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In ihrer Studie zeigt Ulrike Brunotte, wie das "Gespenst der Homoerotik" zusammen mit der Angst vor einer Feminisierung der Politik die deutschen Männerbünde bestimmt hat und ein Feindbild entstand, in dem sich Antifeminismus und Antisemitismus verbanden. Im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Umbrüchen um 1900, die auch die Geschlechteridentitäten erschütterten, entwickelten sich Vorstellungen von hyperviriler Männlichkeit, die den vermeintlichen Bedrohungen einer als "weiblich" und zugleich "jüdisch" empfundenen Kultur der Moderne widerstehen sollten. Detailliert zeichnet Ulrike Brunotte…mehr

Produktbeschreibung
In ihrer Studie zeigt Ulrike Brunotte, wie das "Gespenst der Homoerotik" zusammen mit der Angst vor einer Feminisierung der Politik die deutschen Männerbünde bestimmt hat und ein Feindbild entstand, in dem sich Antifeminismus und Antisemitismus verbanden.
Im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Umbrüchen um 1900, die auch die Geschlechteridentitäten erschütterten, entwickelten sich Vorstellungen von hyperviriler Männlichkeit, die den vermeintlichen Bedrohungen einer als "weiblich" und zugleich "jüdisch" empfundenen Kultur der Moderne widerstehen sollten.
Detailliert zeichnet Ulrike Brunotte nach, wie in den Diskussionen um "Männlichkeit" auf ein Ideal des "wilden Kriegers" und auf stammesgeschichtliche Initiationsriten zurückgegriffen wurde.
Und zum ersten Mal widmet sich eine Studie so ausführlich dem Berliner Psychologen Hans Blüher, der die ganze Ambivalenz dieses Männerbundmodells - das vom Wandervogel bis zu SA und SS gewirkt hat - offenbarte, als er nach der Rolle des Eros in der männlichen Gesellschaft fragte.
In ihrer eindrucksvollen Analyse räumt die Autorin der Literatur einen besonderen Raum ein.
Autorenporträt
Ulrike Brunotte ist Religions- und Kulturwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität Berlin. In zahlreichen Veröffentlichungen hat sie sich mit der Inszenierung von Männlichkeit im Action- und Kriegsfilm auseinandergesetzt sowie mit Initiationsritualen und ihrer Aktualität in der Erlebnisgesellschaft.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.07.2004

Sich bannen in den Kreis, den Liebe schließt
Die „gender studies” schieben sich vor die historischen Fakten: Ulrike Brunottes anregende Studie über Männerbünde
Mit einem etwas wohlfeilen Paukenschlag eröffnet Ulrike Brunotte den Prolog ihres Buches: mit der Schilderung der Landung Präsident Bushs auf dem Flugzeugträger „Abraham Lincoln” im Frühjahr 2003 während des Irakkrieges und mit den Assoziationen zu Rambo und Terminator, die sich angesichts solcher Inszenierungen aufdrängten. Von hier aus kommt die Autorin schnell zu ihrem eigentlichen Ziel, nämlich „den kolonialen Grenz- und Denkraum aus(zu)leuchten, in dem sich um 1900 in Deutschland die folgenreiche Entdeckung des Initiationsrituals und seines stammesgesellschaftlichen Trägers, des Männerbundes, abspielte”.
Der Begriff „kolonial” taucht noch bei der Behandlung des Ethnologen Heinrich Schurtz auf, der mit seiner Untersuchung „Altersklassen und Männerbünde” 1902 einen wichtigen Beitrag zum Thema geleistet hat, verschwindet dann aber aus dem Blickfeld der Untersuchung. Übereinstimmend mit vielen anderen Forschungsergebnissen konstatiert Brunotte für die Zeit um 1900 die Bedeutung der Jugend als „Liminalitätsphänomen”, als Positionsbestimmung und gleichzeitig Verunsicherung einer „Kohorte” zwischen allen strukturellen und sozialen Positionen, die auf eine Grenzgänger-Situation festgelegt war.
Wissenschaftliche Pornographie
Von dieser Jugend zum Männerbund gab es eine konsequente Entwicklung - Klaus Theweleit hat sie für die Freikorpsgeneration nachgezeichnet. Bereits im späten 18. Jahrhundert ist ohne Zweifel eine „Krise der Männlichkeit” zu beobachten - ob man allerdings Goethes Werther als Ausbund „femininer Männlichkeit” bezeichnen sollte, ist doch sehr fraglich. Der literarische und gefühlsgeschichtliche Kontext einer durch den Sturm und Drang gesättigten und so übersteigerten Empfindsamkeit wird außer Acht gelassen - die Religions- und Kulturwisssenschaftlerin hat in ihren literarischen Exegesen nicht immer eine glückliche Hand.
Unbestreitbar ist die Diagnose einer um 1900 verunsicherten Männlichkeit und der sich verbreitenden Angstvision einer feminisierten Kultur. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Wandervogel-Bewegung der Jahrhundertwende, literarisiert in Walter Flex’ „Wanderer zwischen beiden Welten”, vorgeschmeckt in Rilkes „Cornet”, sodann der „Übermann” Herakles und vor allem die Gestalt Hans Blühers mit seiner Geschichte des Wandervogels und mit seinem Hauptwerk „Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft”, schließlich der Langemarck-Mythos.
Das allzu knappe Herakles-Kapitel kann nicht belegen, warum gerade diese Gestalt für das männerbündische Denken um 1900 zentral sein soll, eine Gestalt, die weder motivgeschichtlich noch als kulturgeschichtlicher Topos in dieser Epoche eine herausgehobene Rolle spielt. Bezeichnenderweise wird als literarischer Beleg Gottfried Benns „Dorische Welt” von 1934 herangezogen; in diesem Text spielt Herakles, vorsichtig ausgedrückt, keine zentrale Rolle. Zwischen Rilkes „Cornet” von 1899 (erste Fassung) und diesem Text liegen 35 Jahre, der Untergang des alten Europa, ein Weltkrieg und der Erfolg der europäischen Faschismen, aber sie werden nahezu unterschiedslos als literarische Belege des Männerbündischen und Antifemininen behandelt - hier mangelt es an historischer Differenzierung.
Blass bleiben auch die Ausführungen zu Otto Weininger (die zentrale Monographie Jacques Le Riders „Der Fall Otto Weininger” wurde nicht benutzt). Zentrum des Buches und ohne Zweifel sein bester Teil ist ein umfangreiches Kapitel zu Hans Blüher, dem „Theoretiker und Kämpfer des Männerbundes” wie Ulrike Brunotte ihn nennt, auch dies ein Wanderer zwischen den Welten, in diesem Falle der Psychoanalyse und des Wandervogels, zwischen Homoerotik, Misogynie und Antisemitismus.
Das Verdienst des Buches ist es, mit genauer Charakterisierung die offensichtlichen prekären Aspekte, aber auch die Qualitäten von Blühers Zeitdiagnosen aufzuweisen, die ja immerhin die Zustimmung von Thomas Mann, Sigmund Freud und Rilke fanden, dies allerdings zu einer Zeit, als Blühers Antisemitismus noch nicht deutlich erblüht war. Hans Blüher war, auch in seinem kurzfristigen Erfolg vergleichbar, gewissermaßen der Oswald Spengler der männerbündischen Homoerotik, der verzweifelt versuchte, in den George-Kreis vorzudringen, in dem er offensichtlich seine Visionen am stringentesten verwirklicht sah.
Brunotte erkennt klarer als andere neuere Literatur die Bedeutung Blühers, die weit über die Sexualdebatten der Zeit zwischen 1900 und 1930 hinausgeht (ein Teil seines Erfolges ging allerdings auch auf das Konto seiner offenen Sprache in sexualibus, ein Ruch von wissenschaftlicher Pornographie haftete seinen Büchern auflagesteigernd an). Blühers Einfluss auf den Nationalsozialismus wird allerdings von der Autorin deutlich überschätzt. Dass seine Lehre vom Männerbund für diesen „zentral” gewesen sei, ist eine kühne Behauptung. Das mag für NS-Professoren wie Alfred Baeumler zutreffen (hier als „Bäumler” auftauchend) und für Ernst Krieck; auch in Himmlers Reden wird er einmal erwähnt. Dass dies aber auch für Alfred Rosenberg, Ernst Röhm und gar Hitler selbst galt, ist eine These, für die das Buch die Belege schuldig bleibt.
Im Fall Hitlers gibt Brunotte zu, dass dies nur Blüher selbst behauptete, aber auch bei Rosenberg und Goebbels findet sich der Name Blühers in keiner Veröffentlichung, in keinem Tagebuch. Und ausgerechnet Röhm soll ein begeisterter Leser von Magnus Hirschfeld, Sigmund Freud und Hans Blüher gewesen sein? Auch das wusste nur Blüher selbst und der hatte es angeblich von einem Freund Röhms gehört - solche „Quellen” sind von zweifelhaftem Wert. Problematisch wird die ganze Blüher-Röhm-Connection, wenn das Buch uns am Ende glauben machen will, dass der 30. Juni 1934, die Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches, im Kern die homophobe Ausbrennung der homoerotischen Bindungskraft im ansonsten gefestigten Männerbundstaat gewesen sei.
Dies ist nicht der Stand der zeitgeschichtlichen Forschung. Dass Goebbels‘ Propaganda das Faktum der Homosexualität einiger SA-Führer nachträglich ausnutzte, ist eine Sache, dass ganz andere Ziele verfolgt und erreicht wurden, eine andere, erheblich wichtigere: die Zerschlagung jener Organisation, die das noch keineswegs stabile Regime, sowie die Führungsrolle Hitlers und der Partei zu bedrohen schien, die Verpflichtung der Reichswehr zur willfährigen Gefolgschaft durch die Ausschaltung der einzigen Konkurrenz, das entscheidende Exempel für einen vor nichts zurückschreckenden Umgang mit dem Gegner - dies alles tritt in den Schatten der These des Buches, die „gender studies” schieben sich vor die historischen Fakten.
Ulrike Brunottes Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Es kann sich nicht wirklich zwischen einem größeren Essay und einer umfassenden Darstellung der Problematik entscheiden. Ein reiches Material ist gesichtet worden, mit einem scharfen Blick für das Abseitige und Verstiegene jener Texte und Entwürfe, aber die Durcharbeitung ist unvollkommen, vieles wirkt zettelkastenhaft und additiv aneinandergereiht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine Vorstufe zu einer größeren Blüher-Studie vor dem Leser liegt, für die Ulrike Brunotte die richtige Autorin wäre, wenn sie die Benutzung literarischer Texte für kulturwissenschaftliche Zwecke mit mehr Differenzierung vornehmen und wenn sie ihren Thesen eine stärkere historische Fundierung gönnen würde. Trotz dieser Einwände wird man ihrem Buch das Prädikat „anregend” nicht versagen wollen und können.
JENS MALTE FISCHER
ULRIKE BRUNOTTE: Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2004. 171 Seiten, 18, 50 Euro.
Über die schöngeschweifte Jugend auf dem Krater legt die Fotografie ihren Schleier aus Unschärfe, das feurige Auge des Sizilianers aber und die von seiner grausamen Hand zerdrückte Blüte bleiben uns nicht erspart. Auch der jüngste Versuch, die Aktfotografie des 20. Jahrhunderts auf den Begriff einer „erotischen Inszenierung” (Jörg Immendorff) zu bringen („enthüllt - exposed”, Edition Braus, 99 S., 35 Euro), erhebt den Baron von Gloeden unter ihre böhsen Patenonkelz.
ff
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sabine Fröhlich konnte dieser Studie von Ulrike Brunotte sehr viel abgewinnen: Es geht darin um das Männlichkeitsideal in der Weimarer Republik, das sich in der Sicht der Autorin weg von einem "reformpädagogisch, stadtflüchtigen "Wandervogel" hin zum "ekstatisch für Führer und Fahne sich opfernden, singend in den Tod stürzende Krieger" entwickelte. Dabei werden die wichtigsten "Linien und kritische Punkte" der Entwicklung nachgezeichnet, wie zum Beispiel der Ersten Weltkrieges als "eigentlich männliches Initiationsritual" und Vorbereitung auf nationalsozialistische Gruppierungen. Die "unbeirrte Exkursion durch die zeitgenössische Literatur", so lobt Fröhlich, beachte neben den "Baumeistern des Männerbundes" auch experimenteller Ansätze, wie zum Beispiel Rainer Maria Rilke oder Thomas Mann und folgert deshalb, dass die Studie "reich an kreativen Deutungen zeitgenössischer Schlüsseltexte und Kultbücher" sei. Auch wenn die dargestellten Männlichkeitsideale heute "überholt" scheinen, lernte die Rezensentin, dass diese auch heute noch als "Rituale männlich-kriegerischer Identität" ständig präsent seien.

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