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Auch mehr als zehn Jahre nach dem Untergang der DDR gehen die Urteile darüber, was die DDR eigentlich gewesen ist, weit auseinander. Die Historikerin Beatrix Bouvier geht anhand ausgewählter sozialpolitischer Leitthemen - Recht auf Arbeit, Wohnungsfrage, Renten, Frauen- und Familienförderung - der Frage nach, in welcher Weise die Sozialpolitik in der "Ära Honecker" (1971-1989) wirkte, welche Bedeutung sie für die Menschen, aber auch für die Stabilität, Stagnation und Krise des Regimes hatte.
Wichtigste Quellengrundlage für diese Arbeit bilden die so genannten Eingaben und -analysen:
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Produktbeschreibung
Auch mehr als zehn Jahre nach dem Untergang der DDR gehen die Urteile darüber, was die DDR eigentlich gewesen ist, weit auseinander. Die Historikerin Beatrix Bouvier geht anhand ausgewählter sozialpolitischer Leitthemen - Recht auf Arbeit, Wohnungsfrage, Renten, Frauen- und Familienförderung - der Frage nach, in welcher Weise die Sozialpolitik in der "Ära Honecker" (1971-1989) wirkte, welche Bedeutung sie für die Menschen, aber auch für die Stabilität, Stagnation und Krise des Regimes hatte.
Wichtigste Quellengrundlage für diese Arbeit bilden die so genannten Eingaben und -analysen: Tausende von DDR-Bürgern hatten nämlich die Möglichkeit genutzt, bei unterschiedlichen Stellen bis hin zur höchsten Staatsspitze Eingaben, also Beschwerden, persönliche Notrufe oder allgemeine Verbesserungsvorschläge, einzureichen, ohne dabei berufliche oder persönliche Benachteiligungen befürchten zu müssen.
Auf Grundlage dieser Eingaben wird offenkundig, dass die bis zum Ende der DDR beibehaltene Formel von der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" nur wenig mit der realen Entwicklung gemein hatte. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der damaligen Stimmung, den Hoffnungen, Erwartungen und Enttäuschungen der Menschen ist aber umso wichtiger geworden, als heute aufgrund fundamentaler Veränderungen die Erinnerung an die reale soziale Lage von Ostalgie-Gefühlen überlagert wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2004

Versorgungsdiktatur

SOZIALPOLITIK. Die DDR habe ihren Bürgern "Sicherheit und Geborgenheit" vermittelt - darauf beharrte Erich Honecker bis zu seinem Tod, und ähnlich lautet das Credo nicht weniger Bewohner der neuen Bundesländer. Daß dies wichtige Teile der Wirklichkeit ausblendet, demonstriert die vorliegende Studie. Lange bestritt die SED-Führung, daß es in der DDR eine separate Sozialpolitik geben könne - Sozialismus selbst sei umfassende Sozialpolitik. Erst in den sechziger Jahren, mit dem Neuen Ökonomischen System und dem Anreizsystem "persönlicher und materieller Interessiertheit", setzte sich die Sozialpolitik als eigenständiger Bereich durch. Nach dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker band die SED-Führung ihre Legitimität mit der Formel "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" eng an die sozialpolitischen Leistungen. Deren Kernstück sollte die Wohnungsbaupolitik sein. Die Sozialpolitik rückte ins Zentrum des Selbstverständnisses der DDR.

Die Autorin untersucht dies auf vier Feldern: der Politik der Vollbeschäftigung, der Wohnungsfrage, der Lage der Rentnerinnen und Rentner sowie der Frauen- und Familienförderung. Sie legt zum einen die sozialpolitische Programmatik der SED dar, ihre Ansprüche und ihr Versagen auf volkswirtschaftlicher Ebene. Zum andern wertet sie exemplarisch einige der Eingaben und Beschwerden aus, die DDR-Bürger insgesamt in Millionenzahl an staatliche Stellen richteten. Die meisten betrafen den Mangel an Wohnraum - als die DDR zusammenbrach, lagen den zuständigen Gremien noch 800000 Wohnungsanträge vor.

Die Studie zeigt anschaulich, daß die SED-Führung die eigenen sozialpolitischen Ansprüche nicht erfüllen konnte, damit vielmehr neue Probleme hervorrief. So reichte die Wohnungsbautätigkeit nicht aus, schuf zudem soziale Segregation zwischen Alt- und Neubaugebieten. Mit dem Versprechen sozialer Sicherheit und Geborgenheit suchte die SED die Ansprüche auf politische Teilhabe stillzulegen. Dabei war beispielsweise die faktische Garantie des Arbeitsplatzes nichts anderes als die Kehrseite der Defizite bei der wirtschaftlichen Produktivität. Da Modernisierung und Rationalisierung in der DDR-Ökonomie weit zurückblieben, konnte die Produktion letztlich nur durch Mehrarbeit ausgeweitet werden, was sozialpolitische Leistungen erforderte - insofern trug die Sozialpolitik zur Stabilität des Regimes bei.

In den achtziger Jahren verlor die Bevölkerung den Glauben an dessen Problemlösungskompetenz. Immer deutlicher trat hervor, daß die DDR nicht nur ein Überwachungs- und Polizeistaat war, sondern auch eine Mangelwirtschaft mit verdeckter Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Wohnungsdefizit, Verschwendung von Ressourcen, Mehrfachbelastung der Frauen, sozialer Ungleichheit und Perpetuierung patriarchalischer Strukturen. Die Überschaubarkeit der individuellen Lebensplanung war gängelnder staatlicher Planung geschuldet, Andersdenkende wurden ausgegrenzt. Die DDR war, so das Fazit, nie ein Sozialstaat, weil dieser liberale Grundrechte und freie Artikulation und Organisation der Interessen voraussetzt, sondern eine Versorgungsdiktatur. (Beatrix Bouvier: Die DDR - ein Sozialstaat? Sozialpolitik in der Ära Honecker. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2002. 357 Seiten, 27,80 [Euro].)

GÜNTHER SCHULZ

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Recht aufschlussreich findet Rezensent Günther Schulz diese Studie von Beatrix Bouvier, die sich mit der mit der Sozialpolitik der DDR befasst. Neben der Politik der Vollbeschäftigung, der Wohnungsfrage stehen dabei die Lage der Rentnerinnen und Rentner sowie der Frauen- und Familienförderung im Mittelpunkt. Wie Schulz berichtet, legt die Autorin die sozialpolitische Programmatik der SED dar und wertet exemplarisch einige der Eingaben und Beschwerden aus, die DDR-Bürger insgesamt in Millionenzahl an staatliche Stellen richteten. Dabei kann sie nach Einschätzung von Schulz "anschaulich" zeigen, dass die SED-Führung die eigenen sozialpolitischen Ansprüche nicht erfüllen konnte, sondern vielmehr neue Probleme hervorrief. In den 80er Jahren sei immer deutlicher geworden, dass die DDR nicht nur ein Überwachungs- und Polizeistaat war, sondern auch eine Mangelwirtschaft mit verdeckter Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Wohnungsdefizit, Verschwendung von Ressourcen, Mehrfachbelastung der Frauen, sozialer Ungleichheit und Perpetuierung patriarchalischer Strukturen. Abschließend bringt Schulz das Ergebnis von Bouviers Studie auf folgenden Nenner: "Die DDR war nie ein Sozialstaat, weil dieser liberale Grundrechte und freie Artikulation und Organisation der Interessen voraussetzt, sondern eine Versorgungsdiktatur."

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