Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 19,90 €
  • Broschiertes Buch

Der Jugoslawienkrieg markiert für die Bundesrepublik Deutschland einen entscheidenden Einschnitt in ihrer Geschichte. Die Nach-Kriegsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, die diesem Land nach der faschistischen Kriegs- und Vernichtungspolitik des "deutschen Reiches" eine gewisse Sonderrolle zuzuweisen schien, ist nun offenkundig beendet. Das vereinte Deutschland ist ein normaler interventionistischer Staat geworden, das Stigma "Auschwitz" ist abgeschüttelt und mit ihm das Gefühl für eine besondere Rolle im Finden und Praktizieren von Außen- und Sicherheitspolitik.
Dieser Krieg markiert
…mehr

Produktbeschreibung
Der Jugoslawienkrieg markiert für die Bundesrepublik Deutschland einen entscheidenden Einschnitt in ihrer Geschichte. Die Nach-Kriegsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, die diesem Land nach der faschistischen Kriegs- und Vernichtungspolitik des "deutschen Reiches" eine gewisse Sonderrolle zuzuweisen schien, ist nun offenkundig beendet. Das vereinte Deutschland ist ein normaler interventionistischer Staat geworden, das Stigma "Auschwitz" ist abgeschüttelt und mit ihm das Gefühl für eine besondere Rolle im Finden und Praktizieren von Außen- und Sicherheitspolitik.

Dieser Krieg markiert auch weltweit die neue Ausgangsbasis von Sicherheitspolitik nach dem Zusammenbruch der Warschauer Vertrags-Organisation (WVO) am Beginn der 90er Jahre. Die USA, und in ihrem Schlepptau die NATO, diktieren derzeit unilateral das kriegs- oder friedenspolitische Geschick der Erde.
Autorenporträt
Johannes M. Becker und Gertrud Brücher sind Privatdozenten am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Philipps-Universität Marburg und Mitglieder des dortigen Zentrums für Konfliktforschung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2001

Ein deutscher Krieg
Die Militäreinsätze auf dem Balkan müssen aufgearbeitet werden
JOHANNES M. BECKER, GERTRUD BRÜCHER (Hrsg.): Der Jugoslawienkrieg – Eine Zwischenbilanz, LIT Verlag, Münster, Hamburg, London 2001. 209 Seiten, 49,80 Mark.
Bedeutsame Wendepunkte in der internationalen Politik bringen es mit sich, dass frühere politische Ereignisse und Entwicklungen im Nachhinein vielfach anders bewertet und dass nicht wenige von ihnen nur noch als historisch bedeutsam empfunden werden. So war dies nach dem Ende des Kalten Krieges, so wird dies vermutlich auch nach der Wende sein, die sich seit den terroristischen Anschlägen vom 11.September in New York und Washington abzeichnet.
Eine ähnliche Veränderung in der Beurteilung könnte dabei auch hinsichtlich der Funktion der Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik entstehen, also hinsichtlich ihres Weges von Blauhelm- und Sanitäts-Einsätzen über die Kriegsführung im (meist verkleinernd „Kosovo-Krieg” genannten) Jugoslawien-Krieg bis zur erstmaligen Übernahme eines internationalen Kommandos in Mazedonien.
Insbesondere vor dem Hintergrund der spektakulären Ereignisse seit dem 11.September mag dieser Weg nur noch als nebensächliche Entwicklung hin zu einer deutschen außenpolitischen Normalität erscheinen. Und damit mag trotz des bislang verbreiteten Verständnisses, dass dies ein „Quantensprung in der Außenpolitik” (Scharping) gewesen sei, die Versuchung nahe liegen, diesen Krieg und die Beteiligung der Bundeswehr heute nur noch als historischen Tatbestand abzuhaken.
Andere Richtung
Die hier anzuzeigende, aus einer Vortragsreihe an der Universität Marburg hervorgegangene Zwischenbilanz des Jugoslawien-Krieges weist in die entgegengesetzte Richtung. Sie ist auf die Aktualität des Themas gerichtet. Ihre elf Autoren haben dafür einen dreifachen gemeinsamen Ausgangspunkt: Sie sehen diese erste deutsche Kriegsführung seit dem Zweiten Weltkrieg als einen entscheidenden Einschnitt in der deutschen Geschichte an. Sie sehen diesen Krieg als ein Ergebnis der amerikanischen unilateralen Welt- und Sicherheitspolitik und, drittens, als ein Ergebnis der Abhängigkeit Europas von den USA. Und sie gehen von der unbestreitbaren Tatsache aus, dass das Ende des Jugoslawien-Krieges kein Ende der ethnischen Verfolgungen und Vertreibungen gebracht hat. Alle Beiträge zielen auf diejenigen Themen und Ereignisse des Jugoslawien-Krieges, die in den offiziellen Stellungnahmen und Erläuterungen unterbelichtet geblieben oder in der Medienberichterstattung nicht in voller Deutlichkeit erschienen waren. Der Band bietet jedoch sehr viel mehr als nur ergänzende Momentaufnahmen vom Krieg.
Breiten Raum nehmen zunächst die Fragen der historischen, rechtlichen und politischen Legitimierung der Einsätze der Bundeswehr von der Wiederbewaffnung bis heute und auch die Kontroverse um Wehrpflicht oder Berufsarmee ein. Präzise werden die Rechtsverletzungen der Uno-Charta, des Nato-Vertrages, des 2+4-Vertrages und des Grundgesetzes beim ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr im Jugoslawien-Krieg dargestellt. Gründlich werden die ethischen und menschenrechtlichen Begründungen der als „humanitäre Intervention” durchgeführten militärischen Einsätze analysiert.
Der so genannte serbische „Hufeisenplan” für die Massenvernichtung von Kosovo-Albanern, der ein Hauptargument gegenüber der deutschen Öffentlichkeit für die deutsche Beteiligung am Jugoslawien-Krieg gewesen war, wird ebenso akribisch hinterfragt wie die dubiose, bis in die Gegenwart fortdauernde und zum Teil an der Nato vorbei durchgeführte Unterstützung der albanischen UCK- Truppen durch die amerikanische Spionageorganisation CIA. Die westliche, vor allem amerikanische Verhandlungsführung gegenüber Jugoslawien in Rambouillet, mit welcher der Jugoslawien-Krieg erzwungen worden war, wird ebenso genau nachgezeichnet wie der amerikanisch-russische Zwischenfall um den Flughafen von Pristina, bei dem nur die Verweigerung des Gehorsams durch einen britischen Offizier gegenüber dem amerikanischen Nato-Oberbefehlshaber einen amerikanisch-russischen Zusammenstoß mit unabsehbaren Folgen verhinderte.
Erhellend hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung ist ferner ein Überblick über Widersprüchlichkeiten in der Medienberichterstattung. Beispiel: Die Berliner Zeitung meldete am 30.März 1999: „Ibrahim Rugova konnte untertauchen, sein Haus wurde dem Erdboden gleichgemacht.” Hingegen berichtete der Spiegel am 12.April: „Die Straße vor Rugovas weiß getünchter Residenz wirkt merkwürdig leer. Erst nach langem Klingeln öffnet Rugova.”
Dieses Buch ist eine Zwischenbilanz des Jugoslawien-Krieges, gezogen von engagierten Friedensforschern und Kriegsgegnern, die alle der Kritischen Linken angehören. Entsprechend zugespitzt ist häufig die Argumentation. Doch die Fakten stimmen und die Argumente sind logisch durchdacht.
Gerade angesichts der seit dem 11.September und vermutlich auch künftig wenig übersichtlichen internationalen Entwicklungen sowie im Blick auf eine deutsche Außenpolitik mit militärischen Ambitionen dürfte es nützlich und geboten sein, sich weiterhin mit dem Jugoslawien-Krieg, mit den zahlreichen aus ihm entstandenen und noch unaufgearbeiteten Problemen und nicht zuletzt auch mit den aus ihm zu ziehenden Schlussfolgerungen zu befassen. Der Jugoslawien-Krieg kann noch nicht archiviert werden.
HANS ARNOLD
Der Rezensent ist Botschafter a.D., Hochschullehrer und Publizist.
Deutsche Soldaten in Bosnien und im Kosovo waren gewöhnungsbedürftig. In Mazedonien galt ihr Einsatz bereits weit gehend als selbstverständlich.
Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gerade hinsichtlich der terroristischen Anschläge am 11. September ist dieser Band, der aus einer Vortragsreihe an der Universität Marburg hervorgegangen ist und sich mit der Funktion der Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik am Beispiel des Kosovo-Einsatzes beschäftigt, ein äußerst wichtiges Buch, meint Rezensent Hans Arnold. Die "engagierten Friedensforscher und Kriegsgegner", die zur "Kritischen Linken" gehören, sehen den Bundeswehreinsatz im Kosovo als entscheidenden Einschnitt in der Deutschen Geschichte an, so Arnold: Der Krieg ist für die Autoren ein Ergebnis der "amerikanischen unilateralen Welt und Sicherheitspolitik", ein "Ergebnis der Abhängigkeit Europas von den USA", und sie betonen, dass der Einsatz kein Ende der ethnischen Verfolgungen und Vertreibungen gebracht hat, berichtet Arnold. Die Fragen der rechtlichen, historischen und politischen Legitimierung der Bundeswehreinsätze stehen für Arnold lobenswerterweise im Zentrum der Darstellung. Zudem werde kritisch die Medienberichterstattung betrachtet, die entscheidend zur öffentlichen Wahrnehmung der Einsätze beigetragen hat. Die Fakten seien richtig und die Argumente logisch durchdacht, weshalb das Buch besonders jetzt, da die Bundeswehr vor einem militärischen Einsatz steht, erhellende und aktuelle Einsichten vermittle.

© Perlentaucher Medien GmbH