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England, unmittelbar vor Ausbruch des ersten Weltkriegs: Christopher Tietjens ist ein perfekter englischer Gentleman mit nahezu unmenschlicher Selbstbeherrschung - zum Glück, denn andernfalls wäre er vermutlich schon längst zum Mörder geworden. Seine impulsive Frau Sylvia lässt keine Gelegenheit aus, ihn lächerlich zu machen, zu demütigen und zu erniedrigen. Ihr Furor gilt seiner standesgemäßen Selbstlosigkeit, seiner perfekt abgeschotteten Gefühlswelt - kurz: jener Englishness, die seinem Leben in einer immer intriganter und korrupter werdenden Umwelt Halt und Form gibt.
Je unnahbarer er
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Produktbeschreibung
England, unmittelbar vor Ausbruch des ersten Weltkriegs: Christopher Tietjens ist ein perfekter englischer Gentleman mit nahezu unmenschlicher Selbstbeherrschung - zum Glück, denn andernfalls wäre er vermutlich schon längst zum Mörder geworden. Seine impulsive Frau Sylvia lässt keine Gelegenheit aus, ihn lächerlich zu machen, zu demütigen und zu erniedrigen. Ihr Furor gilt seiner standesgemäßen Selbstlosigkeit, seiner perfekt abgeschotteten Gefühlswelt - kurz: jener Englishness, die seinem Leben in einer immer intriganter und korrupter werdenden Umwelt Halt und Form gibt.

Je unnahbarer er sich gibt, desto wütender wird Silvia. Tietjens flieht in den Weltkrieg. Im Bombenhagel glaubt er sich in Sicherheit - aber Sylvia verstrickt ihn in einen fürchterlichen Zweifrontenkrieg.

In seinem grandiosen Hauptwerk gelingt es Ford Maddox Ford, große Figuren zu schaffen und an ihnen exemplarisch den Verfall einer jahrhundertealten Gesellschaft zu demonstrieren.
Autorenporträt
Ford Madox Ford wurde 1873 in Merton in Surrey geboren. Bis 1910 führte er eine ebenso glänzende wie schillernde Existenz im Kreis der Londoner Intelligenz. Er war mit Henry James, D. H. Lawrence, H. G. Wellls und Ezra Pound befreundet. Vor allem aber arbeitete er eng mit Joseph Conrad zusammen, mit dem er mehrere Bücher verfasste. Nach dem Ersten Weltkrieg zog er nach Paris, wo er die Transatlantic Review gründete. Halbvergessen und von Geldsorgen geplagt, schlug er sich als Vortragsreisender in Amerika durch. 1939 ist er in Deauville gestorben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2003

Der Schick der Keuschheit
Für brillante Köpfe: Ford Madox Fords „Manche tun es nicht”
„Some Do Not”, der Titel von Ford Madox Fords Roman, klingt wie eine Replik auf Mozarts „Così fan tutte”: So machen es alle – manche tun es nicht. In beiden Fällen meint „es” dasselbe: den Seitensprung. Als Fords Buch 1924 erschien, hatte die Untreue, lange als Sünde verschrieen, an Ansehen gewonnen. In der englischen Aristokratie der edwardianischen Epoche gehörte es zum guten Ton, erotische Wirrnisse bei Männern und sogar bei ihren Frauen als Kennzeichen der vornehmen Lebensweise zu tolerieren. (Man lese Nigel Nicolsons anziehendes „Porträt einer Ehe”.) Der Kreis von Intellektuellen, den Virginia Woolf und ihre Schwester Vanessa in Bloomsbury um sich versammelten, führte Promiskuität als Programm ein und als Praxis vor. Zu diesem Ausbruch aus der viktorianischen Prüderie schrieb D. H. Lawrence die passenden Romane, die verschönerten, aber nicht übertrieben, was seine Frau, durch die Münchner Bohème erotisch emanzipiert, ihm beigebracht hatte. Die englische Elite, die politische und soziale Revolutionen erst spät und in milderen Formen zu übernehmen pflegte, war bei der sexuellen Revolution zu Beginn der Moderne vorne dabei.
Zu diesen Freuden der Libertinage macht „Some Do Not” – wie einige Jahre danach Somerset Maughams „The Painted Veil” – die Gegenrechnung auf: die Verrohung der Gesellschaft, das Ende der Intimität, die Leiden des Mannes (während der Ehebruchsroman des 19. Jahrhunderts sich auf die Leiden der Frau spezialisiert hatte). Ford war mit den Begründern der modernen englischen Literatur bekannt und befreundet, mit Henry James, Joseph Conrad, Ezra Pound. Von ihnen hat er die rücksichtslose Sprache und die experimentelle Erzählweise übernommen, wodurch sein Roman, obgleich er von der (gar nicht) guten Gesellschaft handelt, die Konventionen des Gesellschaftsromans hinter sich lässt. Dem Erzähler fehlt die Geduld, den Leser durch behutsam geschilderte Details mit den Lokalitäten und den Personen der Erzählung vertraut zu machen. Statt dessen prallen hart gefügte, aus dem Zusammenhang gerissene Gesprächsfetzen aufeinander.
Als wäre er zufällig in die Unterhaltung von Freunden hineingeraten, muss sich der Leser mit Fragmenten begnügen, ohne die Absicht der Auseinandersetzungen, ohne ihren Gegenstand hinreichend zu erkennen. Nicht einmal die Beteiligten selbst scheinen sich über das Thema ihrer Wechselrede klar zu sein. Doch ahmt diese Unordnung der Dialoge, so ungewohnt sie in einem Roman ist, die wirkliche Kommunikation und Nicht-Kommunikation unter Menschen nach, deren eigentliche Motive im Chaos der Rede unbesprochen bleiben, untergründig jedoch fortwirken. Nie ahnt man, wie es weiter geht, und empfindet gerade das als Reiz der verworrenen Vorgänge in diesem Roman.
Ein Kotelett für den Tugendbold
Mitten unter jenen Repräsentanten der Avantgarde, mitten in dieser Repräsentation des modernen Romanstils legt der Autor, durch den Mund seines Helden Christopher Tietjens, überraschend ein Bekenntnis zur Treue in der Ehe und zur Enthaltsamkeit außerhalb der Ehe ab: „Ich stehe für Monogamie und Keuschheit.” Kritische Bedenken, ob denn das Leben solchen erhabenen Maximen gewachsen sei, möchte er kategorisch unterbinden: „Es müsste eine zwanzigjährige Sperrzeit geben für Diskussionen über sexuelle Scheinmoral.” Was als Schein denunziert wird, ist – so will uns Ford-Tietjens glauben machen – bei ihm Wahrheit. Tietjens watet durch den Sündenpfuhl der vornehmen englischen Gesellschaft vor und während des ersten Weltkrieges, äußerlich beschmutzt von Wüstlingen und Wüstlinginnen, die so hübsche Titel wie Earl, General, Parlamentsmitglied, Lady, Pfarrfrau führen, innerlich aber durch absolute Anständigkeit gegen alle Zumutungen dieser satanischen Sozietät gefeit.
Unter diesen ranghohen Teufeln tut sich die Ehefrau des Tugendbolds besonders hervor. Sie hat den von ihr verkannten und verachteten Mann nur geheiratet, weil ein anderer Mann sie geschwängert hatte – der hl. Christopher weiß dies, rechtfertigt seine Frau und setzt das unterschobene Kind als Erben ein. Sie brennt mit einem neuen Liebhaber durch und wirft ihrem Mann, der sie nach dem Ende dieser Liaison ohne Murren wieder aufgenommen hat, ein Kotelett an den Kopf, wobei sie seine Rangabzeichen bekleckert. Christopher-Christus erträgt alles mit vorbildlicher Demut. Frühere Freunde, die nur von seinem Geld und seinem Wissen zehren – denn er soll „der brillanteste Mann Englands” sein –, werden reich und geadelt, verleumden den keuschen Helden als Vater ihrer eignen unehelichen Kinder, stoßen den verarmten Leidensmann aus ihrer Gesellschaft aus und wieder in den Krieg hinein.
Das ist nicht die feine englische Art! Als hätten sie versäumt, bei Jane Austen nachzulesen, wie feine Leute zu sprechen haben, überlassen sich Fords Figuren einem grobianischen Ton. Wenn es um wüste Beschimpfungen geht, kann es unser Held mit seinen Widersachern aufnehmen, die er einen „verdammten Haufen” oder, überzeugender noch, „Schweine” nennt. Schlägt da doch das deutsche Erbe Ford Madox Fords durch, der einen deutschen Vater hatte und bis zum Weltkrieg Hueffer geheißen hatte? Nur wer grob ist, gilt als aufrichtig.
Auf die Jesus nachempfundene (allerdings recht korpulente) Gestalt Christopher Tietjens häuft die Schuld der anderen alles denkbare Unglück, das eigene Verdienst jedoch alle denkbaren Vorzüge. Er ist ein „Genie” der Rechenkunst und des enzyklopädischen Wissens, kann Pferde kurieren und den Wert aller Möbel taxieren; keine Gelegenheit zu Großzügigkeit und Verzicht lässt er aus. Ein solch schlichter Gegensatz zwischen den Bösen und dem Guten ist aus Märchen und Legenden vertraut; realistisch drapiert, findet er sich im Trivialroman wieder. Im Falle von „Manche tun es nicht” ist peinlich, dass der Held unverkennbar Züge seines Autors trägt, vom „ungeschlachten” Aussehen bis zu den Erlebnissen im Krieg, wo Ford wie Tietjens verschüttet wurde und zeitweise das Gedächtnis verlor. Mit diesem Roman sagt Ford denen, die ihn besser zu kennen glaubten: Seht her, so edel bin ich! Nun liegt in solcher Selbstverklärung gewiss ein Reiz und Antrieb der Schriftstellerei: Man schreibt sich herbei, was man von der Welt wünscht, z. B. Christoph Tietjens junge Verehrerin Valentine Wannop, und was man sein möchte, der göttliche Mann, der „es” bei dem hingebungsvollen Mädchen eben „nicht tut”.
Doch in diesem Punkt unterscheidet sich der Autor wesentlich von seinem publizierten Ich-Ideal. Ford tat es, wo immer es ging: bei der Schwester seiner ersten Frau, bei der Freundin seiner ersten Geliebten und so weiter. Seine erotischen Affären zwangen ihn, England zu verlassen und sich um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bemühen. Der Krieg brachte ihn an die Seite Englands zurück, der Nachkriegs-Roman soll ihn als einsamen Kämpfer für die Moral zeigen. Er habe, verkündet Ford Madox Tietjens, niemals mit jemand anders als mit seiner perfiden Frau geschlafen.
Dieser Roman von 1924, nun erstmals ins Deutsche übersetzt, hat gute Aussichten, auf ein dankbares Publikum zu stoßen. Noch immer überzeugt das Klischee, die Gesellschaft sei korrupt, der Held und sein Double, der Leser, jedoch integer. Die erotische Freiheit, wie sie die Generation von 1968 proklamiert hatte, wird zwar heute von schlichten Gemütern genutzt, von den anspruchsvollen Köpfen aber bereits wieder verworfen. Sie sei an der Zerstörung von Bindungen, am Leiden der Paare, am Gefühl der Leere, am Ausbleiben des Kindersegens schuld. Von diesem Verdruss und Überdruss nährt sich die Begeisterung für Houellebecqs Romane. Da kommt Fords alte Lehre im Gewand eines modernen Romans gerade recht. Wer als „brillanter Kopf” angesehen werden will, muss künftig auch durch Keuschheit brillieren.
HEINZ SCHLAFFER
FORD MADOX FORD: Manche tun es nicht. Roman. Aus dem Englischen von Joachim Utz. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003. 433 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Haltung ist das ganze Leben
Ein Schmerzensmann als Gentleman: Ford Madox Fords Meisterwerk "Manche tun es nicht", nach achtzig Jahren erstmals übersetzt / Von Felicitas von Lovenberg

In der Liebe und im Krieg sind alle Mittel erlaubt. In der Liebe und im Krieg? Beide mögen einzigartig sein, doch sie finden notgedrungen in Gesellschaft statt. Und in einer Gesellschaft, die wirklich eine ist, scheint zwar alles möglich, doch niemals alles erlaubt.

Streng geurteilt, müßte Christopher Tietjens zu den wenig charismatischen Hauptfiguren der europäischen Moderne gezählt werden. Er ist hochintelligent, doch besitzt sein mathematischer Geist nichts Funkelndes. Er hat einen respektablen Posten im englischen Staatsdienst inne, doch verbindet ihn keinerlei tiefere Zuneigung mit der "Imperialen Abteilung für Statistik". Sein Auftreten ist selbstsicher, doch unelegant, weil sein Körper auch in maßgeschneiderter Garderobe ungeschlacht wirkt. Das Aufregendste an ihm ist seine exaltierte, flamboyante Frau Sylvia, die ihren stets auf moralische Akkuratesse bedachten Gatten aus ganzem Herzen verachtet - und dementsprechend boshaft mit ihm umspringt, ihn verspottet, herabsetzt und betrügt, wann immer sie kann.

In einer Gesellschaft, wo Übertretungen der Norm zum guten Ton hinter vorgehaltener Hand gehören, fällt der hochanständige Tietjens skandalös aus dem Rahmen. Die Verlockung, ihm sündhaftes Verhalten nachzusagen, ist angesichts seiner offen zur Schau gestellten moralischen Imprägniertheit groß. Tietjens ist egal, was über ihn geredet wird. Er weiß, daß Gesellschaften nicht gleichbedeutend sind mit der Gesellschaft. Den Eitelkeiten, die sich auf diesem Jahrmarkt austoben, steht er zu gleichgültig gegenüber, um sie auch nur zu mißbilligen. Er ist ein Ausbund an Passivität. Selbst das Streben nach Glück scheint ihm fremd. Und doch ist Christopher Tietjens mit seiner stillen Sehnsucht, eine Formel zu finden, nach der sich leben läßt, ohne andere zu verletzen und ohne selbst behelligt zu werden, eine literarische Figur, die wie ein Fels in der Brandung der Moderne steht.

Gerade im Gegensatz zu unserer heutigen, jegliche Privatheit sofort ausplaudernden Bekenntnisliteratur wirkt Christopher Tietjens als erfrischende Provokation. Die schmerzlichen Einblicke in Mißwirtschaft, Verrat, Eitelkeit, Lügen und, vor allem, die alles verändernde Erfahrung des Krieges, dieser Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, erschüttern zwar sein Gemüt, können aber seinen Glauben an allgemeingültige gesellschaftliche Formen, Normen, Regeln und Manieren nicht ins Wanken bringen: ein literarisches Monument von beispielhafter Antiprivatheit.

Der Roman "Manche tun es nicht" (Some Do Not), der zwischen 1912 und 1917 in London und Südengland spielt, beschreibt aber gerade auch mit dieser monströs manierlichen Figur ein heraufziehendes neues Bewußtsein, das bereits in die Nachkriegszeit drängt. Als "Die allertraurigste Geschichte" (The Good Soldier) vor wenigen Jahren neu aufgelegt wurde, leitete dies auch hierzulande die überfällige Wiederentdeckung des englischen Schriftstellers Ford Madox Ford ein. Nun liegt mit "Manche tun es nicht" dessen zweites Hauptwerk in deutscher Übersetzung vor - erstmals seit seinem Erscheinen 1924.

Schon bei Zeitgenossen erntete dieser Roman Bewunderung. W. H. Auden hielt das Buch für eines der wenigen, die es verdienten, "groß" genannt zu werden. Graham Greene fand, es sei "fast der einzig erwachsene Roman über das Sexualleben, der je auf englisch geschrieben wurde". Und Anthony Burgess hielt Fords Tetralogie "Parade's End", dessen eigenständigen Auftakt "Manche tun es nicht" bildet, sogar für das "beste Prosawerk über den Ersten Weltkrieg und die Beschaffenheit der britischen Gesellschaft".

Ford selbst betrachtete das Ansinnen, immerzu einem Anstandsideal zu entsprechen, als schier übermenschliche Anstrengung. So war er nie ganz mit sich einig, welche Schule er eigentlich besucht hatte - Malvern, Westminster oder doch Eton? Aber nicht nur er selbst, sondern auch Weggefährten wurden in seinen zahlreichen Erinnerungsbänden ungeniert umgemodelt. Die Sonnenseite seiner tänzelnden Indolenz war sein einnehmendes Wesen, das Stephen Crane einmal so beschrieb: "Er begönnert Mr. James, er begönnert Mr. Conrad. Natürlich begönnert er auch mich, und ebenso wird er Gott den Allmächtigen begönnern, wenn sie sich begegnen; aber Gott wird sich daran gewöhnen, denn Hueffer ist schon anständig."

Ford Hermann Hueffer, der sich von 1919 an Ford Madox Ford nannte, war gut geschult im Skandal, schon deshalb, weil es kaum eine Zeit in seinem Leben gab, in der er nicht zwischen mindestens zwei Frauen stand. Bereits als Kind hatte er unter dem Genieanspruch gelitten, der in seiner Familie lag. Geboren wurde er am 17. Dezember 1873 in Merton in der Grafschaft Surrey als erster Sohn des aus Münster in Westfalen emigrierten Franz Hüffer, der - eingebürgert als Francis Hueffer - als Literaturhistoriker und als Musikkritiker der "Times" bekannt wurde. Die Mutter war eine Tochter des präraffaelitischen Malerfürsten Ford Madox Brown. Der Junge bekam früh zu spüren, daß sich nur ein Genie unter Genies Gehör verschaffen kann - was ihm lange Zeit nicht gelingen wollte: Der Vater schimpfte ihn einen "geduldigen, aber entsetzlich dummen Esel". Ford war tatsächlich geduldig bis zur Apathie, im Auftreten ein Snob, im Wesen jedoch bescheiden und gegen Beleidigungen so immun wie für Schmeichelei empfänglich. Mit einundzwanzig entführte und heiratete er die siebzehnjährige Elsie Martindale - ein unbesonnen romantischer Akt, den er bitter bereuen sollte.

Nachdem die Familie den Widerspenstigen schließlich auf die Schriftstellerlaufbahn bugsiert hatte, lebte Ford für die Literatur, doch war deren Verfertigung für ihn nie selbstverständlich. Sein literarisches Talent zeigte sich zunächst im Entdecken anderer. Als Herausgeber der "English Review" und später der "transatlantic review" förderte und entdeckte Ford das halbe avantgardistische literarische Europa: Ezra Pound, Wyndham Lewis, John Galsworthy, William Butler Yeats, Rupert Brooke, Arnold Bennett, Ernest Hemingway, D. H. Lawrence, Gertrude Stein, Jean Cocteau und H. G. Wells. Der wichtigste Impuls für sein eigenes Werk war jedoch die gemeinsame Arbeit mit Joseph Conrad, die bis 1909 währte. Trotz des Altersunterschieds von dreißig Jahren waren sie darin einig, "daß es für die Welt nichts Wichtigeres gab, als Romane zu schreiben, und was dem Roman nottat, war die neue Form".

Romane, so das Credo der beiden, müßten auf die Menschen wirken wie das Leben selbst. Da das Leben aber ein Chaos sei, eine wirre Folge von Eindrücken und Empfindungen, müsse auch der Roman Impressionen bündeln anstatt Handlung linear wiederzugeben. Schwieriger wurde es durch die Forderung, daß sich das Geschehen notwendig aus den Charakteren ergeben sollte, auch "aus dem Zusammenspiel der tausend kleinen Umstände, mit denen das Schicksal uns in eine vorherbestimmte Bahn drängt".

Doch die vorherbestimmte Bahn wird dem Leser in diesem Roman nicht aufgedrängt, sondern von Ford Madox Ford wie nebenbei, ganz leicht und diskret, manchmal fast schwerelos umkreist. Plötzlich tun sich schreckliche Szenen auf, deren Zustandekommen man gar nicht bemerkt hatte, und albtraumhafte Stimmungen tauchen wie aus dem Hintergrund eines impressionistischen Aquarells auf.

"Some Do Not", "Manche tun es nicht" - ein suggestiverer Titel läßt sich kaum denken. Vor dem Hintergrund einer literarischen Entwicklung in Europa, die dem unkonventionellen Tun soviel Phantasieraum gibt, ist das unkonventionell-konventionelle Nichttun dieses Ford-Helden eine Sensation. Ford wendet diese explosiv gleichmütige Sentenz vielfältig an, was die - im ganzen sehr lesbare - Übersetzung von Joachim Utz nicht immer wiederzugeben vermag, etwa wenn Macmaster, der Freund von Tietjens, bemerkt: "The gods to each ascribe a differing lot: Some enter at the portal. Some do not!", was um des Reimes willen übersetzt wird als: "Jedem geben die Götter das Seine: Der eine herrscht, der andre hütet Schweine." Auch ein Droschkenkutscher und ein Stadtstreicher bekommen den Satz in den Mund gelegt, als kopfschüttelnden Ausdruck völligen Unverständnisses. Nur Tietjens und Valentine Wannop, auf die er gemünzt ist, begreifen das Ungewöhnliche ihres konsequenten Verzichts lange Zeit nicht. Über Jahre hinweg begehren sie einander aus wortloser Distanz, nur um irgendwann festzustellen, daß Erfüllung nach so langem Sehnen geradezu unerträglich riskant ist. Eine gemeinsame Geisteshaltung verbindet beide: ",Sie und ich nehmen unterschiedliche Standpunkte ein, und obwohl unser Blick auf dasselbe gerichtet ist, lesen wir verschiedene Botschaften. Vielleicht würden wir ja noch eine dritte erkennen, stünden wir Seite an Seite . . .'"

Die Fähigkeit von Tietjens, die Motive anderer zu durchschauen, ohne sie deshalb zu verurteilen, macht ihn zu einem Schmerzensmann als Gentleman. Seine unnachahmlichen Waffen sind das Schweigen und das Aushalten. Seine ganze Haltung scheint in einem einzigen "Hab dich nicht so!" zu bestehen. Manche würden sich von einer derart bösartigen Furie wie Sylvia unter Aplomb scheiden lassen. Er harrt gleichmütig aus. Manche begehen Schweinereien, weil am Ende Geld und Ehre winken. Er schaut diskret weg. Manche verbreiten Verleumdungen. Er schweigt - und dies mit einer von Ford erzählerisch inszenierten Lakonie, die einzigartig ist.

Haltung ist für Tietjens nicht das halbe, sondern das ganze Leben. Nicht, daß ihn die eigene Duldsamkeit nicht manchmal fast in den Wahnsinn triebe - hier greift Ford auf eigene Erfahrungen zurück. Aber Tietjens erwartet nicht, daß die Welt sich seinen Vorstellungen anpaßt. Er erträgt alle Zumutungen auch, weil sie seiner Demut nichts anhaben können. Bis diese edwardianische Ein-Mann-Idylle im Blutbad des Ersten Weltkrieges versinkt, und Tietjens, dieser Englischmann ohne Eigenschaften, sich immer mehr zu einem politisch engagierten Menschen herausbildet: "Für Valentine Wannop hatte der Krieg Tietjens aus einem Wunschgebilde zu einem Mann aus Fleisch und Blut werden lassen . . . Er schien weniger unfehlbar geworden zu sein. Ein Mann, der seine Zweifel hat, ist ein menschlicherer Mann . . ."

Es ist weniger die Noblesse seines Protagonisten, die Ford Madox Fords Roman auch achtzig Jahre nach seiner Entstehung als Meisterwerk auszeichnet, als die Erzählweise, jene "neue Form", die der Autor auf knapp vierhundert Seiten in existentialistische Kürze gegossen hat. Neben den großen Themen - dem Kampf zwischen den Geschlechtern in Analogie zum Krieg; den Fragen der Zugehörigkeit zu einer Klasse, Rasse oder Nation; der Zerstörungswut und Aggression; den Traumata und der Erinnerung - wollte Ford zeigen, daß ein Romancier auch der Historiker seiner eigenen Zeit sein kann und soll: nicht, indem er Geschichte erzählt, sondern indem er sie zum Roman verdichtet. Christopher Tietjens ist in seinem ungeheuren Verantwortungsgefühl ein wahrer Außenseiter, ein fast unheimlicher Mensch guten Willens, den seine Redlichkeit vor der Katastrophe aber nicht zu bewahren vermag. Da ist die Gesellschaft dann doch stärker.

Dennoch ist "Manche tun es nicht" nicht nur eine Charakterstudie, sondern erlaubt auch einen Blick auf die Verfaßtheiten seines Autors. Ford, der England 1922 den Rücken kehrte und nach Frankreich ging, wo er sich abwechselnd in der Provence und in Paris aufhielt, hatte den Krieg als Oberleutnant im Welch Regiment erlebt. Die Teilnahme erschien ihm ganz selbstverständlich: "Wenn man sein ganzes Leben lang die Privilegien der herrschenden Klasse eines Landes hat genießen dürfen, gibt es für mich im Notfall keine andere Möglichkeit, als für dieses Land zu kämpfen."

Der Wunsch, eine Romanfolge über den Krieg zu schreiben, entstammte eigenen Erfahrungen - nach einem Bombentrauma wußte er tagelang nicht mehr, wer er war - und der Lektüre des "Ulysses", der "Recherche" und der "Cantos". In die Reihe dieser großen Werke der Moderne gehört auch dieser Roman.

Ford Madox Ford: "Manche tun es nicht". Roman. Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Joachim Utz. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2003. 433 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Almut Finck weist Ford Madox Fords Roman einen Platz cirka im unteren Teil des oberen Drittels der Literaturgeschichte zu: "Kein weltliterarischer Klassiker, aber ein veritabler Gesellschaftsroman", schreibt sie über "Manche tun es nicht", worin der britischen Oberschicht mit traurigem Zynismus beim Untergang zugeschaut wird. Während - man schreibt das Jahr 1914 - auf dem europäischen Kontinent der Krieg tobt, ergeht sich der Adel in Konversation über die neuesten Personalien. Mittendrin: Christopher Tietjen, ein "Ritter der Selbstbeherrschung" und der letzte Tugendhafte seiner Gesellschaftsschicht, eine trotz ihrer gewissen Exotik durchaus komplex gestaltete Figur. Andere Protagonisten dagegen, bemängelt Finck, seien dem Autor etwas zu holzschnittartig geraten. Alles in allem aber ein gelungenes "Sittenpanorama", eine "Charakterstudie einer längst ausgestorbenen Spezies Mensch", die Joachim Utz vortrefflich - vor allem was den Konversationsstil und die "elegant gedrechselten Erzählpassagen" angeht - ins Deutsche übersetzt habe.

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