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"Im Orchester herrscht der Dirigent - im Streichquartett die Demokratie."
Sie sind hoch empfindliche Künstler von unterschiedlichem Temperament, Individuen mit eigenen Vorstellungen und Geschichten - und doch arbeiten sie seit 35 Jahren erfolgreich zusammen. Sie proben miteinander, sie streiten und versöhnen sich und geben über 100 Konzerte im Jahr, in denen sie vollendete Harmonie beweisen - Arnold Steinhardt, Gründer des legendären Guameri - Streichquartetts, erzählt mitreißend und erstaunlich uneitel, wie vier Menschen gegen alle Wahrscheinlichkeit und Prognosen dauerhaft zusammenwirken…mehr

Produktbeschreibung
"Im Orchester herrscht der Dirigent - im Streichquartett die Demokratie."

Sie sind hoch empfindliche Künstler von unterschiedlichem Temperament, Individuen mit eigenen Vorstellungen und Geschichten - und doch arbeiten sie seit 35 Jahren erfolgreich zusammen. Sie proben miteinander, sie streiten und versöhnen sich und geben über 100 Konzerte im Jahr, in denen sie vollendete Harmonie beweisen - Arnold Steinhardt, Gründer des legendären Guameri - Streichquartetts, erzählt mitreißend und erstaunlich uneitel, wie vier Menschen gegen alle Wahrscheinlichkeit und Prognosen dauerhaft zusammenwirken können, ohne ihr Ego zu verleugnen. Gleichsam nebenbei lässt er die Stationen seiner großen Karriere Revue passieren, erzählt von Begegnungen mit Künstlern wie Strawinsky, Rubinstein oder Jacqueline du Pré und gewährt Einblick in die kleinen und großen Abenteuer des Tourneelebens.

Steinhardts Rückschau liest sich wie ein faszinierender Entwicklungsroman. In einer Zeit, die uns mehr und mehr auf Egoismus einschwört, macht er Mut für die Kunst des Miteinanders.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Das Wundermehl
Wieso ein Streichquartett ein Backofen ist / Von Julia Spinola

Vier Musiker schaffen einen einheitlichen Aufführungsstil. Dieser Stil ist eine sorgfältig abgestimmte Kristallisierung der Ähnlichkeiten und Unterschiede ihrer Temperamente. Er ist das Gleichgewicht konvergenter und divergenter Kräfte innerhalb der Gruppe." So einfach liest sich, was ein Streichquartett sei, in der gestaltpsychologischen Definition Rudolf Arnheims. Wie aber gelingt es vier Menschen mit ausgeprägter künstlerischer Individualität und entsprechend hochgradiger Empfindlichkeit, mit vier Herzen, acht Ohren und ungezählten Lesarten ein und derselben Partitur, Ähnlichkeiten und Unterschiede "sorgfältig abzustimmen"? Arnold Steinhardt hat ein ganzes Buch darauf verwendet, dem Geheimnis dieses immer wieder neu zu vollbringenden Wunders auf den Grund zu gehen. Er erzählt die Erfolgsgeschichte des Guarneri Quartetts, in dessen nach wie vor unveränderter Besetzung er seit sechsunddreißig Jahren die erste Geige spielt.

"Wie eine Meditation mit drei Gleichgesinnten" sei das Musizieren zu viert, schwärmt er. Aber man täusche sich nicht: Mit romantischer Seelenverwandtschaft, esoterischen Schwingungen oder einer sonst wie prästabilierten Harmonie hat dieses Vergnügen wenig zu tun. Vielmehr handeln Steinhardts Memoiren in elf luziden und packenden Kapiteln zu großen Teilen auch von der hohen Kunst, sich produktiv zu streiten. "Eine nie endende Folge von erfolglosen Attacken auf das Ich des Individuums durch ein noch stärkeres und geschlossenes Ensemble", so lautet seine Definition eines professionellen Streichquartetts. Im Idealfall aber, räumt er ein, funktioniere dieses Ding der Unmöglichkeit wie "ein sich selbst reinigender Backofen". Denn erst der beständige Zwang, die eigene Position in endlosen Diskussionen über ein Legato, ein Ritardando oder den Punkt über einer Note in Alban Bergs Opus 3 zu verteidigen, wird die Position schärfen - oder so sehr abschleifen, dass sie verschwindet. Beides befördert die Klarheit einer musikalischen Interpretation. Steinhardt, John Dalley (Violine), Michael Tree (Viola) und David Soyer (Cello) haben ihr Ensemble daher zur "komplimentfreien Zone" erklärt.

Ursprünglich stand alles im Zeichen einer glänzenden Solokarriere. 1937 in Los Angeles als hoffnungsbeladener Spross einer jüdischen Einwandererfamilie geboren, erhielt Steinhardt seinen ersten Geigenunterricht im Alter von sechs Jahren. Als Vierzehnjähriger gab er sein erstes Konzert, mit dem Philharmonischen Orchester von Los Angeles. Ein Heifetz sollte aus ihm werden. Dem Violinstudenten am Curtis Institute of Music begann der ewige Vergleich mit einem der größten Geiger des Jahrhunderts schließlich irgendwann auf die Nerven zu gehen: "Hör zu", schleuderte er seinem Vater entgegen, "ich mag vielleicht kein Heifetz sein, aber Heifetz ist kein Steinhardt." "Sieh mal einer an", wurde ihm erwidert, "er meint, er sei besser als Heifetz."

In einer Mischung aus sportivem Ehrgeiz, amerikanischer Aufstiegsmentalität und demütiger Hingabe an die Werke schliff Steinhardt an seinem Violinspiel, gab sich wahren Arbeitsräuschen hin, unterzog sich während der Semesterferien dem Drill von Ivan Galamians Übungscamp für Streicher und gewann schließlich den Leventritt-Wettbewerb - was ihm Soloauftritte mit sechs bedeutenden Orchestern einbrachte. Als zweiter Konzertmeister des Cleveland Orchestra sammelte er Erfahrungen unter der strengen Leitung von George Szell, der ihn behütete wie seinen Augapfel. Selbst als Partner bei der gemeinsamen Erarbeitung von Solokonzerten empfand Steinhardt jedoch das Orchester zunehmend als "unberechenbare Kreatur, die schneller und langsamer wird und lästige überraschende Wendungen nimmt". Demgegenüber lockten ihn am Quartettspiel größerer künstlerischer Entfaltungsfreiraum, höhere Selbstverantwortlichkeit und nuanciertere Gestaltungsmöglichkeiten. Während des Marlboro Kammermusik-Festivals in Vermont wurde das Guarneri Quartett 1964 auf Ermutigung von Rudolf Serkin und Alexander Schneider hin gegründet.

Die Kammermusik begann erst allmählich einen Aufschwung zu nehmen. Keine zehn Jahre zuvor hatte Steinhardt als zähneknirschender Absolvent eines gleichnamigen Pflichtfachs am Curtis Institute noch keinen blassen Schimmer, was er sich hierunter vorzustellen habe: "Wenn ich überhaupt an ,Kammer' dachte, dann an Folterkammer." Vier Wieniawski-gestählte Musikstudenten hoben ihre Bögen, um ein, so glaubten sie, einfaches Mozart-Quartett zu spielen, doch kein Laut erklang: "Wir waren ein Auto ohne Starter."

Im feinen Gespür für die Prägnanz charakteristischer Situationen, in geschliffenem Witz, pointensicherer und detailpräziser Darstellung sowie einer großen szenischen Fantasie meint man die Tugenden des brillanten Streichquartettspielers auch in der sprachlichen Gestaltung wieder zu erkennen. Von der Begegnung mit musikalischen Größen des Jahrhunderts - Strawinsky, Szell, Casals, Rubinstein, Ormandy, Serkin, Gingold - über die zeitlupenartige Versenkung in den "Morsecode" während eines Auftritts bis zu Widrigkeiten und Absurditäten des Quartettalltags ist dieses Buch spannend und ungemein kurzweilig geschrieben. Man erfährt etwas vom Cello, das im Flugzeug angeschnallt sein muss, vom Erbleichen des Hotelpagen, der die Musiker beim Teilen der bar ausgezahlten Gage einer ganzen Tournee "erwischt", und von der Enttäuschung, auf Partys oder Empfängen hartnäckig als siamesischer Vierling behandelt zu werden. Bisweilen meint man, in einem Roman von Philip Roth gelandet zu sein.

Neben der Vertiefung in die Geheimnisse des sich selbst reinigenden Backofens, jener unverzichtbaren Dynamik eines "ruhelosen Strebens nach Ruhe", wie Arnheim es formuliert, zieht sich das stets wieder neu begründete Bekenntnis zur Kammermusikkarriere als Leitmotiv durch die Kapitel. Manchmal klingt es fast wie eine Rechtfertigung. In der Brillanz und Virtuosität, mit der Steinhardt sich seinem Leser als höchst reflektierter Alleinunterhalter präsentiert, scheint dann doch noch etwas durchzuschimmern vom aufgegebenen Wunsch nach einer Solokarriere. Zum habituellen Vorbild hätte sich Steinhardt jedoch nicht Heifetz erkoren, sondern Rubinstein, dessen Anmut und Geschmeidigkeit er grenzenlos bewundert: "Ich hoffte immer, dass auf Grund einer Osmose etwas von Rubinstein auf mich abfärben möge. Mit einer solchen Haltung bewaffnet, schien alles möglich."

Arnold Steinhardt: "Mein Leben zu viert". Von der Kunst, aufeinander zu hören - das Guarneri Quartett. Aus dem Amerikanischen von Dorothea Brinkmann. Knaus Verlag, München 2000. 383 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auf Partys immer als "siamesischer Vierling" behandelt zu werden, hat Steinhardt, einer von Vieren des 1964 gegründeten Guarneri Quartetts, schon auch genervt, schreibt Julia Spinola. Und tatsächlich empfindet die Rezensentin seine vielen enthusiastischen Beschreibungen der Arbeitsweise eines kammermusikalischen Quartetts immer auch ein wenig als "Rechtfertigung" der Aufgabe einer vielversprechenden Solokarriere. Dennoch folgt sie den Erzählungen und Beschreibungen der "elf luziden und packenden Kapitel" seiner Biografie, die u. a. auch vom allmählichen Aufschwung der Kammermusik handelt, mit Spannung und Bewunderung. Das Ensemble, in dem vier hoch individuelle Künstler immer wieder zu einem "einheitlichen Aufführungsstil" finden müssen, hat sich nicht umsonst zur "komplimentfreien Zone" erklärt: nur so konnte jeder zu einer entweder geschärften oder schließlich aufgegebenen Position finden und damit Teil eines stimmigen Ganzen werden. Das darin ausgebildete "Gespür für die Prägnanz charakteristischer Situationen" findet sich, lobt die Rezensentin, auch in diesem Buch wieder, und manchmal könne man gar meinen, "in einem Buch von Philip Roth gelandet zu sein".

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