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Dem Unverständigen schärft es den Verstand, den Glaubensstarken rüttelt es durch. Unsere angeblich so verlässliche Welt des Wissens wird auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Zur besseren Orientierung ist dieser Taschenkosmos alphabetisch geordnet und mit (vom Autor eigens angefertigten) Collagen versehen - wie die alte Ausgabe von Meyers Lexikon, der "Bibel der modernen Literatur" (Elias Canetti)

Produktbeschreibung
Dem Unverständigen schärft es den Verstand, den Glaubensstarken rüttelt es durch. Unsere angeblich so verlässliche Welt des Wissens wird auseinandergenommen und neu zusammengesetzt.
Zur besseren Orientierung ist dieser Taschenkosmos alphabetisch geordnet und mit (vom Autor eigens angefertigten) Collagen versehen - wie die alte Ausgabe von Meyers Lexikon, der "Bibel der modernen Literatur" (Elias Canetti)
Autorenporträt
Ror Wolf, geboren 1932 in Saalfeld/Thüringen, lebt in Mainz. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden (1988), dem Bremer Literaturpreis (1992), dem Heimito von Doderer-Preis (1996), dem Staatspreis des Landes Rheinland-Pfalz (1997), dem Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2003), dem Preis Hörbuch des Jahres 2006, dem Preis Hörspiel des Jahres 2007 sowie 2008 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg. 2014 erhielt er für sein literarisches Schaffen den Georg-K.-Glaser-Literaturpreis des Landes Rheinland-Pfalz und des Südwestrundfunks (SWR) und 2015 den Günter-Eich-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2005

Was soll nur werden aus der Welt?
Ror Wolf beendet "Raoul Tranchirers Enzyklopädie für unerschrockene Leser"

Wer denkt, es sei nur das Jahr, das heute an sein Ende gelangt, befindet sich in einem Irrtum. Denn es gilt, den Abschluß einer Unternehmung anzuzeigen, die in der deutschen Literatur ihresgleichen nicht kennt: Nach zweiundzwanzig Jahren hat Ror Wolf einen Schlußpunkt unter "Raoul Tranchirers Enzyklopädie für unerschrockene Leser" gesetzt. Das ist mehr als bedauerlich, führt es doch unweigerlich zu der Frage, was eigentlich mit der Welt passieren soll, wenn sie nicht mehr von Raoul Tranchirer beobachtet, erforscht, beschrieben und beraten wird. Wir könnten die naheliegende Vermutung, das Ende der Enzyklopädie bedeute auch das Ende der Welt, an dieser Stelle verschweigen, um unsere Leser nicht weiter zu beunruhigen. Aber wir tun es nicht.

Wie hat der Untergang der Welt, wie wir sie durch Raoul Tranchirer kennenlernen durften, ihren Anfang genommen? Im Juli des Jahres 1953 tritt ein Mann aus der Dunkelheit des Anhalter Bahnhofs. Tranchirer erscheint "mit einer Reisetasche auf dem Bahnhofsgelände und sagt, auf den Fußboden deutend: ,Der Fußboden ist die Unterlage unserer täglichen Existenz, auf ihm ruht und bewegt sich das ganze Tagesleben.'" Dieser Satz, so schreibt Ror Wolf weiter in seiner aufschlußreichen Schlußbemerkung zu "Raoul Tranchirers Bemerkungen über die Stille", sei "der Beginn einer radikalen Beschäftigung mit den Geheimnissen der Welt" gewesen.

Dieser Angabe zufolge hat es immerhin drei Jahrzehnte gedauert, bis Tranchirer die ersten Ergebnisse seiner Tätigkeit publik machte. "Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt", erschienen 1983, bildete den Auftakt der sechsteiligen Enzyklopädie für unerschrockene Leser. Insgesamt, so wurde errechnet, hat der Wirklichkeitswissenschaftler etwa 1900 alphabetisch geordnete Stichworte zusammengetragen, die eine lehrreiche, erheiternde und verstörende Lektüre abgeben, aber erst im Zusammenspiel mit 650 Collagen Ror Wolfs die Welt kenntlich machen als das, was sie ist: ein Phänomen, das um Form und Haltung ringt, dabei aber allzuwenig Unterstützung erfährt und durch den vorhersehbar heftigen Einfluß des Unvorhersehbaren in ihren Bemühungen immer wieder zurückgeworfen wird. In diesem Sinn sind Tranchirers Weltbeschreibungen Diagnose und Therapie zugleich.

Es gehört zu den Prinzipien dieser Enzyklopädie, daß Aufschluß über eine Sache nicht etwa zu finden ist unter dem Stichwort, das die Sache selbst bezeichnet. Wie eins oft aus dem anderen entsteht und wie oft erst der Umweg zum Ziel führt, so verhilft auch hier in der Regel nur ausgiebige, sich dem Zufall überlassende Lektüre zur Erkenntnis. Immer wieder bestätigt Tranchirer dabei freimütig vom Leser längst gehegte Vermutungen, so etwa, wenn er bekennt, sich zu bestimmten Worten besonders hingezogen zu fühlen. Das Eingeständnis findet sich unter dem zunächst wenig reizvoll klingenden Stichwort "Vorbeischwimmen", wo es dann im weiteren unerwarteterweise tatsächlich ums Vorbeischwimmen geht, nämlich ums Vorbeischwimmen verschiedener Meeresbewohner wie des Vipernfisches, des Hunds-, Schweins-, Schwert-, Schwall-, Schell- und Schleimfisches. Es gibt aber auch namenlose Fische. Am Ende folgt noch ein Bekenntnis: "Ich weiß nicht, ob es das wirkliche, körperliche Vorbeischwimmen ist, das mich in diesem Moment in ein tiefes Schweigen versetzt oder nur das Wort: Vorbeischwimmen."

Wer dem Phänomen des Wortes an sich nachgehen möchte, wird den schönsten Fund in dem 1994 erschienenen Band "Raoul Tranchirers letzte Gedanken über die Vermehrung der Lust und des Schreckens" machen. Dort heißt es unter dem Stichwort "Glanz": "Das Wort soll glänzen, der Glanz des Wortes sollte die Welt verzaubern. Wir vergraben das Wort deshalb nicht in einem düsteren Winkel, sondern stellen es so auf, daß es zu leuchten beginnt. Wer ein persönliches Verhältnis zu seinen Worten hat und sie wie seine Freunde liebt, der wird an ihnen viel Freude haben: bei der Verschönerung seines Feierabends und bei der Verbesserung seiner gesamten Verhältnisse."

Man kann diese schönen Sätze, ein programmatisches Herzstück in dieser Kollektion sorgfältig gearbeiteter Prosaminiaturen, auch in einem soeben erschienenen Taschenbuch nachlesen. Der von Günter Kämpf herausgegebene Band "Raouls Tranchirers Taschenkosmos" versammelt nicht nur zahlreiche Einträge aus verschiedenen Bänden der Enzyklopädie sowie 24 Collagen, sondern enthält auch die Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage, wann das Ende komme und wie es wohl aussehen werde.

Diese Antwort findet sich naturgemäß nicht unter dem Stichwort "Ende", sondern unter dem Stichwort "Erde". Dort heißt es: "Ich muß gestehen, daß ich zur Zeit eine vollständig befriedigende Antwort auf die Frage, wie lange die Erde noch existieren wird, nicht geben kann . . . Scheizhofer hat die Ansicht vertreten, daß es die Erde schon längst nicht mehr gebe, daß sie vielmehr nur mehr eine kugelförmige Erinnerung sei, eine Gedankenblase, wie Scheizhofer es ausdrückt. Diese Ansicht hat sich aber nicht halten lassen und ist in letzter Zeit ebenso in Vergessenheit geraten wie Scheizhofer."

Welche Ansicht Tranchirer selbst über das Ende der Welt, also das Ende der Enzyklopädie, vertritt, sei hier aus Rücksicht auf zartere Gemüter nicht verraten. Im nächsten Jahr aber, so steht zu befürchten, werden wir ohnehin wieder mehr über diese und andere Angelegenheiten erfahren, als uns lieb sein dürfte. Womöglich aber wird alles auch gar nicht so schlimm. Denn vielleicht zieht die Welt die logische Konseqeunz aus dem Abschluß der Enzyklopädie und bleibt einfach in dem unhaltbaren Zustand, in dem Tranchirer sie beschrieben hat. Das wäre wohl für alle das Beste.

Ror Wolf: "Raoul Tranchirers Bemerkungen über die Stille". Mit zahlreichen Collagen des Autors. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2005. 157 S., geb., 19,90 [Euro].

Ror Wolf: "Raoul Tranchirers Taschenkosmos". Mit 24 Collagen des Autors. Zusammengestellt und mit einem Nachwort herausgegeben von Günter Kämpf. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 123 S., br., 10,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Hubert Spiegel stellt mit großer Sympathie für Ror Wolfs gesamte Enzyklopädie diesen, von Günter Kämpf herausgegebenen Band vor, der ein "paar programmatische Herzstücke" und Highlights der sechsbändigen Edition versammelt hat. Hinzugegeben wurden den Informationen des Rezensenten zufolge außerdem vierundzwanzig Ror-Wolf-Collagen. Auch befasst sich der Band mit der für Ror-Wolf- und Raoul-Tranchirer-Spezialisten offensichtlich ausgesprochenen drängenden Frage, was mit der Welt nach dem Ende der Enzyklopädie geschehen wird. Andeutungen des Rezensenten legen die Vermutung nahe, dass ohne ihre fortlaufende Beschreibung durch Raoul Tranchirer alias Ror Wolf wenig Anlass für Optimismus besteht.

© Perlentaucher Medien GmbH