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Er war ein wetterwendischer Opportunist, ein Frauenjäger der dreistesten Art, ein barscher Vorgesetzter - und ein manischer Tagebuchschreiber. Samuel Pepys (1633 - 1703) legte in seinem Tagebüchern über alles Rechenschaft ab - über seine (manchmal mafiösen) Geschäftsmethoden im Marineamt, seine Ausschweifungen in düstren Kneipen und fremden Betten, seine Ehezwistigkeiten, seine Krankheiten, seine Speisezettel, seine Erniedrigungen, seine Selbstzweifel, seine Verdauungsstörungen. Entstanden ist so ein einzigartiges Dokument, in dem spannendstes zeitgeschichtliches Material, privateste…mehr

Produktbeschreibung
Er war ein wetterwendischer Opportunist, ein Frauenjäger der dreistesten Art, ein barscher Vorgesetzter - und ein manischer Tagebuchschreiber. Samuel Pepys (1633 - 1703) legte in seinem Tagebüchern über alles Rechenschaft ab - über seine (manchmal mafiösen) Geschäftsmethoden im Marineamt, seine Ausschweifungen in düstren Kneipen und fremden Betten, seine Ehezwistigkeiten, seine Krankheiten, seine Speisezettel, seine Erniedrigungen, seine Selbstzweifel, seine Verdauungsstörungen. Entstanden ist so ein einzigartiges Dokument, in dem spannendstes zeitgeschichtliches Material, privateste Bemerkungen und absonderliche Ideen eine abenteuerliche, faszinierende und auch hochkomische Melange bilden.In einer privaten Geheimschrift abgefaßt, lagerten die zwölf Bände seiner Tagebücher über 100 Jahre ungelesen in einer Bibliothek. Erst 1818 gelang es, die Tagebücher zu entschlüsseln. Volker Kriegel hat dieses gigantische Diamantenfeld mehrfach umgegraben und für den heutigen Leser die spannendsten Stellen herausgesiebt.
Autorenporträt
Georg Deggerich, 1960 in Duisburg geboren, studierte Anglistik, Germanistik und Philosophie in Münster. Er lebt als Gymnasiallehrer und Übersetzer in Krefeld. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören Oscar Wilde, Samuel Pepys und David Sedaris. Daneben ist er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Am Erker.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2004

Minutenbuch des Lebens
Samuel Pepys' "Geheime Tagebücher" als volksmundige Ausgabe

Im Grunde: ein unmöglicher, ein typischer Kerl. Ein Genußmensch, der nur mit des lieben Gottes Beistand vom Saufen lassen kann. Ein Ehemann, der keinen fremden Rock vorbeirauschen läßt, ohne drunterzufassen. Ein Pragmatiker, der in seinem Gewissen dem Teufel einen verantwortlichen Platz für die bösen Taten einräumt. Ein korrupter Karrierist, der anderen Männern gerne hilft, wenn deren Frauen mit Liebe bezahlen. Ein Suchtmensch, der mit seiner Leidenschaft für das Theater hadert. Ein Pfennigfuchser, der seiner Ehefrau auf die Finger haut. Ein Angeber, der mit geblähter Brust in seiner eigenen Kutsche durch London rauscht. Ein Buchhalter, der seine Konten hoch und runter rechnet. Ein Neureicher, der bei Gefahr zuerst an seine privaten Schatullen denkt. Ein Schlemmer, der unter Verstopfung leidet. Ein Frömmler, der zu Gott betet, daß der ihn doch bitte nicht am nächsten Tag den gleichen Unfug anstellen lasse. Ein Büchernarr, der dreitausend Bände zusammenträgt. Ein Grobian, der Frauen bedrängt, bis er bekommt, was er möchte. Ein Heuchler, der seiner jungen Frau Ammenmärchen auftischt, damit sie die Klappe der Eifersucht hält. Ein Weichling, der die häusliche Harmonie als Wolldecke braucht. Ein Arbeitstier, das seinen Dienst im Büro brav erfüllt. Ein schamloser Hund, der auf dem Weg zurück von der Beerdigung seiner Mutter sofort zum nächsten Seitensprung ausbüxt. Ein Egoist, der die ganze Welt sich zum eigenen Vorteil einrichtet. Ein Kleinbürger, dem es wichtig ist, zu wissen, was die wichtigen Leute von ihm halten. Eine ehrliche Haut, die alles in seinen geheimen Tagebüchern, die erst Jahre nach seinem Tod entziffert und veröffentlicht worden sind, nicht verschweigt - sondern mit Akribie notiert: der Engländer Samuel Pepys, geboren 1633 und gestorben 1703. Ganz sicher keiner, der sofort in den Himmel aufgefahren ist, aber ganz sicher einer, der mit dieser Statur vor dem Jüngsten Tag dort ankommen wird.

Währenddessen lesen wir in seinen Tagebüchern und üben uns ein im Schlawinertum auf Erden. Was soll einer von uns denken, dem wir erzählen, wir stöberten im "Pepys" und fänden, was wir dort finden, gut? Die Tagebücher von Kierkegaard, von Hebbel, Gide, Goetz - mit reinem Herzen genehmigt. Aber Pepys, der schnelle Hans im Genuß, der Schürzenjäger mit weitem Ehering? Sehr fragwürdig.

Die einen sagen: Pepys ist von zeitgeschichtlichem Wert und denken an seine Bemerkungen über Land und König, Pest und Feuersnot in London. Die anderen sagen: Pepys ist von menschlichem Wert und denken daran, daß seine Tagebücher eine Quelle des Wissens sind darüber, wie einer damals fühlte und was er dachte. Die einen wie die anderen haben ein historisches Interesse an Pepys und brauchen sich nicht zu grämen, wenn sie mit dem Buch in der Hand in der Bibliothek erwischt werden. Aber die anderen, die im Bett oder im Sessel lesen - was sagen die?

Am 8. Februar 1668 kauft sich Pepys bei seinem Buchhändler am Londoner Strand das, wie er schreibt, nichtsnutzige Skandalwerk "L'escolle des filles". Er nimmt die broschierte Ausgabe, weil er das Buch, wenn er es gelesen hat, verbrennen möchte. Es soll nicht in seiner Bibliothek stehen und ihm keine Schande machen. Am Vormittag des nächsten Tages stöbert er in dem Buch und bemerkt noch einmal, daß es sich um ein liederliches Buch handle, aber lesenwert für einen charakterfesten Mann, der sich über die Verderbtheit der Welt informieren möchte. Der Heuchler. Am Abend liest er das Buch zu Ende und bemerkt erneut, daß es ein liederliches Buch sei, aber ungefährlich für ihn, der es ja nur zu Studienzwecken lese. Wie wahr, macht er doch unter der Woche genug Erfahrungen mit seiner Hand und mit seinem "Ding" bei den Frauen - wobei manche Frau ihre Befriedigung darin finden muß, ihn zu befriedigen.

Liederlich: das sind die "Tagebücher" von Samuel Pepys in unseren Lustgraden schon lange nicht mehr. Nur frommen Seelen würde es auf ihrer Seele lasten. Einen vorbildhaften Lebenswandel wird keiner auf diesen Seiten finden, und sei der auch nur darin vorbildlich, daß Pepys sich wenigstens einmal mit dem Teufel länger balgen würde. Wenn Pepys wenigstens einmal länger und wirklich zerknirscht wäre, weil seine Frau über seine Seitensprünge tobt. Aber der Aufstand der besseren Hälfte hallt bei ihm nur für einige Tage nach, in denen er ihr und dem lieben Gott das Blaue vom Himmel beteuert und sich das Schwarze von seiner Seele schwadroniert. Kaum aber kreuzt ein Ausschnitt, der Sinnenfreude verspricht, seinen Weg, schon ist er über die Berge der guten Vorsätze hinweg gehüpft und auf und hinterher. Abends setzt er sich ordentlich hin und schreibt das alles auf - und man muß sagen, er schreibt das alles in einem Beruhigungsstil auf, als würde er nicht mit der Wimper zucken.

Das Lebensmotto des Samuel Pepys ist die frühe Perversion von Kierkegaards Lebensmotto. Hatte der Däne gesagt: Nach vorne wird gelebt, und nach hinten wird gedacht, und zwar deswegen, weil kein Mensch sein Leben vorausdenken kann, weil Denken und Existenz nicht in eins fallen, so sagt der Engländer, der ein völlig unphilosophischer Kopf ist: Nach vorne wird flott gelebt, und nach hinten wird brav notiert, und zwar deswegen, weil kein Mensch seine Sinnenfreude im Griff hat, weil die Existenz sich von den guten Vorsätzen des Denkens nicht ins Bockshorn jagen lassen kann.

Wer mit der neuen bebilderten Ausgabe von Pepys' Tagebüchern im Park erwischt wird, der bekennt damit, daß er entweder sich und seine Sinnenfreude nicht zügelt und das gut findet, weil er ja gerade beim Urbild des karrieredienlichen Lotterwandels nachliest, daß keine schlimmen Folgen blühen. Oder er bekennt dadurch, daß er sich nicht scheut, Gefallen an diesem englischen Angestellten-Casanova zu finden, ja daß er vielleicht bei Pepys einen frühen Kommentar zum heutigen Lebenswandel entdeckt hat. Wer führt ein Leben wie Kierkegaard? Keiner. Wer führt ein Leben wie Pepys? Wahrscheinlich die meisten.

Da das so ist, müssen wir die neue und volksmundige Ausgabe seiner Tagebücher unbedingt begrüßen. Denn Pepys ging wenigstens in die Kirche, während heute die meisten Kirchen meistens leerstehen, und hörte sich wenigstens Predigten an, die heute keiner mehr hören will, und schrieb darüber hinaus wenigstens ein Tagebuch, das heute keiner mehr schreiben will. So weit ist es in den dreihundert Jahren seit Pepys gekommen, daß nur Karriere, Kröten und Lust übriggeblieben sind. Wir müssen also reinen Herzens und schweren Gewissens einräumen, daß sich niemand, der mit einem Pepys erwischt wird, dessen zu schämen oder zu grämen braucht, denn er ist vielleicht auf der Suche nach dem lieben Gott der guten Vorsätze und dem bösen Teufel der ungezügelten Triebe und der hilfreichen Kirche des sündigen Herzens und der Minutenbekehrungen des herzhaften Sünders. Dieser Niemand auf der Parkbank oder im Sessel daheim würde mit Pepys' Tagebüchern, deren Lektüre die Gedankenkraft ja in keiner Weise anstrengt, vielleicht endlich einmal in ein Gespräch mit sich selbst kommen.

Weshalb wir nun laut wünschen: Leute, lest Pepys zu Eurem Wohle!

Samuel Pepys: "Die geheimen Tagebücher". Herausgegeben von Volker Kriegel und Roger Willemsen. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Georg Deggerich. Mit einem Nachwort von Roger Willemsen und Illustrationen von Beck, F. W. Bernstein, Robert Gernhardt, Greser & Lenz, Nikolaus Heidelbach, Ernst Kahl, Volker Kriegel, Bernd Pfarr, Michael Sowa, Hans Traxler, F. K. Wächter. Eichborn Verlag, Berlin 2004. 413 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Eberhard Rathgeb begrüßt die Neuausgabe der Tagebücher des "englischen Angestellten-Casanovas" Samuel Pepys, der von 1633 bis 1703 gelebt hat. Zwar seien sie in unseren heutigen Lustgraden längst nicht mehr so liederlich wie einst. Doch wer mit dieser neubebilderten Ausgabe heute im Park erwischt wird, bekenne doch - so Rathgeb - dass er entweder sich oder seine Sinnesfreude nicht zügelt und das auch gut so findet. Die neue Ausgabe bezeichnet Rathgeb wortschöpferisch als "volksmundig", und der Tonfall seiner Rezension lässt auf amüsante Lektüre schließen. Laut wünscht der Rezensent am Ende seinem Publikum: "Leute, lest Pepys' zu Eurem Wohle!" Denn der liederliche Mann ging wenigstens noch zur Kirche, während dreihundert Jahre später Genuss nur noch ohne Gottes Beistand denkbar und möglich sei.

© Perlentaucher Medien GmbH"