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Unter den rund 500 aktiven Vulkanen der Erde hat der Vesuv eine einzigartige Geschichte. Sie beginnt mit dem Ausbruch des Jahres 79 n. Chr., der Pompeji und Herculaneum begraben hat. Seither hat der »majestätische Verbrecher« (Gerhart Hauptmann) die Menschen zum Nachdenken über die dunklen Seiten der Natur gebracht. Der Vesuv ist die Geburtsstätte der modernen Vulkanologie und der am häufigsten besuchte Berg der Welt. Der Massenverkehr kam mit »Funiculì Funiculà«, der vielbesungenen Seilbahn, an deren Stelle heute Bus und Auto getreten sind.Seit 1944 ruht der Vulkan. Rund drei Millionen…mehr

Produktbeschreibung
Unter den rund 500 aktiven Vulkanen der Erde hat der Vesuv eine einzigartige Geschichte. Sie beginnt mit dem Ausbruch des Jahres 79 n. Chr., der Pompeji und Herculaneum begraben hat. Seither hat der »majestätische Verbrecher« (Gerhart Hauptmann) die Menschen zum Nachdenken über die dunklen Seiten der Natur gebracht. Der Vesuv ist die Geburtsstätte der modernen Vulkanologie und der am häufigsten besuchte Berg der Welt. Der Massenverkehr kam mit »Funiculì Funiculà«, der vielbesungenen Seilbahn, an deren Stelle heute Bus und Auto getreten sind.Seit 1944 ruht der Vulkan. Rund drei Millionen Menschen leben heute in seinem Schatten. Alles ist unter Kontrolle, versichern die Wissenschaftler. Für den Ernstfall sind Evakuierungspläne ausgearbeitet. Und im Dom von Neapel fließt das Blut von San Gennaro.Eine mitreißend erzählte Kulturgeschichte der Natur.
Autorenporträt
Dieter Richter, geboren 1938 in Hof/Bayern, studierte Germanistik, Altphilologie und Theologie. Von 1972 bis 2004 lehrte er als Professor für Kritische Literaturgeschichte an der Universität Bremen. Er ist Verfasser zahlreicher kulturwissenschaftlicher Bücher.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2007

Du fliehst die Glut und trägst in dir das Feuer
Noch der schweigende Vulkan nährt die Unruhe: Dieter Richters vorzügliche Studie über die Geschichte des Vesuv
1281 Meter hoch – der Vesuv ist keiner der großen Vulkane. Dennoch nimmt er unter ihnen die erste Stelle ein, nach dem Maßstab der Menschen, deren Schicksal er seit Jahrtausenden bestimmt, durch ungeheure Zerstörungen wie durch außergewöhnliche Fruchtbarkeit. Selbst die Vernichtung allen Lebens, wie sie 79 n. Chr. Pompeji und Herculaneum traf, hatte, wenn dem Historiker solcher Zynismus erlaubt wäre, sein Gutes: Sie bewahrte ein Bild des römischen Lebens im Augenblick seines Untergangs.
Das unberechenbare Verhalten des Vulkans erregte, je nach dem Zustand des Berges, Schrecken, Staunen und Bewunderung. Anders als gealterte, gleichbleibende Landschaften forderte dieses unruhige, extreme und gefährliche Phänomen Deutungsversuche heraus, selbst bei denen, die ihn nie gesehen hatten. Der Vesuv, vor 25 000 Jahren im Zentrum der mediterranen Welt entstanden, war seit der Antike eine europäische Zelebrität. Außer Lava, Asche, Feuer und Rauch produzierte dieser Berg heidnische Mythen und christliche Legenden, Katastrophenberichte und -bilder, phantastische und gelehrte Erklärungen. Im Vorwort seines Buches schreibt Dieter Richter: „An den Katastrophen, die er den Menschen bereitet hat, haben sie den Umgang mit Katastrophen gelernt, die fromme Beschwörung, den schönen Schauder, die forschende Neugier, die vorausplanende Prophylaxe.”
Der Vesuv ist ein Berg, der eine Geschichte hat, der Geschichte gemacht und der deshalb eine Geschichte verdient hat, und zwar eine so vorzügliche, wie sie Dieter Richter erzählt. Seitdem „Kulturwissenschaft” zur akademischen Über-Disziplin geworden ist, folgen theoretischen Großüberlegungen meistens bescheidene empirische Resultate. Von solcher Hypertrophie der Methodenfrage ist Richters Buch frei. Sein Autor konzentriert sich auf die Sache, spürt bekannte und unbekannte Quellen auf, sodass eine vielstimmige Vergangenheit von selbst zu sprechen beginnt.
Ohne interdisziplinäre Kolloquien zu veranstalten, ist Dieter Richter – von Hause aus Professor der Germanistik – durch eigenes Studium der Geologie, alter und neuer Literaturen, der Geschichte der Frömmigkeit wie der Naturwissenschaften so gut über seinen Gegenstand unterrichtet, dass er die Freiheit erworben hat, seine Erkenntnisse klar, elegant, anschaulich und gedankenreich darzustellen. Im „Jahr der Geisteswissenschaften” sei daran erinnert: Ihre Sorge um das Schwinden öffentlicher Geltung wäre weniger berechtigt, fänden sie häufiger zu einem lehrreichen Thema und einer lesbaren Sprache, wie sie dieses Buch auszeichnen.
Rebellische Titanen der Erde
Heute gilt es als trivial, wenn nicht gar als widerlegt, sich die Menschheitsgeschichte als Weg vom Mythos zum Logos vorzustellen. Doch an der Geschichte der Deutungen, die den Vulkanismus zu verstehen versuchten, bestätigt sich das angeblich überholte Schema. Nicht umsonst ist „Vulkan” zugleich der Name eines Gottes. Bezwungene und doch noch rebellische Titanen seien unter der Erde eingesperrt – so erzählten die Griechen; das Höllenfeuer komme hier an die Oberfläche, die Klage der Verdammten sei aus den zischenden Erdspalten zu hören – so glaubten die Christen; unterirdische Winde entführen dem Vulkanschlot – so behaupteten die Rationalisten. Geschichten liefen um, um etwas zu sagen, wo man nichts begreifen konnte. Deshalb schien es den Bedrohten opportun, mit Opfern den Berg zu versöhnen oder mit Reliquien, besonders des neapolitanischen Stadtheiligen Gennaro, den Ausbruch aufzuhalten.
Erst im 18. und 19. Jahrhundert löste der Logos den Mythos auf. Die Vulkanologie erkannte schrittweise die natürlichen Ursachen dieser vermeintlich übernatürlichen Erscheinung. Dem Erzählen folgte das Erklären. Auf dem Vesuv entstand ein Observatorium, das sämtliche Anzeichen eines bevorstehenden Ausbruchs registriert, um den Städten am Fuße des Berges das Schicksal des Jahres 79 zu ersparen. Nüchterne Forschung und nützliche Vorsorge treten an die Stelle phantasievoller Sinnerfindung. Nicht alle befriedigte die Entzauberung. Als Goethe sich Humboldts Theorie über die Rolle des Vulkanismus bei der Bildung der Erdoberfläche anhören musste, sträubte er sich gegen die Einsicht, dass die „vermaledeite Polterkammer” die Welt gemacht haben sollte, auf der er stand. Zu eindringlich erinnerte ihn ein explodierender Vulkan an die Gewaltsamkeit der politischen Revolution, die er 1789 erlebt hatte.
Als die neuzeitliche Analyse der physischen Erscheinungen den Glauben an die sichtbare und unsichtbare Macht von Göttern und Teufeln ablöste, gewann der immer noch unheimliche Berg eine neue Faszination. Nun wurde er zu einem ästhetischen Gegenstand, er wurde gemalt, beschaut, bedichtet, bestiegen. Gerade die Gefahr, die in ihm lauert, erhöht das Vergnügen. Die gefürchtete und zugleich erhoffte Katastrophe wäre ein Schauspiel mehr, mitten im heiteren Glück der Landschaft am Golf von Neapel. Das Schöne ist des Schrecklichen Anfang. Gelehrte, Künstler, Weltreisende, Touristen drängen nun auf den Berg, den zuerst Bergführer, dann das Reiseunternehmen von Thomas Cook mit Bahnen und schließlich Autostraßen für jedermann zugänglich gemacht haben. ‚Tourismus' heißt die universale Antwort auf alle Welträtsel. So entblößt der Vesuv die sinnliche Erregbarkeit der menschlichen Seele, jenseits der moralischen Grundsätze, hinter denen sie sich verbirgt.
Diese schrecklich-schöne Lust spiegelt sich im Auge des Pompeji-Besuchers, der den Gipsabguss einer vor zweitausend Jahren verbrannten Frau bewundert; sie spiegelt sich in dem frivolen Sonett, das Giambattista Basile an eine „Schöne Frau auf der Flucht vor dem Brand des Vesuv” richtet, unmittelbar nach dem verheerenden Ausbruch von 1631: „Vesuv ist überall, wo du verweilest, / Du fürchtest Einsturz und bringst selbst Gefahr, / Du fliehst die Glut und trägst in dir das Feuer.” Gustave Flaubert verspürte, dass seine Erektionen in der Nähe des Vulkans zunahmen und argwöhnte, dass der feurige Berg seinen Hintern aufheizte.
Seit 1944 ruht der Berg. Nicht einmal eine Rauchwolke steht heute über ihm. „Irgendwann wird er wieder in die Weltgeschichte eintreten. Doch auch in seinem Schweigen hält er unsere Unruhe am Leben.” HEINZ SCHLAFFER
DIETER RICHTER: Der Vesuv. Geschichte eines Berges. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007. 213 Seiten, 24,50 Euro.
Vulkanismus, die „vermaledeite Polterkammer” (Goethe): Andy Warhols Vesuv aus dem Jahre 1985 (Ausschnitt) Foto: Andy Warhol Foundation/Corbis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gäbe es mehr Bücher wie Dieter Richters Geschichte des Vesuvs, müsste man sich um die Geisteswissenschaften keine Sorgen machen, rühmt Heinz Schlaffer. Der Autor, seines Zeichens Germanistikprofessor, habe keine Scheu, sich auch auf Gebiete der Geologie, Geschichte und Religionswissenschaften zu begeben und breite seine profunden Kenntnisse in einer angenehm zu lesenden und höchst erhellenden Weise vor seinen Lesern aus, schwärmt der Rezensent. Er preist die Studie als vorbildliche Arbeit, der es gelingt, die Versprechen der Kulturwissenschaften tatsächlich auch einzulösen, was nach Schlaffer eher eine Seltenheit ist. So erfährt man in Richters Buch den Wandel von mythologischen Erklärungsversuchen für die Ausbrüche des Vulkans zu naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden und seine Verwandlung zum Gegenstand ästhetischer Betrachtung, freut sich der Rezensent.

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