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Das Wunder einer vernünftigen Liebe Verdanken wir das Ideal einer humanistischen Erziehung dem Alltag einer außergewöhnlichen Beziehung' Hazel Rosenstrauchs kritische und wissensgesättigte Annährung an ein Ehepaar, das seiner Zeit weit voraus war. Wilhelm von Humboldt: der große Reformer unseres Bildungswesens, der Diplomat, der Ästhet, der dem Wesen der Antike auf der Spur war, der Sprach-Philosoph, der Goethe- und Schiller-Freund. Seine Persönlichkeit ist nicht denkbar ohne seine Frau, Caroline von Dacheröden, Mutter seiner fünf Kinder, in den Hauptstädten Europas zu Hause: eine Partnerin,…mehr

Produktbeschreibung
Das Wunder einer vernünftigen Liebe Verdanken wir das Ideal einer humanistischen Erziehung dem Alltag einer außergewöhnlichen Beziehung' Hazel Rosenstrauchs kritische und wissensgesättigte Annährung an ein Ehepaar, das seiner Zeit weit voraus war. Wilhelm von Humboldt: der große Reformer unseres Bildungswesens, der Diplomat, der Ästhet, der dem Wesen der Antike auf der Spur war, der Sprach-Philosoph, der Goethe- und Schiller-Freund. Seine Persönlichkeit ist nicht denkbar ohne seine Frau, Caroline von Dacheröden, Mutter seiner fünf Kinder, in den Hauptstädten Europas zu Hause: eine Partnerin, die ihm an Weltneugier, Bildung, Kunstsinn und an tätiger Humanität ebenbürtig war. Die beiden verband keine allzu leidenschaftliche Beziehung, doch eine Liebe "auf gleicher Höhe". Die "Individualitäten eines jeden Charakters... in einem so engen Verhältnis wie die Ehe respektiert zu sehen", schrieb sie ihm, "war das einzige, was ich bei dem Mann suchte, dem ich meine Hand geben wollte ..." Das entsprach seinem Wunsch "in dem engsten Verhältnis die höchste Freiheit zu behalten". Anhand unzähliger Briefe, die sich die beiden über Jahrzehnte geschrieben haben, zeichnet Hazel Rosenstrauch mit kritischer Sympathie das Bild einer selbstbewussten Frau, deren Begriff von Liebe und Partnerschaft weit in die Moderne vorauswies, und das ihres Gefährten, der - an ihrem freien Wesen gewachsen - zu einem der großen liberalen Geister unserer Geschichte wurde.
Autorenporträt
Hazel Rosenstrauch, geboren 1945 als Tochter jüdisch-kommunistischer Emigranten in England, wuchs in Wien auf. Sie versuchte zuerst in die USA, dann nach Kanada auszuwandern, und kam 'gerade rechtzeitig zur Studentenbewegung' nach Berlin. Sie blieb 23 Jahre in der BRD, lebte u.a. in Köln, München, Tübingen und immer wieder Berlin und studierte Germanistik und Soziologie, später Empirische Kulturwissenschaft. Ende 1988 Umzug nach Wien, bis zu seiner Einstellung war sie Redakteurin des 'Wiener Tagebuchs'. Seit 1997 wieder in Berlin, wo sie als Lehrbeauftragte an der Humboldt-Universität arbeitet und bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften die Zeitschrift 'Gegenworte' herausgibt. 2012 wurde sie mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik geehrt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.06.2009

Offene Beziehung
Bill und Li: Hazel Rosenstrauchs Geschichte des sehr modernen Paars Caroline und Wilhelm von Humboldt
Die Brüder Humboldt sind zur Zeit unsere modernsten Klassiker. Das hat damit zu tun, dass derzeit in den Institutionen der Wissenschaft die Lebensform abgeschafft wird, auf der beide, Alexander und Wilhelm, ihre genialen Lebensleistungen errichteten: die persönlich geprägte, eigensinnig verfolgte, dabei grenzenlos gesellige Arbeit des Denkens und der Forschung.
Wilhelm, der von Kant lernte und Schiller beeinflusste, musste kaum etwas zu Ende schreiben und konnte doch zu einem der folgenreichsten Theoretiker des Sprachdenkens werden. Alexander suchte auf der Flucht vor märkischer Enge das Abenteuer auf dem ganzen Globus, inspirierte sich an Goethe und betrieb Positivismus nicht als Staatsbetrieb, sondern als Obsession eines privaten Großunternehmers in Paris. Die oft sture Genialität der beiden ging einher mit Kontakten zu allen Großen ihrer Zeit; Wilhelm war der einzige konkurrierende Diplomat, den Talleyrand fürchtete und daher 1814 als preußischen Gesandten in Paris ablehnte. Dabei korrigierte dieser Humboldt in den Pausen des Wiener Kongresses vor allem an seiner Übersetzung des „Agamemnon” von Aischylos. Bei aller titanisch anmutenden Arbeit liegt ein Hauch von Leichtigkeit, ja Virtuosentum über den Leben der beiden, und das ist unendlich anziehend.
Modern erscheinen sie aber auch als Liebende. Alexander war an Frauen desinteressiert, seine Männerfreundschaften halfen ihm umso besser, die Abenteuer und körperlichen Strapazen seiner Forschungsreisen zu bestehen. Wilhelm dagegen fand in der Frauenliebe einen „Genuss”, der ihm zu Ausgleich und Anregung so unentbehrlich wurde, dass er ganz freimütig darüber räsonierte. Es gelang ihm, zwei Phasen der europäischen Geschichte der Liebe aufs Unangestrengteste zu verbinden und vor allem ins Gleichgewicht zu bringen: aufgeklärte, adelige Libertinage und bürgerliche Innigkeit in einer perfekten Ehe.
Die Ehe von Wilhelm und Caroline von Humboldt, geborener Dacheröden, von „Bill” und „Li”, wie sie einander oft nannten, gehört seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts als eine Nachfahrin in sieben Bänden den Briefwechsel der Eheleute publizierte (dabei auch filterte), zu den geistigen Schätzen des deutschen Heims. Ein hohes Paar war da zu erleben, das in den Wechselfällen einer Umbruchzeit unverbrüchlich zusammenhielt, einander auch geistig gewachsen war, Freud und Leid und die meisten Ansichten teilte, eine große, kinderreiche Familie gründete und es dabei schaffte, ein kosmopolitisches Leben zu führen, dessen Stationen Paris, Madrid, Rom, Wien und London umfassen – räumlich oft getrennt, dafür nie ohne Verbindung in Briefen.
Es ist das wichtigste Verdienst der neuen Darstellung von Hazel Rosenstrauch, dass sie dieses Bild entschlossen modernisiert und dabei die Resultate eines Jahrhunderts der Humboldt-Forschung fürs Publikum nutzt. Denn dass diese Ehe nicht alles im erotischen Leben beider Partner war, wurde bei fortschreitender Erschließung der Quellen schnell deutlich, gelangte aber nicht in die besinnlichen Auswahlbände aus dem Briefwechsel für den deutschen Gabentisch.
Beide hatten Romanzen und Amouren neben der Ehe, und beide wussten davon. „Sollte einer von uns nicht mehr in dem anderen, sondern in einem Dritten das finden, worin er seine ganze Seele versenken möchte, nun, so werden wir beide genug Wunsch, einander glücklich zu sehen, und genug Ehrfurcht für ein so großes, wohltätiges Gefühl, als das der Liebe ist, von wem es auch genossen werde, besitzen, um nie auch durch die mindeste Undelikatesse die Empfindung des anderen zu entweihen.” Großzügigkeit also aus Liebe: So formulierte es Wilhelm bereits ganz zu Beginn der Beziehung im Januar 1790.
Und er hat sich daran gehalten, beispielsweise Lis Freund, den hübschen Burgsdorff geduldet und am Ende des Lebens, nach Lis Tod 1829, in einem Brief an Goethe doch resümiert: „Das Zusammenleben mit meiner Frau war und ist die Grundlage meines Lebens, ich fühle mich daher in meinem Innersten angegriffen und zerstört.”
Das letzte Halbjahrzehnt verbrachte Wilhelm damit, um Caroline zu trauen, unter anderem, indem er Tag für Tag ein Sonett des Gedenkens schrieb und bei jedem Wetter vor ihrer Grabstätte im Park des Tegeler Schlosses meditierte. Auf dem Totenbett ließ er sich ein Bild seiner Frau zeigen.
Er selbst hatte sich noch mehr Freiheiten genommen als Caroline, nicht nur durch Seelenfreundschaften wie jene zu Charlotte Diede, der man zwei Bände von Humboldts schönsten Briefen verdankt, ebenfalls ein lebensphilosophisches Brevier im bürgerlichen Zeitalter. Wilhelm von Humboldt war ein regelmäßiger und offenherziger Kunde von Bordellen, deren „Edlen” (so nannte er die Liebesdienerinnen) er auf unschuldige Weise dankbar war. Namen, Frequenz und Kosten stehen in seinen Tagebüchern, so dass die Nachwelt, anders als im Falle Friedrich Schlegels, gar nicht auf die Aufzeichnungen von Metternichs Polizei angewiesen ist.
Rosenstrauch zeigt in knappen Strichen auch die Verbindungen solcher gelebten Sinnlichkeit zu Humboldts Reflexionen über den Geschlechtsunterschied, dessen anthropologische Bedeutung er keineswegs auf den Zweck der Fortpflanzung reduzieren wollte, sondern als kosmisches Prinzip verstand. Ebenso gern liest man vom Alltag der Eheleute, in dem Wilhelm sich kaum weniger intensiv um die Kinder und deren Erziehung kümmerte als Caroline – keine Selbstverständlichkeit im adeligen Milieu.
Wir hören von Schwierigkeiten mit Dienstboten – in London braucht man die doppelte Zahl, weil die Hausmädchen immer so entsetzlich „langsam” ihren Tee tranken – oder unvermuteten Wirren wie der mit dem Hauslehrer Riemer, der sich in Caroline verliebte und deshalb von Rom nach Weimar, zu Goethes, abgeschoben werden musste.
Auch die verzehrende Trauer, die Humboldts ihren beiden in Rom, vermutlich an der Malaria gestorbenen Söhnen, widmeten, ist in einer Epoche verbreiteter Kindersterblichkeit keineswegs selbstverständlich. Erstaunlich bis heute wirkt ohnehin die europaweite Reiselust des Ehepaars, die nicht nur den diplomatischen Aufgaben Wilhelms, sondern der schieren Neugierde geschuldet war: Mit einem halben Dutzend Kindern die Pyrenäen oder die Alpen zu überschreiten war damals keine Kleinigkeit.
Nicht nur Alexander, auch Wilhelm und Li waren Globetrotter, die viel weiter herumkamen als beispielsweise Goethe, der nie in seinem langen Leben Paris oder London gesehen hat. Doch Goethe machte es sich auch mit Liebe und Ehe viel schwerer als die beweglichen Humboldts, und wenn man etwas vermisst in dem Gemälde dieser Ehe, dann Blicke auf den kulturgeschichtlichen und juristischen Kontext, der etwa in Goethes „Wahlverwandtschaften”eine so ganz andere, tragische Ansicht von der Ehe und ihrer Unvereinbarkeit mit der Liebe hervorbrachte. Auch wären die sozialen Differenzen zwischen der kleinhöfischen Enge in Weimar und dem viel freieren Berlin zu bedenken.
Doch am aufregendsten wird Rosenstrauchs Studie, wenn sie die politischen Ansichten des uns so nahe wirkenden Paars behandelt. Die aufgeklärten Kosmopoliten nämlich entdecken, zuerst 1798 in Paris, ihre „Deutschheit”. Bei der Lektüre von Goethes Epos „Hermann und Dorothea”, dem Wilhelm eine lange Abhandlung widmet, und im Kontakt mit der Pariser Großstadtwelt entsteht ein kultureller Begriff von nationaler Eigentümlichkeit, der wenig später mit dem antinapoleonischen Patriotismus zusammenfließen konnte.
Während Goethe bekanntlich seinen französischen Orden, den Stern der Ehrenlegion, auch nach Napoleons Untergang noch trug, kam Wilhelm die Weiterverwendung der französischen oder rheinbündischen Auszeichnungen so vor, als trüge man Sträflingskleidung, obwohl man doch aus dem Gefängnis entlassen sei.
Und Caroline, die Nachfahrin thüringischer Adeliger, wird seit 1812 zur Judenhasserin – überall machen sie sich breit und kaufen Land, reportiert sie, so dass man sogar mit jüdischen Patronatsherren für evangelische Landkirchen rechnen müsse; das sei absurd, denn selbst Türken wären dafür besser geeignet, weil der Koran im Gegensatz zu den Juden ja Jesus als Gottesboten nicht leugne. Rosenstrauch referiert diese Diskussionen der Eheleute mit großer Ruhe: Wilhelm, zwar kein Freund des Jüdischen in Religion und Sitte, bleibt bei seinem Programm der Emanzipation, auch weil sie am Ende jüdische Besonderheit zum Verschwinden bringen wird.
Humboldt war selbsterklärter „Heide”, griechenfixiert, deutsch aus kultureller Sendung, stolz darauf, Zeitgenosse und Freund von Goethe und Schiller zu sein, und als preußischer Politiker ein entschiedener Gegner des französischen Hegemoniestrebens in Europa; aber er war kein Rassist. Rosenstrauch: „Die Vorwürfe gegen Humboldt, sei es Judenfeindschaft oder Rassismus, stammen aus einer anderen Welt, einer Denkweise, die von den Erfahrungen des Holocaust geprägt wurde. Eine Verteidigung vor den Wohlgesinnten des 21. Jahrhunderts hat er nicht nötig.”
Das stimmt, und doch macht der Blick auf gleichzeitige Szenen – die antisemitischen Hetzreden bei der christlich-deutschen Tischgesellschaft um 1812 (SZ vom 18. Mai), die Bücherverbrennung beim Wartburg-Fest 1817 – beklommen. Die Humboldtsche Entdeckung der „Deutschheit” hat man noch vor hundert Jahren als Kapitel in der Geschichte der Humanität gelesen – vom Weltbürgertum zum Nationalstaat, lautete die Formel Friedrich Meineckes –, heute wirkt Grillparzers Linie: von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität, prophetischer.
So weit kann ein Buch über eine exemplarische Ehe führen, das eigentlich nur einen Wunsch offen lässt: Man hätte gern noch viel mehr Zitate aus den Quellen darin gelesen. GUSTAV SEIBT
HAZEL ROSENSTRAUCH: Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt. Die Andere Bibliothek. Herausgegeben von Klaus Harpprecht und Michael Naumann. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 334 Seiten, 30 Euro.
Aufgeklärte, adelige Libertinage und bürgerliche Innigkeit in einer perfekten Ehe
In Paris entdecken die Kosmopoliten zuerst ihre „Deutschheit”
Er war selbsterklärter „Heide”, griechenfixiert, deutsch aus kultureller Sendung
Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835). 1829 entwarf Karl Friedrich Schinkel die Familiengrabstätte in Tegel. Die Säule trägt eine Skulptur der „Spes” von Thorvaldsen (Kopie von Friedrich Tieck). Caroline von Humboldt (1766 - 1829). Das Gemälde von Gottlieb Schick verbrannte 1945. Abb.: Blanc Kunstverlag; Erich Lessing, akg-images; picture-alliance /akg-images
Karoline von Humboldt mit ihrem Sohn Theodor in Rom. Das Gemälde von Gottlieb Schick aus dem Jahr 1803/04 hing früher in Schloss Tegel. Abb.: akg-images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2009

Die Vermessung der Intimität

Die komplexe Persönlichkeit Wilhelm von Humboldts verschwindet oftmals hinter hehren Klischees: Hazel Rosenstrauch möchte es in ihrer klugen Doppelbiographie etwas genauer wissen.

Auch wenn Alexander von Humboldt in den letzten Jahren durch editorische Großprojekte und Daniel Kehlmanns Bestseller "Die Vermessung der Welt" richtiggehend populär wurde, denkt man, zumindest im deutschsprachigen Raum, beim Namen Humboldt wohl noch immer zuerst an seinen Bruder Wilhelm. Seine engen Beziehungen zu den "Klassikern" Schiller und Goethe, seine Bildungsidee und die Geburt eines neuen Universitätsideals unter seiner Federführung dürften dafür verantwortlich sein. Die komplexe Persönlichkeit Humboldts verschwindet hingegen hinter diesen hehren, geradezu zum Klischee erstarrten Begriffen.

Hazel Rosenstrauch lässt nicht viel von ihnen übrig. Dies liegt keineswegs an einem durchgehend dekonstruktivistischen Ansatz, der auf Legendenzertrümmerung aus ist. Vielmehr nähert sie sich Humboldt voller Sympathie und Respekt, immer mit dem Bemühen um Verstehen und gleichzeitigem Staunen über seinen Lebensentwurf. Sie streicht aber doch die Fremdheit und Disparatheit seiner Ideen heraus und legt durch ihren doppelbiographischen Ansatz, der Humboldts Frau Caroline fast gleichrangig in den Blick nimmt, den Akzent ebenso sehr auf den Menschen wie auf den Wissenschaftler und Politiker Humboldt.

Zum Vorschein kommt ein Mann, der in heute unvorstellbarer Weise auf sich und seinen privaten Kreis fixiert ist. "Dein Glück ist immer das einzige Ziel meines Lebens gewesen", schreibt er an seine Frau und sieht die enge Beziehung zu ihr für wichtiger an als jedes öffentliche Wirken. Gleich nach der Eheschließung verlässt er den Staatsdienst und bringt den Großteil seines Lebens mit der umfassenden Ausbildung seiner Persönlichkeit und Privatstudien zu, deren Ertrag nicht im geringsten Verhältnis zu dem betriebenen Aufwand steht. Nur in der Hochphase der napoleonischen Wirren, die auch sein Privatvermögen bedrohen, und in den Jahren patriotischen Überschwangs und Reformstrebens begibt er sich für längere Zeit in preußische Dienste.

Absolute Integrität und Prinzipientreue bis hin zur Starrsinnigkeit zeichnen Humboldt aus. Wo er sich in seinen Kompetenzen beschnitten oder in seiner Ehre gekränkt sieht, bittet er um Demission, in keinem Amt außer dem des preußischen Gesandten in Rom hält er es für längere Zeit aus. Zunehmend gerät er nach 1815 mit den erstarkenden restaurativen Kräften in Konflikte und provoziert durch seine Kritik am preußischen Staatswesen und sein Beharren auf Reformen seine Entlassung geradezu. Großartig seine Zurückweisung einer Fortzahlung seiner Bezüge an die höchste Adresse: "Es würde mir ein innerlich peinliches Gefühl sein, eine Besoldung zu genießen, ohne in Ew. Königlichen Majestät allerhöchstem Dienst tätig zu sein."

Seine Frau Caroline entstammt altem thüringischem Adel. Hazel Rosenstrauch zeigt eine selbstbewusste, selbständige Frau, die aktiv um ihren späteren Gatten geworben hat und ihren eigenen Lebenskreis unterhält. Als Mitglied des Berliner "Tugendbundes", zu dem unter anderen Henriette Herz und Karl von La Roche zählten, tritt sie ebenso in Erscheinung wie als Mäzenatin und Muse für Künstlerkreise in Rom. Ihre acht Schwangerschaften sind angesichts der vielfältigen Reisen quer durch Europa eine Lebensleistung für sich. Trotzdem bleibt sie im Vergleich zu ihrem Mann für den Leser weniger greifbar, und auch in puncto Sympathie sind ihre schrillen patriotischen Töne nach 1815 und ihre herben antisemitischen Ausfälle arge Belastungsfaktoren, trotz Rosenstrauchs souveräner Kommentierung.

Die Eheprinzipien dieses vermeintlichen Traumpaares scheinen von erstaunlicher Liberalität gewesen zu sein, jeder ausschließliche Besitzanspruch scheint zu fehlen. Und doch lässt sich nur darüber spekulieren, wie sich die zum Teil handfesten Liebeleien Carolines oder Humboldts bekannte Neigung zum Aufsuchen von Prostituierten, die er vor seiner Gattin sicherlich verborgen hat, auf den Ehealltag ausgewirkt haben oder zu dem idealisch-empfindsamen hohen Stil der Briefe passen. Im Letzten weiß man also trotz der zahllosen erhaltenen Briefe recht wenig über die Beziehung der Humboldts, wozu zensorische Eingriffe Nachgeborener beigetragen haben mögen.

Vieles reißt Hazel Rosenstrauch nur an, oftmals möchte man nachfragen oder etwas genauer wissen. Statt ein Defizit zu benennen, liegt darin aber vielmehr eine Qualität ihrer Darstellung, Rosenstrauch stimuliert die Neugier. Eine Spurensuche im modernen Rom beendet ihr schönes Buch, das durch die stete Balance von Einfühlung und Distanz und eine durchgehende Souveränität des Urteils besticht.

THOMAS MEISSNER

Hazel Rosenstrauch: "Wahlverwandt und ebenbürtig". Caroline und Wilhelm von Humboldt. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 335 S., geb., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Geradezu ins Schwärmen gerät der Rezensent Gustav Seibt in seiner Beschreibung der überaus modernen, Seitensprünge von beiden und Bordellgänge Wilhelms souverän überlebenden Ehe zwischen Wilhelm Humboldt und seiner Frau Caroline. Fast nicht fasslich findet es Seibt, was dieses Paar so alles geleistet hat: Wilhelm in diplomatischen Diensten, nebenbei Aischylos übersetzend, Sprachtheorien verfassend. Caroline und die sechs Kinder mit dabei, wenn es über den Brenner nach Süden geht. Gereist nämlich wird aus kosmopolitischer Neugier immerzu, was unter den damaligen Bedingungen, so Seibt, alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen sein dürfte. Ein Schatten fällt dann aber doch: die beiden entdecken nach Napoleons Niederlage ihre "Deutschheit", was bei Caroline eine sehr unangenehme antisemitische Wendung nimmt. Das ändert nichts daran, dass der Rezensent von diesem Porträt der beiden begeistert ist.

© Perlentaucher Medien GmbH
'"Die Kulturwissenschaftlerin Hazel Rosenstrauch ... hat ... mit ihrer Doppelbiografie des Ehepaars Caroline und Wilhelm von Humboldt eine Art Reiseführer in Europas Moderne geschrieben, für Angstlose, abenteuerlich gut, auf geradezu erholsame Weise geistreich, ein sehr politisches Buch, hinreißend gestaltet obendrein. Ein Buch über die Liebe, das den Sinn für geistige und politische Reisefreiheit weckt, für alle, die nicht dauernd bloß lesen." (Elisabeth von Thadden, Die Zeit, 25. Juni 2009)

"Rosenstrauchs Buch (ist) mehr als nur eine Facette im Familienalbum der großen preußischen Dynastie. Es ist eine sorgfältige und beeindruckende Studie über die Welt der Gefühle am Vorabend der Moderne.' (Edelgard Abenstein, Deutschlandradio Kultur, 15. Mai 2009) 'Fast erscheint es unglaublich: dass die Frauen-Gleichberechtigung nach einer Caroline von Humboldt noch derart lange warten musste. Diese Biografie ist gleichzeitig ein fesselndes Porträt der Zeit, in der die Humboldts ... lebten und kräftig mitmischten." (Beatrix Novy, NDR-Kultur, 5. Mai 2009)

"Buch der Woche ... Insgesamt hat Hazel Rosenstrauch in profunder Kenntnis der Materie ein Lebensbild geschrieben, das nicht nur der faszinierenden Personen wegen, denen sie sich widmet, fesselt." (Tilman Krause, Die Welt, 6. Juni 2009)

"Es ist das wichtigste Verdienst der neuen Darstellung von Hazel Rosenstrauch, dass sie dieses (überlieferte) Bild entschlossen modernisiert und dabei die Resultate eines Jahrhunderts der Humboldt-Forschung fürs Publikum nutzt ... So weit kann ein Buch über eine exemplarische Ehe führen, das eigentlich nur einen Wunsch übrig lässt: Man hätte gern noch viel mehr Zitate aus den Quellen darin gelesen." (Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 6./7. Juni 2009)…mehr