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Hymne an die Freundschaft zweier Jugendlicher. Sie leben in Karatschi, kennen sich, seit sie denken können, und beginnen sich zu lieben, als sie aufhören zu denken.

Produktbeschreibung
Hymne an die Freundschaft zweier Jugendlicher. Sie leben in Karatschi, kennen sich, seit sie denken können, und beginnen sich zu lieben, als sie aufhören zu denken.
Autorenporträt
Kamila Shamsie, geb. 1973 in Pakistan, lebt in London und Karatschi. Sie hat mehrere Romane veröffentlicht. Für ihr literarisches Werk erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Eine "komplizierte Geschichte" hat sich Kamila Shamsie für ihr neues Buch ausgesucht, und dennoch gelingt es ihr, diese mit "großer Leichtigkeit" zu erzählen, lobt Rezensentin Katharina Granzin. Aber die wahre Bedeutung des Romans, der eine Liebesgeschichte in Pakistan erzählt, liege woanders. Shamsie habe es geschafft, den weißen Fleck Pakistan auf der "literarischen Landkarte" verschwinden zu lassen, denn dank ihres Buches und ihrer persönlichen Liebesgeschichte zwischen ihr und "ihrer" Stadt Karatschi sei dieses Land ins westliche Lesebewusstsein vorgedrungen. Da macht es der Rezensentin auch nicht allzu viel aus, dass sich die Autorin mit der "titelgebenden Metapher" Kartographie "wahrscheinlich etwas zu viel" vorgenommen hat. Denn die "große Lovestory" wirke mitunter "recht papieren" und die "betonte mentale Beschränktheit" der weiblichen Hauptperson häufig sehr "gezwungen".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2004

Vor oder nach der Radkappe?
Verschlossene Gegenwart: Kamila Shamsie kartographiert Karachi

Pfirsiche, die sich mühelos in zwei Hälften brechen lassen, der Lärm des Verkehrs, Schildkrötenspuren am Strand gehören zu einer Kindheit in Karachi. Die junge pakistanische Autorin Kamila Shamsie erzählt in ihrem ersten auf deutsch erschienenen Roman von nächtlichen Ausgangssperren, von der Millionenstadt am Arabischen Meer, in der sie selbst aufgewachsen ist. Sie gehört zu den südasiatischen Intellektuellen, die ihr Leben zwischen ihrer Heimat und dem westlichen Ausland verbringen. Shamsie lebt und arbeitet in London und New York und verbringt Teile des Jahres in Karachi. Das Industriezentrum Pakistans mit seinem wilden Bevölkerungswachstum und den sozialen Gegensätzen kam bereits in ihren Büchern "In the City by the Sea" und "Salt and Saffron" zur Sprache. In ihrem eindrucksvollen dritten Roman "Kartographie" wird die Stadt zum Symbol.

Staub, Abfall und Schlaglöcher, die Bettler ohne Gliedmaßen an den Straßenrändern nimmt die zunächst dreizehnjährige Protagonistin kaum wahr, denn sie lebt in der scheinbar abgeschlossenen Welt eines Villenvorortes in jenen gehobenen Kreisen, denen ihre Eltern angehören. Raheen trifft ihre Freunde am Strand oder im Club und verbringt die meiste Zeit mit Karim, ihrem Kindheitsgefährten, der ihre Gedanken kennt und dessen angefangene Sätze sie zu Ende sprechen kann. Shamsie schildert einen spätkindlichen Zustand der Zufriedenheit, der durch zweierlei irritiert wird. Politische Unruhen bewegen die Eltern, die Kinder aufs Land zu schicken. Dort denken sie über ihre Familien nach, denn die Eltern tauschten kurz vor der Hochzeit die Partner. Die Verflechtung von Politik und Familiengeschichte deutet sich aber zunächst nur an, da die Autorin bemüht ist, den Abstand von erzählendem und erlebendem Ich gering zu halten. So ist der erste Teil des Romans vom begrenzten Horizont einer Heranwachsenden geprägt. Erst im Lauf des Entwicklungsgangs gewinnt er an Facetten.

Raketenwerfer in Boat Basin. Bewaffnete Männer kidnappen zwei Gemüsehändler. Mehrere Menschen werden aus einem fahrenden Auto heraus erschossen, Passanten werden ebenfalls getötet. Die seit Mitte der Achtziger anhaltenden Unruhen bilden den Hintergrund des Romans, sozial, ethnisch und religiös bedingte Ausschreitungen, die wenig später bürgerkriegsähnliche Züge annehmen. Karachi ist seit der Gründung Pakistans 1947 eine Einwandererstadt, denn nach der Teilung Britisch-Indiens in das mehrheitlich hinduistische Indien und den die muslimischen Gebiete umfassenden Staat Pakistan strömten indische Muslime, Mohajirs, in die Stadt. Im Lauf der Jahre folgten ihnen weitere Gruppen: Panjabi, Pathanen, Belutschen, afghanische Flüchtlinge. Die Spannungen kulminieren in der Regierungszeit Benazir Bhuttos. Dies ist die Gegenwart, von der sich die junge Raheen abzuschirmen sucht.

Karim, der Freund, zwingt sie zum Hinsehen. Er verläßt früh die Welt der Unruhen und Upper-Class-Parties und siedelt mit seinen Eltern nach London über. Der Weg zum Flughafen, durch abendliche Monsunschauer und tiefe Pfützen beendet die gemeinsame Kindheit. Eine Liebesgeschichte beginnt, die den Leser schon mal einige Seiten schneller blättern läßt. Die Distanz macht es fortan unmöglich, wie selbstverständlich in Sprachspielen zu sprechen. Und daß die scheinbar füreinander Bestimmten sich entgegengesetzt entwickeln, zeigt sich im Verhältnis zu ihrer Stadt. Karim will Kartograph werden und zeichnet in der Ferne eine exakte Karte des verschlungenen Karachi. Der Plan soll Schneisen in das städtische Dickicht schlagen. Raheen verwahrt sich gegen die Verwendung von genauen Bezeichnungen. Für sie stellt sich in ortsüblicher Manier die Frage: "Links nach der Stelle, wo die Ziegen die Antenne gefressen haben, dann rechts - vor oder nach der Radkappe?" Sie betont das quecksilbrige Leben der Stadt, ein Durcheinander, in dem Granatäpfel zu Pyramiden gestapelt werden, Männer sich in neongekachelten Cafés mit ihren Teetassen drängen, grell bemalte Busse vorbeifahren.

Nicht nur Karims westlicher Blick und sein Hang zur Abstraktion stehen zwischen den Liebenden. Es ist vor allem die Familie und mit ihr die Geschichte des Landes. Rückblenden ins Jahr 1971 lösen die Andeutungen auf. Der Vater der Protagonistin hatte ursprünglich Karims Mutter heiraten wollen, eine Bengalin. Doch ihre Verlobung fällt in die Zeit des blutig nationalen Umbruchs. Die weit voneinander entfernt liegenden Landesteile West- und Ostpakistan gerieten zunehmend in Spannung. Unter Mitwirkung Indiens löste sich der östliche Landesteil und erklärte sich unter blutigen Umständen zum Staat Bangladesh. Die Gefühle des jungen Mannes hielten 1971 dem Wissen um die von beiden Seiten verübten Greueltaten nicht stand.

Raheen sträubt sich, die Realitäten wahrzunehmen, die moralische Schwäche des Vaters anzuerkennen. So steht das Vergangene der Gegenwart im Weg. Das gilt auch für ihr Verhältnis zu Karim. Bei einem ersehnten Wiedersehen in Karachi streiten sie schon im Auto, auf der Fahrt ans Meer. Im übertragenen Sinne gilt das auch für die pakistanische Gesellschaft. Denn die Autorin beklagt die mangelnde Beschäftigung mit der eigenen Geschichte. Die fehlende Bereitschaft, aus Konflikten zu lernen, begünstigt aus ihrer Sicht die Unruhen der jüngsten Zeit. Die Parallelführung von Raheens Entwicklung und der Geschichte des Landes ist von der einunddreißigjährigen Autorin gut gedacht. Weniger überzeugend gerät allerdings manches Mal die technische Umsetzung mit ihren abrupten Rückblenden in die Vergangenheit und ins Innere von Figuren, die im Rahmen einer Ich-Erzählung wenig elegant wirken.

Das historische Interesse der Autorin ist nicht ungewöhnlich in der Literatur eines Landes mit einer jungen und wechselvollen postkolonialen Geschichte. Die pakistanische Literatur nimmt sich vergleichbarer Themen ebenso an wie die englischsprachige indische Literatur. Wie die Vertreter der bei uns im Westen bekannteren Nachbarliteratur stehen Autorinnen wie Kamila Shamsie mit ihren verschiedenen Lebensschwerpunkten und ihrer Sozialisation, die westliches Kulturgut selbstverständlich umfassen und die eigenen Wurzeln nicht verleugnen will, zwischen den Welten. Shamsie rückt die Spannungen, die sich daraus ergeben, nicht in den Mittelpunkt, sondern verhandelt das Thema unaufdringlich am Rande. Ein Internetprojekt deutet die Verbindung von Ordnungsdenken und östlicher Lebensfülle an: Karachi könnte, so schlägt Karim vor, interaktiv kartiert werden. Die Karte wandelt sich mit einem Klick, und schon man sieht das belebte Bild einer Gasse, zoomt ein Blatt oder einen Felsen heran. Mit einem weiteren Klick hört man ein Gedicht. Verschiedene Sprachen und Dialekte stehen zur Wahl.

Karachi, die Stadt, um die sich alles dreht, der Mittelpunkt des Romans, der geschickt die verschiedenen Erzählstränge verbindet, die Stadt mit ihrer Luftverschmutzung, die einem den Atem nimmt und gewaltige Sonnenuntergänge hervorzaubert, führt die erwachsene Protagonistin zu der Einsicht: Nicht nur eine Stadt hat Abgründe, ist gebrochen, als Heimat Ort der Freundschaft und der Gewalt. Das Strahlende weicht auch sonst dem Dunst und der Dunkelheit, bevor es wieder etwas heller wird.

SANDRA KERSCHBAUMER

Kamila Shamsie: "Kartographie". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Anette Grube. Berlin Verlag, Berlin 2004. 412 S., geb., 24,- [Euro].

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"Eine ungestüme Liebeserklärung an ihre Heimatstadt Karatschi. Das politische Chaos von Pakistan ist ein knisternder Hintergrund." (The Times, London)