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In ihrem letzten großen Roman ruft Natalia Ginzburg noch einmal die Figuren herbei, die wir schon in den früheren Romanen kennengelernt haben: Auf dem Höhepunkt ihres literarischen Könnens gelingt es ihr nicht nur, ein breites Panorama der Zeit zu entfalten, sondern auch von Schicksalen, die sich in unser Gedächtnis einnisten.Die »Stadt«, das ist Rom, wo die meisten der Personen des Romans wohnen. Das »Haus« ist Le Magherite, das Haus von Lucrezia und Piero, wo sich am Wochenende eine Gruppe von Leuten trifft.Auch in der sexuellen Revolution und der Befreiung von bürgerlichen Normen vermögen…mehr

Produktbeschreibung
In ihrem letzten großen Roman ruft Natalia Ginzburg noch einmal die Figuren herbei, die wir schon in den früheren Romanen kennengelernt haben: Auf dem Höhepunkt ihres literarischen Könnens gelingt es ihr nicht nur, ein breites Panorama der Zeit zu entfalten, sondern auch von Schicksalen, die sich in unser Gedächtnis einnisten.Die »Stadt«, das ist Rom, wo die meisten der Personen des Romans wohnen. Das »Haus« ist Le Magherite, das Haus von Lucrezia und Piero, wo sich am Wochenende eine Gruppe von Leuten trifft.Auch in der sexuellen Revolution und der Befreiung von bürgerlichen Normen vermögen Natalia Ginzburgs Personen nicht, ihr Leben eigenständig zu lenken. Selbst wenn es jemandem gelingt, eine weitreichende Entscheidung zu treffen, scheint es hinterher immer die falsche gewesen zu sein: Denn alle Figuren scheinen an unsichtbaren Fäden zu hängen, die die Autorin freilich meisterhaft zu ziehen weiß.
Autorenporträt
Natalia Ginzburg, geb. 1916 in Palermo, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Turin. 1938 heiratete sie den Slawisten Leone Ginzburg, der 1944 in einem römischen Gefängnis von deutschen Soldaten ermordet wurde. Nach dem Krieg lebte Ginzburg in Turin, ab 1952 mit ihrem zweiten Mann, dem Anglistik-Professor Gabriele Baldini, in Rom. Beinahe Zeit ihres Lebens arbeitete sie für den Einaudi Verlag. Ab 1983 war sie unabhängige Parlamentsabgeordnete. Sie zog vier Kinder groß. 1991 starb Natalia Ginzburg in Rom. Ihr Werk umfaßt Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Essays.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2000

Flieh, flieh, dann wird etwas bleiben
Natalia Ginzburg bringt das Gebäude der Familie zum Einsturz, doch aus den Trümmern baut sie "Die Stadt und das Haus" · Von Winfried Wehle

Weder Lyrik noch Roman sind verstummt nach den Unsäglichkeiten des Zweiten Weltkriegs. Doch wer nicht verdrängen wollte, konnte er noch schreiben wie zuvor? Eine der Reaktionen war, wieder ganz unten anzufangen, bei den kleinen Lebenszeichen, mit Trümmerliteratur und neorealistischen Nahaufnahmen. In dieses Mileu ohne moralisches Hinterland sah sich eine der angesehensten Schriftstellerinnen der jüngeren Gegenwart verstrickt, Natalia Ginzburg (1916 bis 1991). Nichts spektakulär Modernes zeichnet ihre literarischen Gruppenbilder aus, eher die große Tradition des sizilianischen Familienromans. Sie liebt keine Erzählexerzitien, wie sie in ihrer Zeit der Nouveau Roman durchgespielt hat. Sie bleibt ihren Figuren mit einer Art Geschwisterliebe verbunden. Modern werden ihre Geschichten dadurch, dass sie die Tradition, die sie rufen, im Grunde als unhaltbar unterbieten.

Nirgendwo vollstreckt sich ihr Gesetz von Anziehung und Abstoßung unbarmherziger als in ihrem letzten großen Roman "Die Stadt und das Haus" (1984). Wie in einem Schlusschor bringt er noch einmal alle Konfigurationen auf ihre literarische Bühne, an denen sie seit ihrem ersten großen Erfolg, "Familienlexikon" (1963), arbeitet. Und doch, gelesen Satz für Satz, sperrt sich alles gegen große letzte Worte. Die Sprache ist so konsequent alltäglich, dass die strenge, antirhetorische Haltung sich selbst als disziplinierte Rhetorik enthüllt. Wenn überhaupt, dann hat sich hierin etwas von den schlechten Erfahrungen niedergeschlagen, die das Jahrhundert mit starken Worten gemacht hat. Was hätte man aus der Kette von Verstrickungen und Trennungen nicht machen können, aus den vielen Fällen, wo jemand verwaist, versehrt oder verwundet wird. All das kommt vor, aber es ist eigentlich nur Vorwand des Erzählens: Die Autorin schaut ihren Figuren ins Gesicht, wie sie reagieren, wie sie ihre Blößen zu verbergen suchen. "Die Stadt und das Haus" ist insoweit ein Roman der Oberfläche, von den Briefen zudem fragmentiert wie ein zerbrochenes Spiegelbild.

Die Hohlform der Geschichte lässt dadurch erst allmählich Lebenslinien ahnen, die am Ende so gut wie alle das Gefälle eines Leidensweges annehmen. Giuseppe, zurückhaltender Bezugspunkt des kleinen Figurenplanetariums, hatte mit Lucrezia, der Frau Pieros, lange ein Verhältnis (und ein Kind). Das räumliche Pendant ist "Le Margherite", ein idyllisches Haus auf dem Lande, draußen vor Rom, offen und durchlässig für Freunde aus der Stadt. Hier hatten sie ihr inneres Auskommen. Doch ein Dämon treibt sie um. Lucrezia löst ihre Beziehung; sie will an den Gegenort Rom, um eine andere zu sein. Er bricht seinerseits aus dem Zirkel des Vertrauten aus, um in Amerika, beim Bruder, zu sich selbst zu kommen. Beide Übergänge scheitern. Lucrezia muss Stadt und Leidenschaft mit Einsamkeit und Enge bezahlen; Giuseppe ebenso. Als er ankommt, stirbt sein Bruder; er heiratet, gegen seinen Willen, dessen Witwe, ein starres Verhältnis, das den Tod anzieht. Währenddessen wird sein Sohn Alberico aus einer längst erloschenen Ehe in Rom ermordet. Das Leben nimmt beständig ab.

Überleben kann nur, wer, wie Roberta, für alle da ist, von keinem aber etwas für sich will. Oder wer, wie Ignazio, der Geliebte Lucrezias, die Zwänge der Gemeinschaft aushält: Er trägt eine geballte Faust hinter dem Rücken. Ein Miteinander gelingt nur einer paradoxen Anstrengung: einer Nähe von ferne, in unverbindlichen Bindungen. So als ob jemand, der sein Glück will, Verrat beginge an der Wahrheit, die man sich schuldig ist: nicht glücklich sein zu können. Nur das schale Gefühl des Ungenügens steht den Personen wahrhaft zu. Realität ist, wenn einem etwas fehlt. Wer deshalb wahrhaft er selbst sein will, muss Fehler machen: zurücklassen, was er hat, um es sich erst dadurch wirklich zu wünschen; weggehen, wo er ist, um erst so aufrichtig dort sein zu wollen. "Flieh, flieh, dann wird etwas bleiben", heißt es andernorts bei Natalia Ginzburg. Was bleibt, ist die Einsicht, dass die Stützen des gesellschaftlichen Gebäudes, "Haus" und "Familie", nicht mehr tragen. Der Mann und der Vater hat den Platz geräumt, er ist eine schwache Position geworden. Dadurch irren die Einzelnen gleichsam durch ein Haus ohne Vater und bilden einen Roman der leeren Mitte. Die Diagnose ist brisant. Natalia Ginzburg hat in einem Interview angedeutet, dass diese "vaterlose Gesellschaft" der Erfolg der Emanzipation ist, für die sie sich selbst verwandt hatte. Sie treibt die Figuren zur Selbstverwirklichung in die Enge. Denn sie ist erkauft mit Ängsten vor Ungeborgenheit und Unzugehörigkeit. Keine leichte Anthropologie, die Natalia Ginzburg zum Vermächtnis macht. Kleine Risse, Spalten, einzelne Worte säumen, wie Versprecher, den Text und lassen ihn in eine verschwiegene Tiefe fahren. Neben seiner sizilianischen Prägung gibt er zuletzt ein jüdisches, ja geradezu mosaisches Format preis. Dieses Bedürfnis zusammenzukommen, um sich trennen zu müssen: Spiegelt sich darin nicht die mythische Entzweiung von Kain und Abel? Kain, der sich ansiedelt, der Sesshafte - Abel, der geht und unterwegs zu Hause ist. Leben aber hieße, und das ist die Konsequenz Natalia Ginzburgs (und des Titels), beides auf sich zu nehmen: das "Haus", draußen auf dem Lande, wo man sich nahe ist, und die "Stadt", wo man sich fremd wird. Man hat sich in einer Paradoxie einzurichten. Wer begreifen will, was bleiben heißt, muss gehen, denn wer nicht weggeht, hat keinen Begriff davon, was Weg heißt.

Am ehesten werden diesem Widerspruch die gerecht, die ihre Bleibe in der Kunst aufschlagen. Heimat, so Natalia Ginzburg, kann höchstens die Sprache bieten. Sie ist einerseits fest an eine begrenzte Zahl von Buchstaben gebunden. Und doch bleibt sie beweglich für unendlich viele Verbindungen: Sie können, wie Talmud und Kabbala lehren, zwar den verlorenen Zusammenhang - den abwesenden Vater - nicht wiederherstellen, weil Moses im Zorn über sein Volk die Gesetzestafeln zerschlagen hatte. Aber man ist dem Eigentlichen näher, wenn man die Scherben des zerschlagenen Spiegels (ein Bild der Ginzburg) immer wieder neu zusammensetzt.

Giuseppe schreibt also einen Roman, "Der Knoten"; Alberico, der Sohn, dreht einen Film mit dem Titel "Devianz". Beide sind bei ihrem Thema. "Devianz", vom geraden Weg abzugehen, ist das nicht die Spur Abels? Der Film gefällt. Entsprechend endet sein Autor: Er wird, wie sein Urbild, umgebracht. "Der Knoten" hingegen - kein Verlag nimmt den Roman an. In Giuseppes Augen wird es ein Buch der Versäumnisse. Nie stand er wirklich fest zu einer Beziehung, weder zu seiner Frau, zu Lucrezia, noch zu seinem Sohn. Er bleibt am Leben, um, ortsansässig in fremdem Land, die Schuld Kains auf sich zu nehmen. Eine irritierend archaische Parabel, dieser letzte Roman von Natalia Ginzburg, der nichts von seiner Aktualität verloren hat.

Natalia Ginzburg: "Die Stadt und das Haus". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Wagenbach Verlag, Berlin 1999. 251 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Für Franz Haas hat dieses Buch zahlreiche Stärken und Schwächen - wobei Letztere für ihn eindeutig überwiegen. Zwar habe Ginzburg hier die römische Mittelschicht um 1980, in der viel parliert wird, um die Einsamkeitsgefühle nicht übermächtig werden zu lassen, treffend portätiert. Auch die Gleichgültigkeit, die trotz der ausufernden Briefkommunikation besteht, vermittelt sich hier in seinen Augen deutlich. Aber vor allem das Konzept des Briefromans findet Haas keineswegs überzeugend. Es leuchtet ihm überhaupt nicht ein, wieso die Personen sogar innerhalb der Stadt Rom per Briefverkehr kommunizieren (und dass, obwohl in Italien Briefe mitunter Wochen benötigen, bis sie zugestellt werden!), anstatt zum Telefonhörer zu greifen. Außerdem hapert es seiner Ansicht nach deutlich an einer plausiblen Chronologie. Aber vielleicht sei das der Autorin in ihrem Alterswerk ja auch völlig egal. "Authentisch spröde wie das Original" ist auch die Übersetzung, meint Haas.

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