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Frühjahr 1999. Eben hat sich der junge Leo Pardell um seine kargen Ersparnisse betrügen lassen. Den vollmundig avisierten Aufenthalt in Buenos Aires spielt er seiner Mutter und seiner Angebeteten jetzt einfach telephonisch vor, und verdingt sich - barjeder Schlafstätte oder Mittel - als Aushilfs-Schlafwagenschaffner. Während seiner nächtlichen Reisen auf den Schienennetzen Europas trifft er die merkwürdigsten Gestalten: französische Schmuggler, bulgarische Verführungsspezialisten, korrupte Kontrolleure, kluge Buchhändlerinnen, Brüsseler Bürokraten, melancholische englische Detektive,…mehr

Produktbeschreibung
Frühjahr 1999. Eben hat sich der junge Leo Pardell um seine kargen Ersparnisse betrügen lassen. Den vollmundig avisierten Aufenthalt in Buenos Aires spielt er seiner Mutter und seiner Angebeteten jetzt einfach telephonisch vor, und verdingt sich - barjeder Schlafstätte oder Mittel - als Aushilfs-Schlafwagenschaffner. Während seiner nächtlichen Reisen auf den Schienennetzen Europas trifft er die merkwürdigsten Gestalten: französische Schmuggler, bulgarische Verführungsspezialisten, korrupte Kontrolleure, kluge Buchhändlerinnen, Brüsseler Bürokraten, melancholische englische Detektive, mörderische Priester im diplomatischen Dienst und reizende, russische Beischlafdiebinnen. Und dann kreuzt den Weg des ahnungslosen Pardell auch noch die mythische Ziffer a Grand Complication 1924, die erste mechanische Uhr mit Jahrtausendanzeige. Genau die Uhr, der nicht nur der fanatische Uhrensammler Friedrich von Reichhausen gerade wütend und verzweifelt nachjagt... Steffen Kopetzky gelingt d as Ku
Autorenporträt
Steffen Kopetzky wurde 1971 geboren. Nachdem er eine gewisse Zeit als Schlafwagenschaffner gearbeitet hatte, veröffentlichte er die beiden Bücher »Uneigentliche Reise« (1997) und »Einbruch und Wahn« (1998). Neben einer regelmäßigen Kolumne in der Zeit schreibt er für den Rundfunk, verschiedene überregionale Zeitungen und Zeitschriften und verfasst Theaterstücke, Hörspiele und Opernlibretti. Kopetzky wurde bisher mit dem Preis des Landes Kärnten, dem Carolinenpreis für Journalismus, dem Kurt-Magnus-Preis der ARD und dem Else-Lasker-Schüler-Preis für Dramatik sowie zahlreichen Stipendien ausgezeichnet. Der Autor lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2002

Wer zählt die Schaffner, nennt die Namen
So schöne Lockenperücken sah man selten in der Eisenbahn: Steffen Kopetzky begibt sich auf die „Grand Tour” und kommt aus dem Erzählen nicht mehr heraus
Natürlich gibt es genug Gründe, Steffen Kopetzky für einen Scharlatan und Schlawiner unter den Jungschriftstellern zu halten. Er hat, nach zwei noch recht gärungsbedürftigen Romanen, pompös sein „Hauptwerk” angekündigt; er hat sodann einen Koloss von gut siebenhundert kleinbedruckten Seiten vorgelegt, der sich einerseits schamlos vormoderner Erzählmethoden bedient und dem man andererseits diverse Schlampereien und Verstöße gegen die goldenen Regeln des Erzählhandwerks nachweisen kann. Kopetzky lässt sich von Klischees nicht schrecken, er ist anfällig für erotischen Kitsch, und er weiß vielleicht wirklich nicht, wie man „Potpourri” und „rhetorisch” schreibt und wie das Imperfekt von 'spinnen' lautet. Oder es ist ihm genauso egal wie seinem Lektor. Es muss ferner befürchtet werden, dass das Vergnügen, das hinter dem großspurigen Titel „Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication” trotz alledem lauert, ein Genuss ist, der nur Eisenbahnfreunden und Sammlern mechanischer Uhren zuteil wird, abgewirtschafteten Nostalgikern also, die im Reich der Popliteratur kein Bein auf den Boden kriegen, ihre wahren literarischen Ekstasen vor der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts suchen und beim Lesen gelegentlich gern fünf gerade sein lassen. Für diese Herrschaften jedenfalls kann der kursbuchdicke Schinken ein hinreißender Zeitvertreib sein, sei es auf Reisen oder im restaurierten Biedermeier- Fauteuil.
Ach, die Kursbücher zum Anfassen - sie sind in der Ära der digitalisierten Fahrplanauskunft ebenso vom Aussterben bedroht wie die europäische Schlafwagentradition, die von Container-Konzepten mit stromlinienförmigen Namen wie „City-Nightline” überrollt wird. Steffen Kopetzky hat, wie es im Klappentext vage heißt, „eine gewisse Zeit” als Schlafwagenschaffner gearbeitet. Die Erfahrungen und Fantasien jener durchwachten Nächte hat er in ein Erzählprojekt einfließen lassen, das einer im teuersten Fall luxuriösen, sonst eher beschwerlichen, seit jeher aber mit dem Odeur von Sehnsucht, Abenteuer und Verbrechen parfümierten Reiseform ein Denkmal setzt. Schon dafür sei ihm gedankt.
„Am Abend auf Reisen zu gehen hat etwas unabweisbar Beglückendes”, steht da irgendwo, und wenn es auch klingt wie ein Vorkriegs-Werbespruch der Mitropa, so ist es doch wahr. Kopetzkys Held, ein schiffbrüchiger Architekturstudent namens Leonard Pardell, heuert im Jahre 1999 nicht bei der Mitropa an, sondern beim mächtigeren Konkurrenzunternehmen, der „Compagnie des Wagons-Lits”. In Berlin hat er eine unvollendete Diplomarbeit über Fluchtwege in den „Carceri” des Barockarchitekten Piranesi zurückgelassen, in München landet er, nachdem seine Flucht nach Buenos Aires an den kriminellen Machenschaften eines Reiseveranstalters gescheitert ist.
Der Job des „Springers” bei der Münchner Compagnie-Sektion, als Notlösung ergriffen, zieht den empfindsamen jungen Mann alsbald in seinen Bann: Die europäische Schlafwagengesellschaft entpuppt sich nicht nur als Auffangbecken für schräge Vögel und buntscheckige Existenzen, sondern auch als eine Art Geheimbund mit eingefahrenen Ritualen, unter dessen nachtschwarzem Deckmantel allerlei Nebengleis-Geschäfte vom Glücksspiel bis zum Drogenhandel abgewickelt werden. Wer zählt die Schaffner, nennt die Namen? Das Personal, mit dem Kopetzky seine fiktionale Modellbahnanlage bevölkert, ist bei aller Unübersichtlichkeit farbig, komisch und ausdrucksstark genug, um den Leser an Bord zu halten. Pardell schließt Freundschaften, lernt die gastronomischen und hygienischen Niederungen des Unternehmens kennen und erkundet staunend die Stammlokale des fahrenden Volks an den Endbahnhöfen, allen voran das legendenumwobene „Gran' Tour” nahe der Pariser Gare de l'Est. Daneben versucht er eine alte Liebe per Telefon aufzuwärmen, übt sich im Verführen weiblicher Fahrgäste, verfällt den Reizen einer russischen Beischlafdiebin und arbeitet im unfreiwilligen Drogenrausch sein Kindheitstrauma auf.
Ein solches hat auch der zweite Romanheld zu bewältigen, ein alternder Anwalt mit Adelstitel, der sich nach zahlreichen menschlichen Enttäuschungen nur mehr für kostbare Uhren interessiert, insbesondere für solche mit mechanischen „Komplikationen”, und ansonsten dem Lebensmotto huldigt: „Es muss unbedingt mehr getrunken werden.” Die Jagd nach dem weltweit einzigen Chronometer mit Jahrtausendanzeige, der von einem gewissen Samuel Ziffer 1924 erbauten „Grande Complication”, zieht den daueralkoholisierten Baron Friedrich von Reichhausen auf bizarren Umwegen in das Nachtstreckennetz der Compagnie, und Steffen Kopetzky nimmt diesen Erzählstrang zum Anlass, ein paar kuriose Vorfälle rund um die Sonnenfinsternis von 1999 und die vom „Millennium Bug” bedrohte Jahrtausendwende zu inszenieren. Dass er fortwährend neue Figuren einführt, Detektive, Taxifahrer, neapolitanische Miniatur-Mafiosi, belgische Verkehrsbürokraten, deutsche Stadtschreiber und andere, deren Spuren er nach Lust und Laune verfolgt und wieder fallen lässt, wirkt im Kontext dieses hochgradig verspielten Roman-Räderwerks viel weniger verwirrend, als man befürchten müsste. Den eigenen, megalomanen Anspruch, im Schienenkosmos der Schlafwagengesellschaft die Mechanik des Universums abzubilden, ironisiert der Autor in der Gestalt eines paranoiden holländischen Monteurs, der die Institution und ihre Embleme als Nachrichtensystem außerirdischer Kontrolleure entlarvt.
Steffen Kopetzky hat Walter Benjamin gelesen und nicht nur den, er hat mit Aufwand recherchiert und konstruiert, prunkt mit Anspielungen und Kenntnissen verschiedenster Provenienz. Aber nicht dadurch überzeugt er jene, die den Wälzer bis zum Ende lesen, sondern durch seinen unerschrockenen Fabuliereifer, der auch nach kleinen Durststrecken immer wieder zu neuen, charmanten Wendungen, Täuschungen und Spiegelungen, Schnörkeln, Kurven und Verschachtelungen findet. Wenn man schon von „barocker Fülle” schwärmt wie der Klappentext, sollte man gleich von Rokoko reden. Leonard Pardell hat am 27. Januar Geburtstag, wie Wolfgang Amadeus Mozart. Sollte dem Autor hier eine künstlerische Verwandtschaft vorschweben, ist er in der Tat größenwahnsinnig, doch geschadet hat es dem Roman keineswegs.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
STEFFEN KOPETZKY: Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication. Roman. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2002. 740 Seiten, 29,90 Euro.
Gleich wird man am Horizont feinen Rauch aufsteigen sehen, wird die Gleise vibrieren hören. Wenn sich dann der Dieselkoloss auf uns zu schiebt, ist das der Anfang einer Geschichte wie in einem John-Ford-Film. Menschen werden sich verlieben, entlieben, hassen, vielleicht töten. Und wenn am Ende der letzte Waggon immer kleiner wird, bleibt eine Episode, die auf dem geraden Schienenstrang liegt, der in Amerika noch heute und morgen verbindet. Wir entnehmen unser Foto dem schönen Bildband von Andrew Cross: Some Trains in America (Prestel Verlag, München 2002, 156 Seiten, 49,95 Euro). chj
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Ode an die Pünktlichkeit
Steffen Kopetzkys Uhr geht nach / Von Richard Kämmerlings

Als die große, weite Welt so groß und weit geworden war, daß sie nicht mehr in einen Roman hineinpaßte, und auch Georg Lukács' Ausweg, schon die Suche nach Ganzheit für eine runde Sache zu halten, Stückwerk geblieben war, da erfand ein Thomas Pynchon in den sechziger Jahren den Roman und die Welt einfach noch einmal neu: Und diesmal mit etwas mehr Zusammenhang, bitte! Seine Romane zeigten die Realität als geschlossenes System, in dem alles auf geheime Weise verbunden war. Inbegriff dieses nach verborgenen Mustern gewebten Weltenteppichs war die Post: eine banal-bürokratische, aber weltumspannende Institution, deren profane Logik von Absender und Empfänger die Welt im Innersten zusammenhält.

Nun also die Bahn. Der Held des neuen Romans von Steffen Kopetzky ist der Berliner Student Leo Pardell, der eine Diplomarbeit über die Fluchtwege in den "Carceri" Piranesis schreiben will, und dem Gefängnis seines eigenen verkorksten Daseins entkommen will. Nachdem eine geplante Argentinien-Reise in letzter Minute scheitert, heuert er als "Springer" bei der Münchner Sektion der Compagnie an, der europäischen Schlafwagengesellschaft. Während ihn seine Ex-Freundin Juliane in Buenos Aires wähnt, verfällt er mehr und mehr seiner nachtaktiven Existenzform und wird Teil einer fast geheimbündnerisch verschworenen Gemeinschaft. Was den Romantikern die weisen, der verborgenen Einheit der Welt näherstehenden Bergleute waren, das sind hier die Schaffner mit ihren nachtblauen Uniformen, ihren Ritualen und Treffpunkten an jedem Endbahnhof.

So schließt Pardell Freundschaft mit dem Bulgaren Poliakov, einem "erotischen Genie", das ihn in der Kunst der Verführung weiblicher Fahrgäste unterweist, dem aus der DDR stammenden Erwin Erfurt, Romanist und Kraftpaket mit asiatischen Zügen, und schließlich dem greisen Quentin, einer Art Philosophenkönig unter den Fahrkartenknipsern, der im Pariser Restaurant "Gran' Tour" zu Pardells Lehrmeister wird. Nicht nur wegen dieses Stammsitzes, dessen Innenarchitektur Piranesi folgt, erscheint die Compagnie als die ins Eisenbahnzeitalter katapultierte Turmgesellschaft Wilhelm Meisters. Zugleich ist Pynchon nicht weit. So trifft Pardell einen paranoiden Mechaniker, der in den Streckennetzen geheime Muster erkennt: der Schlafwagen als Hinterzimmer der Weltgeschichte.

Die andere Hauptfigur ist der wohlhabende Anwalt und Uhrensammler Baron von Reichhausen (auf diese Art Sprachwitz muß der Leser gefaßt sein). Zufällig stößt er auf die Spur des legendären Unikats "Ziffer à Grande Complication 1924", dessen Erwerb seine Sammlung vervollständigen würde. Komplikationen - in diesem Fall eine Jahrtausendanzeige - sind zusätzliche Finessen der Uhrenmechanik. Im Roman nennt man sie gewöhnlich Nebenhandlungen. In "Grand Tour" kreuzen sich nicht nur die Routen Pardells und Reichhausens, der von den Besitzern der Uhr quer durch Europa und an der Nase herum geführt wird. Die Nachtzüge sind auch das Spielfeld eines verdeckten Ermittlers, der das "System des HERRN", ein perfektes Drogennetzwerk auf Schienen, aufdecken will. An weiteren Knotenpunkten der Handlung steigen zu: neapolitanische Mafiosi, eine russische Hochstaplerin und einige schusselige Privatdetektive.

Daß der Roman in den Monaten vor der Jahrtausendwende spielt, verleiht dem Ganzen eine chiliastische Note, wenn auch unerfindlich bleibt, warum Reichhausen eine mechanische, jahrelang nicht mehr aufgezogene Uhr ausgerechnet Silvester 1999 in Händen halten will. Die Angst vor dem millennium bug wird erwähnt; der Erbauer der Meisteruhr, ein Samuel Moses Ziffer, teilt biographische Züge mit Walter Benjamin, die Vertraute Reichhausens heißt Doktor Bloch. Doch mehr als ein vages eschatologisches Wabern erzeugen solche Verweise nicht. Als Millenniumsroman kommt "Grand Tour" zu spät, doch vielleicht zielt Kopetzky auf eine ferne Nachwelt, der man erklären muß, daß die "Siedler von Catan" "ein zeitgenössisches Brettspiel" waren und Madonna eine amerikanische Sängerin.

Nicht ohne Anmerkung verständlich wird in jener Zukunft auch der Konflikt zwischen dem alten Sektionschef Eichhorn - der Reim auf den Verlagsnamen ist wohl Selbstironie - und dem Oberaufseher Lagrange sein, der sich zu einer Auseinandersetzung zwischen Improvisation und Perfektionismus, analoger und digitaler Welt steigert. Die alteuropäische Compagnie erscheint als letztes Bollwerk gegen Brüsseler Nivellierung. Ein ganzes Kapitel widmet sich dem Moloch der EU-Bürokratie und wärmt dabei mindestens so viele antizentralistische Klischees auf wie Pardell Kalbsgeschnetzeltes jenseits des Verfallsdatums.

Man hat den beiden ersten Büchern Kopetzkys ihren abgestandenen Postmodernismus vorgeworfen, die Verweigerung realistischen Erzählens im metafiktionalen Spiel. Doch trotz der Häufung von Spiel- und Theatermotiven liegt das Problem dieses Romans nicht in seiner Kopflastigkeit oder eines Übergewichts der Artistik gegenüber dem fleißig recherchierten Stoff. Im Gegenteil bleibt gerade die Virtuosität bloße Behauptung: Die Erzählung als Uhrwerk, in dem jedes Rädchen ins andere greift, als scheinbar chaotisches, aber einem unsichtbaren System folgendes Streckennetz - diese Metaphern treffen allenfalls die reißbrettartige Konstruktion, nicht aber die feinen Federn und Gewichte einzelner Kapitel.

Das Buch wimmelt von handwerklichen Fehlern, die die aufwendige Statik um ihre Wirkung bringen - soviel Abstellgleis war nie. Personen werden umständlich eingeführt, um dann nie wieder aufzutauchen, Szenen in medias res begonnen, so daß der nachgereichten Vorgeschichte jede Spannung fehlt: So treffen wir einmal Pardell mit einer jungen Interrail-Reisenden im Hotelbett an, um später seitenlang das Drama einer schwülen Verführung nachgeliefert zu bekommen. Statt konsequenter Perspektivik läßt Kopetzky einem allwissenden und alles besserwissenden Erzähler freien Lauf: ". . . und er wußte deswegen auch nicht im geringsten, daß ein Fremder, der einen Freund auf dessen eigenem Terrain sucht, gut darin (sic!) tut, weniger zu suchen, als sich selbst vielmehr finden zu lassen". Na, dann eben nicht.

Der gravierendste Mangel des Erzählers Steffen Kopetzky aber ist seine Sprache, die verlockenden Klischees so widerstandslos verfällt wie Pardell den Reizen seiner weiblichen Fahrgäste: "Ein nacktes, duftendes Mädchen neben sich zu wissen und länger zu brauchen, sich an ihren Namen zu erinnern, als an den Geschmack ihrer Muschi. Und kurz danach, für die Sekunde lüsternen weltmännischen Vergnügens, nachdem man sich des bittersalzigen Aroms versichert hatte, das die eigenen Lippen veredelte, erinnerte man sich, daß man gerade in Florenz war." Das ist ein verschmockter Erste-Klasse-Ton aus dem parfümierten Orientexpreß, preziös und prahlerisch. Wenn schon Bier, dann "Augustiner Edelstoff". Alles zielt auf Gediegenheit: Grand Tour, Große Complication, dickes Buch, "Hauptwerk" - so soll die Assoziationskette verlaufen.

Dabei handelt es sich um ein großes Mißverständnis. Dieser Roman ist nicht komplex, sondern schlicht lang und auch langweilig, durch Nebenhandlungen, Rückblenden und Zwischenspiele unnötig aufgebläht und somit gerade das Gegenteil eleganter Funktionalität - ein Präzisionschronometer im Gehäuse einer Kuckucksuhr. Die Herkunft der "Ziffer" etwa ist für den Krimiplot irrelevant, füllt aber mit einem Kurzabriß der Computergeschichte und der späten Aufdeckung eines Nazi-Kunstraubs Seite um Seite. Pardells Maskerade für Juliane weitet sich zur burlesken Beziehungskomödie aus, und die Versteigerung der Uhr in Baden-Baden bietet Anlaß zu einer matten Provinzposse um einen Stadtschreiber namens Rainer Popatzky und Schienbeintritten gegen die Popliteratur.

"Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne, sie sind genauer", schrieb ein Dichter einst ins Lesebuch künftiger Oberstufen. Steffen Kopetzky, Jahrgang 1971, hat ein Kursbuch schreiben wollen und eine Ode an die Pünktlichkeit gleich dazu. Doch über der Frage, welcher Uhr zu vertrauen sei, ist ihm aus dem Blick geraten, wie sehr solch augenzwinkernd-selbstreferentielles Erzählen längst seiner Zeit hinterherhinkt.

Steffen Kopetzky: "Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication". Roman. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2002. 740 S., geb., 29,90 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Christiane Schott macht in diesem Roman um einen gescheiterten Studenten, der als Schlafwagenschaffner herumreist, einen "Hang zur Megalomanie" aus, der ihr zunehmend auf die Nerven geht. In ihrer eingehenden Rezension weist sie auf "Witz und starke Dialoge" hin, lobt die "skurrilen" Protagonisten und die einfallsreichen Verwicklungen und lässt sich von den vielen Facetten des Romans beeindrucken. Letztlich jedoch, so die Rezensentin bedauernd, scheitert der Autor an der schieren Menge seiner Einfälle und der "Geniestreich endet in der Unübersichtlichkeit". Was ihr in dem Buch fehlt ist "seelische Annäherung" des Autors an seine Figuren. Sie moniert zudem, dass es Kopetzky bei aller "Extravaganz seiner Episoden" nicht gelingt, den Spannungsbogen bis zum Ende zu führen. Die Rezensentin diagnostiziert "Überfrachtung" und schließt daraus: weniger wäre mehr gewesen.

© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Epos von geradezu enormer Wucht. Frankfurter Rundschau