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1915 sticht die "Noordster", ein Schiff, das als der "Irrenkutter" in die Geschichte eingehen wird, in See. Zur Besatzung gehört auch Arend Falkenier, ein tiefreligiöser Mann, der seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs göttliche Zeichen empfängt. Sie bedeuten ihm, dass das Ende der Zeiten nahe sei und ihn, Arend, eine große Aufgabe erwarte. Auf dieser Fahrt schlägt seine Frömmigkeit in Wahn um. Dem charismatischen Matrosen gelingt es, die Besatzung des Kutters davon zu überzeugen, sie seien Auserwählte des Herrn, die nun auf Jerusalem Kurs nehmen müssen. Arends Beredsamkeit und rein…mehr

Produktbeschreibung
1915 sticht die "Noordster", ein Schiff, das als der "Irrenkutter" in die Geschichte eingehen wird, in See. Zur Besatzung gehört auch Arend Falkenier, ein tiefreligiöser Mann, der seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs göttliche Zeichen empfängt. Sie bedeuten ihm, dass das Ende der Zeiten nahe sei und ihn, Arend, eine große Aufgabe erwarte. Auf dieser Fahrt schlägt seine Frömmigkeit in Wahn um. Dem charismatischen Matrosen gelingt es, die Besatzung des Kutters davon zu überzeugen, sie seien Auserwählte des Herrn, die nun auf Jerusalem Kurs nehmen müssen. Arends Beredsamkeit und rein körperliche Kraft, aber auch die umgebende Szenerie des Meeres und die klaustrophobische Situation auf dem 25 Meter langen Schiff erzeugen eine so andere und dabei so zwingende Wirklichkeit, dass die Seeleute in eine blutige Meuterei einstimmen. Die wenigen Ungläubigen, die sich Arends Führung nicht rückhaltlos unterordnen, bezahlen ihr Zweifeln mit einem schrecklichen Tod ...
Diese Begebenheit ist so une rhört wie wahr: Damals berichteten Zeitungen wie die Londoner "Daily Mail" von den mysteriösen Ereignissen. Siebzig Jahre lang waren die Akten mit den authentischen Protokollen und psychiatrischen Gutachten der Besatzung auf der "Noordster" nicht zugänglich. In seinem neuen Roman hat Robert Haasnoot das bestgehütetste Geheimnis des berüchtigten Fischerdörfchens gelüftet. Mit großer Einfühlung erfasst er die psychologische Situation auf dem Schiff, und es gelingt ihm, die authentische Geschichte dieser zehntägigen Geisterfahrt zu einem Roman zu gestalten, den man nicht mehr aus den Händen legt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2002

Posaune? Nebelhorn?
Robert Haasnoot besteigt das Narrenschiff des Jüngsten Gerichts

Stell dir vor, es ist Weltuntergang und du bist nicht da. Der holländische Schriftsteller Robert Haasnoot untersucht in seinem zweiten Roman "Wahnsee" einen historischen Fall von simulierter Apokalypse, religiösem Eifer und wahrhaft mörderischer Gruppendynamik und liefert damit ein eindrucksvolles Portrait der menschlichen Einbildungskraft und ihrer Übersteigerung im visionären Wahn.

Im Jahr 1915 sticht die Noordster, ein holländisches Fischereischiff mit einer fünfzehnköpfigen Besatzung, in See. Draußen, außerhalb des Schiffes und außerhalb des kleinen Fischerdorfes Zeewijk, tobt der erste Weltkrieg. Die Armeen versammeln sich zu einer, wie es den Anschein hat, allerletzten Schlacht. Ein Blinder, wer schon einmal in der Offenbarung gelesen hat und jetzt keine Zeichen sieht.

Der Fischer Arend Falkenier, der mit an Bord der Noordster ist, ist zwar kahl, aber nicht blind, im Gegenteil, er ist ein Seher und ein Auserwählter Gottes, und er weiß, daß Gott Großes mit ihm vorhat in dieser Zeit der großen Ereignisse. Deswegen läßt er von Beginn der Fahrt an nicht davon ab, die Worte des Herrn zu predigen und das Ende der Welt zu prophezeien. Durch sein Charisma von geradezu hypnotischem Ausmaß gelingt es ihm, die Besatzung allmählich in einen religiösen Rausch hineinzutreiben und die Befehlsgewalt über die Noordster an sich zu reißen. Seine Definition von Glauben ist ihm für seine Zwecke dabei äußerst dienlich: "Es ist aber der Glaube ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht!" Denn mit den Augen sehen werden er und die anderen Besatzungsmitglieder zu keiner Zeit etwas Ungewöhnliches. Mit dem inneren Auge des Glaubens aber sehen sie die Geister der auferstandenen Toten überall auf dem Schiff, ganze Armeen von Teufeln und Dämonen, die sie belagern, sowie Engel und einen leibhaftigen Apostel. In weiter Ferne vernehmen sie die Posaune, von der die Offenbarung spricht, und die in ihren gottesfürchtigen Ohren kaum noch wie ein Nebelhorn klingt. Bald wagt keiner der Männer mehr daran zu zweifeln: ihre Welt existiert nicht mehr, Feuerregen hat die Länder verwüstet, alle Schiffe sind in schrecklichen Stürmen untergegangen. Die Menschheit ist ausgelöscht, und nur die Besatzung allein ist auserwählt, das heilige Jerusalem ohne den Umweg über Tod und Auferstehung zu erreichen. Wer doch zu zweifeln wagt, muß schleunigst vernichtet werden. Zweimal schlägt die Verzückung in tödliche Gewalt um.

Erzählt wird die Geschichte vom Zeewijker Stadtschreiber, dessen Tonfall zwischen Seemannsgarn und psychologischer Fallbeschreibung Robert Haasnoot meisterlich handhabt. Der Erzähler, der den falschen Propheten noch während des Krieges als junger Mann getroffen hatte, schreibt die Geschehnisse vierunddreißig Jahre später auf, nachdem zum ersten Mal einige der Beteiligten bereit waren, sich zu äußern. Allerdings nur unter der Bedingung, daß alle Informationen weitere fünfzig Jahre unter Verschluß gehalten werden. Ebenso wie die Ereignisse auf der Noordster ist diese Nachrichtensperre authentisch. Der Bericht, den wir nach ihrem Ablauf zu lesen bekommen, ist es nicht. Er ist das Produkt der erzählerischen Einbildungskraft von Robert Haasnoot, der sich in die religiöse Einbildungskraft der Seeleute hineindenkt und mit ihnen das zu sehen versucht, was es nicht gab.

In dieser Doppelung der Phantasie liegen die Stärken seines Romans, der sich Mühe gibt, jede Wertung dem Leser zu überlassen. Irgendwann aber zückt er doch den moralischen Zeigefinger, wenn der Erzähler bekennt: "Auch ich hätte an Arend geglaubt". Dieser Hinweis auf die Verführbarkeit jedes Menschen ist unnötig, zumal Haasnoot mit einem erzählerischen Haken aus dem Repertoire der Fernsehserie "Akte-X" den Verführten wieder einen Großteil ihrer Schuld abnimmt. Am Ende schildert der Erzähler seine letzte Begegnung mit Arend und das kleine Wunder, dessen Zeuge er werden darf, als eine von diesem in den Boden gerammte Schaufel sich nicht aus dem Boden ziehen läßt - ein Bodensatz des Unerklärlichen in diesem Roman.

SEBASTIAN DOMSCH.

Robert Haasnoot: "Wahnsee". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2001. 211 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass dem im Roman beschriebene Vorfall tatsächlich stattgefunden hat, weiß man, so Rezensent Sebastian Domsch, und ebenso sicher sei, dass er einer strengen Geheimhaltung durch die Behörden unterlag: freie Bahn also für die Phantasie des Autors, der sich die Geschichte eines holländischen Fischerboots und seiner Besatzung vorknöpft, die sich zur Zeit des Ersten Weltkrieges in ein Weltuntergangsgefühl und in religiösen Wahn hineinsteigert hat, mit teilweise tödlichen Folgen. Haasnot wisse den richtigen Tonfall zu treffen, lobt der Rezensent: zwischen Seemannsgarn und Charakterstudie des falschen Propheten an Bord, alles in der Rückblende und aus Sicht des Stadtschreibers erzählt. Etwas unbehaglich ist dem Rezensenten allerdings zumute, wenn der Autor zuviel von der Moral seiner Geschichte durchblicken lässt: überdeutliche Hinweise auf die Verführbarkeit der Menschen findet Domsch fehl am Platz, zumal den Beteiligten durch einen - von Domsch nicht verratenen - erzählerischen Trick ein Teil ihrer Schuld abgenommen werde. Eine Entlastung seitens des Autors, die Domsch kritisch sieht.

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