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Dies ist die magische Geschichte einer modernen Pilgerfahrt. Auf der Flucht vor der Leere, den der Verlust eines Menschen zurückgelassen hat, findet die Ich-Erzählerin Unterschlupf in der Vergangenheit: als stille Beobachterin erlebt sie die wunderlichen Bizarrerien und archaischen Härten einer mittelalterlichen Dorfwelt und macht sich schließlich mit deren Bewohnern auf die gefahrvolle Reise ins Heilige Land.

Produktbeschreibung
Dies ist die magische Geschichte einer modernen Pilgerfahrt. Auf der Flucht vor der Leere, den der Verlust eines Menschen zurückgelassen hat, findet die Ich-Erzählerin Unterschlupf in der Vergangenheit: als stille Beobachterin erlebt sie die wunderlichen Bizarrerien und archaischen Härten einer mittelalterlichen Dorfwelt und macht sich schließlich mit deren Bewohnern auf die gefahrvolle Reise ins Heilige Land.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2000

Wenn Engel nach Zimt und Honig riechen
Wie gehäutet: Julia Blackburns Roman "Gemeinschaft der Aussätzigen" · Von Peter Demetz

Die englische Schriftstellerin Julia Blackburn erfindet - ob sie nun von Napoleons letzten Jahren auf St. Helena (1991) oder von einer wagemutigen Europäerin unter den Ureinwohnern Australiens (1994) erzählte - historische und entfernte Welten, ohne sich je dem Diktat der Geschichte oder einer exotischen Geographie ganz zu unterwerfen oder ihre poetische Empfindsamkeit zu verdrängen. In ihrem neuen Roman "Gemeinschaft der Aussätzigen" berichtet sie die Geschichte einer Heilung, nicht von der Fleisch fressenden Lepra, sondern von einer melancholischen Infektion der Seele.

Eine Frau mittleren Alters, unsere Zeitgenossin, findet sich durch den Verlust eines geliebten Menschen in den Abgrund einer Depression geworfen und taucht allmählich wieder zu sich selbst empor, indem sie sich vorstellt, am Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts mit vier anderen Pilgern von der englischen Küste aus über Holland, Venedig und Jaffa ins Heilige Land zu wallfahren. Sie sitzt still, während "die Gedanken in ihrem Gehirn im Zickzack Amok laufen, wie Tiere im Käfig", und bewegt sich allein in ihrer lebhaften Imagination, verzweifelt auf der Suche nach einem Ausweg. Sie schafft trostbedürftige Menschen nach ihrem Bilde und hilft sich selbst, indem sie die Geschichte dieser Menschen erzählt.

Das ist kein historischer Roman der alten britischen Schule, mit splitternden Lanzen und heimkehrenden Königen - im Gegenteil: eine bedrohliche, ganz und gar unsentimentale Szene ohne viel Mitleid mit den einzelnen, armseligen Katen, "die Wände aus Kuhdung, Pferdehaar und Leim", stinkende Betten und in den Hafenstädten "das gnadenlose Treiben der Menge". Eine breitgesichtige Fischerstochter, der Dorfpriester, eine Schuhmacherswitwe und ein Aussätziger (längst wie durch ein Wunder geheilt, aber die scharfen Narben an der Haut) entscheiden sich, ein Dorf am Meer zu verlassen, und die Erzählerin, die sie geschaffen hat, schließt sich ihnen an, immer dabei und unsichtbar und alle Fährnisse der Pilgerschaft mit ihnen teilend. Sie öffnet den Blick in eine archaisch religiöse Welt, in der das Spirituelle und das Fleisch noch eins sind, ohne mystische Trennungen und moderne Psychologie.

Richtige Teufel (wie auf den Kirchenbildern) packen ihre Opfer, Engel riechen nach Zimt und Honig, eine böse Meerjungfrau wird an Land geschwemmt, und ein geschäftstüchtiger Einsiedler betreibt einen einträglichen Reliquienhandel und verkauft dem Priester die ausgemergelte Hand des heiligen Anselm, "trocken wie ein altes Brot". Alles ganz ohne Orgelklang, und am Grabe Christi nur wenige flackende Kerzen, einfallendes blasses Tageslicht, ein paar Menschen in Trance, "der Tag war unerträglich heiß, und die Wächter beobachteten die Pilger mit schläfrigen, gleichgültigen Augen". Also nichts von Technicolor, eher Lars von Trier mit seiner hand held-Kamera.

Die Verfasserin dieses Romans ist die Tochter des englischen Lyrikers Thomas Blackburn (1916 bis 1977), der sich sein Leben lang mit Erinnerungen an seinen Vater (den Missionar) und eine verpfuschte Jugend herumschlug, und ich kann mir vorstellen, warum sie so selten lächelt, von Lachen oder Selbstironie nicht zu reden. Sie hat eine rare lyrische Artikulationskraft, die oft das Narrative durchbricht; Vögel bilden "einen dicken ruhelosen Teppich an Land, in der Luft eine fliegende Wolke"; und wenn eine Sturmwoge über Bord des Schiffes schwappt, "schreien die Pilger in der dicken Suppe von Geräuschen über ihnen".

Sachlichkeit ohne Pathos; und als Sally über Bord springt, weil sie ihr toter Mann ins kalte Ehebett zurückruft, oder der Aussätzige hinter einer Felsspalte verschwindet, weil er das Land seines Glücks gefunden hat, bewahrt auch das Sonderbare und Unerwartete seine epische Glaubwürdigkeit.

Zugegeben: das Kompositorische ist nicht unbedingt Julia Blackburns Stärke (die Figuren quirlen ein wenig durcheinander), aber sie handhabt die schwierigere Frage der Erzählperspektive mit Takt und Umsicht, und nur wenige Worte, wie "intim" oder "nervös", verraten, daß eine Erzählerin unserer Zeit über Ereignisse und Gedanken des Mittelalters berichtet.

Die Übersetzerin Isabella König verdient hohes Lob, denn sie hat die metaphorische Deutlichkeit und den Ernst des Textes unversehrt bewahrt - wenn man auch einwenden könnte, daß ihr Titel "Gemeinschaft der Aussätzigen" den Vorgängen eine besondere Deutung aufpreßt (die Pilger wandern ja ihren je eigenen Schicksalen nach). Die buchstäbliche Version, "Die Gefährten des Aussätzigen" (The Leper's Companions), hätte das vermieden.

Buchbesprechungen, die von der Eindringlichkeit von Prosa reden, sind suspekt, aber hier ist das Wort am richtigen Ort, bedarf aber einer näheren Bestimmung. Julia Blackburn erzählt eindringlich, weil sie die Einbildungskraft der Lesenden herrisch in Anspruch nimmt, spielerische Assoziationsmöglichkeiten beiseite schiebt und streng auf ihren Bildern besteht, die den Lesenden mehr als sonst der Freiheit berauben, sich neben und über dem Text zu bewegen. Das ist ihre Stärke und Schwäche zugleich. Diese Prosa sagt: Nimm mich so, wie ich bin, oder schlage mein Buch zu, und an dieser Geste werden sich die Geister scheiden. Sie fordert Widerstand heraus, und so erkläre ich mir, warum sie in den vergangenen Jahren stets zu den Finalistinnen des britischen Orange-Preises (für den besten Roman einer englisch schreibenden Autorin) zählte, ohne die letzte Hürde zu nehmen.

Ihre poetische Bestimmtheit wirkt als Herausforderung, aber ich lasse mich lieber auf ihre Welt ein und gebe meine Freiheit für eine Spanne auf, um sie, nach der Lektüre, in dankbaren Gedanken über ihr intelligentes Kunstwerk wiederzufinden. "Das Land sah aus wie ein gehäuteter Tierkadaver, mit spitzen Knochen und ausgedörrtem Fleisch", so schreibt sie über das alte Palästina, und wer so schreibt, darf berechtigte Ansprüche stellen.

Julia Blackburn: "Gemeinschaft der Aussätzigen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Isabella König. Berlin Verlag, Berlin 2000. 238 S., geb., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Bernadette Conrads Verriss dieses Romans, in dem die Erzählerin zu einer Zeitreise ins Mittelalter aufbricht, ist kurz aber gründlich. Schon der Ausgangspunkt der Geschichte, der alles weitere motivieren soll, ist ihr viel zu vage und unbestimmt, um zu überzeugen. Im Verlauf der Geschichte sieht sie sich mit "lauter Allgemeinplätzen" konfrontiert, die keine Spannung aufkommen lassen. Dazu beklagt die Rezensentin das "leere Pathos" und geißelt den Mangel an "gedanklicher und sprachlicher Schärfe", so das der Roman, wie sie verstimmt feststellt, trotz des vielversprechenden Themas - Vergangenheitsbewältigung durch Reise in die Vergangenheit - belanglos bleibe.

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