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Was geschieht, wenn alles, was man über seine Mutter zu wissen glaubte, sich plötzlich als Trugbild erweist? In dem langen heißen Sommer 1976 erfährt Ruth Gilmartin, dass ihre Mutter Sally in Wirklichkeit Eva Delektorskaja, eine russische Emigrantin und ehemalige Spionin, ist.

Produktbeschreibung
Was geschieht, wenn alles, was man über seine Mutter zu wissen glaubte, sich plötzlich als Trugbild erweist? In dem langen heißen Sommer 1976 erfährt Ruth Gilmartin, dass ihre Mutter Sally in Wirklichkeit Eva Delektorskaja, eine russische Emigrantin und ehemalige Spionin, ist.
Autorenporträt
William Boyd, 1952 in Ghana geboren, ist einer der renommiertesten britischen Autoren der Gegenwart. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher und wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Whitbread Award for Best Fiction. Er lebt mit seiner Frau in London und Südfrankreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2007

Spion im Dienste ihrer Majestät, der Kunst

Dubiose Agenten gibt es im Literaturbetrieb genug. William Boyd aber beweist mit seinem neuen Roman, dass Geheimdienst und Erzählhandwerk auch in ihren Methoden eng verwandt sind.

Von Tobias Döring

Einmal angenommen, wir bemerken einen Herrn mittleren Alters mit Tweedanzug, Trenchcoat und Schlapphut, der sich ganz unbeteiligt gibt. Sollten wir in ihm nicht gleich einen Spion vermuten? Weiterhin angenommen, der Verdacht trifft zu: Haben wir dann einen ausgesprochen plumpen Vertreter seines Stands bemerkt, da er sich so offensichtlich im stereotypen Agenten-Look zeigt? Oder ist es vielmehr ein besonders raffinierter, der sich im bekannten Outfit umso besser tarnt, weil jeder sofort denkt, dass wirkliche Spione niemals derart rumlaufen? Oder aber sollen wir durch seinen Anblick nur gezielt zu einem solchen Schluss gebracht werden, um uns von anderen Dingen abzulenken? Sollten wir beim Anblick eines Schlapphutträgers also besser sofort in die andere Richtung schauen? Doch entgeht uns dann nicht gerade, was er selbst ins Werk setzt? Wie man die Sache dreht und wendet, das Spurenlesen bleibt vertrackt. Die Hermeneutik des Verdachts macht ruhelos.

Andererseits wäre ohne Spionage und Geheimdienst gewiss nicht nur die Welt farbloser, fader und um viele Abenteuer ärmer, sondern vor allem die Literatur. Vielleicht gäbe es viele große Geschichten der Weltliteratur gar nicht ohne den beständigen Drang und Vorsatz, neue Wirklichkeiten zu erfinden, wie er Geheimagenten und Erzählern gleichermaßen zukommt. Denn Spionage will ja nicht einfach ermitteln, wie eine unbekannte Welt aussieht, sondern will deren Beschaffenheit gezielt vermitteln und greift also mit ihrer Arbeit in das Erzählhandwerk der Welterzeugung ein. Aufklärung ist stets nur um den Preis einer Fiktion zu haben. Seit Odysseus, der mit seinen legendären Tricks und Täuschungen, seinen Masken oder Listen so etwas wie den Urtyp des Agenten darstellt, ist dieser Zusammenhang oft durchgespielt worden. Jeder Spionageroman ist daher selbst wie ein Trojanisches Pferd: Mit ihm schmuggelt die Literatur ihre ureigne Streitkraft in die Bollwerke der Wirklichkeit.

Agentur für Falschmeldungen.

Davon handelt William Boyds neuer Roman. Vorgeblich geht es um Geheimoperationen in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren, als die britische Regierung alles daransetzte, einen starken westlichen Verbündeten zu gewinnen und die Vereinigten Staaten zum Kriegseintritt zu bewegen. Vor großer historischer Kulisse, die sich wie ein Breitbildpanorama von Belgien und London bis nach New York, Washington und Ottawa spannt, erzählt er von den Abenteuern einer talentierten Agentin, die, als russische Emigrantentochter in Paris geworben, in den prekärsten Lagen cool und überlegt agiert und doch aufgrund ihrer Erfolge bei der Arbeit schließlich unbemerkt für Zwecke einer Gegenspionage instrumentalisiert wird. Das alles ist höchst spannend eingefädelt und wird im Roman glänzend inszeniert. Im Grunde aber geht es dabei nur um eines: zu erkunden, wie erfundene Geschichten den Lauf der Geschichte ändern können.

Diese Macht des Literarischen steht im Zentrum der Geheimaktion. Die britische Kommandoeinheit, der die Heldin angehört, ist mit nichts anderem betraut, als Falschmeldungen zu erfinden, die durch reguläre Nachrichtenagenturen gezielt in Umlauf gesetzt werden, um so über die Presse die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die "Idee war so einfach wie alle guten Ideen: Falschmeldungen können genauso nützlich, wirkungsvoll, aufschlussreich oder schädlich sein wie wahrheitsgemäße Meldungen." Ob das nun Fälschung oder, freundlicher, Fiktion zu nennen ist - das Mittel erweist sich jedenfalls als wirksam und belegt, wie eng Agenten und Autoren seit jeher verwandt sind. Denn in beiden Metiers kann nur wirksam überzeugen, wer das Erfundene so plausibel macht, dass es dem Publikum wahrhaft erscheint. Auch Tweed und Trench müssen einfach nur mal Anzug oder Mantel sein dürfen.

In dieser Kunst ist William Boyd ein Könner. Seit mehr als zwei Jahrzehnten siedelt er seine Geschichten in einer Transitzone zwischen Fakten und Fiktionen an, bedient die Konvention des Dokugenres blendend und schmuggelt dabei gern auch dreiste Fälschungen ein. 1998 gelang ihm so ein veritabler Coup, als er die Biographie eines amerikanischen Malers publizierte, der nie existiert hat und doch so gut erfunden war, dass namhafte Leser glaubten, ihn gekannt zu haben. In seinem letzten Roman, "Eines Menschen Herz", erschienen vor zwei Jahren, erzählte Boyd von einer Art Forest-Gump-Figur der englischen Gesellschaft, die im zwanzigsten Jahrhundert immer genau dort zugegen war, wo jeweils die historische Entwicklung kulminierte.

Mit "Ruhelos" nun setzt er dieses Projekt fort; neben der - wirklich immens spannenden - Agentenhandlung aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt er vieles über die dramatischsten Momente jener Zeit, die durchweg aus verschobener Perspektive, als sähen wir sie von der Seitenbühne, eingefangen werden. Dazu erzählt er auch die Umstände der späteren Enthüllung, mehr als dreißig Jahre später, als die Tochter der Agentin unvermittelt mit der Vergangenheit der Mutter konfrontiert wird.

Dabei ist allerdings das Unimilieu der Siebziger, in dem diese Erzählerin zwischen dem wilden Hamburg und dem idyllischen Oxford pendelt, im Roman insgesamt reichlich flach geraten. Wie man ihm überhaupt vorhalten könnte, dass er allzu glatt und routiniert verfährt und sämtliche Pointen oder Cliffhanger nicht nur berechnend, sondern geradezu berechenbar einsetzt. Vom Geheimnisvollen im Geheimdienst bleibt hier am Ende wenig.

Das aber hieße verkennen, wie unverblümt der Autor nur das Outfit eines klassisch englischen Agententhrillers wählt und sich darin so perfekt präsentiert, als habe er es darauf abgesehen, gezielt Verdacht zu wecken. Das Offensichtliche ist für einen Erzähler, der sich anscheinend mühelos dem Genre anverwandelt, weniger Tarnung als vielmehr der Stoff, aus dem nun mal das Spionagewerk gemacht ist. Doch weil er uns mit solcherart Verwandlungs- und Verstellungskunst so raffinierte wie rasante Unterhaltung bietet, folgen wir willig seinen Tricks. Denn hier ist alles Ruhelose der Lektüre, die beständig Hintersinn und doppelte Bedeutung sucht, in hohem Maße lustvoll.

- William Boyd: "Ruhelos". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Chris Hirte. Berlin Verlag, Berlin 2007. 368 Seiten, geb., 22,- [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.01.2007

Der Spion, der zu sehr liebte
William Boyds „Ruhelos” ist ein Agenten-Thriller, ein zeitgeschichtlicher Roman und eine Existenz-Metapher
„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus”, dichteten die Romantiker. Denn fremd ist der Mensch auf der Welt. Zumindest solange er sich nicht einem anderen öffnen kann. Einsamkeit war deshalb eine Zentralvokabel der Romantiker. Der einsamste Mensch auf der Welt aber ist der Spion. Weil er sich immer verstellen muss, kann er sich niemandem mitteilen. Wenn Fremdheit die, wie man in den sechziger Jahren gesagt hätte, „Signatur” des Menschen ist, dann ist der Spion der menschliche Prototyp schlechthin. Er misstraut jedem und ist deshalb immer nur auf sich selbst gestellt. Aber ist Fremdheit überhaupt je überwindbar? Und umgekehrt: Kann man ohne Vertrauen leben?
Der englische Schriftsteller William Boyd hat einen Roman geschrieben, der davon erzählt, wie fremd und unbekannt uns selbst diejenigen sind, mit denen wir eng zusammenleben. Es ist ein Verlorenheits- und Verlassenheitsroman. Es ist ein Spionage-Thriller. Er erzählt auf seinem einen Erzählstrang die Geschichte der Eva Delektorskaja, die mit ihrer Familie vor der Revolution ihrer russischen Heimat geflohen ist und 1939 als junge Frau in Paris für den britischen Geheimdienst rekrutiert wird. Sie erhält eine Top-Ausbildung, an deren Ende ihr die oberste Devise „Vertraue niemandem!” in Fleisch und Blut übergegangen ist. Danach beginnt unter verschiedensten Falschnamen das einsame Leben der Eva Delektorskaja als Spionin.
Der zweite Erzählstrang spielt während des heißen Sommers 1976 in Oxford. Ruth Gilmartin beobachtet ihre Mutter Sally und muss seltsame Verhaltensweisen an ihr feststellen. Sie behauptet, sich verfolgt zu fühlen, sie nimmt mit ihrem Feldstecher den nahen Wald in den Blick und kauft sich ein Gewehr. Sind das Verrücktheiten, die mit dem Alter kommen? Doch dann drückt Sally ihrer Tochter ein Manuskript in die Hand. Es ist die Geschichte der Eva Delektorskaja. Denn Sally Gilmartin ist Eva Delektorskaja. So erfährt Ruth vom ruhelosen Leben ihrer Mutter als Spionin.
Erfundene Informationen
Die beiden Erzählstränge schaltet William Boyd in raschem Wechsel hintereinander, bis sie am Ende zusammengeführt sind. „Ruhelos” heißt der Roman, weil Eva/Sally ein Leben lang dazu verdammt ist, ihre Spuren zu verwischen. Zu den wichtigsten Verhaltensregeln, die Eva von ihrem Ausbilder und Führungsoffizier Lucas Romer lernt, gehört die, niemals zu den eigenen Kollegen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ausgerechnet in Bezug auf Romer bricht sie diese Regel: Eva und ihr Chef werden ein – natürlich geheimes – Liebespaar. Was immer das unter den Bedingungen totaler Konspiration bedeutet. „Mag sein, dass wir Geliebte sind, sagte sie sich, aber wir sind auch Spione, daher ist für uns alles anders, als es scheint.”
„Ruhelos” greift als Spionage-Thriller einen sehr interessanten, wenig beachteten zeithistorischen Umstand auf: nämliche die britischen Spionageaktivitäten in den USA, bevor diese in den Zweiten Weltkrieg eintraten. Seit 1939 kämpfte das britische Empire einsam und verlustreich gegen das überall seine Siege feiernde Deutschland. In diesem Kampf war Churchill dringend auf die Vereinigten Staaten als Verbündete angewiesen. Präsident Roosevelt wusste zwar, dass er sich aus dem vermeintlich europäischen Krieg nicht raushalten konnte, aber der Kongress und das amerikanische Volk waren in ihrer Mehrheit isolationistisch gestimmnt. In dieser Situation betreibt der Secret Service auf amerikanischem Boden gezielte Desinformationskampagnen, die in der amerikanischen Öffentlichkeit die Angst vor den Deutschen schüren sollen. So soll – und jetzt sind wir in der fiktiven Welt des Romans – den Behörden eine gefälschte Karte zugespielt werden, nach der die Deutschen angeblich den südamerikanischen Kontinent bereits in fünf neue Großgaue aufgeteilt hätten. „Die Deutschen stehen vor eurer Tür”, solle die Botschaft sein.
Doch als Eva Delektorskaja die besagte Karte in New Mexico einem Mittelsmann übergibt, läuft alles aus dem Ruder. Sie wird überwältigt und soll umgebracht werden. Nur mit viel Geschick entkommt sie ihrem Häscher. Doch eines ist klar: Es muss in den eigenen Reihen einen Verräter geben, ein „Gespenst”, einen Doppelagenten. Und als Eva ahnt, wer dieser Verräter ist, desertiert sie, denn sie weiß: Dieser wird nicht Ruhe geben, bis er sie zur Strecke gebracht hat.
William Boyd hat für „Ruhelos” den Costa Novel Award 2006 bekommen. Keine Frage: Der Roman ist hervorragend konstruiert. Aber vor lauter Konstruktion kommt er einem ein wenig leblos vor. Boyd arbeitet auch als Drehbuchautor. Wenn man „Ruhelos” liest, hat man manchmal das Gefühl, als warte alles darauf, dass einige große Schauspieler in die bereitliegenden, sorgfältig entworfenen, aber noch nicht mit Leben erfüllten Rollen schlüpfen. Wie Schachfiguren behandelt Boyd seine Figuren. Um ihre Motive zu verstehen, hängt er ihnen immer genau ein zeitgeschichtliches Requisit (RAF-Terrorist, Kommunist, Verfolgter des Schahregimes, Nazi-Opfer) an, aus dem heraus sie dann handeln. Für einen vollen Charakter ist das zu wenig. Die Figuren sind im Grunde Black Boxes. Das ist natürlich Programm. Dass wir ihnen kaum in die Köpfe schauen, soll das verhandelte Thema veranschaulichen: Wir kennen niemanden wirklich richtig, nicht unsere Mütter und schon gar nicht die Helden unserer Lektüren. . . Aber genau das wäre ja die Chance eines Romans: die Black Box zu lüften.
Für einen Thriller ist der Plot nicht nervenaufreibend genug, besonders die erste Romanhälfte plätschert so dahin, bevor das Verfolgungsdrama seinen rasanten Lauf nimmt. Aber der Roman will das Thriller-Genre ja nur benutzen, um etwas Umfassenderes über die condition humaine zu sagen. In dieser didaktischen Absicht liegt die Schwäche des Buchs. Die Spionage als Existenz-Metapher wird überdehnt, zumal das Gegengewicht, das Leben der Tochter, so auffallend blass und plakativ erzählt wird. Um Ruth eine Geschichte zu geben, wird ihre Biografie auf unentschlossene und konsequenzenlose Art hineingestellt in das Geschehen der deutschen 68er-Bewegung und das Aufkommen des RAF-Terrorismus. Das sind aber vor allem lose Enden, die wie Kostüm-Zitate wirken.
William Boyd ist einer der interessantesten englischen Erzähler. Bisher haben seine Bücher in Deutschland nicht das verdiente Echo gefunden. Das scheint sich nun mit „Ruhelos” zu ändern. Es ist ja auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Autor ausgerechnet mit einem seiner schwächeren Bücher den Durchbruch schafft. IJOMA MANGOLD
WILLIAM BOYD: Ruhelos. Roman. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Berlin Verlag, Berlin 2007. 366 Seiten, 22 Euro.
Über erfundene Pressemitteilungen versuchte der britische Geheimdienst die Stimmung der amerikanischen Öffentlichkeit zu beeinflussen: Roosevelt bei einer Radio-Ansprache. Darunter die fiktive Karte, die in Boyds Roman die Bedrohung durch die Deutschen ausmalt. Fotos: FDR Presidential Library/ Berlin Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieser Spionageroman sei eigentlich ein "Verlorenheits- und Verlassenheitsroman" findet Ijoma Mangold. Denn der Typus "Spion" werde darin als der "einsamste Mensch der Welt", also der "menschliche Prototyp schlechthin" beschrieben. William Boyd, für Mangold einer der "interessantesten englischen Schriftsteller", erzähle seine Geschichte auf zwei "rasch ineinander geschalteten" Zeitebenen - 1939 und 1976. Es gehe um die Geschichte einer britischen Agentin im Zweiten Weltkrieg, die auch Jahrzehnte später noch um ihr Leben zu fürchten scheint. Allerdings führt die ausgeklügelten Romankomposition beim Rezensenten schließlich zum Eindruck gewisser inhaltlicher Leblosigkeit, was ihn das Buch insgesamt als eher schwächeres Boyd-Werk einstufen lässt. Mit interessiertem Wohlgefallen folgt er Handlung und Protagonisten. So richtig vom Hocker hauen sie ihn nicht.

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