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Wer wäre geeigneter, über Fußball zu schreiben, als Péter Esterházy, der Schriftsteller und Friedenspreisträger 2004. Und wer könnte kompetenter über Fußball schreiben als der ehemalige aktive Spieler Péter Esterházy, Bruder des ungarischen Nationalspielers Márton Esterházy, der schon bei der WM 1986 dabei war?
Esterházy geht auf Forschungsreise durch unser Land, um die deutsche Fußballseele zu erkunden. Die rauen Ascheplätze der westdeutschen Provinz, das Schicksal des Dresdner BC Hartha (gegen den er vor Jahrzehnten noch selbst angetreten war) oder die schöne Existenz der Heidi Klum - all
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Produktbeschreibung
Wer wäre geeigneter, über Fußball zu schreiben, als Péter Esterházy, der Schriftsteller und Friedenspreisträger 2004. Und wer könnte kompetenter über Fußball schreiben als der ehemalige aktive Spieler Péter Esterházy, Bruder des ungarischen Nationalspielers Márton Esterházy, der schon bei der WM 1986 dabei war?

Esterházy geht auf Forschungsreise durch unser Land, um die deutsche Fußballseele zu erkunden. Die rauen Ascheplätze der westdeutschen Provinz, das Schicksal des Dresdner BC Hartha (gegen den er vor Jahrzehnten noch selbst angetreten war) oder die schöne Existenz der Heidi Klum - all dies entdeckt er mit fremden Augen und freundlicher Verwunderung. Und fügt deutsche Ordnungsliebe und die Leidenschaft der Fankurve, Biertrinker im Clubhaus und Taxi fahrende Fußballexperten zu einem funkelnden Kaleidoskop. 'Die Wirklichkeit', so seine unüberbietbar ironische Erkenntnis, 'ist meistens unglaublich.'
Autorenporträt
Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, wo er auch heute lebt, seit 1978 als freier Schriftsteller. 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet und 2012 mit dem Bremerhavener Jeanette-Schocken-Preis für Literatur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.06.2006

Und alle Gegner werden zu Bettlern
Aus dem riesigen WM-Bücherstapel gefischt: Drei Bücher, die die Fußballwelt noch schöner machen
Ein Würzburger Germanist hat nachgerechnet, dass in den vergangenen sechs Monaten in Deutschland mehr Bücher zum Thema Fußball erschienen sind als in den hundert Jahren zuvor. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber als WM-Buchbeauftragter war es in den vergangenen Wochen teils ein qualvolles Leben, quasi unter Tage, verloren in abseitigen Stapeln über die Geschichte der Abseitsstellung, in unwegsamen Stollen, wo sich Fußballsonette stapelten oder soziolinguistische Traktate. Drei Glücksmomente aber gab es, drei großartige Bücher zum Thema Fußball, drei Leseabende, an denen man den Bücherberg vergaß und die Pflicht und nur noch las und las und las und sich dann kurz einen Klotz Spinat schmolz, mitten in der Nacht, um nur möglichst schnell weiterlesen zu können.
Die Wunde von Bern
Gut, Péter Esterházy könnte wahrscheinlich über einen vergessenen Teppichklopfer schreiben, und es wäre immer noch wunderschön in seiner ironischen Melancholie. Aber Esterházy ist noch dazu vom Fach. „Ich wandelte mich nie zum Zuschauer, ich blieb immer ein Spieler. Sehe ich mir ein Spiel an, auch dann kann ich kein Zuschauer sein, ich bin immer innen dabei, innerhalb des grünen Gevierts und nicht irgendwie romantisch mir vorstellend, einer der Spieler zu sein.” Sowas sagen ja viele Fußballintellektuelle. Aber bei ihm stimmt es: Er hat seine Kindheit und Jugend auf ungarischen Wiesen und Staubplätzen verbracht. Und dann ist da sein jüngster Bruder, Marton, den Péter jahrelang auf dem Platz umhergescheucht hat. Marton langte es irgendwann, er ging und pubertierte erstmal ordnungsgemäß und ganz in Ruhe vor sich hin, mit langen Haaren, Joints und null Bock auf gar nichts. Als er dann doch mal wieder mitspielte, „da sahen wir, dass sich etwas verändert hatte, dass er auf einmal eine neue Kraft besaß. Und Großzügigkeit. Und Energie.”
Esterházys Bruder wurde ungarischer Nationalspieler. Esterházy wurde Schriftsteller. Ach was, er modellierte sich einen wunderbaren Weltwahrnehmungsrüssel, mit dem er seither aus den unscheinbarsten Dingen Nektar saugt, aus den durchgelaufenen Stiefeln seines Großonkels genauso wie aus Kreisligaspielplätzen in Ostdeutschland.
Im vergangenen Jahr brach Esterházy zu einer Deutschlandreise auf, mäanderte durch die Fußballprovinz, stand an vernieselten Spielfeldrändern und machte sich, während er in einem Vereinslokal Bierdeckel und Speisekarten durcheinander mischte, seine Gedanken über die „Wunde von Bern”, sein eigenes Leben und über deutsche Floskeln. Warum ist es für deutsche Mannschaften so wichtig, dass sie „Moral zeigen”? Und warum wird diese Moral vor allem nach der Niederlage betont? Warum geht es ihm in Deutschland so, dass er Türken als Türken und nicht als Deutsche sieht, während es in London anders ist: „Dort sah ich jeden als Londoner, Schwarze, Weiße, Inder, Pakistanis. (Auch den Pakistani, der die Metro in die Luft fliegen ließ).” Und immer wieder: Spiele anschauen. Aber nicht connaisseurhaft verplaudert, sondern mit Schmackes und Emphase: „Sandor Márai sagt es vom Lesen, ich vom Zuschauen: mit Kraft lesen. Ein Match ansehen. Zuweilen mit mehr Kraft zuschauen, als das Spiel gespielt wird. Ein Spieler kann geschwätzig spielen. Doch du schaue wortkarg zu.” Oh, Péter Esterházy, du wunderbarster, reichster aller europäischen Romanautoren, wie schön, dass Du als Kind so gerne Fußball spieltest.
Dann ein kleiner Suhrkampband. Naja, denkt man, kann ich gleich weglegen, brasilianische Kolumnen aus den Fünfzigern, wollte der Frankfurter Großverlag eben auch irgendwie mitmischen. Aber dann springen einen die Metaphern an, dass man nachts um zwei lauthals lacht und die Wollmäuse unterm Sofa erschreckt: „Nie war sein Lachen so breit gewesen, nie sein Mund so weit aufgerissen wie in jenem Moment, er war gedehnt wie ein Muttermund bei der Geburt.” Wer schreibt denn sowas über einen Masseur? Und dann noch 1956?
Nelson Rodrigues gilt heute als wichtigster brasilianischer Theaterautor des 20. Jahrhunderts. In seinen Erinnerungen schrieb er mal über die Anfänge seine Schriftstellerkarriere als 13-Jähriger bei einer Tageszeitung in Rio: „Nach einem Jahr als Polizeireporter hat man die Erfahrungen eines Balzac. Nach sechs Monaten glaubte ich, alle Abgründe der menschlichen Seele zu kennen.” Rodrigues hatte drei Jahrzehnte lang in der Zeitung O Globo eine tägliche Fußball-Kolumne. Der Suhrkamp-Verlag hat eine Auswahl aus diesen leidenschaftlichen Texten herausgebracht. Man bekommt hier den Beginn mit, den Beginn des brasilianischen Traums. Live. In der 3. Minute der Partie gegen Russland. 1958, in Schweden, der krummbeinige Garrincha ist durch die brasilianische Abwehr gefegt: „Nach zwei Minuten hatten die Russen zwei Bälle am Pfosten und einen im Netz. Und über ganz Brasilien begann sich das Gefühl auszubreiten, dass es großartig ist, Brasilianer zu sein.”
Genau da gehörst du hin
Rodrigues zufolge galt Brasilien damals als trauriges, hässliches Land. Mehrfach beschreibt er in den Texten aus den Fünfzigern sein Land als schmutzverloren, ranzig, öd und melancholieverhangen. Und es kommt einem kurz die Idee, was Brasilien ohne seine fünf Weltmeistertitel wäre. Würde man es beschreiben wie eine Art südamerikanischen Kongo? Die Brutalität in den Städten, die Totalverwüstung des Amazonasurwalds . . . Aber nein, Brasilien ist seither der gelbgrüne Traum vom anderen Leben, von Sex und Samba und getanztem Fußball. Und hier hat er seinen Anfang, bei Garrincha mit den Krüppelbeinen und bei Pele, dem 17-jährigen Sonnenkönig, der 1958 alle Gegner zu Bettlern machte: „Wenn er den Ball annimmt, wenn er einen Gegner umdribbelt, dann ist das so, als würde er einen tölpelhaften und verlausten Plebejer verscheuchen.” Ähnlich wie Esterházy kann Rodrigues Spiele von innen sehen und beschreiben. Noch auf dem Totenbett, 1980, verfolgte er die Spiele um die Meisterschaft und diktierte seinem Sohn mit versiegender Stimme einige Kolumnen.
Ungefähr zur selben Zeit, Anfang der Achtziger, spielen im Norden Brasiliens, irgendwo an der Grenze zwischen menschengemachter staubroter Verwüstung und grüner, feuchter Urwaldwildnis ein paar Holzfällerkinder Fußball. Einer von ihnen hat keine Lust mehr und geht, ähnlich wie Esterházys Bruder Marton, einfach davon. Er läuft in den Urwald und kommt auf eine Lichtung, auf der ein altes Tor steht. Aus dem Dunkel der Bäume tritt ein Schatten, eine geheimnisvolle Gestalt, die auf das Tor zeigt und zu dem Jungen sagt: „Da. Dein Platz. Da gehörst du hin.” - Zwanzig Jahre später erzählt El Gato, der größte Torwart seiner Zeit, der Held der brasilianischen Nationalmannschaft, der am Tag zuvor die Weltmeisterschaft entschieden hat, einem befreundeten Journalisten seine Lebensgeschichte.
„Keeper”, den Entwicklungsroman des Engländers Mal Peet, ein Jugendbuch zu nennen, wäre deshalb jammerschade, weil dann die meisten wieder denken: Och so, was für Kinder. Es ist aber von all den Fußballbüchern, die in unserer Redaktion auf den Schreibtischen wucherten, das packendste, das mit dem Klotz Spinat um zwei Uhr nachts, ungeduldig geschmolzen, weil doch gleich das Elfmeterschießen beginnt . . . Peets und sein Towart erzählen davon, wie einer in der Einsamkeit des Urwalds zu einem instinktiven Genie heranreift. Wie einer Spiele lesen kann. Und am Ende, als dann auch noch herauskam, wer der geheimnisvolle Schatten, der unnahbare Lehrer und Freund des Jungen war, da haben sogar die Wollmäuse perplex geschwiegen.
ALEX RÜHLE
PETER ESTERHAZY: Deutschlandreise im Strafraum. Aus dem Ungarischen von György Buda. Berlin Verlag, Berlin 2006. 185 Seiten, 12,90 Euro.
NELSON RODRIGUES: Goooooool! Aus dem Brasilianischen von Henry Thorau. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 2006. 176 Seiten, 7 Euro.
MAL PEET: Keeper. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Carlsen-Verlag, Hamburg 2006. 224 Seiten, 14 Euro.
Das sind Pele und Garrincha, allerdings nicht 1958, als sie gemeinsam im kalten Schweden aus dem südamerikanischen Entwicklungsland Brasilien eine Fata Morgana des Weltfußballs machten. Sondern 1981, als Pele längst zum beckenbauerschen Einmannunternehmen auf- und Garrincha zum trinkenden Sportinvaliden abgestiegen war. Zwei Jahre später starb er an einer Alkoholvergiftung. Er hinterließ 14 uneheliche Kinder. Foto: Imago
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Die prominente Familie des ungarischen Schriftstellers Peter Esterhazy habe sich nicht nur auf dem Schlachtfeld sowie durch Alter und Adel ausgezeichnet, sondern ebenso auf dem Fußballfeld, informiert uns Rezensent Peter Schneider. Spekulation müsse bleiben, ob der Verlust der gesellschaftlichen Klasse durch den Kommunismus die männlichen Esterhazys auf den Rasen und in die Stadien trieb. In jedem Fall habe man es bei der Lektüre auch immer mit einer Umdeutung des Spieles in der Schweizer Hauptstadt anno 1954 zu tun, die der Autor charmant zugunsten der Ungarn betreibe. Obwohl der Rezensent ein "Fußballmuffel" ist und Menschenmassen fürchtet, haben ihm die Ausführungen über kollektive Begeisterungsstürme eingeleuchtet. Auch die "literarischen Dribblings", zum Beispiel über den Platzwart, den alternden Fußballer oder den berühmten Bruder und Nationalspieler Marton Esterhazy, befindet er für gelungen und unterhaltsam.

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"Der wunderbarste aller europäischen Romanautoren." (Süddeutsche Zeitung)