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Jahrzehntelang war er eine Institution in Millionen deutschen Haushalten: der Quelle-Katalog. Er war das Medium, das nicht nur für eine besonders enge Verbindung zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden sorgte, das darin präsentierte Produkt - angebot prägte vielmehr auch entscheidend den Geschmack und die Alltagskultur im Wirtschaftswunderland. Gregor Schöllgen, der wohl profilierteste Kenner deutscher Unternehmerfamilien, legt nun die erste umfassende Biographie des Quelle-Gründers Gustav Schickedanz vor. Auf der Grundlage bislang nicht zugänglicher Informationen schildert er die Anfänge…mehr

Produktbeschreibung
Jahrzehntelang war er eine Institution in Millionen deutschen Haushalten: der Quelle-Katalog. Er war das Medium, das nicht nur für eine besonders enge Verbindung zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden sorgte, das darin präsentierte Produkt - angebot prägte vielmehr auch entscheidend den Geschmack und die Alltagskultur im Wirtschaftswunderland.
Gregor Schöllgen, der wohl profilierteste Kenner deutscher Unternehmerfamilien, legt nun die erste umfassende Biographie des Quelle-Gründers Gustav Schickedanz vor. Auf der Grundlage bislang nicht zugänglicher Informationen schildert er die Anfänge des Versandhauses seit den 1920er Jahren und beschreibt den Aufbau jenes Industrieimperiums, mit dem Gustav Schickedanz seinem Unternehmen während der 1930er Jahre ein zweites Standbein neben dem Versandhandel verschaffte. Nach dem Krieg wurde Schickedanz deshalb vorgeworfen, Nutznießer von Arisierungen gewesen zu sein. Auch wenn sich die Vorwürfe am Ende als unhaltbar erwiesen, gelingt es Schöllgen doch, exemplarisch die Grauzonen aufzuzeigen, in denen sich jedes Wirtschaftsunternehmen in einer Diktatur unweigerlich bewegt. Die Zeit des Wirtschaftswunders und der aufbrechenden Konsumgesellschaft bedeutete für Quelle schließlich einen beispiellosen Aufschwung, ein Erfolg, der - so Schöllgens Fazit - am Ende ohne das unternehmerische Genie von Gustav Schickedanz keine Zukunft haben konnte.
Schöllgens Werk ist die gleichermaßen faszinierende wie differenzierte Darstellung eines zentralen Kapitels der deutschen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Autorenporträt
Gregor Schöllgen, geboren 1952 in Düsseldorf, Professor für Neuere Geschichte in Erlangen und Gastprofessor in New York, Oxford und London. Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Bücher und Mitarbeiter von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Seine 2001 im Propyläen Verlag erschienene Biographie Willy Brandts wurde zum vielbeachteten Bestseller.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.08.2010

„Es gibt nichts, das man nicht noch besser machen könnte“
Gregor Schöllgen schildert die Biographie des Unternehmers und Quelle-Gründers Gustav Schickedanz mit besonderem Wohlwollen – allzu genau will er es nicht wissen
Im Herbst 1966 beschäftigte sich das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einer Serie mit den „Reichen in Deutschland“. Der Reporter Peter Brügge war wohlwollend aufgenommen worden, hatte gründlich recherchiert und konnte das Ambiente beschreiben, in dem diese Reichen ihren Wohlstand genossen. Dabei beobachtete er ein ganz neues Leiden: „Einige Reiche sind gutbürgerliche Patriarchen; und es fällt ihnen schwer, vor Fremden den bei Herrenbedienung recht wichtigen soignierten Umgangston hervorzubringen. Selten wie perfekte Diener sind vorerst perfekte Herren, bei denen es einem Neuling der Servierkunst gar nicht erst in den Sinn kommt, über Herrschaftswitze mitzulachen.“
Einer der Reichen, der den Reporter zuschauen lässt, ist der „Werkmeistersohn Gustav Schickedanz“, der es in einer vierzigjährigen Laufbahn, die noch vor der Weltwirtschaftskrise begann, den Nationalsozialismus überstand und schließlich im Wirtschaftswunder der Bundesrepublik ihren Höhepunkt erreichte, zum vielfachen Millionär gebracht hat. Der Erfolg setzte bereits 1929 ein, als Quelle eine fünfteilige „Herrenkomplettausstattung“, bestehend aus Hose (Fischgrätmuster), Pullover (Wolle, Kurzarm), Sporthemd, Gürtel und Strümpfen, für 9,95 Mark vor allem auch an Arbeitslose verkaufen konnte. An den Reichtum hat sich Schickedanz gewöhnt, er ist aber doch so vorsichtig, dass er seinem Diener Joseph „nur einen unauffällig mausgrauen Anzug zumutet, um nicht dauernd den Lakaien in ihm sehen zu müssen“.
Gregor Schöllgen zitiert aus dieser Reportage, gesteht dem legendären Spiegel -Autor Brügge (dem er keinen Namen gönnt und ihn bloß als „Chronisten“ bezeichnet) immerhin zu, dass er „mit sich und seinem Gegenstand ringt“, lauscht dem Text aber seltsame Töne ab, „Töne, die bald zum festen Repertoire der ressentimentgeladenen Berichterstattung über die ‚Reichen in Deutschland‘ gehören und dazu führen werden, dass diese die Türen erst einmal wieder fest verschließen“.
Diese beiläufige Bemerkung, die auf Seite 352 seiner zusätzlich als „Quelle-Story“ ummäntelten Schickedanz-Biographie fällt, ist beinah die einzige Stelle, an der der Autor aus seiner sonst mühelos bewahrten Fassung gerät. Mit größter Geduld erzählt Schöllgen bis dahin die bescheidenen Anfänge des 1895 in Fürth geborenen Kaufmanns, der 1926 das Versandhaus Quelle gründet und sofort Erfolg hat. Mit Umsicht und Sparsamkeit baut er sein Unternehmen aus, übersteht einen Verkehrsunfall, bei dem sein Vater und seine Frau sterben, arrangiert sich mit den Nationalsozialisten, kommt als „Mitläufer“ durch die Spruchkammer und wird, wie im Spiegel geschildert, zum Inbegriff des deutschen Wirtschaftswunders.
Schöllgen präsentiert das selbstverständlich ohne Ressentiment, allerdings auch so glanzlos, wie es bei einer besseren Auftragsarbeit auch nicht überrascht. Schöllgen blieben die Türen der Reichen nämlich nicht verschlossen, er konnte sich auf das Haus- und Familienarchiv stützen, das praktischerweise durch das von ihm geleitete Zentrum für Angewandte Geschichte an der Universität Erlangen betreut wird. Sein Fazit fällt deshalb ergreifend und ergreifend schlicht aus: „Der Mann war mit sich im Reinen.“
Das Genre des Herrscherlobs ist mit den Jahrhunderten arg herabgekommen, was vielleicht ein Verlust für die Poesie, aber andererseits ein Sieg der Demokratie ist, in der der Künstler nicht mehr um die Gunst der beschmeichelten Machthaber buhlen muss. Natürlich setzt auch heute noch mancher Autor seine Sprachkraft ein, um einen Großen zu rühmen, doch findet das meist ohne die kritische Leserschaft und hinter den bereits bemühten Türen statt. Die Panegyrik gedeiht im subliterarischen Genre der Firmenchronik, der Jubiläumsbiographie, weiter und nährt manche Frau und manchen Mann.
Professor Gregor Schöllgen ist einer von ihnen und kein kleiner Meister in diesem Genre. Sein geläufiger Stil eilt von Floskel zu Klischee. Es ist der Stil, der Festveranstaltungen schmückt und Chroniken füllt, nicht durch Zwischenfragen stört oder gar durch neugieriges Stöbern auffällig würde. Statt „ressentimentgeladener Berichterstattung“ wird freundlich gemeldet, wenn wieder ein Firmenzweig „das Licht der Welt erblickt“, ein (metaphorischer oder richtiger) „Bund fürs Leben“ eingegangen wird und, immer gut, weil historisch weit schweifend, wenn sich „neue Horizonte“ auftun, angestrebt oder erreicht werden. Die Firma ist über Jahrzehnte gut „aufgestellt“. Nur dort, wo, zumindest von heute aus, Zweifel angebracht wären, ob da und dort die richtige Entscheidung getroffen wurde, wird der Bericht gern mit der Allwetterformel „keine Frage“ eingeleitet und auch schon wieder beendet. Bleibt doch eine Frage offen, wird vorsichtshalber „dahingestellt“, wohin auch immer.
Die „schmackhaften und preiswerten Mahlzeiten“, mit denen Quelle um neue Mitarbeiter wirbt, tauchen deshalb völlig distanzlos im Fließtext wieder auf, Beleg dafür, dass es in dieser Firmenwerbeprosa gar keinen Autor braucht, weil sich die Geschichte, die naturgemäß eine Erfolgsgeschichte ist, bei diesen Vorgaben wie von selber schreibt.
Es würde seine Methode der widerstandslosen Hofmusik nur stören, die Schöllgen in den letzten Jahren mit Biographien der Nürnberger Unternehmer Karl Diehl und Theo Schöller (nun ja) erarbeitet hat, wenn er eine Außenperspektive einnähme, darum tut er es auch nicht. Das überkommene Archiv bietet reiches Material, das den Fortgang jedenfalls nicht hindert. Gemütlich geht es zu, familiär: Sozialeinrichtungen für die Mitarbeiter entstehen, Schickedanz spendet reichlich, aber auch der Kunstsammler ist größerer Rede wert. Grafiken der alten Meister interessieren ihn, aber auch Neueres, vor allem, wenn es um Heimat und Landschaft geht. Die Kinder liebt er und die Tiere auch. Er heiratet eine „hübsche, zupackende Bäckerstochter“; seine zweite Frau ist ein ehemaliges Lehrmädchen, wie es in diesem Uhrketten-Stil heißt, er geht „den Bund fürs Leben ein“.
Hin und wieder wird tatsächlich eine etwas überraschende Anekdote erzählt, zum Beispiel, dass ihm die Steyler Missionare für den Versand seines Katalogs die Abonnentenliste ihrer Zeitschrift (bei Schöllgen „Monatsillustrierte“) „Stadt Gottes“ überlassen, der denn auch bis zu Missionaren in Neu-Guinea gelangt.
Dieser Katalog soll als „Führer durch die Sorgen des täglichen Lebens“ dienen, eine „Fundgrube für jede Familie“, der sich die Quelle schon im April 1933, als der Juden-Boykott beginnt, als notariell beglaubigtes „rein christliches Versandhaus“ anbietet. Doch obwohl sich „ohne den Quelle-Katalog (. . . ) die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht erzählen“ lässt, obwohl das, was „dort angekündigt wurde, für die kommenden sechs Monate zentraler Bestandteil des Kultur- und Wirtschaftsprogramms der Republik“ war, erspart sich der Autor fast jeden soziologischen oder kulturhistorischen Gedanken. Dass Hans Magnus Enzensberger – noch so ein ressentimentgeladener Beobachter – bereits 1960 unter dem Titel „Das Plebiszit der Verbraucher“ Erhellendes über den Katalog (in diesem Fall über den des Konkurrenten Neckermann) geschrieben hat, interessiert Schöllgen nicht. Er windet lieber Kränze und verziert sie mit ausgesucht banalen Schleifensätzen: „Diese Zeit hat offenbar auf einen wie diesen Gustav Schickedanz und seine Quelle gewartet.“ Kaum weniger Gültigkeit besäße der Satz, dass die beiden auf einen braven Kolporteur wie Schöllgen gewartet haben.
Der Autor salviert sich gleich im ersten Satz seines Vorworts: „Damit hatte ich nicht gerechnet“, nämlich dass die Quelle-Holding während der Arbeit an der Biographie des Gründers, des angeblichen „Revolutionärs“ Gustav Schickedanz, in die Insolvenz gehen würde. Niemand wird ihm vorwerfen, dass er davon nichts wusste, doch auch eine frühe Ahnung hätte ihn nicht weiter gerührt. Als freiwilliger Lobredner des Gründers kann er auf diesen und sein Werk nichts kommen lassen. Schickedanz investiert deshalb antizyklisch, eilt von Erfolg zu Erfolg und hält auf „Anstand“.
Der „Revolutionär“ des Untertitels stammt aus der wenige Wochen dauernden Teilnahme an einem Arbeiter- und Soldatenrat, der Schickedanz später so peinlich war, dass er 1932 vorsichtshalber in die NSDAP eintrat. Geschadet hat ihm dieser Ausrutscher nicht: In einem „Fragebogen zur politischen Beurteilung“ des „Gaupersonalamts Franken“ von 1942 wird sein politisches Verhalten vor 1933 als „einwandfrei“ bezeichnet und konstatiert: „in politischer Hinsicht ist Nachteiliges hier nicht bekannt geworden.“
Schöllgen überschreibt das Kapitel über die Nazi-Jahre zu Recht mit „Der Profiteur“, gibt sich dann aber alle Mühe, seinen Helden als unpolitisch darzustellen. „Politische Erwägungen“, behauptet Schöllgen kühn, hätten „für den Eintritt von Gustav Schickedanz in die Partei jedenfalls keine Rolle“ gespielt. Deshalb kann es auch nicht sein, dass er über die Gauleitung Druck ausgeübt hat, dass bei Nichtverkauf jüdischen Besitzern mit dem KZ gedroht worden sei, wie es in der Spruchkammerverhandlung hieß, „ist auszuschließen“. Warum das auszuschließen ist, sagt Schöllgen nicht. Sein Mandant kann gar nichts falsch gemacht haben. Selbst den Zwangsarbeitern (die hier „sogenannte Zwangsarbeiter“ heißen) geht es „vergleichsweise gut“ bei ihm.
Immerhin zeigt eines der Fotos, das Schöllgen dem Schickedanz-Archiv verdankt, den Gründer und seine Schwester Liesl Kießling auf der Weihnachtsfeier 1934 beim begeisterten Hitlergruß. Dass der Umsatz 1936 um mehr als 60 Prozent über dem des Vorjahrs liegt, wird von Gregor Schöllgen wiederum nur notiert und natürlich nicht im Zusammenhang mit den günstigen Erwerb jüdischer Anlagen erklärt. Mit geradezu taciteischer Distanz findet er die Kauflust Schickedanz’ verständlich, „weil in immer größerer Zahl Unternehmen und Immobilien aus jüdischem oder vormals jüdischem Besitz angeboten werden“. Der Chronist Schöllgen weiß, was seine Pflicht ist und persilscheint, dass Schickedanz auch beim Erwerb von Fabriken von Juden „das ungeschriebene Gesetz geschäftlichen Anstands nicht verletzt hat“.
Nach dem Zusammenbruch darf Schickedanz lange seine eigenen Betriebe nicht betreten, wird aber rehabilitiert, und das wundert den Autor dann doch ein bisschen, wo Schickedanz doch bereits 1932 in die Partei eingetreten ist und in Fürth als Ratsherr an der Nazi-Politik mitwirkte. Der Revolutionär macht weiter, beschreitet „neue Wege“, führt Qualitätsprüfung und elektronische Datenverarbeitung ein, bleibt aber doch der Mann, der sich aus einfachen Verhältnissen emporgearbeitet hat, bis er zu einem älteren Herrn mit dem „schlohweißen Haar, den milden Gesichtszügen und dem gütigen Gestus“ wird, der güldene Weisheiten wie diese vertropft: „Es gibt nichts, das man nicht noch besser machen könnte.“
Dieser Uhrketten-Stil schließt die gelegentliche starke Metapher nicht aus. Auf einen Absatz, der den politischen „Kalten Krieg“ zwischen der Sowjetunion und den USA erklärt, folgt ein weiterer „Kalter Krieg“, nämlich jener zwischen Neckermann und Quelle. Schöllgen belässt es bei der Andeutung, dass Schickedanz möglicherweise die von Neckermann enteignete jüdische Familie Joel unterstützt habe, geht dem Gerücht aber nicht nach. Die Firma Neckermann durfte, gegen eine kleine Spende an die praktischerweise von Josef Neckermann geleitete Deutsche Sporthilfe, in Augsburg ein denkmalgeschütztes Gebäude einreißen lassen, um sein Kaufhaus zu bauen. Sicherlich gäbe es bei Schickedanz ähnlich Gutsherrliches zu berichten, aber Schöllgen, im Vollbesitz des Archivs, belässt es bei der Anmerkung, die Stadt Fürth sei Schickedanz „bei Grundstückskäufen und in Steuerfragen entgegen“gekommen. Sie muss ihm recht weit entgegengekommen sein, wenn er sich in den sechziger Jahren für alle Fälle eine größere Liegenschaft in Chile kaufen konnte, wohin er vor einem möglichen kommunistischen Überfall hätte fliehen können. Aber lieber informiert der Autor den Leser, dass Grete Schickedanz „Tränen in den Augen stehen“, als sie dem Verkauf der Quelle-Kaufhäuser zustimmt.
Der Bundesnachrichtendienst ist zu bedauern, weil er sich der Dienste dieses Autors nicht dauerhaft versichern konnte. Gregor Schöllgen sollte sich auch mit der Geschichte des BND befassen, die Türen blieben ihm auch da nicht verschlossen, doch gab er den Auftrag dann wegen der grundsätzlichen Unzugänglichkeit der Behörde doch zurück. Dabei wäre von diesem beneidenswert ressentimentfreien Autor bestimmt keine Aufklärung zu befürchten gewesen.
WILLI WINKLER
GREGOR SCHÖLLGEN: Gustav Schickedanz. Biographie eines Revolutionärs. Die Quelle-Story. Berlin-Verlag, Berlin 2010. 464 Seiten, 32 Euro.
Der Katalog sollte als „Führer
durch die Sorgen
täglichen Lebens“ dienen
1932 trat Gustav Schickedanz
der NSDAP bei –
geschadet hat ihm dies nie
In den sechziger Jahren kaufte
er sich eine Liegenschaft in Chile
– für alle Fälle
Der Gründer und Chef des Quelle-Versandhauses, Gustav Schickedanz (rechts), erklärt Journalisten eines der Quelle– Fertighäuser. Aufnahme von 1962. Foto: picture-alliance/ dpa/ Karl Schnörrer
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2010

König Gustav der Helle
Gregor Schöllgen ist begeistert vom Versandhaus-"Revolutionär" Schickedanz und von den Fürther Katalogen

Ohne den "Quelle"-Katalog lasse sich die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht erzählen, meint Gregor Schöllgen. Der Erlangener Historiker beklagt sich, dass die Unternehmensgruppe Schickedanz in Studien zur alten Bundesrepublik nur eine marginale oder keine Rolle spiele. "Aber vielleicht wird gerade hier das eigentliche Erfolgsrezept des Mannes fassbar: Gustav Schickedanz und seine Quelle haben die Republik so konsequent, so nachhaltig und so diskret geprägt, dass keiner es gemerkt hat." Der "Quelle"-Katalog als historische Quelle für die Bonner Republik - das wäre ein tolles Thema gewesen. Doch der Auftrag von Madeleine Schickedanz, der jüngsten Tochter des Firmengründers, war bescheidener: ein Buch über das Leben des 1895 geborenen und 1977 verstorbenen Großkaufmanns.

Der vielfach bewährte Biograph Schöllgen versteht es wieder einmal, seine Leser bestens zu unterhalten und allgemein verständlich zu informieren - trotz des hin und wieder spröden Stoffs über den rasanten Aufstieg und den tiefen Fall des Versandhauses. Doch der Mensch Schickedanz bleibt etwas blass, was bereits die Kapitelüberschriften andeuten: "Der Suchende" bis 1929, "Der Profiteur" bis 1938, "Der Durchhalter" bis 1949, "Der Revolutionär" bis 1957, "Der Preisbrecher" bis 1966 und "Der Patriarch". Immerhin erfährt man, dass er Bücher (besonders Baudelaire) liebte, Autographen (vor allem Hesse und Rilke) sammelte, die Natur (am meisten Schmetterlinge) bewunderte und durchaus luxuriös lebte (vermittelt durch Illustrierten-Zitate).

Viel Interessantes tragen Schöllgen und seine Rechercheure zusammen über den Ausbau des Unternehmens und jene Zeitumstände, die "König Gustav" glänzend für sich nutzte. Das alles bewundert der Biograph. Nach kaufmännischer Lehre und einer sechsjährigen Militärdienstzeit gehörte Unterzahlmeister Schickedanz im Frühjahr 1919 dem Fürther Arbeiter- und Soldatenrat an. Als "plötzlich Leben und Perspektiven in das stupide Soldatendasein" kamen, wurde er zum "Revolutionär", zum ersten Mal in seinem Leben, aber nicht zum letzten Mal. Nach dem Militärdienst heiratete er 1919 Anna Babette Zehnder. Ende 1922 eröffnete er in Fürth eine Großhandlung für Kurz-, Weiß- und Wollwaren. 1924 kam Sohn Leo zur Welt, 1925 Tochter Louise. 1927 gründete er das "Versandhaus Quelle"; damit betrat er ein "in Deutschland noch wenig erschlossenes, insgesamt aber nicht unbekanntes Terrain". Bei einem tragischen Verkehrsunfall starben 1929 seine (das Fahrzeug steuernde) Frau, sein Sohn und sein 72 Jahre alter Vater. Er selbst erlitt schwere Verletzungen, nur Tochter Louise blieb unversehrt.

Von der Weltwirtschaftskrise habe der Fürther Unternehmer eher profitiert; seine Herrenkomplettausstattung "ist äußerst knapp kalkuliert und selbst für den Arbeitslosen erschwinglich". Schickedanz trat schon im November 1932 der NSDAP bei und war von 1935 an Ratsherr in seiner Heimatstadt Fürth. Später gab er zu Protokoll, die "offen ausgesprochene Drohung", dass er "bei der Machtübernahme Hitlers als früheres Mitglied des ,berüchtigten' Arbeiter- und Soldatenrates verhaftet werden sollte", hätten ihn zu diesem Schritt veranlasst. Ludwig Erhard, nach dem Krieg kurz Wirtschaftsminister Bayerns, auch aus Fürth stammend und in den sechziger Jahren Bundeskanzler, urteilte 1946 scharf, aber zutreffend, es sei "ein gewisses Maß ,politischer Dummheit', Schwäche, vielleicht sogar Feigheit" gewesen, die Schickedanz zum Parteieintritt bewogen hätten, weil er sich dadurch "die wirtschaftliche Freizügigkeit sichern zu können glaubte".

In den dreißiger Jahren vergrößerte Schickedanz seine Unternehmensgruppe durch die Vereinigten Papierwerke, Brauereien, eine Bettfedernfabrik, den Textilversand Ignaz Mayer: "In sämtlichen Fällen waren die Vorbesitzer zum Verkauf gezwungen. Entweder standen sie, und das war die Regel, als Folge der Weltwirtschaftskrise vor dem Ruin und sahen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erst recht keine Chance mehr, wieder auf die Beine zu kommen; oder aber sie waren durch die zusehends forcierte und schließlich auch förmlich legalisierte Arisierung zur Aufgabe ihres Geschäfts gezwungen." Schickedanz habe "von den Umständen profitiert. In keinem Fall hat er sie ausgenutzt, um die unter Druck stehen Verkäufer zu übervorteilen." Dies hätten nach 1945 - als die Betriebe von Schickedanz unter Vermögenskontrolle standen - öffentliche Ankläger und Gutachter bestätigt. Schließlich wurde er als "Mitläufer" eingestuft und kehrte am 7. April 1949 in seine vielen Chefsessel zurück.

Dennoch wurden Forderungen nach Rückerstattung erhoben. Rund acht Millionen Mark wandte Schickedanz zur Abgeltung auf, ohne von der Rechtmäßigkeit der Ansprüche überzeugt zu sein. Eine realistische Chance, sich zu widersetzen, habe er "kaum" gehabt. Er sei von früheren Besitzern, die ihn beschuldigten, enttäuscht gewesen, weil er ihnen in schwierigen Zeiten "mit Anstand" begegnet sei. Daher bediente er die Forderungen, "weil Enttäuschung nicht weiterhilft, weil es im Grunde keine Alternative gibt, weil er die Sache endlich hinter sich bringen und sein Geschäft zu neuen Horizonten führen will", urteilt der Biograph.

Schöllgen widmet sich unter vielem anderen der Fürsorge des Unternehmers für seine Angestellten und Ruheständler, der Großzügigkeit des Stifters, den Gastarbeitern, den spektakulärsten Neuheiten im Sortiment (1962 Fertighäuser, 1966 Unterwasserkamera und Geschirrspülmaschine, 1970 Kleinpudel), der Gründung der Noris Kreditbank und der Zusammenarbeit mit Heinz Oestergaard. Den "Modekönig aus Berlin" nahm "Quelle" 1967 unter Vertrag; um die Kollektion kümmerte sich fortan Grete Schickedanz (einst Lehrmädchen bei "Quelle", seit 1931 Lebenspartnerin und seit 1942 Ehefrau).

Schickedanz habe "den Versandhandel revolutioniert, der Konsumgesellschaft ihr Gesicht gegeben und das Bild des gleichermaßen erfolgreichen und verantwortlichen Unternehmers nachhaltig geprägt". Zum Zeitpunkt seines Todes 1977 setzte die Unternehmensgruppe im In- und Ausland 8,3 Milliarden Mark um, beschäftigte 43 000 Personen, und der 930 Seiten starke Katalog mit 80 000 Artikeln erreichte eine Auflage von mehr als siebeneinhalb Millionen Exemplaren.

Im Epilog "Der Schatten" schildert Schöllgen die Nachfolge-Querelen, den "Vereinigungsboom" um 1990, die Folgen des Todes von Grete und Louise 1994 sowie kurz die letzten Zuckungen des Unternehmens bis zum 20. Oktober 2009, als der Insolvenzverwalter just am Tage des 66. Geburtstages von Madelaine Schickedanz "den Tod der Quelle" bekanntgab: "Wie ihr Gründer Gustav Schickedanz und seine Frau und Nachfolgerin an der Spitze des Konzerns, Grete Schickedanz, wird auch ihre Quelle 82 Jahre alt." Es bleibe "ein guter Name" mit Strahlkraft.

Als Schöllgen Mitte 2007 von Madeleine Schickedanz den Auftrag erhielt, die Papiere ihres Vaters zu sichten und zu verarbeiten, sah er den Zusammenbruch des Unternehmens nicht vorher. Allerdings wurde ihm bei der Niederschrift deutlich, dass das Lebenswerk in "hohem Maße an seinen Schöpfer gebunden war". Doch bleibt in dieser Biographie unklar, wie Schickedanz nach innen wirkte und die Unternehmen führte. Zudem traf weder auf die Töchter noch auf die Schwiegersöhne das zu, was der Firmengründer in den siebziger Jahre in seinem Notizbuch festhielt: "Ich bin der Helle, der gute Geist von Quelle."

RAINER BLASIUS

Gregor Schöllgen: Gustav Schickedanz. Biographie eines Revolutionärs. Berlin Verlag, Berlin 2010. 464 S., 32,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Keine Angst, Familie Schickedanz, der Aufklärungsarbeit ist Gregor Schöllgen nicht verdächtig. Das weiß Willi Winkler spätestens nach der Lektüre dieser "Firmenwerbeprosa" für das Haus Quelle und seinen Gründer Gustav Schickedanz. Bei all der von Winkler konstatierten , unerfreulichen hofmusikalischen Lobhudelei fragen wir uns, ob der Rezensent es über sich gebracht hat, das Buch bis zum Ende zu lesen. Denn Schöllgens von Winkler durchaus erkannte Tugenden Geduld, Zeit und Quellenstärke verkehren sich zu Untugenden, wenn daraus nichts wird, als eine geschmeidige Abfolge von Floskeln und Klischees. Als Meister also präsentiert sich der Autor nach Winklers Meinung vor allem in der konstanten Einhaltung der affirmativen, durch nichts (auch durch Schickedanz' fragwürdige Haltung zum NS-Regime nicht) zu erschütternden Innenperspektive sowie in der Kunst, aus einem vollen Archiv soviel Leere herausgeholt zu haben.

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