Marktplatzangebote
21 Angebote ab € 0,29 €
  • Gebundenes Buch

Konstanz 1941. Vergeblich versuchen der jüdische Pianist Helmut Spiegler und seine Frau Eva über die Grenze in die Schweiz zu flüchten. Nur einer, so flüstert ihnen jemand zu, kann helfen: Gero von Nohlen, ein schwerreicher Immobilienhändler, der Häuser von geflüchteten Juden verwaltet. Tatsächlich nimmt von Nohlen sie unter dem Vorwand, sie seien ausgebombte Verwandte, in sein Haus auf. Während sich Helmut in die hermetische Welt der späten Beethovensonaten versenkt, gerät Eva in einen Mahlstrom gefährlicher Gefühle, der am Ende ein Leben kostet. Die tragischen Ereignisse des Frühjahrs 1945…mehr

Produktbeschreibung
Konstanz 1941. Vergeblich versuchen der jüdische Pianist Helmut Spiegler und seine Frau Eva über die Grenze in die Schweiz zu flüchten. Nur einer, so flüstert ihnen jemand zu, kann helfen: Gero von Nohlen, ein schwerreicher Immobilienhändler, der Häuser von geflüchteten Juden verwaltet. Tatsächlich nimmt von Nohlen sie unter dem Vorwand, sie seien ausgebombte Verwandte, in sein Haus auf. Während sich Helmut in die hermetische Welt der späten Beethovensonaten versenkt, gerät Eva in einen Mahlstrom gefährlicher Gefühle, der am Ende ein Leben kostet. Die tragischen Ereignisse des Frühjahrs 1945 bleiben sechzig Jahre lang verborgen, bis Gero von Nohlens Enkel bei Recherchen zur Lebensgeschichte seines nach dem Krieg mit Ämtern und Auszeichnungen honorierten Großvaters die Vergangenheit zum Sprechen bringt und die Lebenslüge einer ganzen Familie entlarvt.

In einer raffinierten literarischen Komposition verschränkt Marc Buhl zwei Erzählstimmen zu einem beklemmenden Roman über die Widersprüche eines deutschen Jahrhunderts und öffnet den Blick für eine individuelle Verantwortung, die keine individuelle Schuld mehr braucht.
Autorenporträt
Marc Buhl, geboren 1967, studierte Germanistik, Anglistik, Politikwissenschaften und BWL in Freiburg. Hier arbeitete er nach ausgedehnten Reisen nach Afrika und Asien mehrere Jahre als freier Journalist und schrieb seinen ersten Roman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2006

Der Überopa von Konstanz
Karambolagen im Nebel: Marc Buhls Roman "Billardzimmer"

Die Verbrechen des Nationalsozialismus rächen sich mittlerweile bis ins dritte Glied, jedenfalls in der deutschen Literatur. Die Enkel nehmen die Schuld der Großväter auf sich und schwören schnell bußfertig, die Sache von Freiheit und Zivilcourage besser auszufechten. Faulkners Satz, die Vergangenheit sei nicht tot, nicht einmal vergangen, liefert Marc Buhl das Motto für seinen Roman "Billardzimmer", und sein Held nimmt im Nebel von Konstanz "alles sehr persönlich".

"Verantwortung ist eine Idee. Schuld ist eine Kraft. Sie ist stärker und älter" - das ist groß gedacht und leicht gesagt, aber nicht unbedingt der Stoff, aus dem große Literatur entsteht. Daß Buhl, selbst wenn er sich mehr von Papier und Archivrecherchen nährt als von lebendiger Erfahrung, ein technisch versierter Erzähler ist, zeigten schon seine historischen Romane über den armen Lenz ("Der rote Domino"; 2002) und den Wunderläufer Mensen ("Rashida"; 2005). Auch diesmal hat er zwei Zeitebenen mit Rückblenden, Perspektivwechseln und starken Leitmotiven geschickt verschränkt; aber gerade weil alles so glatt verzahnt ist und reibungslos aufgeht, knirschen die Scharniere der Konstruktion um so vernehmlicher.

Gero von Nohlen war ein Tausendsassa, wie er im Buche steht: Im "Dritten Reich" Gründer des "Vereins zur Bekämpfung des Antisemitismus", furchtloser Judenretter und Widerstandsheld, nach dem Krieg Bürgermeister von Konstanz, unorthodoxer Regierungsrat, Mitbegründer einer Privatbank und der SPD, Freund von Hesse und Teilhard de Chardin, zu allen Zeiten: Choleriker, Frauenheld, Teufelskerl. 1941 gewährte er in seinem Billardzimmer jüdischen Flüchtlingen, darunter der schönen Eva Spiegler und ihrem gebrochenen Mann, dem Pianisten Helmut, Unterschlupf; die Schnüffeleien der Gestapo und das Gemunkel des Pöbels verbat er sich energisch. Der alte Nohlen war nie ein feiger Leisetreter. In Yad Vashem wurde dem "Gerechten" ein Baum gepflanzt; als Immobilienkönig und graue Eminenz der Stadt durfte er sich alle Freiheiten erlauben.

Ein derart überlebensgroßes Heldendenkmal kann nur auf brüchigem Sockel stehen. Als Nohlens Enkel Gero, ein depressiver Lokaljournalist, der vom Großvater den Namen, aber nicht das dröhnende Selbstbewußtsein geerbt hat, für eine Bank ein gut bezahltes Porträt seines Vorfahren schreiben soll, stößt er auf Ungereimtheiten: Nohlen senior war offenbar Mitglied der SS, und er hat sich nicht nur an jüdischem Besitz bereichert, sondern als Liebhaber Evas auch seinen Rivalen Helmut verraten. So ein Doppelleben kann auch stärkere und weniger naive Naturen als seinen Enkel erschüttern. "In uns fließt das Blut eines Mörders", erkennt Nohlen junior schockiert. "Wir müssen unser Leben ändern." Sein Bruder, der als Politiker und Platzhirsch gerade in die Fußstapfen des Großvaters tritt, zeigt wenig Interesse an einer schonungslosen Aufdeckung des Familienfluchs. Gero aber läßt sich in seinem Aufklärungsfuror weder von Erpressung, Geld oder Gewalt noch von Selbstzweifeln, Scham und nebulösen Zusammenbrüchen aufhalten. In einem Altersheim in der Wüste von Arizona spürt er Eva auf; während die alte Frau nach dem Ablegen einer Fasnachtsbeichte sanft entschläft, reichen sich die Enkelin des Opfers und der Enkel des Täters über ihrem Grab die Hand. So wird Schuld durch Liebe gesühnt und die Versöhnung von Juden und Deutschen angebahnt: Unter einer unbarmherzigen Wüstensonne lichten sich die Nebel der Vergangenheit.

Buhls dritter Roman ist sein schwächster, ein zeitgemäßes Melodram, nah am politischen Kitsch gebaut. So behutsam der Autor die Widersprüche und Lebenslügen der Großeltern-Generation enthüllt: Seine Enkel sind aus Klischees und Pappmaché gemacht. Der junge Nohlen, psychisch labil seit dem Scheitern seiner Beziehung zu einer kurdischen Asylantin, ist ein furchtloser Chefermittler in eigener Sache, sein Bruder die Karikatur des skrupellosen Opportunisten, seine amerikanische Erlöserin ein vom Paradies dahergewehter Engel der Geschichtslosigkeit.

Buhl gelingen einige schöne Szenen, etwa wenn er die Verbitterung und Realitätsflucht des schwermütigen Pianomanns oder die unmögliche Liebe zwischen der Jüdin und dem Kriegsgewinnler beschreibt. Aber Nohlens SS-Kameraden reden so hohl wie ein heideggernder Goebbels; das Bürgertum schaut allzeit weg und schweigt, und so muß der Enkel die historische und familiäre Schuld politisch doppelt korrekt büßen.

"Das Billardzimmer" ist deutsche Vergangenheitsbewältigung am Billardtisch: Jede moralische Karambolage in der Gegenwart ein Spiel über die Bande der Vergangenheit, jeder Stoß nach den Gesetzen von Einfalls- und Ausfallswinkel exakt berechnet. Für Zweideutigkeiten, Irrläufer und Zufallstreffer bleibt am grünen Tisch kein Platz. Buhl müht sich sichtlich, den schweren Pflichtstoff mit Liebe und Leidenschaft leicht und eingängig zu machen, aber seine sprachlichen Mittel sind zu beschränkt, seine Konstruktion und Symbolik zu durchsichtig, und sein persönliches Herzblut ist dünn und wie geborgt.

MARTIN HALTER

Marc Buhl: "Das Billardzimmer". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt 2006. 318 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das ging daneben. Den Roman hält Martin Halter für den bislang schlechtesten des Autors Marc Buhl. Zu augenfällig erscheint ihm die Konstruktion der Geschichte um Verantwortung und Schuld, zu schwer der Stoff, zu beschränkt die sprachlichen Mittel Buhls, zu klischeebeladen die Figuren. Was als multiperspektivisch angelegte Vergangenheitsbewältigung gedacht war, liest der Rezensent als haarscharf am politischen Kitsch vorbeischrammendes Melodram. Buhls Bemühung um Behutsamkeit bei der Behandlung des Generationenkonflikts um kriegsbedingte Lebenslügen - in Halters Augen schlägt sie, von "einigen schönen Szenen" abgesehen, fehl.

© Perlentaucher Medien GmbH