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Mary Lamb, eine elternlos aufgewachsene junge Frau, will allen wohlmeinenden Warnungen zum Trotz Schriftstellerin werden. Sie hat ein Stipendium gewonnen und fährt auf eine Insel, um dort bei dem erfolgreichen Autor Natahan Staples das Schreiben zu erlernen. Was sie nicht weiß: Staples ist ihr Vater, der sie als Kind weggegeben hatte, den sie nie kennenlernte und der sie jetzt unbedingt wiedergewinnen will.

Produktbeschreibung
Mary Lamb, eine elternlos aufgewachsene junge Frau, will allen wohlmeinenden Warnungen zum Trotz Schriftstellerin werden. Sie hat ein Stipendium gewonnen und fährt auf eine Insel, um dort bei dem erfolgreichen Autor Natahan Staples das Schreiben zu erlernen. Was sie nicht weiß: Staples ist ihr Vater, der sie als Kind weggegeben hatte, den sie nie kennenlernte und der sie jetzt unbedingt wiedergewinnen will.
Autorenporträt
A. L. Kennedy, geb. am 22. Oktober 1965 im schottischen Dundee, gehört seit ihrer ersten Aufnahme in die legendäre Granta-Anthologie Best of Young British Writers (1993) zu den meistbeachteten Autorinnen Großbritanniens und gewann zahlreiche Preise. A. L. Kennedy wurde u.a. mit dem Somerset Maugham Award ausgezeichnet. Die Autorin, Dramatikerin und Filmemacherin lebt in Glasgow und meldet sich mit Beiträgen im Guardian auch politisch zu Wort, u.a. als engagierte Gegnerin des Irak-Krieges. Sie erhielt 2008 den Internationale Eifel-Literatur-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Die Hölle ist ein Blatt Papier
Mit eiskalter Herzenswärme: In ihrem großen Roman "Alles was du brauchst" sucht A. L. Kennedy todessüchtig und lebensgierig nach Erlösung und Liebe

Ein todessüchtigeres und lebensgierigeres Buch als dieses ist lange nicht geschrieben worden. Zwei Männer sterben, weil sie alt und krank sind, ein kleiner Junge wird von einem Psychopathen hingemetzelt, ein Mann verreckt jämmerlich, weil er seinen Körper aus Einsamkeit und Verzweiflung systematisch zugrunde gerichtet hat. Vier Tote also. Nicht viel für fast sechshundert Seiten, mögen Leser von Kriminalromanen einwenden. Aber nicht die Toten sind es, die diesen Roman so düster erscheinen lassen, sondern die Lebenden: sechs Menschen, denen die schottische Schriftstellerin Alison Louise Kennedy ihr Ende erspart, damit sie ihre Tode überleben können.

Diese sechs, vier Männer und zwei Frauen, leben auf einer kleinen, nur von ihnen bewohnten Insel vor der walisischen Küste. Sie haben ein Abkommen getroffen: Von Zeit zu Zeit unternehmen sie halsbrecherische Ausflüge, makabre Versuche, einen Fuß ins Totenreich zu stellen und in der letzten Sekunde ins Leben zurückzukehren, mit dem belebenden Aroma des Jenseits auf den Lippen. Jeder probt das Sterben für sich allein, sie alle aber sind verpflichtet, die anderen an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen.

Ursprünglich waren es sieben, aber einer von ihnen, ein älterer Herr mit Koteletten, hat beim Todesspiel den Kopf verloren. Er ist in eine Kreissäge gestolpert. Nathan Staples geht umsichtiger zu Werke. Cormac McCarthy, der große amerikanische Epiker der Gewalt und des Todes, hätte viele Seiten darauf verwandt, zu beschreiben, wie Staples, Kennedys Hauptfigur, seine Vorrichtungen austüftelt, wie er das Seil auswählt, den Knoten schlingt. McCarthy hätte das Metall der Karabinerhaken leuchten lassen und die Oberfläche der Schürfwunden, die entstehen, wenn das Hanfseil über den Hals rutscht, bis es seine letzte, endgültige Position gefunden hat, aus solcher Nähe betrachtet, daß die schroff aufragenden Hautpartikel einer Felslandschaft geglichen hätten. Minutiös hätte er beschrieben, wie Staples für seinen zweiten Versuch ein kleines Stück Wald einzäunt, um dort mörderische Fallen zu bauen. In McCarthy Romanen "Die Abendröte im Westen" oder "Grenzgänger" sind es die Dinge, die vom Sterben erzählen.

A. L. Kennedy interessiert sich nicht für Dinge. Niemand weiß nach der Lektüre der betreffenden Kapitel, wie man sich ordentlich stranguliert, niemand könnte die Schlagfalle nachbauen, mit der Nathan Staples sich eine Wunde am Kopf, Rippenbrüche und einige andere Verletzungen zufügt. Sie läßt sich nicht einmal herab, uns, die wir wenig mit solchen Dingen zu tun haben, zu erklären, was eine Schlagfalle ist und wie sie funktioniert. Gut möglich, daß sie es selbst nicht recht weiß. Dieser Autorin geht es nicht um Präzision oder Wahrscheinlichkeit, solange sie sich in der Welt des Materiellen aufhält. Ihr geht es allein um Gefühle. Und kein Gefühl, so muß man nach der Lektüre dieses Buches sagen, wäre so ausgefallen und unwahrscheinlich, daß Alison Louise Kennedy es nicht so zu beschreiben wüßte, daß es uns glaubhaft erscheint, glaubhaft und mehr als wahrscheinlich, nämlich real: "Und dann der nachträgliche Schock. Das kannte er. Wenn man der eigenen Auslöschung so nahe gekommen war, flammte die Angst natürlich wieder auf, die Muskeln begannen sinnlos zu pulsieren, die Lungen hektisch nach Luft zu schnappen. Er war entkommen und entkam immer noch, und er würde den Fluchtimpuls noch den ganzen nächsten Tag in sich brennen fühlen, wenn nicht länger. Und er würde ein um Haaresbreite anderer sein, für immer, denn er hatte sich neu entworfen, neu gestartet."

Der Tod ist der achte Bewohner von Foal Island, der Insel der Fohlen. Er erzählt keine Geschichten, er beendet sie. Aber vor dem Ende ist es das Leben, das immer wieder einen Strich macht durch alte und immer neue Selbstentwürfe. Das ist der Grund, weshalb die Inselbewohner, sieben kaputte Schriftsteller, das Leben hassen: Joe, ein ehemals berühmter Autor und nun der Hohepriester der Inselgemeinschaft, immer auf der Suche nach Erleuchtung; Louis, Chronist und Historiker der Truppe; Ruth, die von Haien besessen ist, seitdem sie einmal fast von einem zerrissen worden wäre; Lynda, mannstoll und eine gefürchtete Köchin, die sich an jedem Gemüse vergeht, das die entsprechende Form aufweist; Richard, Lyndas Mann, der vom allzu häufigen Vollzug der ehelichen Pflichten so ausgezehrt und abgenutzt ist, daß er "bei bestimmter Beleuchtung fast durchsichtig wirkte". Schließlich Nathan, ein ambitionierter Autor, der es mit Trash-Literatur zu einigem Erfolg gebracht hat: "Blut, Angst und Sex für die intellektuelle Frau", wie es sein maroder Lektor Jack formuliert.

Es ist eine kümmerliche Wahlfamilie, die A. L. Kennedy hier versammelt, ein Haufen Wracks, manisch ins eigene Unglück verbohrt, Schiffbrüchige des Lebens, die sich mühsam ans Ufer gerettet haben und nun mit jener Angst auf der Insel hocken, die alle langjährigen Insassen von Gefängnissen und anderen geschlossenen Anstalten überfällt: Würde man draußen, in der anderen Welt, je wieder Fuß fassen?

Ein Platz in dieser seltsamen Menagerie ist frei geworden, die Kreissäge hatte dafür gesorgt. Eingenommen wird er von Mary Lamb, einer neunzehnjährigen Schottin, die bei ihrem Onkel und dessen Lebensgefährten aufgewachsen ist. Mit Marys Aufbruch setzt die Handlung des Buches ein: Sie will Schriftstellerin werden, und die Stiftung, bei der sie sich zwei Jahre lang hartnäckig beworben hatte, gewährt ihr ein Stipendium auf Foal Island. Bevor sie ihr Dorf und die Onkel verläßt, die rührenden alten Herren führen übrigens die einzige intakte Zweierbeziehung im gesamten Roman, geht sie zum ersten Mal mit ihrer Jugendliebe Jonno ins Bett. So erfährt sie, was auf der Insel längst in Vegessenheit geraten ist: daß nicht jeder sexuelle Akt ein Verzweiflungsakt sein muß. Dann beginnt die Initiation als Schriftstellerin. Daß Nathan Staples, ihr Mentor auf Foal Island, ihr Vater ist, wird Mary sechshundert Seiten lang nicht erfahren.

Wer denkt, über das Leben, die Liebe und den Tod, über Sehnsucht und Einsamkeit, über die großen, die Letzten Dinge also, könne oder dürfe heute nur noch auf ironische Weise geschrieben werden, wird diesen Roman rasch aus den Händen legen. Wer der Ansicht ist, es schicke sich nicht, wenn Autorinnen ihren Figuren obszöne und ausgesprochen drastische Worte in den Mund legen, wer auch nicht unbedingt wissen wollte, daß Alkoholiker im Endstadium sich die nötige Dosis per Klistier verabreichen lassen, weil die Aufnahme über die Darmwand einen gewaltigen Rausch garantiert, wird wenig Freude an dieser Lektüre haben. Aber wer miterleben möchte, wie eine Autorin alles wagt, aus der Kurve getragen wird, haarsträubende Umwege in Kauf nimmt, wie sie darum ringt, das Pathos, auf das sie nicht verzichten will, unter keinen Umständen verzichten will, ins richtige Verhältnis zur Komik zu bringen, wer miterleben will, wie ein verzweifeltes und witziges, ebenso brutales wie zartes Buch erwächst, ein Buch, das den Unterschied zwischen der Literatur und dem Leben nicht wahrhaben will, aber darüber nicht künstlich, sondern ungeheuer lebendig wird, der darf sich nicht abschrecken lassen, nicht von Flüchen und Klistieren und auch nicht vom Gerüst der Handlung.

Man kann diese Handlung so erzählen, daß jeder Fernsehredakteur glaubt, es handle sich um ein Buch von Rosamunde Pilcher, und sofort die Verfilmung plant: Junge schöne Frau, elternlos, aber glücklich und behütet aufgewachsen, will Schriftstellerin werden und gerät auf obskurer Insel an ihren Vater, der fünfzehn Jahre zuvor von der eigenen Frau gezwungen worden war, die Familie zu verlassen. Der Vater, brutales Künstlermonster und gutherziger Waschlappen zugleich, hat die Trennung nie verwunden und kann Gefühle nur noch seinem Hund gegenüber äußern. Nun will er aus der Tochter eine Schriftstellerin machen und nebenbei das Familienglück zurückgewinnen, traut sich aber nicht, das Geheimnis, das außer Mary jeder auf der Insel kennt, zu enthüllen. Am Ende ist Maura, die fiebrig begehrte Ex-Frau, endgültig verloren, Mary aber gewonnen. Sonnenuntergang mit Vater, Tochter, Hund. Abblende.

Dies ist tatsächlich, zumindest in groben Zügen, der Plot des Buches: ein Familiendrama mit verzweigter Nebenhandlung, eine Initiationsgeschichte, ein Bildungsroman, das Psychogramm einer seltsamen Schriftstellergemeinschaft, das nebenbei den Literaturbetrieb als unanständige, durch und durch verächtliche Veranstaltung erscheinen läßt. Verleger, Lektoren, Kritiker, Agenten und Groupies - widerliches Gesindel allesamt. Autoren sind in dieser Menagerie Schmerzensmänner und -frauen, geschundene Kreaturen, die es jedoch nicht besser verdienen. Denn Schriftsteller sind, um es in der drastischen Sprache eines Betroffenen zu sagen, "kranke Arschlöcher". Und ganz offensichtlich ist es diese Krankheit, von der A. L. Kennedy so fasziniert ist, daß sie ein Buch darüber geschrieben hat, das ihr einen Platz unter den wichtigsten literarischen Stimmen Europas zuweist.

Während Buchhandlungen schließen, Verlage ums Überleben kämpfen und die Lesung als Event die Lektüre als Erlebnis zu verdrängen droht, hat diese Autorin einen Roman geschrieben, der nicht die Existenzberechtigung von Literatur einklagt, sondern Literatur als Lebensgrundlage beschreibt und den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft ein fünftes hinzufügt: die Schrift. Es ist die existentielle Wucht, mit der hier die absolute Notwendigkeit von Literatur behauptet wird, die dieses Buch so beindruckend macht. Dabei ist die Schriftstellerei selten zuvor als derart abgründiges, gefährliches, destruktives und jämmerliches Unterfangen beschrieben worden: Die Hölle, das ist ein leeres Blatt, ein Stift und ein Mensch, der von sich glaubt, er habe etwas zu sagen.

Das Glücksverlangen und die Erlösungssehnsucht, die aus diesem Buch sprechen, sind ebenso absolut wie die Schonungslosigkeit, mit der A. L. Kennedy ihre Figur seziert. Keine Verhaltensweise ist so lächerlich, niedrig, gemein oder erbärmlich, als daß die Autorin nicht ihren Blick darauf richten würde, einen Blick, der kalt, spöttisch und sarkastisch ist und im nächsten Moment liebevoll, zärtlich und von gnadenlosem Mitleid. Ihre eiskalte Herzenswärme, ihre warmherzige Eiseskälte ist die erstaunlichste Eigenschaft dieser Autorin. Ihr ist es zu verdanken, daß die bizaren Figuren, die Außenseiter, Gescheiterten und Ausgebrannten, die A. L. Kennedys Bücher bevölkern, kein Kuriositäten-Kabinett, kein abstruses Panorama der Abnormitäten ergeben.

Foal Island ist ein Ort für Menschen, die Heilung suchen, eine Heilung, die ihnen nur aus der Krankheit selbst zuwachsen kann. Mary Lamb ist die Ausnahme. Denn sie ist "gesund" in einem emphatischen Sinne. Sie ist das Unschuldslamm, das nicht Heilung sucht, sondern Erlösung bringt. Sieben Jahre lang lebt sie auf der Insel, sieben Regeln stellt Nathan für die Novizin auf. Als sie die ersten Texte geschrieben hat, die vor ihrem Urteil und dem ihres Mentors bestehen können, erfährt sie die sechste Regel, die besagt, daß es für Schriftsteller keine Regeln gibt. Die letzte, siebente Regel teilt Nathan Mary schriftlich mit. Es wird das erste Mal sein, daß der Autor seiner Tochter einen Text zu lesen gibt.

Erst durch diese Lektüre wird Mary Genaueres über den seltsamen Pakt und die Selbstmordversuche ihrer Kollegen erfahren. Joes Zahlenmagie geht auf das Buch Hiob zurück, wo es heißt: "In sechs Trübsalen wird er dich erretten, und in sieben wird dich kein Übel anrühren." Wer siebenmal dem Tod ins Auge geblickt hat, ist erwählt, erlöst, errettet: "Joe glaubte natürlich wirklich an die Inselheilmethode - er wollte ein Heiliger werden. Nathan glaubte natürlich nicht wirklich daran - er wollte bloß eine Leiche werden. Die völlige Heilung für Nathan - die restlose Beseitigung."

Nathans Selbsthaß, seine Erlösungssehnsucht wurzeln auch in jener schottischen Spielart des Calvinismus, die in vielen Texten von A. L. Kennedy eine Rolle spielt. "Gott haßt uns, und nichts Gottgefälligeres können wir tun, als uns selbst zu hassen. Mit diesen Worten hat die 1965 in Dundee geborene Autorin ihre "neunte Dressurregel" für schottische Kirchgänger formuliert, ein Regelwerk für gläubige Masochisten. Jedes ihrer bislang ins Deutsche übersetzten Bücher, von "Gleißendes Glück", "Ein makelloser Mann", "Stierkampf" und "Einladung zum Tanz" bis zu "Alles was du brauchst", hat eine metaphysische Dimension, in die immer wieder, ganz diesseitig, die Sexualität hineindrängt, elementar, drastisch und nicht selten obszön.

Schon in den früheren Büchern war frappierend zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit A. L. Kennedy Sexualität aus männlicher Perspektive zu schildern vermag. Ihr jüngster Roman, wie drei der vier Vorgänger von Ingo Herzke sorgfältig übersetzt, wechselt zwischen den Blickwinkeln von Nathan und Mary. Beider Gedanken werden kursiv wiedergegeben, häufig sind sogar die Dialoge von solchen kursiven Einschüben unterbrochen. Aber es kann kein Zweifel bestehen, daß der Autorin der Seelenkrüppel Nathan näher steht als die selbstbewußte Mary. Die große Liebesgeschichte zwischen einem Vater und seiner Tochter, die dieses Buch erzählt, erleben wir überwiegend aus der Perspektive Nathans. Es ist die Perspektive eines Mannes, der mit jeder Faser seines Herzens liebt und mit ganzer Seele daran zweifelt, daß er es wert ist, lieben zu dürfen.

Erlösung, Glück und Liebe - A. L. Kennedy hat es sich zur Gewohnheit gemacht, mit ihren Figuren das Unwahrscheinliche zu erwarten und das Unmögliche zu wollen. Ihre Bücher beweisen, daß sie ein Recht dazu hat. Wer kleine Wunder vollbringt, darf große Wunder fordern.

A. L. Kennedy: "Alles was du brauchst". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Wagenbach Verlag, Berlin 2002. 573 S., geb., 30,40 [Euro].

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Bei solchen Onkeln möchte man groß werden
Alles was du brauchst ist dieses Buch, denkt man nach den ersten Seiten, liest über die Selbstmordgedanken und den folgenden Versuch von einem Mann, namens Nathan hinweg und kommt bei Mary an. Mary, eine Neuzehnjährige, die Schriftstellerin werden will und sich bisher vergeblich um ein Stipendium beworben hat. Sie ist bei ihrem schwulen Onkel Bryn und seinem Lebenspartner Morgan aufgewachsen.
Es folgen die schönsten und besten Passagen in diesem Buch. Mary schläft das erste Mal mit ihrem Freund Jonathan und ihre beiden Onkel kommen "danach" ins Zimmer, mit einem Tablett Essen, weil sie selbst auch immer "danach" so hungrig sind. Sie wollen Mary zeigen, dass sie für sie da sind, falls sie irgendwas braucht und der Leser möchte auch bei solchen Onkeln groß geworden sein.
Mary bekommt endlich das Stipendium auf einer Insel voller Schriftsteller. Ihr Lehrer dort, der ihr als erstes das Schreiben verbietet, ist in Wirklichkeit ihr Vater.
Die innersten Gedanken der Figuren nach außen getragen
Im folgenden, d. h. auf den weiteren fünfhundert Seiten gibt es nur wenig Onkel, dafür viel Vater, und seine inneren Kämpfe es Mary zu sagen. Sie denkt, ihr Vater sei tot. Wäre er auch fast, wenn wir an den Buchanfang zurückdenken.
Fast jeder der kuriosen Schriftsteller auf der Insel begeht ab und zu Selbstmord und manchem gelingt es. In wenigen Zeilen gibt es "echte" Tote. Einer ist in eine Kreissäge geraten und ein kleiner Junge verschwindet, wird dann tot gefunden. Doch alle Spannung soll der Vater-Tochter-Konflikt halten, das ermüdet.
Wie ein Pathologe beschreibt sie die innersten Gedanken ihrer Figuren. Doch müssen wir unbedingt JEDEN Gedanken von Nathan wissen?
Ein wenig weniger wäre mehr gewesen
Die Schrift wechselt zwischen kursiv, ohne Serifen, großgeschrieben, fettgedruckt. So findet man sich zwischen den Perspektiven leicht zurecht, ertappt sich aber auch beim Überlesen. Vielleicht hätte es doch ein dünneres Buch werden sollen, wie die bisherigen der schottischen Autorin, dann wäre es großartig.
Für Literaten, die bei Spannungsromanen die Nase rümpfen oder für Heimwerker, die sich aus dem dicken ein dünnes Buch mit den besten Passagen basteln.
(K. Ara, www.krimi-forum.de)

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Die Rezensentin Ursula März jubiliert: A. L. Kennedys Roman "ist die europäische Antwort auf Thomas Pynchon und die Antwort des weiblichen Geschlechts auf die Idee lebensvernichtender Kunsterzeugung". Damit stellt März die Autorin in die Tradition der "paranoischen Literatur" (in der die Paranoia "ästhetischer" Natur sei), deren zwei Merkmale sich in "Alles was du brauchst" wiederfinden. Einerseits die Inszenierung von Eigenwelten: die 19-jährige Protagonistin Mary Lamb will Schriftstellerin werden und wird zur Initiation auf eine Insel eingeladen, auf der sich "die abgefahrendste Variante" einer "Künstlerkolonie" niedergelassen hat, zu der ihr leiblicher Vater gehört, von dem Mary jedoch nicht weiß, und der zur Krönung auch noch ihr Mentor wird. Ein "aus den Stoffen antiker Tragödien" gewebter Plot, der nach Ansicht der Rezensentin jedoch weder dem "pathetischen Furor" noch der reinen "Gedankenkonstruktion" anheim fällt. Andererseits charakteristisch für die "paranoischen Literatur" sei das "obsessive, fast abergläubische Verhältnis zu Motiven, Attributen, bestimmten Konstellationen und ihre nicht enden wollende Abarbeitung": "mehrere Ersatzfamilien" und "mehrere multiple Vaterschaften" ziehen sich durch den symbolträchtigen Roman. Doch diese Paranoia, die für März auch in Kennedys "meisterhaften", "explosiven" und "eruptiven Sprache" Ausdruck finden, sei nicht der "Hölle", sondern dem "Purgatorium" bestimmt, und finde die "Erlösung". Hymnisches Fazit der Rezensentin: Wo auch immer Kennedy ansetze, ob beim "Besten" oder beim "Übelsten" im Menschen, da "entsteht Größe".

© Perlentaucher Medien GmbH
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