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Bewegungslos und unfähig, ein Wort zu sagen liegt Mark Tietjens auf einer überdachten Krankenliege vor Groby Hall, dem Gutshaus der altehrwürdigen englischen Familie. Der Schlag hat ihn getroffen, als er am Tag des Waffenstillstands erfuhr, dass die Alliierten darauf verzichteten, nach Deutschland einzumarschieren, um den Feind endgültig zu besiegen. Aber Frieden und Ruhe findet Mark auch auf dem Krankenbett nicht - die Frau seines Bruders Christopher will den Familiensitz an eine reiche und vulgäre Amerikanerin vermieten; und zwar nur, um ihn zu ärgern und die Familie zu demütigen. Seit…mehr

Produktbeschreibung
Bewegungslos und unfähig, ein Wort zu sagen liegt Mark Tietjens auf einer überdachten Krankenliege vor Groby Hall, dem Gutshaus der altehrwürdigen englischen Familie. Der Schlag hat ihn getroffen, als er am Tag des Waffenstillstands erfuhr, dass die Alliierten darauf verzichteten, nach Deutschland einzumarschieren, um den Feind endgültig zu besiegen. Aber Frieden und Ruhe findet Mark auch auf dem Krankenbett nicht - die Frau seines Bruders Christopher will den Familiensitz an eine reiche und vulgäre Amerikanerin vermieten; und zwar nur, um ihn zu ärgern und die Familie zu demütigen. Seit Jahren schon führt sie einen erbitterten Ehekrieg gegen ihren Mann, der inzwischen verarmt ist und sich in die Arme einer Geliebten geflüchtet hat. Den letzten und abschließenden Band seiner großen Tetralogie Parade's End erzählt Ford aus der Perspektive des gelähmten Bruders, um den herum die Schlachten und Intrigen toben.
Autorenporträt
Ford Madox Ford wurde 1873 in Merton in Surrey geboren. Bis 1910 führte er eine ebenso glänzende wie schillernde Existenz im Kreis der Londoner Intelligenz. Er war mit Henry James, D. H. Lawrence, H. G. Wellls und Ezra Pound befreundet. Vor allem aber arbeitete er eng mit Joseph Conrad zusammen, mit dem er mehrere Bücher verfasste. Nach dem Ersten Weltkrieg zog er nach Paris, wo er die Transatlantic Review gründete. Halbvergessen und von Geldsorgen geplagt, schlug er sich als Vortragsreisender in Amerika durch. 1939 ist er in Deauville gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2007

Der Untergang des Hauses Tietjens

Er wollte schon viel früher Schluss machen, schrieb dann aber noch ein letztes und ein allerletztes Buch: Ford Madox Ford, der so wehmütig und wohltuend den alten englischen Adel verabschiedet. Seinen Roman "Zapfenstreich" gibt es jetzt auf Deutsch.

Eigentlich wollte er nur noch ein einziges Buch verfassen, einen Gegenwartsroman, der alles enthielt, was er vom Schreiben verstand. An seinem vierzigsten Geburtstag, so erzählt Ford Madox Ford später, habe er daher begonnen, dieses definitive und vorsätzlich letzte Werk zu schaffen. Man schrieb das Jahr 1913, und allenthalben fühlte sich der Autor damals schon von seiner eigenen Zeit überholt. Mit mächtigem Getöse war die Avantgarde in London angebrochen, rief ständig neue literarische Programme aus und ließ mit ihrer wilden Selbstberauschung einen etablierten Autor, der heute wohl im besten Debütantenalter stünde, bereits alt aussehen. "So sah ich mich selbst wie einen Aal", schrieb Ford 1927 an eine Freundin, "der, wenn er den Grund der Tiefsee erreicht hat, für Nachkommenschaft sorgt - und stirbt."

Als der Autor diese Selbstbeschreibung gab, war sein angeblich letztes Buch, "Die allertraurigste Geschichte", längst weltweit zum Erfolg geworden und hatte seine produktivste Schaffensphase überhaupt eröffnet, mit der Ford nach dem Weltkrieg die Erzählkunst der Moderne zum Triumph führte. Die Wirklichkeit stets so in Sprache zu verwandeln, wie sie sich im Bewusstsein und Wahrnehmen einzelner Figuren darstelle, war sein erklärter Vorsatz. Doch wie er ihn mit "Ende der Parade", seiner meisterhaften Romanfolge aus den zwanziger Jahren, verwirklichte, gewinnt Fords Sprache eher daraus ihre Suggestion und Macht, dass sie - gerade umgekehrt - die einzelnen Entwürfe des Bewusstseins in je unterschiedliche Versionen einer Wirklichkeit verwandelt, die gleichermaßen wundersam und zweifelhaft erscheint. Denn wer die ganze Welt aus Ausschnitten und Ansichten entwirft, vertraut der sanften Kraft des Zweifelns und lädt dazu ein, sich alles vielleicht doch ganz anders vorzustellen.

Mit "Zapfenstreich", dem vierten Band von Fords Tetralogie, findet dieses Vorhaben 1928 seinen Abschluss. Es ist ein Ende nach dem Ende, ein viel zu lange aufgeschobenes Abschiednehmen, das umso herzzerreißender und heiterer gelingt, als ihm so viele letzte Dinge schon vorausgegangen sind. Es ist, als kehrte jener Aal, mit dem sich Ford vergleicht, nachdem er längst mit allem abgeschlossen hat, doch noch einmal zurück und tummele sich im seichteren Küstenwasser in der Sonne, obschon er um die Dunkelheit am Grund der Tiefsee weiß. Eigentlich hatte seine Familiensaga aus der englischen Oberschicht mit dem dritten Band beendet werden sollen. Dann aber gab der Autor dem allseitigen Drängen nach und schrieb noch diese allerletzte, vierte Folge. Dank des Engagements des großartigen Übersetzers und Herausgebers Joachim Utz, der maßgeblich für die Neuentdeckung dieses modernen Klassikers bei uns gesorgt hat, wird sie nun achtzig Jahre später auch für deutsche Leser endlich zugänglich.

Ein spätsommerlicher Nachmittag, ein alter Landsitz in Nordengland, eine zutiefst zerrüttete und intim verfeindete Familie, der Duft von reifen Äpfeln, die zu Most versaftet werden, gelegentliches Hufgeklapper und beständige Konversation: Viel braucht es nicht, um die versunkene Welt einer längst entrückten - und im Rückblick leicht verklärten - Adelsexistenz aufs Neue auferstehen zu lassen. "Die Wiesen waren eine grüne Unendlichkeit; vier Grafschaften lagen in seinem Blickfeld; sechs niedrige, grob behauene junge Eichenstämmchen trugen das Dach, auf das die Zweige eines Apfelbaums hingen." Mit derart einfachen Beobachtungen eröffnet die Erzählung, und bald weitet sie jede Einzelheit gänzlich unaufdringlich zu hintersinniger Bedeutung. Wie in einer englischen Spielart von Tschechows "Kirschgarten" wird die von alters her gehegte Obstkultur zum Sinnbild der Veredelung, die dem Ansturm einer neuen Zeit nicht standhält. Doch wenn die millionenschwere Amerikanerin, die hier das Landgut übernimmt, als Erstes für das Abholzen des alten Baumes sorgt, macht sich bei allem Entsetzen gleichwohl sachte Erleichterung breit, weil so das Abschiednehmen leichter fällt.

Die Handlung, sofern man überhaupt davon sprechen mag, umfasst nur ein paar Stunden und kreist ganz um den Familienzwist. In den vorausgegangenen Bänden, wie zuletzt in "Der Mann, der aufrecht blieb", stand Christopher Tietjens im Mittelpunkt, ein Tory alter Schule, der allerdings am Hergebrachten mehr aus Rücksicht als aus Überzeugung festhielt und bitter erkennen musste, wie infam ihn seine eigene Gattin ausspielt. Aus den Schrecken seiner Ehe flüchtete er zunächst an die Weltkriegsfront, dann in die Arme einer Geliebten, zu der er sich lange jedoch nicht offen bekennen mochte. Jetzt, nach Kriegsende, setzen sich die ehelichen Rosenkriege mit neuer Stärke fort und ziehen immer weitere, schwindelerregende Kreise, in deren Mahlstrom bald die gesamte Familie gerät.

Dem Autor aber gelingt in diesem letzten Band der Kunstgriff, einen neuen Ruhepol zu schaffen, um von diesen Eskalationen zu erzählen: Christophers älterer Bruder Mark hat am Tag des Waffenstillstands einen Schlaganfall erlitten und kann seitdem nicht mehr sprechen. Diese erzwungene Stilllegung nutzt der Roman virtuos, das Wahrnehmungszentrum so zu verschieben, dass aller Wirbel und alle Verwicklungen vorrangig aus einer Sicht von stumm teilnehmender Beobachtung aufscheinen. Wie sich zum Schluss herausstellt, liegt Mark Tietjens im Sterben. Was uns daher in diesen letzten Stunden durch sein todesnah hellsichtiges Bewusstsein übermittelt wird, lässt eine Wirklichkeit im Abglanz alles Irdischen erscheinen und alles Personal als Wiedergänger oder revenants. Mit diesem "Zapfenstreich" geht mehr als die Parade, es geht eine ganze Welt zu Ende.

Tief ist denn auch das Meer der Vergangenheit, dessen Kreaturen hier ein letztes Mal auftauchen. So nah wir dem Bewusstsein der Figuren sind, so wunderbar hält die Erzählung doch Distanz und gibt, was sie vermittelt, sanftem Staunen und beständigem Amüsement preis. Der Komment des Gentleman, so lesen wir, besteht darin, die Zuchtlinien sämtlicher Rennpferde zu kennen, ein französisches Ballettmädchen als Geliebte auszuhalten und sich ansonsten ganz den Pflichten eines Engländers zu widmen, nämlich "sich zeit seines Lebens anständige Kleidung zu sichern, täglich ein frisches Hemd, ein paar Hammelkoteletts, gegrillt, ohne Zutaten, zwei mehlige Kartoffeln, einen Applepie mit einem Stück Stilton und geröstetem Brot, einen Pint Médoc aus dem Club, ein sauberes Zimmer, winters ein schönes Feuer im Kamin, einen bequemen Sessel, eine wohltuende Frau, die all dies für einen bereitstellte und einen im Bett wärmt, die einem morgens die Melone bürstet und den Schirm zusammenfaltet". Ungefähr in dieser Reihenfolge geht den beteiligten Figuren in dem Maße alle Sicherheit abhanden, wie sie solche Pflichtübungen schmähen.

Teilnahmsvoll und dennoch kaltblütig lässt Ford auf diese Art den alten Adel, dem er spürbar nachhängt, resignierend untergehen. Vielleicht war es des Autors deutsche Herkunft, gewiss jedoch seine erwiesene Weltläufigkeit, die ihn dazu befähigten, das Bodenständige der englischen Landklasse weniger als Ausweis von Charakterstärke denn von bedenklichen Beschränkungen zu sehen. Schöner jedenfalls ist nie ein Untergang besungen worden als dieser Verfall der Familie: mit ironischer Gelassenheit und nur ganz sanfter Sentimentalität.

Wer sich also etwas Gutes tun mag, gönne sich einen Pint Médoc, suche einen bequemen Sessel auf oder, noch besser, das wohltuend gewärmte Bett - und lese! Auch wenn die Tietjens nicht mehr leben, Fords "Zapfenstreich" sorgt solcherart für Nachkommen allein durch das Vergnügen der Lektüre.

TOBIAS DÖRING

Ford Madox Ford: "Zapfenstreich". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Joachim Utz. Eichborn Berlin, Frankfurt a.M. 2007. 276 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.10.2007

Es muss nicht immer ein Klassiker sein
Mit „Zapfenstreich” kommt Ford Madox Fords Roman-Tetralogie über den Ersten Weltkrieg zum Abschluss
Jede Woche ein neuer Joyce, und Proust in der Familienpackung. Wenn schon die Wäsche weißer als weiß ist, darf es in den deutschen Verlagen auch weltliterarischer zugehen, als die Weltliteratur überhaupt ist. Kaum eine Übersetzung wird dem Publikum mehr ohne die Forderung vorgesetzt, ab sofort das Alphabet der Moderne gefälligst neu zu buchstabieren. Bei F. wie Ford Madox Ford (1873-1939) möchte der Eichborn Verlag, der in den letzten Jahren verdienstvoll seine Tetralogie „Ende der Parade” herausbrachte, künftig beachtet wissen, dass er neben Proust und Joyce der dritte Gründervater der Moderne gewesen sei. Das Feuilleton jubelt beflissen hinterher, und so wurde den drei ersten Stücken des Werkes, das vom Sterben in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und vom Zerfall der guten Gesellschaft in der Etappe berichtet, mit beliebigen Reverenzgrößen wie Joyce und Proust, Ezra Pound und Joseph Conrad, Ernest Hemingway und Karl Kraus gehuldigt. Hemingway und Kraus passen besonders apart, der amerikanische Meister der Lakonie und der österreichische Meister barocker Satzbauwerke, die über Seiten sich ziehen: dass die beiden etwas miteinander zu tun haben könnten, hätte man auch nicht vermutet, bis man das missing link gefunden hatte, und dieses heiße: Ford Madox Ford.
Im ersten Teil der Tetralogie, „Manche tun es nicht”, befinden wir uns knapp vor und nach dem Kriegsbeginn von 1914 in einer Welt der Lüge, des Tratsches und Skandals. Ein letzter Heroe des alten Taktgefühls, der vornehme Christopher Tietjens, Sohn reicher Landbesitzer, leidet stumm jede Verleumdung, mit der ihn seine Gattin Sylvia, ein Unwesen von ausdauernder Bösartigkeit, verfolgt. Ford verteilt kräftige Hiebe auf die herrschende Klasse und führt die tragische und die lächerliche Geschichte parallel: Während junge Engländer aus dem Volk im Atlantik ersaufen, weil die feinen Herren vom Generalstab die Schiffe der Marine verkommen ließen, bekriegen sich die Daheimgebliebenen mit Intrigen und übler Nachrede.
Die Begeisterung war groß, als der im Original 1924 erschienene Roman 2003 erstmals auch auf Deutsch zu lesen war, noch dazu in der formidablen Übersetzung von Joachim Utz. Fast die einzige kritische Stimme im Chor war die von Heinz Schlaffer, der in dieser Zeitung manche Peinlichkeit und Schlichtheit des Romans nicht verschwieg. Bei den folgenden Bänden, „Keine Parade mehr” (2004) und „Der Mann, der aufrecht blieb” (2006), die die Handlung durch den Krieg bis zum Tag des Waffenstillstands heraufführen, war das Lob ungeteilt; wie es begründet wurde, hätte man glauben können, vor diesen Übersetzungen habe es in deutscher Sprache noch nichts Literarisches von Belang über den Ersten Weltkrieg zu lesen gegeben.
Wie tot – oder wie Gott
Nun ist als abschließender Band „Zapfenstreich” erschienen, ein Roman, in dem Ford Madox Ford die Perspektiven auf ästhetisch kühne Weise wechselt und all das, was er in den vorangegangenen Folgen erzählt hat, noch einmal berichtet, es anders beleuchtet, ergänzt, kommentiert. Nicht der letzte Tugendritter Christopher steht im Zentrum des Geschehens, sondern sein Bruder Mark, der, von einem Schlaganfall gelähmt, auf dem heimischen Landsitz seine letzten Stunden verlebt. Die sprachliche Kommunikation mit der Umwelt hat er eingestellt, weil sein Sprechvermögen zerstört ist, aber auch weil er bereits damit begonnen hat, sich aus der Welt, die er noch luzide wahrzunehmen in der Lage ist, zu entfernen: „Er hatte mit der Welt abgeschlossen. Er verfolgte den Lauf der Dinge, horchte auf ihr Trachten und Streben und sogar auf ihre Gebete, wollte aber nie mehr ein Wörtchen sagen oder einen Finger rühren. Es war wie tot sein – oder wie Gott.”
Während er auf einer überdachten Liege im Freien über sein Land schaut und sein Leben vorüberziehen lässt, kommen Besucher vorbei, seine geliebte französische Gattin Marie Léonie, der Tischler Cramp, eine exaltierte Amerikanerin, die das Gut der Tietjens pachten möchte und glaubt, der vom Schlag Getroffene leide in Wahrheit an den späten Folgen juveniler Ausschweifungen. Der Schweigende ist insgeheim bereit, ihr Recht zu geben, als sie ihm barsch bescheidet: „Sie sind nichts weiter als der leibliche Nachkomme einer Linie privilegierter Wüstlinge.”
Die Erzählzeit umfasst nur die wenigen Stunden, in denen Mark stirbt; doch resümiert „Zapfenstreich” zugleich, was den Gestalten der einzelnen Romanfolgen in den Jahren widerfahren ist, seit der Krieg zu Ende ist und sich die alte Ordnung in England zersetzt hat. Ford steht von seinem Alter, seiner politischen Haltung und seinem intellektuellen Schliff her zwischen der alten und der neuen Ära; das versetzt ihn in die Situation, mit dieser wie jener sympathisieren, aber auch die überkommene wie die gegenwärtige Gesellschaft kritisieren zu können. Christopher, wiewohl die letzte Lichtgestalt des aristokratischen England, findet erst in der bürgerlichen Ära sein Glück. Vom Zwang der Konvention befreit, trennt er sich endgültig von Sylvia und bekennt sich zu seiner Geliebten Valentine.
Der erzählerische Kunstkniff, die Entwicklung von Jahren auf wenige Stunden zu verdichten, ermöglicht es Ford, alle Erzählstränge der Tetralogie noch einmal aufzunehmen und neu zu verknüpfen. Er nötigt ihn aber auch zu mancher Verrenkung, etwa wenn Sylvia, die als Inkarnation des Bösen durch die ersten drei Romane ging, nun ihre Läuterung gewissermaßen als moralische Nachmittagsbeschäftigung erfährt. Sie, die abgrundtief Verkommene, die für nichts als ihre Niedertracht gelebt hat, reift im Intensivkurs zur abgeklärten resignierten Dame, die dem Glück ihres Mannes nicht mehr im Wege stehen will.
Das lichte Schlussstück
Das ist nicht nur psychologisch unglaubwürdig, sondern geradezu komisch, wenn man die Struktur der Tetralogie als ganze im Blick hat. Graham Greene übrigens, der in den sechziger Jahren die Werke von Ford Madox Ford herausgab, hatte die düstere Tetralogie einfach um ihr lichtes Schlussstück beraubt, was eine skandalöse Eigenmächtigkeit und ein hartes Urteil zugleich bedeutete. Während der als Übersetzer neuerdings brillierende Joachim Utz in seinem Nachwort „Zapfenstreich” zu Fords Meisterwerk erhebt, erschien er Greene als fragwürdiger Nachtrag, der das vierteilige Romanwerk aus dem Gleichgewicht zu bringen droht.
Ford Madox Ford, ein ungemein fleißiger Autor, der Zeitschriften herausgab und achtzig Bücher veröffentlichte, erweist sich auch in „Zapfenstreich” als sympathischer und respektabler Autor. Überflüssig ist es, wahllos Größen der Weltliteratur anzurufen, um ihn selber zum literarischen Titanen zu erklären. Das war er nicht und musste er auch nicht sein, damit die Lektüre seines Hauptwerks lohnt.KARL-MARKUS GAUSS
FORD MADOX FORD: Zapfenstreich. Roman. Aus dem Englischen von Joachim Utz. Eichborn Berlin, Frankfurt am Main 2007. 277 Seiten, 22,95 Euro.
Auch Robert Altmans Film „Gosford Park” feiert noch einmal die altenglische Gesellschaft, als es sie eigentlich schon gar nicht mehr gab Foto: Cinetext
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine lohnende Lektüre sieht Karl-Markus Gauß in Ford Madox Fords Roman "Zapfenstreich", der seine Tetralogie über den Ersten Weltkrieg abschließt. Gleichwohl plädiert Gauß für etwas mehr Nüchternheit und Realismus im Lager der Kritiker. Allzu euphorisch fielen für seinen Geschmack nämlich die Lobeshymnen aus, die auf die ersten drei Romane angestimmt wurden. Auch die Vergleiche der Kritikerkollegen, die Ford in einer Liga mit durchaus unterschiedlichen Autoren wie Joyce und Proust, Ezra Pound und Joseph Conrad, Ernest Hemingway und Karl Kraus sahen, scheinen ihm wenig angemessen und hilfreich. Gauß attestiert dem Autor aber, die Perspektiven auf "ästhetisch kühne Weise" zu wechseln und die Geschehnisse aus den vorangegangenen Büchern nochmal zu erzählen, sie anders zu beleuchten, zu ergänzen und zu kommentieren. So resümiere "Zapfenstreich" die Geschichte der einzelnen Gestalten seit dem Ende des Kriegs und der alten Ordnung Englands. Gauß würdigt Ford als "sympathischen und respektablen Autor", ihn zum "literarischen Titanen" der Weltliteratur zu erheben, fällt ihm aber nicht ein.

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