Marktplatzangebote
48 Angebote ab € 1,00 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Das Scheitern einer Ehe ist oftmals eine langsame, eine schleichende Angelegenheit. In Zeruya Shalevs neuem Roman, Späte Familie , beschließt eine Frau, diesem quälenden Prozess, der einer allmählichen Vergiftung gleicht, ein jähes Ende zu setzen. Von einem Tag auf den anderen beschließt sie, sich von ihrem Mann zu trennen, und bittet ihn, die Wohnung zu verlassen. Sie bleibt zurück mit ihrem gemeinsamen Kind ... und gerät übers Grübeln ins Zweifeln. Dies ist der Roman einer Krise. Einer Krise, die die Heldin — eine selbständige, selbstbewusste Frau — wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Das Scheitern einer Ehe ist oftmals eine langsame, eine schleichende Angelegenheit. In Zeruya Shalevs neuem Roman, Späte Familie, beschließt eine Frau, diesem quälenden Prozess, der einer allmählichen Vergiftung gleicht, ein jähes Ende zu setzen. Von einem Tag auf den anderen beschließt sie, sich von ihrem Mann zu trennen, und bittet ihn, die Wohnung zu verlassen. Sie bleibt zurück mit ihrem gemeinsamen Kind ... und gerät übers Grübeln ins Zweifeln.
Dies ist der Roman einer Krise. Einer Krise, die die Heldin — eine selbständige, selbstbewusste Frau — wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel trifft. Die lang ersehnte Freiheit schien nun endlich da zu sein — stattdessen findet sie sich konfrontiert mit einer lähmenden Angst vor der großen Einsamkeit, mit Depressionen und dem furchtbaren Gefühl, ihrem Kind den Vater, die Familie genommen zu haben. Aufrührend auch die Erkenntnis, dass man einen Menschen, mit dem einen das eigene Kind verbindet, nie wirklich verlassen kann. Die Fäden des gemeinsamen Schicksals bleiben auf immer verknüpft. Eine neue Liebe bringt wiederum neue Kinder aus einer geschiedenen Ehe mit sich — und so setzt sich für die mutige Protagonistin eine „späte“ Familie zusammen, ein höchst kompliziertes Gebilde, auf dem viele Hoffnungen ruhen und das dennoch auf lange Zeit eine empfindsame, zarte Pflanze bleibt, deren Überleben keinesfalls gesichert ist.
Zeruya Shalevs neuer Roman kreist um den Zerfall einer Ehe, um die dramatische und doch erneuernde Krise, die dieser Prozess auslöst — und schließlich um die neue, die „späte“ Familie, die als hoffnungsvolle Möglichkeit aus ihr hervorgeht.
Autorenporträt
Shalev, Zeruya
Zeruya Shalev, 1959 in einem Kibbuz am See Genezareth geboren, studierte Bibelwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Jerusalem. Ihre vielfach ausgezeichnete Trilogie über die moderne Liebe - «Liebesleben», «Mann und Frau», «Späte Familie» - wurde in über zwanzig Sprachen übertragen. Zeruya Shalev gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2005

Szenen einer Ehe
Geballte Kraft: Zeruya Shalevs Roman "Späte Familie"

Und wieder prallen Feuer und Eiseskälte, Verzückung und Verstörung, Erschütterung und Entzauberung zusammen. "Späte Familie", der neue Roman der israelischen Autorin Zeruya Shalev, ist das Dokument eines erregten Herzens im Kampf mit dem kalten Verstand sowie des krisenhaften Versuchs einer Frau, beides miteinander zu versöhnen. Mit diesem dritten Roman über die moderne Liebe schließt Zeruya Shalev ihre Trilogie ab, die mit "Liebesleben" (2000) den Auftakt zum internationalen Durchbruch gesetzt und den Erfolg ein Jahr später mit "Mann und Frau" bestätigt hatte. Immer ging es Zeruya Shalev dabei um das Einfachste und Schwierigste überhaupt: um die Ergründung des Rätsels, was denn Mann und Frau im Innersten zusammenhält und warum die Sprache des Körpers zuallerletzt die Sprache des Verstandes triumphal auslöscht.

Ihr eigenes Leben kennt alle Abgründe und Höhenflüge. Die sechsundvierzigjährige Schriftstellerin, die im Kibbuz Kinneret in Galiläa geboren wurde, Bibelwissenschaften studierte und als Lektorin im Keshet Verlag arbeitete, ist heute in dritter Ehe mit dem israelischen Autor Eyal Megged verheiratet. Aus zweiter Ehe hat sie eine Tochter, aus dritter einen Sohn. Im Januar 2004 wurde sie unweit ihres Hauses durch ein Selbstmordattentat schwer verletzt, als ein Bus neben ihr explodierte und neun Menschen dabei starben. "Späte Familie" blendet den Vorfall aus, verschreibt sich dafür mit frappierender Radikalität der Recherche über den Zerfall einer Ehe und dem Finden einer neuen Liebe.

Der existentielle Bruch mit dem alten Leben klafft gleich zu Beginn auf. Ella, eine erfolgreiche Archäologin, beschließt jäh, dem schleichenden Zersetzungsprozeß ihrer Ehe ein Ende zu setzen. Sie will ein anderes, ein neues Leben. Sie hat die Nase voll von den Ansprüchen, Wehleidigkeiten, Beschwerden und Unfähigkeiten ihres Mannes Amnon. Daß er sich nie ändern wird, daß sich ihr gemeinsames Leben nie ändern wird, daß sie aufgehört hat, ihn zu lieben, daß sie ihn nicht einmal mehr achtet, all das wird ihr schlagartig bewußt und bricht als wilde Anklage aus. "Es reicht, Amnon", schreit sie, "ich will dich nicht mehr, kapierst du das nicht?" Die Banalität und Schrecklichkeit der Sätze, die sie ihm entgegenschleudert, sind das eine. Der Schwall lang unterdrückter Gefühle von Kälte, Distanz, Ohnmacht und einer grenzenlosen Fremdheit, der sich nun seinen Weg bricht, ist das andere.

Was den Leser in Bann schlägt, ist allerdings die Art, wie die Autorin die prekären Inhalte in Sprache umsetzt. Die geballte Kraft, mit der ihre Romanheldin voranschreitet, übersetzt sich in einen atemlos hervorgepreßten Wortschwall, der bis zur letzten Seite nicht an Macht verliert. Dabei schreibt Zeruya Shalev gleichzeitig impulsiv und gebändigt: impulsiv, indem sie die Gefühlslage von Ella in immer neuen verbalen Attacken ausreizt, gebändigt, indem sie diese Ausschweifungen gleichzeitig mit kühlen Reflexionen zum Stand der Beziehung durchsetzt. Gewiß, man könnte hier einwenden, daß bei aller Atemlosigkeit die immer gleiche Lautstärke und das immer gleiche Tempo die Dramaturgie über sechshundert Seiten hin doch erheblich einebnen. Diesem Prozeß stellt sich jedoch die Genauigkeit entgegen, mit der die Autorin vorgeht. Alle Sehnsüchte und Verletzungen, alle Träume und Illusionen, die das Paar im Laufe der Trennung heimsuchen, werden in ihren feinsten Schattierungen analysiert. Man beobachte nur einmal, mit welch psychologischem Gespür Shalev die Zuckungen dieser Ehe in ihrer Agonie beschreibt.

Zwar stellt Ella ihren Mann vor vollendete Tatsachen. Das ist aber noch keineswegs der Schlußpunkt des Spiels, sondern erst der Auftakt zum Kampf. Wie Zeruya Shalev jetzt den zermürbenden Trennungsprozeß schildert, der in immer neuen Demütigungen, Haßgefühlen, Drohungen, Unterwerfungen und Machtgebärden eskaliert, zeigt Meisterschaft. Wie zwei Planeten drehen sich Mann und Frau mehrfach um sich selbst, bis sie endlich auseinanderkommen. Was hier vorgeführt wird, ist ein Laboratorium der ambivalenten Gefühle, zwischen jeweils einseitiger Annäherung und Distanzierung über gegenseitige Verletzungen bis zum Bruch. Ungerührt setzt die Autorin Schnitt um Schnitt am Untersuchungsobjekt "Ehe", bis die Diagnose eindeutig und die Einsicht unumstößlich ist.

Zeruya Shalev hat mit "Späte Familie" die Geschichte einer Krise geschrieben, die in ein neues Lebenskapitel mündet. Denn Ella lernt schon bald einen neuen Mann kennen und zieht ohne langes Zögern bei ihm ein. Aber es gibt bei dieser Schriftstellerin keine scheinheilige Beruhigung, keine umstandslos gestillte Begierde und kein falsches Idyll. Darüber können auch die erotischen Passagen, mit denen sie die Leidenschaft zwischen Ella und Oded schildert, nicht täuschen. Es ist ein Lodern und Züngeln und Flammen, aber plötzlich ist da auch die Gewißheit, daß die erotische Annäherung ein langer, krummer Weg ist und man die Liebe nicht geschenkt bekommt. Beide bringen Kinder mit in die neue Beziehung, beide haben ihre Bilder und Gewohnheiten, die auch in der neuen, der "späten Familie" aufeinanderprallen. Keinen Augenblick lang will Zeruya Sahlev die Abgründe, die sich auch vor dem glücklichen Paar immer wieder öffnen, voreilig zuschütten. Nie wird die zwiespältige Wahrheit über die Liebe vorschnell verkleinert. Gerade damit belegt sie eindrücklich ihre erzählerische Überlegenheit.

Zeruya Shalev: "Späte Familie". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2005. 584 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2005

Liebe ist wie Gesundheit
Man merkt sie gar nicht, solange man sie hat: Zeruya Shalevs Roman „Späte Familie”
O je, denkt der Leser, nicht schon wieder eine starke Frau! Denn da hat gerade Ella Miller, die Ich-Erzählerin in Zeruya Shalevs neuem Roman „Späte Familie”, den Entschluss gefasst, ihren ewig jammernden und nörgelnden Ehemann Amnon in die Wüste zu schicken und, obwohl er sie anfleht, es nicht zu tun, ein neues Leben ohne ihn zu wagen. Die Wüste bedeutet in diesem Fall mehr als bloßes Bild: Beide arbeiten als Archäologen in Jerusalem, und in einem heißen, staubigen Grabungsloch haben sie sich einst kennen und lieben gelernt. Zehn Jahre ist das her; und das, befindet Ella, reicht.
Aber bei diesem auftrumpfenden Einstand bleibt es nicht. Ella gelangt zu der Einsicht, dass sie den größten Fehler ihres Lebens begangen hat, fleht nun ihrerseits Amnon an, zurückzukehren, dieser lehnt nun seinerseits ab, sie stürzt in eine tiefe Depression, aus der sie aber ihr Psychiater erlöst, in den sie sich nämlich verliebt; nun will Amnon sie plötzlich wieder zurückhaben, er wollte sie doch nur auf die Probe stellen! Aber da ist Ella schon bei Oded, dem Psychiater, eingezogen - einen Tango der Liebestorheit tanzen sie, macht er einen Schritt voran, weicht sie einen Schritt zurück, und umgekehrt, zusammen kommen sie nicht, auseinander aber auch nicht. Und die Sache mit Oded, die so hoffnungsvoll anfing, gerät schon bald ins Schlingern, er, der perfekte Liebhaber, scheint sich als ein noch größerer Egoist entpuppen zu wollen als der unreife Amnon. Ja, und dann sind da natürlich noch die Kinder, die alles viel schwieriger machen, als es ohnehin schon wäre - die zwei Kinder Odeds, aber vor allem Gili, Ellas und Amnons gemeinsamer sechsjähriger Sohn. Sie eigentlich geben dem Buch seinen Titel, „Späte Familie”; und hört man genau hin, spürt man die Frage heraus: Ob das denn überhaupt geht, eine solche späte, zweite, komplizierte Familie, die der verzweifelte Eigensinn Ellas quer zur ersten und so viel einfacheren Familie der reinen Blutsverwandtschaft bauen will.
Windstöße von Unglück
Wie Shalev der Versuchung widersteht, durch Stärke zur leichten Identifikation mit der Heldin einzuladen, so gibt sie sie jedoch auch nicht preis an ihre überstürzte Torheit und träumende Schwäche, sondern verleiht jedem ihrer Schritte in dem Augenblick, wo er geschieht, völlige Begreiflichkeit. Es wäre zu wenig, dieses Buch als spannend zu bezeichnen. Alles scheint jederzeit möglich, atemlos wartet man, was als Nächstes passiert; das Buch weiß es sozusagen selbst noch nicht, so sehr geht es in seiner jeweils erzählten Gegenwart auf, in den machtvollen Windstößen von Unglück und Glück, die über die Heldin hereinbrechen, immer aus heiterem Himmel. Das Buch ahmt kunstvoll die Ahnungslosigkeit des Lebens nach, das nie weiß, was die allernächste Zukunft bringen wird - des Lebens, von dem Kierkegaard bemerkt hat, es habe das Missliche an sich, dass es nur rückblickend Sinn und Zusammenhang gewinne, aber nach vorn gelebt werden muss.
Die Kunst, die sich hier betätigt - das findet sich bei gut verkäuflichen Romanen nicht oft - ist eine solche des Satzbaus. Auf einer typischen Seite von Zeruya Shalev kommen nicht mehr als zwei oder drei Punkte vor, alle anderen Satzzeichen sind Kommas. Doch erhöht sich mit diesen langen Sätzen keineswegs, wie zu befürchten, der Grad der Anstrengung beim Lesen, sondern es resultieren große Einheiten gefühlter Gleichzeitigkeit. Wenn sich z.B. die bereits zerrissene erste Familie zur Einschulung des Sohns noch einmal als Ganzes präsentieren soll, liest sich das so:
„Er drückt mir ein klebriges Weingummi in die Hand und rennt zu seinem Vater, ich humple hinter ihm her zu dem Lager, das sich mit Leben füllt, und da wir wieder vereint sind, müssen wir zu unseren Plätzen zurückkehren und der Regie der Lehrerin folgen und uns, wie jede Familie, vorstellen, mit Namen und, zu meinem Schrecken, auch mit Hobbys, und schon sind wir an der Reihe, Gili zwitschert mit seiner hohen Stimme, mein Vater heißt Amnon und meine Mutter Ella, und ich Gil’ad, aber ich werde Gili genannt, und als die Lehrerin fragt, und was macht ihr gerne zusammen, zögert er ein wenig, und dann murmelt er leise, wir streiten uns gern.”
Das ist lustig und traurig in einem, und in der genauen Mischung aus beidem von einer wunderbaren Zartheit und Intelligenz. Man versuche sich vorzustellen, was aus dieser Szene werden müsste, wenn sie in einen eigentlichen Dialog zerlegt wäre: Die zusammenklingende Harmonie aus dem raschen Schreck und seiner unvermuteten Auflösung würde zum bloßen Nacheinander der Töne herabsinken. Die weibliche Neigung oder Fähigkeit, sich mehreren Dingen zugleich zuzuwenden, die Männer so beirren und ungeduldig machen kann, verwandelt sich in den Händen von Zeruya Shalev in eine Strategie, der unbarmherzigen Linearität von Zeit und Erzählung ein komplexes Tableau des Jetzt abzulisten; mit einem Wort, in Stil.
Mit welcher Phantasie und Leidenschaft der Augenblick in seiner Gesamtheit erlebt wird, erweist sich besonders in den Metaphern, die Mensch, Natur und Stadt ergreifen und alle drei in ein Einziges zusammenschmelzen. Wenn der Straßenverkehr am Sabbat allmählich ausdünnt, dann ist es, „als würde die Stadt endlich still, wie ein Kind, das aufgehört hat zu weinen und das nur noch von seinen schnellen Atemzügen an den vergangenen Schmerz erinnert wird.” Auch Palmen sind nicht einfach nur Palmen, sondern „die Palmwipfel neigen sich in plötzlicher Nervosität zur Seite, wie ein Mensch, der versucht, seinen Nebenmann von der Richtigkeit seiner Forderungen zu überzeugen, aber vergeblich, vergeblich”. Und wenn sie mit ihrer Rivalin, Odeds Ehefrau, die noch nichts von ihrem Unglück weiß, zu peinigendem Smalltalk auf einer Parkbank unter einem Olivenbaum sitzt, dann kommt ihr der Ast des Baums wie ein langer Finger vor, der auf sie beide deutet und besagen will: „du sei nicht zu früh traurig und du freu dich nicht zu früh”. Die Bilder gehören der Erfindung von Zeruya Shalev; der Rhythmus aber ist von ihrer deutschen Übersetzerin Mirjam Pressler erschaffen worden: Das darf man getrost voraussetzen und sie dafür loben, auch wenn man kein Wort des hebräischen Originals lesen kann.
In Israel - diesen Eindruck vermittelt Shalevs Buch - ist jeder entweder ein Archäologe oder mindestens ein Hobby-Archäologe. Auch der Psychiater Oded zitiert mit Vorliebe Freuds Vergleich der Psychoanalyse mit der Archäologie. Je weiter man mit der Lektüre des Buchs gelangt, desto mehr meint man darin einen spöttischen Unterton zu hören: als wären alle diese Versuche, durch systematische Durchdringung der angehäuften Schichten zu einem zeitlich geordneten Begriff der Welt zu gelangen, eine große Illusion. Oded selbst vermag zwar als Liebhaber zu überraschen, als Seelenarzt aber gibt er nur Plattheiten von sich.
Wie aber ließe sich sonst die Gegenwart auf eine Dauer stellen, die die Erwachsenen möglicherweise, bestimmt aber ihre Kinder brauchen? Ausgerechnet der Vorschlag der unliebenswürdigsten Figur, Ellas Vater, in dessen Härte sich Jehovah-gleich die Liebe mit der Grausamkeit mischt, scheint schließlich Gehör zu finden: Schließ im Namen eures Sohns einen Bund mit deinem Mann, erklärt er seiner Tochter, einen Bund, der unverbrüchlicher ist als die gegen Flatterhaftigkeit nicht gefeite moderne Ehe, dass ihr, ganz gleich was passiert und was ihr gegeneinander für Ansprüche zu haben glaubt, beisammen bleibt. Diesen durch und durch alttestamentarischen Rat oder besser Befehl (er wird für den Fall der Nichtbefolgung mit einem Fluch verknüpft) hat Ella bei Amnon in den Wind geschlagen; aber als sich bei Oded ganz ähnliche Schwierigkeiten abzeichnen, macht sie Miene, ihn zu beherzigen.
Verlässlichkeit und Erlebnis
Wird sie es? Das hätte sie auch früher haben können! Liebe? Eine der Figuren des Buchs stellt die These auf, sie sei wie die Gesundheit: Solang man sie hat, bemerkt man sie gar nicht. Wenn das zutreffen sollte: wie kann man je seinen Empfindungen und Entscheidungen trauen? Der Roman endet an einem tiefen, aber schwankenden Punkt, beim Begräbnis einer Bekannten, das alle vier Beteiligten, Ella, Amnon, Oded und seine verlassene Frau Michal, noch einmal zusammenführt. Was wird nun weiter geschehen? Der Leser erfährt es nicht mehr. Die Trauergäste gehen auseinander, und der Wind „lässt Zeugnisse und Beweise verschwinden, bis es so aussieht, als wäre nie ein Mensch hier gewesen”. So sieht es aber nur aus; denn in einer Welt voller Archäologen tauchen irgendwann wieder die Scherben auf. Über diese werden wir in Shalevs Buch belehrt: alle Spuren menschlicher Aktivität, ob heil oder fragmentarisch, seien für die Forschung gleich viel wert, in jedem Fall ergäben sich daraus mehr Fragen als Antworten.
Die Anziehungskraft dieses Buchs macht es aus, dass es diese Fragen zum Verhältnis von Stabilität und Labilität, von Verlässlichkeit und herzklopfendem Erlebnis, von Liebe und Elternschaft mit großer Dringlichkeit stellt und sie niemandem, der es liest, erlässt - und dass es dies tut, indem es seinem unverwechselbaren Stil treu bleibt. Shalevs witziger, gefühlvoller, gedankenreicher Roman stellt den großen Glücksfall eines Buchs dar, in dem der Graben zwischen hoher und eingängiger Literatur, zwischen Kunstwerk und Schmöker, eingeebnet ist, als bräuchte es ihn gar nicht zu geben.
BURKHARD MÜLLER
ZERUYA SHALEV: Späte Familie. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2005, 581 Seiten, 22 Euro.
So mögen Vater und Mutter im Namen ihres Sohnes einen unverbrüchlichen Bund schließen.
Foto: Regina Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Den Rezensenten Carsten Hueck bringt dieser Roman ins Schwärmen, weil die Autorin Zeruya Shalev auf völlig schlüssige Weise den Mythos der antiken Kykladeninsel Thera mit der Geschichte der zeitgenössischen Archäologin Ella verbindet. Obwohl deren Geschichte - die einer Ehescheidung und Neuorientierung - oberflächlich betrachtet recht gewöhnlich ist, bringt die Autorin nach Huecks Meinung doch große Themen darin unter. "Ursprüngliches kommt zum Vorschein, Menschheitsgeschichte und Geschlechterkampf, der lyrische Zauber des Hoheliedes, die gewaltigen Visionen der Propheten." Auch stilistisch funktioniert der dramatische Roman nach Meinung des Rezensenten: "Metaphernreich fließt die Sprache durch das Buch, glühend wie ein Lavastrom." Dieser Stil spiegelt in Huecks Augen das Temperament von Shalevs Protagonistin wieder. Und obgleich die Autorin von sich behauptet, keine politische Schriftstellerin zu sein, so sieht Hueck doch einen Subtext in ihren Büchern, der auf die israelisch-palästinensische Situation verweist, und sei es nur, weil auch dieser Roman zeigt, wie "wie grausam und verletzlich der Mensch" ist.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Shalevs witziger, gefühlvoller, gedankenreicher Roman stellt den großen Glücksfall eines Buchs dar, in dem der Graben zwischen hoher und eingängiger Literatur, zwischen Kunstwerk und Schmöker, eingeebnet ist, als bräuchte es ihn gar nicht geben.", Süddeutsche Zeitung, 01.12.2005
"Welche Höhen, welche Tiefen, was für eine Weite des Blicks ...Ihr bislang bestes Buch." - Amos Oz