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"Ich wußte sofort, worum es sich handelte. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Rasch legte ich meine Hand auf den Tisch, weil sie zu zittern begann ... Als ich das Dossier öffnete, hatte ich sofort die Handschrift meines Vaters erkannt." So beginnt Verbesserte Ausgabe, so beginnt eine Tragödie, deren Veröffentlichung in Ungarn große Betroffenheit auslöste. Kurz vor Abschluss seiner Harmonia Cælestis war Esterházys Antrag auf Akteneinsicht beim "Amt für Geschichte" - dem ungarischen Pendant zur Gauck-Behörde - bewilligt worden. Aber statt einer Stasi-Akte über ihn und seine Familie werden…mehr

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Produktbeschreibung
"Ich wußte sofort, worum es sich handelte. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Rasch legte ich meine Hand auf den Tisch, weil sie zu zittern begann ... Als ich das Dossier öffnete, hatte ich sofort die Handschrift meines Vaters erkannt." So beginnt Verbesserte Ausgabe, so beginnt eine Tragödie, deren Veröffentlichung in Ungarn große Betroffenheit auslöste. Kurz vor Abschluss seiner Harmonia Cælestis war Esterházys Antrag auf Akteneinsicht beim "Amt für Geschichte" - dem ungarischen Pendant zur Gauck-Behörde - bewilligt worden. Aber statt einer Stasi-Akte über ihn und seine Familie werden ihm vier vergilbte Agentendossiers vorgelegt, in denen er die Handschrift seines Vaters Mátyás erkennt: unter dem Decknamen "Csanádi" hatte dieser von 1957 bis 1980 regelmäßig als inoffizieller Mitarbeiter an die ungarische Geheimpolizei berichtet.

Für den Autor bricht eine Welt zusammen - denn mit Harmonia Cælestis, dem weltweit gefeierten "Familienroman", hatte er seinem geliebten Vater ein literarisches Denkmal errichtet.

In Verbesserte Ausgabe macht Esterházy zahlreiche Passagen aus den Berichten seines Vaters an die berüchtigte "Abteilung III/III" der ungarischen Stasi zugänglich. Neben die dokumentarischen Auszüge treten Zitate aus Harmonia Cælestis, deren "Wahrheit" er an dem neuen Befund misst, und Tagebuchaufzeichnungen seit der Zeit der Enthüllung - anrührende Notate voller Scham und Schmerz, in denen er

seinen Vater betrauert und bedauert, aber nie freispricht von Schuld.
Autorenporträt
Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, wo er auch heute lebt, seit 1978 als freier Schriftsteller. 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet und 2012 mit dem Bremerhavener Jeanette-Schocken-Preis für Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2004

Wenn Agenten Weisheit fordern
Protokoll eines Verrats: Péter Esterházy retuschiert sein Vaterbild

Über "Optimale binäre Suchbäume" hat Péter Esterházy seine Diplomarbeit geschrieben. War das ein Modellversuch für sein späteres literarisches Werk? Denn diese mathematischen Gebilde sehen nicht nur den Stammbäumen ähnlich, sondern man spricht auch von "Vätern", die vorhergehen, und von "Söhnen", die folgen. Wer, wie Esterházy, von seiner weitverzweigten, mit der ungarischen, ja der gesamteuropäischen Geschichte immer wieder verflochtenen Familie erzählt, konnte nichts Besseres tun, als zunächst einmal logisch und formal an die Sache heranzugehen.

Der umfangreiche Roman "Harmonia Caelestis", vor drei Jahren erschienen, brachte die anekdotenreiche, detail- und sprachversessene Auffüllung des Schemas durch die Geschichte (F.A.Z. vom 9. Oktober 2001). Und der Vater des Schriftstellers, Máthias Esterházy, stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des liebenswürdigen Porträtisten. Nun ist, wer etwas auf sich hält, nie ganz frei von genealogischen Interessen. Auch die Demokratie, die von angeborenen Rangunterschieden so gar nichts wissen will, beurteilt Menschen spontan nach ihrer Herkunft. Es ist, als gäbe es hinter der egalitären Fassade der Moderne noch immer andere Kriterien, nach denen gleichsam naturwüchsig geurteilt wird. Um so mehr gilt das für die Aristokratie: Der längere Stammbaum bedeutet zugleich die höhere Legitimität.

Und nun war es das Hauptmotiv von Esterházys Roman, die Geschicke dieser aristokratischen Welt Ost- und Mitteleuropas in der Epoche zu schildern, die sich daranmachte, mit der bisherigen herrschenden Schicht radikal aufzuräumen. Brachte der Erste Weltkrieg für diesen Raum das Ende der Monarchien, so war nach dem Zweiten auch das Schicksal des Adels und des Bürgertums besiegelt. Wer, wie der Vater von Péter Esterházy, im Herrschaftsbereich des Kommunismus blieb, der führte eine doppelte, in sich ironische Existenz, bei der sich zwischen dem eigenen Wissen und dem, was zu sagen erlaubt war, ein ungeheurer Abstand auftat. Die liebenswürdig-melancholischen Seiten dieses Lebens also schilderte das Buch "Harmonia Caelestis".

Kein Zweifel, daß es nach Umfang und Anspruch ein Unternehmen war, das große schriftstellerische Kraft erforderte. Aber man bemerkte damals auch, daß dem Buch eine Zentrierung fehlte, daß es manchmal in der Überfülle seiner Anekdoten und im Reichtum seines Sprachwitzes eine gefährliche Schlagseite bekam. Was man damals nicht wußte, war, daß die nicht mehr ironische Nemesis Esterházy schon erreicht hatte, als er dabei war, das Buch abzuschließen. Denn sein Vater, auf dessen mit der milden Pietät des Sohnes gezeichnetes Bild der Roman zulief, hatte für die ungarische Staatssicherheit gearbeitet. Und Esterházy selbst gesteht nun zu, daß es eine "softe Lesart" der "Harmonia Caelestis" gab und daß er manchmal eine "strengere Konfrontation" versäumt habe.

Der Schock hätte nicht größer sein können - vor allem deshalb, weil Esterházy nun bemerkte, daß er schon im Roman, wo er über beiläufige Äußerungen seines Vaters berichtete, nah an der Wahrheit war. Einmal führten beide ein Gespräch, das auf einen Verräter kam - und der Vater wollte von dem Begriff partout nichts hören. Einmal notierte Péter Esterházy selbst "Lüge und Verrat", ohne doch das wirkliche Ausmaß zu ahnen. "Verbesserte Ausgabe" berichtet davon, wie der Autor die Akten findet, wie er sie exzerpiert und was er dabei empfindet.

Wenn der erste Schock die Tatsache des Verrats war, der selbst Nahestehende nicht ausnahm, dann muß die zweite Kränkung darin bestanden haben, die grauenvolle Mediokrität der Berichte zu erkennen. "Ich suchte die Genannte in ihrem Tabakladen in der Üllöi-Straße auf, sie zeigte mir voller Freude die Ansichtskarte ihres Sohnes, die er am Wörthersee in Gesellschaft einer Dame namens Riki geschrieben hatte." Andere Observierte haben ausgefallenere Interessen: "Agent erklärte S. auf dessen Frage, er interessiere sich für das philosophische System der Anthroposophie, habe aber kein näheres Material zur Verfügung. Wir stellen dem Agenten Material über die obige ,Weisheit' zur Verfügung, das er zur Information für seine Arbeit nutzt." Oder, über eine zu beobachtende Gruppe: "Mir fiel auf, daß sie Wein tranken, obgleich sie sonst nur Kaffee zu trinken pflegen."

Schlimmer als der Verrat selbst, der im übrigen auch operativ ernsthaftere Aspekte hatte, wo es um die Ausspähung der Ungarn-Emigranten in Wien ging, muß dem Sohn der Klassenverrat des Aristokraten erscheinen, und es sind die sympathischsten Stellen, wo Péter Esterházy dieser Reaktion nachgibt: "Dienen ist etwas Großes, servil zu sein ist unmenschlich. Das war der schräge Sieg des Kadarismus, diese Servilität. Diese Servilität verbreitete mein Vater, und das ist sein großes Vergehen. - Es ist nur zur Hälfte wahr. Er verbreitete sie nicht. Er selbst war diese Servilität." Nicht einmal ein finsterer Glanz fällt auf den Vater. Nur ab und zu registriert der Autor verwundert, welche Ähnlichkeit zwischen ihnen sichtbar wird: in der ausnehmend schönen Handschrift, in gewissen schriftstellerischen Eigenheiten der kaum merklichen Distanzierung.

Ein gutes Buch also. Dennoch: Es fehlt ihm etwas, das zur zeitgeschichtlichen und biographischen, befindlichkeitprotokollierenden Ausführlichkeit ein gedankliches Gegengewicht bilden könnte. Die Überlegungen zu Judas, die sich auf den ersten Seiten finden, sind dafür bezeichnend. Esterházy zitiert den etwas plakativen Tiefsinn von Walter Jens, der in Judas einen notwendigen Rebellen sah, auch die Bibel wird herangezogen - und doch will eine prägnante Idee zur Figur des größten Verräters sich nicht einstellen. Esterházy kann erzählen. Aber es ist kein intellektualistisches Vorurteil, das von einem großen Schriftsteller auch eine durchdachte Theorie seiner Gegenstände verlangt.

LORENZ JÄGER

Péter Esterházy: "Verbesserte Ausgabe". Aus dem Ungarischen übersetzt von Hans Skirecki. Berlin Verlag, Berlin 2003. 372 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Verbesserte Ausgabe" ist nicht eigentlich eine verbesserte Ausgabe von Peter Esterhazys Hauptwerk "Harmonia Coelestis", sondern ein Nachtrag. Kurz vor Beendigung des Romans nämlich, für den der Autor allseits gerühmt wurde, stellte sich heraus, dass sein Vater, das Zentrum des vielstimmigen und genealogisch sehr viel tiefer reichenden Werks, für die ungarische Staatssicherheit gearbeitet hatte. Mit dem nun vorliegenden Buch verarbeitet Esterhazy diesen Schock, der ein mehrfacher ist. Zur schlichten Tatsache des Verrats kommt die bei der Lektüre der Akten sich einstellende Erkenntnis der entwürdigenden Banalität der mitgeteilten Privatsachen auch aus dem engsten Freundeskreis, die Erkenntnis der aus seinen Berichten sprechenden "Servilität" des Vaters. Der Rezensent Lorenz Jäger lobt "Verbesserte Ausgabe" als "gutes Buch", jedoch nicht ohne Vorbehalt: Bedauerlicherweise fehle es Esterhazy, der fraglos ein großer Erzähler sei, an der gedanklichen Tiefe, die zur Durchdringung des Ganzen denn doch dazugehören sollte.

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