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Mit hoher analytischer Kraft beschreibt Ulrich K. Preuß wie sich zum Ende des 20. Jahrhunderts eine noch nicht "begriffene" Dimension von Krieg und Verbrechen herausgebildet hat, für die die Weltgemeinschaft erst noch Wege zur Lösung finden muss.

Produktbeschreibung
Mit hoher analytischer Kraft beschreibt Ulrich K. Preuß wie sich zum Ende des 20. Jahrhunderts eine noch nicht "begriffene" Dimension von Krieg und Verbrechen herausgebildet hat, für die die Weltgemeinschaft erst noch Wege zur Lösung finden muss.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2003

An den Prozeß der Illegalisierung des Krieges könnte man sich glatt gewöhnen
Ulrich K. Preuß kartographiert die Begriffe zum 11. September, kommt dabei aber nicht ohne die alte geschichtsphilosophische Meistererzählung aus

Mit den Türmen des World Trade Center scheint auch so manche Begriffsarchitektur eingestürzt zu sein: Das Ereignis riß ein verbales Loch. Weder konnte die Erfahrung artikuliert, noch die Frage nach der Reaktion angemessen gestellt werden. Die Beschwörung von Unsagbarkeitstopoi war nur eine weitere mediale Verschüttung des Vorgangs. Handelt es sich um einen Schlag gegen die westliche Zivilisation oder um einen kriegerischen Akt gegen die Vereinigten Staaten? Ist ein "Krieg gegen den Terror" wirklich wünschenswert, oder wäre eine polizeiliche Aktion der Uno geboten? Was hat es mit den vielbeschworenen "neuen Kriegen" auf sich? Ulrich K. Preuß versucht nicht, schnelle Antworten zu geben, sondern nähert sich den Fragen durch eine "Kartographie der Begriffe und Prinzipien" - er unternimmt terminologische Rekonstruktionsarbeit und betont mit "Krieg, Verbrechen, Blasphemie" zentrale Termini der Debatte.

Als Verfassungsrechtler legt Preuß im ersten Teil seines Essays die Genese des modernen Kriegs in Zusammenhang mit der Entwicklung des Staatsgedankens dar. Er zeigt auf, wie mit dem Westfälischen Frieden sowohl der moderne Staat als auch der Krieg als Rechtsverhältnis zwischen Staaten geboren wurde. Ein Staat bestätigt sich selbst in dem Moment, wo eines seiner Elemente angegriffen wird - insofern braucht er den Krieg zur Steigerung seiner eigenen Macht, hält seinen Gebrauch aber immer in den Grenzen der Staatsräson. In der Folge wird der Krieg zum einen zunehmend verrechtlicht und zivilisiert, zum anderen jedoch verlagert sich das Politische weg vom Staat und hin zum Volk. Schon seit den Befreiungskriegen wird so die gewünschte Trennung von Militär und Zivilisten zum Schutz Unbeteiligter zunehmend schwieriger.

Die "Krise der Staatlichkeit" erreicht seit 1989 einen neuen Grad: Eine zunehmend rechtlich-zivilisatorisch verbundene Weltgemeinschaft sieht sich mit "failed states" konfrontiert, mit Produkten von Zerfall oder mißlungener Staatsbildung. Sie sind Schauplätze der "neuen Kriege", die Fragen der (ethnischen) Zugehörigkeit betreffen, also Bürgerkriegscharakter haben, und mit kriminellen Aktivitäten verquickt sind. Durch die internationalen Bande können diese Brandherde globale Wirkung erreichen. Zwar ist der Krieg mit dem Staat als Teil der zwischenstaatlichen Beziehungen geboren worden; zugleich ist jedoch ohne Staat auch kein Frieden zu erreichen. Betrachtet man also die Geschichte der bewaffneten Konflikte, so kann seit langem nicht mehr von "Krieg" gesprochen werden. Die begrenzten, am Wohl des Staates orientierten Auseinandersetzungen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts sind irrationalen und entgrenzten Auseinandersetzungen gewichen - das hat der 11. September nur mit Nachdruck ins Bewußtsein gerufen. Der Prozeß der Illegalisierung des Krieges führt bisher lediglich zu einem Wandel der bewaffneten Konflikte, nicht zu ihrer Abschaffung: eine ebenso bestürzende wie plausible Einsicht.

Der Terrorismus, der sich "die Erzeugung von diffus-öffentlicher Angst" zum Ziel setzt, arbeitet an der Aushöhlung staatlicher Autorität. Preuß nennt ihn folglich einen Zustand der Rechtsverneinung, also ein Verbrechen; die Reaktion muß eine polizeiliche sein. Was die Art der Reaktion angeht, so betont Preuß vernünftigerweise, daß es in unserem moralischen und rechtlichen Universum keine Symmetrie zwischen Untat und Strafe geben kann - diese grundsätzliche Feststellung sollte unmäßigen Rachedurst dämpfen. Trotzdem mußten die Vereinigten Staaten reagieren, und sie taten es mit einem völkerrechtlich "hybriden" Akt. In der Abwägung der völkerrechtlichen Immunität Afghanistans gegen einen "Grundbestand menschlicher Zivilisation" verteidigt Preuß letztlich das Vorgehen der Supermacht, da die staatliche Souveränität Afghanistans nur ein leerer Rechtstitel und die Aktion humanitär sinnvoll gewesen sei. Das Völkerrecht und damit die Souveränität des Staates treten hinter das Recht der internationalen Gemeinschaft zurück.

Auf seiten der Vereinigten Staaten sieht Preuß durchaus materielles Interesse im Spiel, hat aber nichts dagegen einzuwenden, solange es dem moralisch Guten dient. Diese "List der Vernunft" im Sinne Hegels, die Preuß oft im Handeln des Hegemons sieht, ist heikel. Es stimmt, daß Demokratien nicht zur Kriegführung neigen und einen "Anreiz" brauchen - trotzdem ist es problematisch, daß sie sich erst zum Handeln veranlaßt sehen, wenn es opportun ist. Als "Parasit des Interesses" kann Moral von eben diesem Interesse kontaminiert werden. Dies schafft Zweideutigkeiten, die Feinden der westlichen Welt argumentativ Tür und Tor öffnen. Und schließlich haben die Vereinigten Staaten schon, bei allem Altruismus, zu dem sie fähig sind, unangemessene machtpolitische Initiativen auch gegen demokratisch gewählte Regierungen ergriffen.

Im zweiten Teil führt Preuß die Kategorien des Bösen und der Blasphemie zum Verständnis der Attentate ein. Er trifft einen wunden Punkt vieler Diskussionen: Man mag Hergang und Ursachen kausal brilliant erklären, das persönliche Verstehen des Ereignisses wird trotzdem nicht möglich. Das Böse als Erzeuger sinnlosen Leides macht auch für Atheisten den "Furor der Verneinung" begreifbar. Ob allerdings die Terroristen Blasphemiker waren, die nur in der Hoffnung auf persönliche Belohnung im Paradies handelten, kann Preuß nicht entscheiden - er ist kein Islamwissenschaftler. Deutlich wird es daran, daß seine Argumentation im wesentlichen in einer Reihe von Konjunktivsätzen besteht, die, von wenigen Prämissen ausgehend, weitreichende Folgerungen über den Islam, seine Ethik und sein Rechtssystem ziehen. Auch über die möglichen religiösen Motive der Täter kann Preuß - wie er selbst anmerkt - nur "spekulieren". Das begrenzt den Wert der daraus folgenden Erkenntnis.

Im Epilog fordert Preuß "aktive Toleranz" zum Ausgleich der beendeten Nichteinmischung. Überzeugen kann seine Forderung jedoch nicht, denn trotz der nüchternen und selbstkritischen Begriffsarbeit, die er leistet, scheint in vielen Formulierungen auf, wessen Erbe er antritt: Die Idee einer moralischen Entwicklung der "menschlichen Gattung" schwingt immer mit. Es ist die alte geschichtsphilosophische Meistererzählung, die bemüht wird. Kritische Ansätze, die der Text durchaus hat, drohen immer wieder der totalisierenden Ausrichtung auf ein fixes moralisches Ziel zum Opfer zu fallen. Statt einen wirklich offenen ost-westlichen Prozeß zu initiieren, der die eigenen Moralgebäude nicht preisgeben muß, wird die Menschheit vom Telos der Geschichte her entworfen. So bekommen auch die religiösen Begriffe einen unangenehmen Beigeschmack.

NIKLAS BENDER

Ulrich K. Preuß: "Krieg, Verbrechen, Blasphemie". Zum Wandel bewaffneter Gewalt. Wagenbach Verlag, Berlin 2002. 160 S., geb., 17,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als Verfassungsrechtler nähert sich Ulrich K. Preuß den Ereignissen des 11. September erst einmal mit Begriffsklärungen, vor allem mit einer Geschichte des "modernen Kriegs". Der Krieg als Auseinandersetzung zwischen Staaten ist, historisch, an deren Verfestigung gebunden. Umgekehrt gilt: zwischen Nicht-Staaten oder "failed states" kann es keinen Krieg geben, nur Terror. Und auf Terror ist tendenziell eher mit polizeilichen als mit militärischen Maßnahmen zu reagieren. Den Angriff auf Afghanistan weiß Preuß dennoch zu rechtfertigen. In der Abwägung zwischen "völkerrechtlicher Immunität" und den "Rechten der internationalen Gemeinschaft" seien die Aktionen juristisch zu begründbar. Auch gegen eine Vermischung von moralischen mit handfesteren Gesichtspunkten hat Preuß im Grunde nichts einzuwenden. Problematisch wird die Untersuchung für den Rezensenten Niklas Bender allerdings, wenn Preuß die Motive der Täter untersucht. Im Hintergrund bleibe dabei stets die "geschichtsphilosophische Meistererzählung" sichtbar, die von einer moralischen Entwicklung der menschlichen Gattung zum Höheren ausgeht.

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