihrem brutalen, sie ständig schlagenden und vergewaltigenden Vater und zwei grobschlächtigen Brüdern völlig eingeschüchtertes Mädchen gewesen war - für kurze Zeit einen ganz anderen Menschen machte. Diese Geschichte endete tragisch, mit dem Tod Joachims, ihres gemeinsamen Kindes und Sonkas gesamter Familie. Zum anderen ist es Igor, der die Geschichte der alten Frau für seine Theaterzwecke "bearbeitet". Allein das schon sorgt dafür, dass man als Leser leicht misstrauisch wird, sich fragt, ob die Begegnung zwischen den beiden wirklich stattgefunden hat oder das Ganze womöglich nur der Phantasie des Regisseurs entsprungen ist.

Noch komplizierter wird es, als eine dritte Person den Plan betritt: Ignacy, die ursprüngliche Identität von Igor, die dieser jahrelang verdrängt hat, weil alles, wofür der Name Ignacy steht, so gar nicht zu einem erfolgreichen Warschauer Künstler passte. Er kommt aus derselben Gegend wie Sonka, ist in derselben bäuerlichen Umgebung und mit derselben russisch-orthodoxen Religion aufgewachsen, benutzt denselben ostpolnischen Dialekt, der in gebildeten Kreisen verpönt war. Also wurde Ignacy zu Igor, "einem Mann von Welt", der ein gepflegtes Polnisch spricht und eine andere Biographie hat.

Und da ist schließlich der Autor selbst, Ignacy Karpowicz, der seine Kindheit ebenfalls in jenem Grenzgebiet verbrachte, aus dem Sonka und Ignacy/Igor stammen, der aber jegliche autobiographischen Bezüge bestreitet, wenn man einmal von dem zweideutigen Hinweis zum Schluss des Romans absieht, jede Ähnlichkeit mit realen Personen und Orten sei "beabsichtigt sowie komplett unberechtigt". Doch das gehört eben zu den Eigenarten seiner Prosa: Karpowicz stiftet gern Verwirrung, indem er mal die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum oder Wahrheit und deren künstlerischer Interpretation verwischt, mal dem Erzählten einen (selbst)ironischen Unterton gibt, als wollte er signalisieren, man solle seine Einfälle mit Vorsicht genießen und so dem Einwand zuvorkommen, sie seien zu einfach, zu banal oder - falls es sich um große Momente der Geschichte und tragische Schicksale handelt - zu kitschig.

So sorgt er auch in "Sonka" dafür, dass der Leser ständig zwischen Rührung, Empathie, Misstrauen und Belustigung schwankt. Das erreicht er, indem er Sonkas Geschichte, im wörtlichen und übertragenen Sinne, von einer Sprache in eine andere überträgt: von dem östlichen Dialekt ins Polnische, von der Sprache des direkten Erlebens in die Sprache der Phantasie und schließlich der Literatur und des Theaters. Jeder dieser Schritte bringt Änderungen und Korrekturen mit sich - und folglich auch Missverständnisse, was Sonka am schmerzlichsten erlebt: Sie malt sich eine herrliche Zukunft mit ihrem Joachim aus, dessen Sprache sie nicht versteht: "Wir werden Kurorte besuchen und ans Meer fahren (das deutsche Wort für Meer ist Juden). Unsere Katze wird Raus heißen. Sie wird in der Sonne liegen und Schweine jagen (das ist das deutsche Wort für Mäuse)", um irgendwann festzustellen, dass Joachim keineswegs der sanfte, gütige Mensch ist, für den sie ihn hält, sondern ein gewöhnlicher Naziverbrecher, der am Massenmord an jüdischen Bewohnern einer Kleinstadt beteiligt war. Doch das ist eben Ignacy Karpowiczs gedanklicher Hauptansatz in diesem Roman: Das Leben ist ein einziges Spiel, und unsere Rollen darin, und somit Erfahrungen, sind einmalig und unübertragbar.

MARTA KIJOWSKA

Ignacy Karpowicz: "Sonka". Roman.

Aus dem Polnischen von Katharina Kowarczyk. Berlin Verlag, Berlin 2017. 208 S., geb., 20,- [Euro].

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"Ein raffinierter Roman.", FAZ, 26.10.2017