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"Mit sieben Jahren schwor ich, niemals zu lieben. Mit achtzehn tat ich es trotzdem. Es war genauso schlimm, wie ich befürchtet hatte. Es war demütigend, schmerzhaft und völlig außerhalb meiner Kontrolle." Nichts ist so tragisch wie das Leben - außer der Liebe. Selten hat die deutsche Literatur eine Autorin hervorgebracht, die darüber so unbarmherzig und zugleich so unwiderstehlich komisch erzählen kann.

Produktbeschreibung
"Mit sieben Jahren schwor ich, niemals zu lieben. Mit achtzehn tat ich es trotzdem. Es war genauso schlimm, wie ich befürchtet hatte. Es war demütigend, schmerzhaft und völlig außerhalb meiner Kontrolle."
Nichts ist so tragisch wie das Leben - außer der Liebe. Selten hat die deutsche Literatur eine Autorin hervorgebracht, die darüber so unbarmherzig und zugleich so unwiderstehlich komisch erzählen kann.

Autorenporträt
Karen Duve lebt in Hamburg. Für ihre Kurzgeschichten wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Das Leben ist eine Personenwaage
Vergebene Chancen: Karen Duve klebt heißes Pech am Damenschuh / Von Volker Weidermann

Herrlich, in England ein Verlierer zu sein. England liebt seine Niederlagenverschulder wie andere Länder ihre Sieger. Man muß gar nicht an den desaströsen Skihüpfer Eddi the Eagle zurückerinnern, der Ende der achtziger Jahre durch seine beharrlich herausgeflogenen letzten Plätze bei allen Skiflugveranstaltungen der Welt zum großen Liebling seiner Nation wurde. Und der erst durch die Einführung einer Mindestflugweite von verliererfeindlichen Sportfunktionären gewaltsam aus den Wettbewerben gedrängt werden mußte. Auch David Seaman, der Torhüter der englischen Fußball-Nationalmannschaft, wurde zum begeistert massengetrösteten tragischen Helden, als er in diesem Sommer das WM-Aus seiner Elf gegen Brasilien durch das Passierenlassen eines lächerlichen Lupfballes ganz allein verschuldet hatte. Glück - das haben die Deutschen. Pech zeichnet den sportlichen Engländer aus und die Größe, dies stolz zu tragen.

Auch Gareth Southgate ist ein solcher großer Verlierer. Er schoß im Halbfinale der Europameisterschaft von 1996, als ein ganzes Land sich darauf freute, daß der Fußball endlich im Triumph nach Hause kommen würde, im Londoner Wembley-Stadion den entscheidenden Elfmeter gegen Deutschland. Hunderttausend Zuschauer im Stadion, vielleicht eine Milliarde an den Bildschirmen zu Hause, und Southgate - verschießt. Was fühlt Southgate jetzt? "Southgate fühlt nichts. Noch fühlt Southgate nichts. Erst sickert langsam die Verzweiflung in ihn ein, mechanisch murmelt er etwas, das vermutlich Scheiße heißt, und er begreift, daß er der unglücklichste Mensch auf der ganzen Welt ist und selbst seine Mutter sich von ihm abkehren wird."

Das vermutet Karen Duve in ihrem neuen Roman "Dies ist kein Liebeslied". Die Protagonistin dieses Romans hat soeben das Versagen Southgates in einem Londoner Pub inmitten unendlich glücksbereiter englischer Fanmassen miterlebt, versucht nun um alles in der Welt, sich nicht als Deutsche zu erkennen zu geben, und macht sich über das Seelenleben Southgates ihre Gedanken: "Wie viele Jahre Psychotherapie braucht man, bis man einen solchen Fehlschuß verwunden hat?" Eine unendliche Zahl vermutlich. Zumindest sie, Anne Strelau, würde eine unendliche Zeit damit verbringen. Zum Glück schießt sie keine Elfmeter. Es würde aber auch keinen großen Unterschied machen, da sie ohnehin viel Zeit beim Psychiater verbringt. Denn Anne Strelau ist eine unglückliche Frau, die unglückliche Heldin des neuen Unglücksromans von Karen Duve.

Duve hatte vor dreieinhalb Jahren mit ihrem "Regenroman" einen außerordentlich großen Erstlingserfolg und wurde in die schauerliche Fräuleinwunder-Riege der jüngsten deutschen Damenliteratur aufgenommen. Da paßte sie schon damals nicht hinein, da ihr "Regenroman" die Vernichtungsphantasien eines gewaltbereiten Nicht-Liebespaares im Moor gar nicht fräuleinhaft ausphantasierte. Mit unzähligen literaturhistorischen Anspielungen und einer ironisch immer wieder herbeizitierten romantischen Todessehnsucht hatte Duve gleich mit ihrem Erstling ein brillantes, mitleidloses Untergangsepos des zu Ende gehenden Jahrhunderts geschrieben.

Jetzt ist endlich ihr zweiter Roman erschienen. Und er weiß von Unglück, Niedergang und Einsamkeit soviel wie sein Vorgänger. Die verzweifelte Person im Zentrum des Buches will nicht auf der Welt sein. Vom Vater mißachtet, von der unseligen Mutter hilflos geliebt, ist das Leben der Anne Strelau von Anfang an mißraten. Häßlich, unsportlich und allein, beginnt sie schon mit zehn Jahren ihre erste Diät. "Der wichtigste Moment im Leben eines Mädchens", schreibt Duve. "Jedenfalls bedeutender als das maßlos überschätzte Ereignis der Entjungferung. Eine Art Initiationsritus, nur daß du nicht als fertige Frau daraus hervorgehst, sondern immer wieder von vorn anfangen mußt. Du bist elf oder zwölf, und vielleicht bist du auch erst zehn, wenn du begreifst, daß du so, wie du bist, auf keinen Fall bleiben kannst. Fortan wirst du versuchen, anders zu sein, und zwar besser - also weniger."

So wird es weitergehen. Das Leben - ein mißlungener Abmagerungsprozeß, die Lebensstationen werden durch immer neue Rekordgewichte wie Wasserstandsmeldungen markiert. Anne ist fett. Anne gehört nicht dazu. Anne wird nicht geliebt. Die ganze Anne Strelau ist ein großer Fehler. "Ich hatte die falsche Figur und die falschen Jeans, ich lachte falsch und sagte die falschen Sachen, selbst das Fahrrad, das mir gehörte, war kein richtiges Fahrrad, sondern ein Klapprad."

Das Leben ist ein Pechzusammenhang. Die Welt ist falsch eingerichtet, das Glück ungerecht verteilt. Diese Weisheiten aus dem Leben der Schmerzensfrau als Bulimikerin werden auf den 280 Seiten wieder und wieder variiert. Die Welt verändert sich, aber das Unglück bleibt. Auf den großartigen ersten anderthalb Seiten des Buches hat Karen Duve das Dilemma, das dann folgen soll und das das Haupt-Dilemma dieses Romans ist, schon präzise beschrieben. In kaum mehr als fünfzig Zeilen läßt sie die Essenz des Erwachsenwerdens in den achtziger und neunziger Jahren an dem Leser vorüberrauschen. Doch für die Heldin der kommenden Seiten gilt: "Was auch immer um mich herum geschah, nie hatte ich das Gefühl, irgend etwas davon hätte mit mir zu tun."

Sondern nur ihr Seelenleben, ihr Unglück, ihre Einsamkeit und ihr Selbstmitleid haben mit ihr zu tun. Die Außenwelt ist eine Schemenwelt, feindlich, männlich, böse. Anne Strelau tritt immer wieder nur in den mißlungensten Sex-Abenteuern mit ihr in Kontakt. Sonst leidet sie still, versucht die Welt zu verstehen, sich den Menschen anzupassen und bleibt doch allen völlig fremd. Unglücklich, todessehnsüchtig und allein waren auch schon die Helden des "Regenromans", doch diese lebten ihr Lebensunglück immerhin noch in lächerlichen Abenteuern aus. Anne Strelau ist mit ihrem Riesenunglück allein. Und findet ein schrecklich konventionelles Mädchenglück auf dem Rücken eines galoppierenden Ponys, in einer Disco namens Sitrone, in der sie sich dem einsamen Musikrausch hingibt, und - nicht so konventionell - bei der Eröffnung eines Hospitals für Frösche, die der neue Elektrorasenmäher des Nachbarn verstümmelt hat. Ein Froschspital, das Anne gemeinsam mit ihrem würgefreudigen Freund Axel, genannt "Tellerauge", in einem der wenigen schönen Momente ihres Lebens eröffnet.

Anne Strelau ist eine traurige Lebensverliererin und wird es bleiben. Der Roman ist kein Roman, sondern eine entwicklungslose Leidensgeschichte, eine Selbstmitleidsgeschichte, der selbst Duves böser Blick von einst verlorengegangen ist. Leidverbissen, hoffnungslos. Solche Verlierer mögen selbst die verliererliebenden Engländer nicht. Solche, die nicht mehr aufstehen, Weiterleider: "Psycho" haben sie Stuart Pearce genannt. Den Mann, der im WM-Halbfinale 1990 den entscheidenden Elfmeter gegen Deutschland verschoß. "Psycho", wegen seiner manisch-humorlosen Art. Er hat dieses Elfmeterversagen nie vergessen. Und zwölf Jahre später, im letzten Spiel seiner Profikarriere, es ging um nichts mehr, sein Verein Manchester City war längst sicher aufgestiegen, da gibt es in der letzten Minute Elfmeter. Die letzte Minute seiner Karriere. Alle sagen: Pearce muß es machen. Der Keeper, der weiß, was dieser Schuß für ihn bedeutet, sagt zu ihm: "Mach ihn rein. Ich bewege mich nicht." Es wäre das hundertste Tor in seiner Karriere. Das letzte. Und das wichtigste. Der Keeper bleibt stehen, Pearce läuft an und schießt - über das Tor. Er hat es nicht geschafft. Er hat sich zu sehr in sein Unglück verbissen. Für Fußballer gibt es nichts Schlimmeres. Und manchmal für Romanschriftsteller auch.

Karen Duve: "Dies ist kein Liebeslied". Roman. Eichborn Verlag, Berlin 2002. 280 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""Der Roman ist kein Roman, sondern eine entwicklungslose Leidensgeschichte", schreibt enttäuscht Rezensent Volker Weidermann. Karen Duve sei hier der böse Blick ihres hochgelobten Erstlings abhanden gekommen. Die junge Heldin wirkt auf den Rezensenten leicht "leidverbissen". Sie ist diätversessen, lesen wir, ihr Leben ein einziger Abmagerungsprozess. Doch die Weisheiten "aus dem Leben der beschriebenen "Schmerzensfrau als Bulimikerin", die der Rezensent auf 280 Seiten "wieder und wieder variiert" findet, haben den Rezensenten sichtlich ermüdet. Besonders nach den "großartigen ersten anderthalb Seiten des Buches" findet er das mehr als bedauerlich.

© Perlentaucher Medien GmbH"

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2002

Da! Das ist Diedrich Diederichsen
Barock und ätzend: Karen Duve hat mit „Dies ist kein Liebeslied” den ersten Postpoproman geschrieben
An Karen Duves Roman „Dies ist kein Liebeslied” gibt es so viel zu rühmen, dass man am besten mit seiner Genauigkeit beginnt. Als die Geschichte der Heldin, der ewig liebesunglücklichen Anne Strelau, auf ihrer langen Zeitreise von den sechziger Jahren in die neunziger – spätes Novecento! – den Winter nach dem Fall der Mauer erreicht, beobachtet die Ich-Erzählerin, wie ein bettelndes Kind in einer Einkaufspassage Musik auf einem billigen Synthesizer macht. „Die Armseligkeit des Kindes war überhaupt nicht malerisch. Es sah verwurmt aus und so, als hätte es einen Dachschaden. Das Wurmkind spielte auf seinem Klapp-Synthesizer eine eigenwillige Version von Lambada. Es war die traurigste Lambada, die sich denken ließ. Wie der Klagegesang eines räudigen Vogels.”
Diese Lambada hat es gegeben, und man muss befürchten, dass sich noch jede Menge Menschen an den grauenhaften Ohrwurm erinnert – er dudelte damals nicht nur unentwegt in westdeutschen Einkaufspassagen, sondern auch auf den tristen Plätzen der untergehenden DDR, wo fliegende Märkte ihre Billigware anboten und Politiker Wahlkampf machten, die oft schon am nächsten Tag als Stasi-Zuträger enttarnt wurden. Selten dürfte ein historischer Epochenumbruch eine so peinliche und elende Begleitmelodie gehabt haben. Bei Karen Duve ist es umgekehrt: Bei ihr ist die Geschichte, die Handlung des Romans, peinigend elend, die Melodie aber, der Stil, die Komposition sind von verschwenderischem Geistreichtum.
Fressanfälle
Die Geschichte zeigt eine Tragödie aus der Welt der Teenie- Zeitschriften: Das Mädchen Anne schafft es nicht, schlank zu bleiben, und begibt sich auf den Leidensweg von Diäten und Fressanfällen, von verzweifelter Selbstdisziplin und ebenso verzweifelter Selbstaufgabe. Das ist das Äußere. Das Innere ist, dass es Anne nicht gelingt, aus ihrer hemmungslosen Liebebedürftigkeit eine nach außen gewendete Liebesfähigkeit zu machen, also all jene Spiele, Rituale und Codes zu erlernen, mit denen man Partner an sich zieht und bindet. Anne ist von Kind an ständig verliebt, aber immer unglücklich. Der äußere Makel – die schwabbelige unfeste Figur in ihrem Oszillieren zwischen Fettleibigkeit und vorübergehender Dürre – und das seelische Unvermögen bedingen und verstärken einander. Duves Roman ist eine Studie über Selbstbewusstsein und seine leiblichen Äquivalente, entwickelt an einem Fall grausam fehlenden Selbstwertgefühls.
Selbstverständlich sagt der Roman das so nicht. Überhaupt vermeidet er für die sehr klare Leidens-Symptomatik der Heldin alle medizinischen oder psychotherapeutischen Begriffe, die ja in Fülle bereitliegen. Anne Strelaus Leiden behält etwas urtümlich Quellendes und suggestiv Wortloses, es ist, um einen begrifflichen Ohrwurm der achtziger Jahre aufzugreifen, nicht „diskursiviert”. Karen Duves Klugheit beweist sich nun darin, dass sie diese Leidensgeschichte trotzdem nicht zu einem Exempel weiblicher Tiefe hochpoetisiert, sondern in der Sphäre grausamer Mittelmäßigkeit belässt. Die Handlung des Romans spielt ästhetisch die Rolle einer erschwerenden Bedingung, welche die Kunst der Autorin umso vielfarbiger erstrahlen lässt.
„Mit sieben Jahren schwor ich, niemals zu lieben. Mit achtzehn tat ich es trotzdem. Es war genauso schlimm, wie ich befürchtet hatte. Es war demütigend, schmerzhaft und völlig außerhalb meiner Kontrolle.” Das ist der Ausgangspunkt, und was auf ihn folgt, ist ein riesiger Klagestrom des Liebeskummers, der ein erschreckend monotones Leiden umspült. Auf dieser trüben Gefühlsbrühe aber schwimmt Zeitgeschichte – die in Gegenständen, Kleidern, Modeartikeln, Popmusik, politischen Reminiszenzen bewahrte Chronik der westdeutschen Gesellschaft zwischen 1965 und 1995.
Duves Roman enthält alle Themen der Popliteratur, sie teilt deren archivalischen Zug, ohne sich ihrer wohlstandsflauschigen Sentimentalität anzubequemen. Alle unsere Verirrungen, die Schlaghosen, die Digitaluhren, die Provinzdiskotheken, sind im Bernstein der Klage konserviert, und wenn sie schön werden, dann nur wie in einem Marthaler-Bühnenbild, das aus Sperrmüll Paläste erstehen lässt und aus Altkleidern Prunkgarderoben macht. Duve erweckt die Vergangenheit wieder zum Leben, und siehe, sie bleibt hässlich. Schönheit verbirgt sich abstrakt in der Gleichnisfunktion dieser konservierten Hässlichkeit, im Hinweis auf unsere Hinfälligkeit.
Klassisch ist der Zeitaufbau des Romans: Die auf 117 Kilo angewachsene Heldin fliegt nach London, um einen letzten aussichtslosen Versuch bei dem jahrelang vergeblich angebeten Mann zu unternehmen. Während dieser Reise geht sie das Unglück ihres dreißigjährigen Lebens durch und mit ihm die Geschichte unserer Zeit. Das Buch eilt von Niederlage zu Niederlage im Leben der Heldin und erzählt von wachsendem Wohlstand und gesellschaftlichem Erfolg in ihrer Umgebung. Das Mädchen wird immer fetter, während seine Altersgenossen immer erfolgreicher und eleganter werden.
Dieser Widerspruch entbindet eine geradezu barocke Rhetorik, einen zuweilen auf hohen Kothurnen einherschreitenden Minnesang, der den Rückgriff auf die Register der Literaturgeschichte nicht scheut: „Ich war ein Schiffbrüchiger, der im tosenden Meer des Schmerzes herumgewirbelt wurde, während die Wellen der Scham unaufhörlich über ihn hinwegjagten, der Orkan der hilflosen Wut in seinen Ohren pfiff und die Wolken der absoluten Verlassenheit den Himmel verdunkelten.” Das Gegenstück zu solcher absichtsvoll outrierten Concetto-Dichtung sind teils ätzende, teils feine Epigramme einer überlegenen Ironie. In einer Therapiegruppe: „Ein seltsamer Ehrgeiz – die größte Meise zu haben.” Über einen Mann: „Er war auf eine etwas staubige Weise hübsch.” Etwas später über denselben Mann: „Denn genaugenommen teilte ich die schlechte Meinung, die David von sich selber hatte.”
Wie ein weiblicher Houellebecq schreibt Duve immer wieder über guten und schlechten Sex, vor allem über schlechten. Anders als bei dem Franzosen ist es bei ihr aber nicht der Mechanismus der Gesellschaft schlechthin, welcher der unhübschen, normwidrig dicken und empfindsamen Heldin das Glück verwehrt. Sie ist, unter anderem, zu dumm für das Angesagte. Sie hört die falsche Musik, trägt die falschen Klamotten und weiß nicht einmal, wer David Bowie ist. Wie ein furchterregender Vogel stakst der Sachwalter solchen Wissens durch den Roman: „,Da! Das ist Diedrich Diederichsen‘, raunte er mir einmal vor dem Broadway-Kino zu. Ich drehte mich um. Ein junger Mann in einem Kohlenklau-Mantel, etwas kleiner als ich, ging in schlechter Haltung zur Kasse und verbreitete Glanz.”
Die richtigen Bücher
Am Ende schläft der schöne, wunderbar durchtrainierte Angebetete mit dem unglücklichen dicken Mädchen, und nun stellt sich heraus, dass es gar nicht bloß die Unfitness war, die Anne Strelau das Liebesglück verwehrte. „Du hast immer so harte Sprüche gerissen”, erklärt ihr der Schöne, „das war ziemlich einschüchternd.” Annes schwabbelige seelische Weichheit war nach außen gekommen nicht als einladende Coolness, sondern als stacheliger Panzer. Es zeigt sich, dass sie zwar immer die falschen Platten hörte, aber gelernt hat, die richtigen Bücher zu lesen. Der Schöne aber verfügt nur über eine klägliche Bibliothek: „Nebel von Avalon” neben „Hesse – Lektüre für Minuten”. Anne Strelau reißt die Bände aus dem Regal und erklärt: „Das ist genauso, als würde die Pop-Explosions-LP von K-Tel in deiner Plattensammlung stehen.” „Da kannst du dir doch gleich eine Enya-CD kaufen.”
Was als Bulimie-Geschichte begann, endet als hochdramatischer Agon der Künste: Literatur gegen Musik, Pathos gegen Pop. Dieses hochkomische, hochleidenschaftliche und überaus unterhaltende Buch verglüht in einer leidenschaftlichen Anklage: Was unsere Kultur den Heranwachsenden als Musik und Sprache der Liebe anbietet, reicht nicht hin. Karen Duve hat den ersten Postpoproman geschrieben.
GUSTAV SEIBT
KAREN DUVE: Dies ist kein Liebeslied. Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002. 281 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Nichts ist so tragisch wie die Liebe - außer der Liebe
"Eines Tages, genauer gesagt am Donnerstag, den 20. Juni 1996, beschloss ich, dass die Sache eine Ende haben müsste,... Und ich ging in ein Reisebüro und kaufte mir einen Flugschein nach London, wie sich andere Leute einen Strick kaufen."
Anne fliegt nach London, um ihre Jugendliebe wiederzusehen, den einzigen Mann, den sie jemals wirklich geliebt hatte. Leider war diese Liebe über all die Jahre nicht erwidert worden. Wie hätte Peter Hemstedt sich auch in Anna verlieben sollen? Anne hatte sich selbst seit ihrer Kindheit immer für minderwertig, hässlich und v.a. viel zu fett gehalten, obwohl sie höchstwahrscheinlich völlig normal war. Inzwischen bringt sie allerdings tatsächlich weit über 200 Pfund auf die Waage. Doch obgleich Anne befürchten muss, von Peter Hemstedt zurückgewiesen zu werden, setzt sie alles auf eine Karte. Zum ersten Mal in ihrem Leben will sie etwas wagen; es ist ihre letzte Chance, so glaubt sie zumindest. Natürlich fragt man sich spätestens jetzt, wie aus diesem einst eigentlich normalen Mädchen eine aufgequollenen Frau ohne jegliches Selbstbewusstsein werden konnte? Auf ihrem Flug nach London hat Anne genügend Zeit um über ihre Lebensgeschichte nachzudenken.
Annes Kindheit
Begonnen hatte alles mit einer verfehlten Kindheit in einer ganz und gar nicht liebenswerten Kleinbürgerfamilie, mit einer liebesunfähigen Mutter und einem depressiven Vater und ihrem ersten Freund Axel. Obwohl Axel wohl ihr erster wahrer und vielleicht einziger Freund war, kündigt sie ihm die Freundschaft, um wenigstens einmal von ihren Eltern und Geschwistern als gleichwertiges Familienmitglied anerkannt zu werden. Doch gedankt wird ihr dieses Opfer, dass sie ausschließlich für die Familie gebracht hatte, nicht im geringsten.
Annes Weg ins Erwachsenenleben
Aber auch die Jahre als Teenager sollen sich für Anne nicht im geringsten glücklicher erweisen. Traumatische Demütigungen im Sportunterricht, die Schrecken der ersten - eigentlich völlig unnötigen - Abmagerungskuren, die ersten Liebesversuche verstärken ihre unerkannte Depression. Nach ihrem Schulabschluss hält sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Ihre Sehnsucht nach Liebe versucht sie durch ständig wechselnde Männerbekanntschaften zu kompensieren, natürlich erfolglos. Als sie ganz und gar abzustürzen droht, beginnt sie eine Therapie, bei der sie nicht nur Axel wiedertrifft, sondern auch endlich das volle Ausmaß ihres Elends sieht. Ein Rezept zu dessen Heilung bekommt sie allerdings nicht an die Hand. In ihrer abgrundtiefen Verzweiflung fasst sie den Entschluss, nach London zu fliegen...
Ein Roman über Selbsthass und Selbstachtung
Karen Duve erzählt das Drama einer Frau, die liebt, aber nicht wiedergeliebt wird. Anne sehnt sich nach Liebe, die sie aber schon als Kind von den Eltern nicht bekommen kann. Mehr und mehr verrennt sie sich in der Idee, zu dick zu sein und schließlich wird sie das auch. In diesem Teufelskreis zwischen Selbsthass und Vereinsamung bemerkt sie erst viel zu spät, dass ohne Selbstachtung kein normales Leben möglich ist.
Trotz der sehr tragischen Thematik präsentiert Karin Duve dem Leser einen wunderbar erzählten, absolut kurzweiligen, sogar sehr humorvollen Roman.
(Wibke Garbarukow)

"Vom Leben hat Karen Duve offenbar mehr gesehen als Kindergarten und Love Parade." (Die Zeit)

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"Ein absonderlich schönes und unbeschreiblich lustiges Buch."
Brigitte

"Wie ein weiblicher Houellebecq schreibt Karen Duve immer wieder über guten und schlechten Sex, vor allem über schlechten Sex."
Süddeutsche Zeitung

"'Dies ist kein Liebeslied' von Karen Duve ist unglaublich sarkastisch, traurig und witzig. Einfach zum Verschlingen gut."
Freundin