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Parini verwebt die Geschichte der abenteuerlichen Flucht des Kritikers Walter Benjamin vor Hitlers Schergen von Frankreich nach Spanien mit Episoden aus dem Leben des deutschen Intellektuellen. Ausgehend vom Schicksal Benjamins erzählt er von der Heimatlosigkeit und Ohnmacht der Intellektuellen in diesem Jahrhundert, entwirft er das Bild einer Epoche, in der die Nationalsozialisten sich anschickten, Europa in die Barbarei zu stürzen und die kritische Intelligenz von diesem Kontinent zu vertreiben.

Produktbeschreibung
Parini verwebt die Geschichte der abenteuerlichen Flucht des Kritikers Walter Benjamin vor Hitlers Schergen von Frankreich nach Spanien mit Episoden aus dem Leben des deutschen Intellektuellen. Ausgehend vom Schicksal Benjamins erzählt er von der Heimatlosigkeit und Ohnmacht der Intellektuellen in diesem Jahrhundert, entwirft er das Bild einer Epoche, in der die Nationalsozialisten sich anschickten, Europa in die Barbarei zu stürzen und die kritische Intelligenz von diesem Kontinent zu vertreiben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2000

Im Bett mit dem Text
Jay Parini wagt einen Walter-Benjamin-Roman: „Dunkle Passagen”
Biografische Romane über große Gestalten der Geschichte kalkulieren auf einen doppelten Bonus: Sie zehren von der Aura des Berühmten – nach der Umschreibung des deutschen Philosophen und Literaturwissenschaftlers Walter Benjamin (1892–1940) bezeichnet das Wort „Aura” die „einmalige Erscheinung einer Ferne”. Zugleich bringen sie ihren Lesern paradoxerweise eben diese Ferne des sonst Unzugänglichen nah. Das muss keineswegs immer mit der Perspektive der „Kammerdiener” verbunden sein, die sich nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel die „Helden” auf ihr Format zurechtschustern. Es kann auch mit dem nötigen respektvollen Distanzgefühl geschehen. Aber man sieht die Großen noch näher als jemals zuvor, bei besonders waghalsigen Romanbiografen sogar von innen.
Allerdings gehen diese damit auch ein besonderes Risiko ein, zumal wenn es sich um die „Helden” der Geistesgeschichte handelt. Denn sie zeichnen sich nun einmal dadurch aus, dass ihnen mehr als anderen Sterblichen die Sprache zur Verfügung steht; dass sie ein Innenleben haben, dessen Komplexität und Tiefe all unserer biederen Beschreibungen spottet.
Dieser Roman des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Jay Parini hatte uns schon vor gut einem Jahr in deutscher Übersetzung erreichen sollen. Wegen nicht genehmigter Verwendung von 27 Originalzitaten Walter Benjamins legte der Suhrkamp Verlag sein Veto ein. Schließlich aber hat man sich doch geeinigt. Soeben ist die deutsche Ausgabe in die Buchhandlungen gekommen – mit dem Nachweis der zum Abdruck genehmigten Stellen und der Quellen in Benjamins von 1972 bis 1989 bei Suhrkamp edierten „Gesammelten Schriften”.
Unter diesen Umständen bieten sich für den biografischen Roman zwei Möglichkeiten an: Entweder kann er die Großen mit ihren eigenen Texten zitieren. Das bereitet den kundigen Lesern, denen nach Thomas Mann an der Freude des Wiedererkennens gelegen ist, die tiefe Befriedigung des „Déjà-lu”. Gleichwohl darf sie nicht überhand nehmen. Denn es steht doch schon alles da. Und jede dieser Koryphäen hat so peinlich gut gesagt, was sie zu sagen hatte. Selbst ein Virtuose des Zitierens wie Walter Benjamin, der einmal ein nur aus Zitatmontagen bestehendes Werk erwog, hat das nie realisiert.
Mit anderen Worten: Eigene Kreativität ist gefragt. Was aber, wenn das so glänzend vorformulierte Alte und das so frisch von der Leber weg ersonnene Neue aufeinander treffen? Dann kann es an den Schnittstellen zu fatalsten Kollisionen kommen. Der biografische Roman ist keineswegs ein leichtes, vielmehr ein höchst heikles Genre!
In den letzten Jahren haben einige Autoren dieses Risiko nicht gescheut. Es gibt geglückte Exempel, die sich dadurch auszeichnen, dass sie konsequent eigene Wege gehen, etwa die Romane von Gert Hofmann, Henning Boëtius oder Otto A. Böhmer. Auf der anderen Seite hat zum Beispiel das viel gelesene Nietzsche-Tränenstück von Irvin D.  Yalom Und Nietzsche weinte” ohne falsche Scham gezeigt, wie man jede Peinlichkeitsgrenze überschreiten kann. Und jetzt also sucht Jay Parini, Dozent für Englische Literatur am Middlebury College in Vermont/USA, ausgerechnet die Begegnung mit eben jenem Walter Benjamin, der den Begriff der „Aura” so suggestiv bestimmt hat, aber gleichzeitig von ihr für das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit nichts mehr wissen wollte. Kann das gut gehen?
Parini hält sich im großen und ganzen an Benjamins Lebenslauf. Die wichtigsten Beziehungen seines Lebens werden in der Form von Berichten in der Ich-Form in den Roman integriert: Polyphon soll es zugehen, polyperspektivisch soll es sein. Es beginnt mit der Lebensfreundschaft zu Gershom (Gerhard) Scholem, dem späteren großen Erforscher der jüdischen Mystik, der Kabbala. Benjamins Wendung zum dialektischen Materialismus im Anschluss an die Begegnung mit der lettischen Kommunistin Asja Lacis und mit Bertolt Brecht, auf der anderen Seite die Freundschaft zu Theodor („Teddy”) W.  Adorno, die Kontakte zu Max Horkheimer, zur Kritischen Theorie spielen die gebührende geistige Rolle. Auf eine Verwandte wie Hannah Arendt darf sowieso nicht verzichtet werden.
Erotische Intermezzi
Aber natürlich darf in einem biografischen Roman wie diesem auch das Fleisch nicht fehlen. Benjamins Beziehungen zu Asja Lacis, zu seiner Frau Dora Pollak und etliche andere erotische Intermezzi, zumal im Bauch von Paris, zeigen den distinguierten Benjamin, der alles nur mit der Pinzette anzufassen scheint, von seiner beruhigend allgemein-menschlich-grobsinnlichen Seite.
Die Pariser Emigrationsjahre, die Internierungslager, schließlich die Flucht über die Pyrenäen nach Port Bou umreißen eine „nach unten” führende Lebenslinie, die in Benjamins Selbsttötung ihr Ende findet. Scholems Besuch auf dem Friedhof von Port Bou, in dessen unmittelbarer Nähe heute das eindrucksvolle Denkmal, das Passagen-Werk Dani Karavans, steht, markieren Anfang und Ende.
Der Bonus des großen Namens wird von Parini ausgereizt. Benjamin firmiert stets als „Benjamin”, nicht mit seinem Vornamen. Und sein Votum für Montage und Zitat wird nach Kräften beherzigt. Aber hier beginnen auch die Probleme. Bei Benjamin-Lesern wird sich die Freude am Wiedererkennen in Grenzen halten. Das Benjamin-Pensum von den „Thesen über den Begriff der Geschichte”, die „Aura”, den „Angelus Novus”, das titelgebende „Passagen”-Werk, das „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit” . . . wird gehörig abgearbeitet. Das ist solide, aber auch arm an Überraschungen. Und jedes der Zitate wirft an den Nahtstellen ein gnadenloses Licht auf den „freien” Romantext.
Das Manierierte, Gestelzte, dem schon Benjamin nicht immer entgangen ist, kommt mit der erotischen Trivialität zu einer öfters schwer erträglichen Mesalliance: „Sie erwies sich, selbst während sie sein Bett teilte, als der schwerste Text, den er je zu lesen versucht hatte: eine Passage widersprüchlicher Zeichen . . . In der Liebe ist ein Körper nicht durch einen anderen zu ersetzen . . . Dennoch faszinierte ihn der Gedanke, dass jede Frau auch die Frau an sich war: ein Stück der platonischen Idee. ” Da würden sich alle bedanken, Benjamins Frauen nicht anders als Benjamin.
Am besten wird Parini, wenn er sich der Perspektive seiner Nebenfiguren überlässt. Aber auch hier sind die Maßstäbe hoch gesetzt. Der Bericht Lisa Fittkos über die Pyrenäenüberquerung nach Port Bou, über Benjamins leidenschaftliche Verteidigung seines Allerheiligsten: seiner später nie aufgefundenen Aktentasche, die wohl die weitest gediehene Fassung des Passagen”-Werkes enthielt – die letzten Endes vergebliche Rettung dieser Aktentasche vor der Gestapo wird zur Chiffre seines, mehr: des Intellektuellen-Lebens in diesem grauenvollen Jahrhundert: dieser Bericht ist karger und deswegen weitaus eindrucksvoller, während Benjamin bei Parini ausgerechnet in der Nacht vor seiner Selbsttötung noch einmal seine erotische Biografie resümieren muss.
Und der herzabschnürende letzte Brief Benjamins an Adorno, nur in der Handschrift Henny Gurlands erhalten, macht Parinis abschließende messianische Botschaft von der Wiederbringung aller Dinge zur „erpreßten Versöhnung”, zu harmonistischem Kitsch. Da hält man sich doch besser an Benjamins letzten Brief: „Dans une situation sans issue . . . In einer Situation ohne Ausweg habe ich keine andere Wahl als zu schließen. In einem kleinen Dorf in den Pyrenäen, wo niemand mich kennt, geht mein Leben zu Ende. ”
LUDGER LÜTKEHAUS
JAY PARINI: Dunkle Passagen. Ein Walter-Benjamin-Roman. Aus dem Amerikanischen von Gerhard Beckmann. Albrecht Knaus Verlag, München 2000. 448 Seiten, 42,90 Mark.
Walter Benjamin, fotografiert in Paris im Jahre 1937.
Foto: Gisèle Freund
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Uwe Pralle weist zunächst darauf hin, dass Benjamins Nachlassverwalter und der Suhrkamp-Verlag sich anfangs geweigert haben, die Genehmigung für den Nachdruck einiger Zitate in diesem Buch zu erteilen. Zwar hat ihn dies anfangs an Zensur denken lassen, so der Rezensent. Nach der Lektüre jedoch habe er für diese Haltung sogar beinahe Verständnis. Denn nach Pralle hat der Autor Benjamin eher einen Bärendienst erwiesen. So macht der Rezensent immer wieder deutliche Tendenzen zum "lupenreinen Kitsch" aus, etwa bei den fiktiven Briefen Benjamins. Benjamin selbst kommt, wie der Leser erfährt, ansonsten nicht zur Sprache, worin der Rezensent eine Scheu Parinis vermutet, sich in sprachlicher Hinsicht mit Benjamin messen lassen zu müssen - zu Recht, wie Pralle findet. Ansonsten diagnostiziert der Rezensent eine deutliche Tendenz zur Verflachung und einen abstoßenden Schlüssellochblick, was Benjamins Sexualleben betrifft. Mit schlüpfrigen Szenen ist "der Roman gepflastert", so Pralle, der ihnen weder Erkenntnis- noch Unterhaltungswert zugestehen mag.

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