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Als Land der "theatralischen Geste" hat Cioran Frankreich bezeichnet und damit den formbewussten, repräsentativen Ausdruck der Leidenschaften gemeint. Im Kontrast zum idealistisch grundierten Pathos der Deutschen herrscht bei den Franzosen, so scheint es, eine Verbindung von Rationalismus, Psychologie und rhetorischer Emphase vor. Pathos der Vernunft, der Freiheit, der Nation: wie gewinnt es Gestalt in Literatur und Malerei, aus männlicher und weiblicher Perspektive? Wie pathetisch kann Satire sein oder Parodie? Sichtbar werden Elemente eines Längsschnitts durch die französische Seelenlandschaft.…mehr

Produktbeschreibung
Als Land der "theatralischen Geste" hat Cioran Frankreich bezeichnet und damit den formbewussten, repräsentativen Ausdruck der Leidenschaften gemeint. Im Kontrast zum idealistisch grundierten Pathos der Deutschen herrscht bei den Franzosen, so scheint es, eine Verbindung von Rationalismus, Psychologie und rhetorischer Emphase vor. Pathos der Vernunft, der Freiheit, der Nation: wie gewinnt es Gestalt in Literatur und Malerei, aus männlicher und weiblicher Perspektive? Wie pathetisch kann Satire sein oder Parodie? Sichtbar werden Elemente eines Längsschnitts durch die französische Seelenlandschaft.
Autorenporträt
Albrecht Betz lehrt Literaturgeschichte in Aachen (RWTH) und Paris. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und französischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Mehrere Gastprofessuren. Die französische Übersetzung von "Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der dreißiger Jahre" wurde 1991 in Paris mit dem "Prix de l'Assemblée Nationale" ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2002

Auf dem Weg zu einem europäischen Pathos
Längsschnitt durch die französische Seelenlandschaft: Ein Sammelband schreibt Norbert Bolz fort

Die gegenwärtigen deutschen Verhältnisse sind dazu angetan, uns mit der Kategorie des Leidens wieder bekannt zu machen. Leiden deshalb, weil man bei allem Unmut über eine Regierungspolitik der zynischen Einfallslosigkeit nicht übersehen kann, daß unsere Depression eine allgemeine ist und ihre Ursache in den Befindlichkeiten der Gesellschaft selbst hat. Daher ist der Ärger über die Politik nur das Indiz einer viel breiteren Verstimmung, von der man nicht hoffen darf, daß ihr Grund sich ohne weiteres lokalisieren und beheben läßt.

Wenn wir also wissen, daß der gegenwärtige Zustand länger andauern wird, ohne daß wir viel dagegen tun könnten, wandelt sich der Verdruß an anderen in Leiden an uns selbst. Diese Art des Leidens, die wegen der langen Erfolgsgeschichte des"Modells Deutschland" in Vergessenheit geriet, ist, historisch betrachtet, ein Phänomen, das in anderen Konstellationen und unter anderen Bedingungen zwar häufig vorkommt, aber für kollektive politische Zustände wohl erst nach den Religionskriegen im Begriff des "Pathos" reflektiert wurde. Er ist in der klassischen Rhetorik der Zentralbegriff der ungestümen Leidenschaften, die durch Ethos ausgeglichen und kanalisiert werden müssen. Daß Politiker aller Couleur sich von Zeit zu Zeit an Pathosformeln versuchen, um dieses Leiden wenigstens zu artikulieren, ist also kein Zufall. Leider aber tritt die erhoffte reinigende Wirkung nicht ein: Denn das Pathos ist falsch, weil die Energie fehlt, pathetisch zu sein - und das läßt uns noch einmal tiefer leiden.

Es gibt kaum mehr ein Bewußtsein des Tragischen, nicht in Deutschland, wohl auch nicht in Frankreich, am ehesten noch in England und in Spanien. Immerhin besitzen wir die historische Anschauung dessen, wie Pathos einmal aufgefaßt und dargestellt wurde. Vor Jahren bereits hat Norbert Bolz einen aufschlußreichen Band über "Das Pathos der Deutschen" (Fink Verlag, München 1996) herausgegeben, und jetzt liegt bei Königshausen & Neumann gewissermaßen das französische Gegenstück hierzu vor. Der Band bietet, wie der Herausgeber Albrecht Betz völlig zu Recht schreibt, "einen Längsschnitt durch die französische Seelenlandschaft", und man wünschte sich einen solchen Band für ganz Europa. Denn wie diese Seelenlandschaften beschaffen sind, welche Momente in ihr wirken, ist keine akademisch-luxuriöse Frage. Sie berührt vielmehr die Lebenslinien der europäischen Gemeinschaft, in der sehr verschiedene, ineinander verschränkte Leidensgeschichten nicht nur zusammenkommen, sondern auch miteinander auskommen müssen.

Aus diesen Geschichten könnte man alles lernen, und es ist bedauerlich, daß die Europäer nicht besseren Gebrauch voneinander machen. Wie fruchtbar das sein könnte, belegt, um ein Beispiel herauszugreifen, der Beitrag von Jean Pierre Lefebre über den "18. Brumaire" von Karl Marx und das Pathos als deutsch-französische Chimäre, in dem er den unterschiedlichen Bedeutungsfeldern des "Pathos" im Deutschen und Französischen nachgeht und in Beziehung mit der Nationalgeschichte setzt.

Ironie und komische Übertreibung, die im Französischen dem Begriff "pathos" alle Erhabenheit rauben und sie allein für das Adjektiv "pathétique" gelten lassen, sind, so Marc Fumaroli, eine Reaktion auf die verheerenden Bürgerkriege des sechzehnten Jahrhunderts. Das Pathos mußte zügeln und brechen, wer das Ende des Bürgerkriegs wollte. Erst mit Rousseau sei der Faden zur eigenen Pathostradition wieder aufgenommen worden. Am Ende spricht er die Erwartung aus, daß wir die allmähliche Herausbildung eines europäischen Pathos und Ethos erleben. Wenn man dies an der Behandlung der Irak-Frage messen sollte, dann dürfte man der deutschen Politik ganz unpathetisch, aber mit Nachdruck sagen: Pathos hat mit Maß, nicht mit Maßlosigkeit zu tun.

MICHAEL JEISMANN

Albrecht Betz (Hrsg.): "Französisches Pathos". Selbstdarstellung und Selbstinszenierung. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2002. 242 S., br., 28,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als modisch und unzureichend tut Johannes Willms diesen zwölf Aufsätze umfassenden Sammelband zum Thema "Französisches Pathos" ab. Grundlegend vermisst Willms einen Beitrag zum politischen Pathos der "Grande Nation", das seit über zwei Jahrhunderten von Vernunft, Freiheit und der Nation kündet und alle Künste in Frankreich maßgeblich inspiriert hat. Stattdessen werde in Einzeldarstellungen den verschiedenen Ausgestaltungen des Pathos in den Künsten nachgegangen - mit mehr und weniger Qualität. Für Willms sticht einzig Werner Hofmanns Beitrag über den "Maler im Garten Eden" positiv hervor. Was Willms noch mehr verärgert, ist der den Gender-Studies verpflichtete Ansatz des Herausgebers, jedes Thema aus männlicher oder weiblicher Perspektive beleuchten zu lassen. Eine enorme Einschränkung, findet Willms. Auch dass man das Anti-Pathos in Satire, Karikatur und Ironie thematisiert, trägt seiner Meinung nach nicht zur selbstgestellten Aufgabe der Untersuchung bei, solange man dort nicht genug über das eigentliche Thema erfahre.

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