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Botticellis verführerische "Geburt der Venus" oder die anmutige "Primavera" zählen zu den bekanntesten und beliebtesten Kunstwerken der italienischen Renaissance. Seine Neuinterpretationen antiker Mythen und die religiösen Gemälde wurden zum Inbegriff eines künstlerischen Aufbruchs, der ganz Europa erfasste. Frank Zöllner, ausgewiesener Kenner der italienischen Renaissance, präsentiert die neuesten Erkenntnisse zu Leben und Werk Botticellis im Rahmen einer umfassenden und prächtigen Werkschau.

Produktbeschreibung
Botticellis verführerische "Geburt der Venus" oder die anmutige "Primavera" zählen zu den bekanntesten und beliebtesten Kunstwerken der italienischen Renaissance. Seine Neuinterpretationen antiker Mythen und die religiösen Gemälde wurden zum Inbegriff eines künstlerischen Aufbruchs, der ganz Europa erfasste. Frank Zöllner, ausgewiesener Kenner der italienischen Renaissance, präsentiert die neuesten Erkenntnisse zu Leben und Werk Botticellis im Rahmen einer umfassenden und prächtigen Werkschau.
Autorenporträt
Frank Zöllner, geboren 1956 in Bremen. 1977 - 1981 Studium der Kunstgeschichte. 1983 - 1985 »Aby-Warburg-Stipendium« in London, The Warburg Institute. 1987 Promotion an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über »Vitruvs Proportionsfigur«. 1988 - 1992 wissenschaftlicher Assistent, Bibliotheca Hertziana, Rom. 1995 Habilitation an der Universität Marburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2006

Dämonen des Erhabenen
Frank Zöllners Monographie über den Maler Sandro Botticelli

Um die makellose Schönheit seiner Werke zu feiern, fehlt uns heute die Sprache, vielleicht auch das Sensorium. Weit haben wir uns vom Botticelli-Kult des neunzehnten Jahrhunderts entfernt, zumal von den Delirien der englischen Präraffaeliten, für die der Florentiner Maler eine Ausstiegsdroge war, die aus einer häßlichen Moderne entführte. Die Nachfolge wurde aufgegeben, die Suggestion schwächte sich damit ab. Dennoch blieben seine Bilder Magnete, wie man in den Botticelli-Sälen der Londoner oder Berliner Gemäldegalerie beobachten kann. Weltweit nahm das Publikum zuletzt teil an der Restaurierung und strahlenden Wiedergeburt seiner berühmten Tafeln in den Uffizien, der "Primavera", der "Ankunft der Venus" und der großen Altarbilder. Die Befreiung dieses einzigartigen Florentiner Bestandes (fünfzehn Werke) von den grauen Schleiern und Verfärbungen hat ein Vierteljahrhundert gedauert und den Bildern die frühlingshafte Klarheit, Pracht und Leuchtkraft zurückgegeben.

Der verjüngte Botticelli verlangt nach einer neuen Vergegenwärtigung, nach Interpretation und Debatte. Manche Bilder stellen sich nach Entfernung der Schmutzschichten völlig anders dar als zuvor. Der Kolorist muß neu gewürdigt, Zuschreibungen oder Abschreibungen, Fragen nach Eigenhändigkeit oder Werkstatt-Routine müssen neu erörtert werden. Eine langerwartete Monographie hat nun der Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner vorgelegt. Sie kommt im Monumentalformat daher. Zur Lektüre bedarf es eines großen Tischs oder, besser noch, eines Lesepults wie für Meßbücher. Beim Durchblättern des Folianten wirkt aber sogleich wieder die alte Schönheitsdroge, auch wenn nicht alle Vorlagen und Reproduktionen höchsten Ansprüchen genügen.

Zöllner wendet sich an den passionierten Liebhaber sowie an den Kenner und Gelehrten und gliedert sein Buch in zwei Teile. Der erste Teil, der ohne Anmerkungen auskommt und sie im Anhang kursorisch nachträgt, verbindet den Werdegang des Künstlers mit einer Darstellung der spezifischen Bildgattungen, die Botticelli eigenständig entfaltet. Neun Kapitel behandeln das Frühwerk, die ersten Erfolge im Florenz der Medici, den Porträtisten, den Schöpfer der "Primavera" und ihres Widerparts "Minerva und der Kentaur", dann den Wandmaler in der Sixtinischen Kapelle in Rom, den Erzähler grausamer Moritaten, schließlich den ingeniösen Erfinder der späteren Mythologien, den Maler großformatiger und raummächtiger Altarbilder und das unruhige, zum Teil aufgewühlte Alterswerk. Der zweite, wissenschaftliche Teil der Monographie entwirft und diskutiert ein Werkverzeichnis nach neuestem Erkenntnisstand. Es führt nur noch 89 eigenhändige Werke und neun "aktuelle strittige Zuschreibungen" auf.

Botticelli (1445 bis 1510) war in den siebziger Jahren des Quattrocento zum Starporträtisten der Medici aufgestiegen. In der "Anbetung der Könige" der Uffizien (um 1475), der Auftragsarbeit eines Medici-Lobbyisten, verschlüsselt er die Bildnisse von fünf Familienmitgliedern und verknüpft dabei Lebende und Tote zum Generationenbild. Zöllner arbeitet pointierter als ältere Autoren die überragende Rolle des Porträtmalers heraus, der in seiner Epoche zu den Produktivsten und Besten seines Fachs gehörte und die Florentiner Konkurrenz schnell überflügelte. Botticelli bediente die mediceische Bildnispolitik, woraus sich die Wiederholung und Serienproduktion gewisser Porträttypen über den Tod der Porträtierten hinaus - vor allem Guilianos de Medici und der schönen Simonetta Vespucci - erklärt.

Sorgfältig werden die Textquellen ausgewertet, aus denen sich die synkretistische Ikonographie von Botticellis heilsgeschichtlichen wie mythologischen Bildern speist. Kein anderer Maler hatte zuvor profane, vor allem antike Sujets und literarische Stoffe in so monumentalem Stil umgesetzt. Die "heidnischen" Bilder sind das Produkt des humanistischen Geistesklimas in Florenz. Sie verdanken sich der hier auch im häuslichen Ambiente beliebten Wand- und Paneelen-Malerei, den Bildaufträgen für das Studiolo der Humanisten, für den Dekor von Möbeln und Truhen und überhaupt der städtischen Festkultur in Florenz. Der statuarische Figurenstil, den Botticelli im neuen Geist entwickelt, kommt auch den geselligen Ensembles der Altäre, dem erhabenen Diskursstil der "Sacra conversazione"-Szenarien zugute.

Zöllner quält seine Leser zum Glück nicht allzu exzessiv mit der intellektuellen Akrobatik der Neuplatoniker und den ikonographischen Spitzfindigkeiten der Humanisten. Allzuviel Tiefsinn und Gelehrsamkeit dienen nicht der Erschließung, eher einer Versperrung der Bilder: Die klar gebauten, groß gedachten, fast aufklärerischen Kompositionen verwandeln sich in tüftelige Rätselbilder. Zu welch elementarer, ja dämonischer Ausdruckskraft der Erzähler Botticelli fähig ist, bezeugt der vierteilige "Nastagio"-Zyklus nach Geschichten aus Boccaccios "Decamerone", dem Zöllner ein eigenes Kapitel widmet. Die vier Streifenbilder statuieren ein Ehe-Exempel: Nastagio wird von seiner Angebeteten, einer jungen Dame aus Ravenna, verschmäht und zieht sich zur Bewältigung seiner Depression in einen Wald zurück. Hier wird er Zeuge der Hetzjagd eines Ritters auf eine nackte junge Frau, die sich jeden Freitag wiederholt und mit dem Tod der Verfolgten endet: Der Ritter weidet den Körper des Opfers aus und wirft Herz und Leber seinen Hunden zum Fraß hin. Dem grausamen Schauspiel liegt, in genauer Spiegelung des Rahmengeschehens, eine Liebes- und Eheverweigerung zugrunde, die mit der mörderischen Jagd bestraft wird. Der liebeskranke Eremit lädt daraufhin die Familie der vergeblich Geliebten zum Abschiedsmahl in den Wald. In einer surrealen Schockszene wird nun auch die Tafelgesellschaft Zeuge der freitäglichen Verfolgungsjagd, welche die spröde junge Dame so erschreckt, daß sie schleunigst in die Ehe einwilligt. Botticellis doppelbödige Darstellung verschränkt und verspiegelt zwei Handlungsabläufe und schwankt zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Märchenton und Albtraum.

Besonders spannend sind der Ausdruckswechsel und die Turbulenz in den Werken der neunziger Jahre. Die so gelassenen und erhabenen Bilder scheinen plötzlich leidenschaftlich aufgeputscht, die Darstellungen wirken ruhelos und getrieben. Schon Vasari, der Künstlerbiograph, beklagte im Rückblick, daß Botticelli dem radikalen Reformmönch, Fundamentalisten, Bußprediger und Bilderstürmer Savonarola verfallen und zum "Klagebruder" geworden sei. Der fanatische Dominikaner wiegelte die Bürger von Florenz gegen die Medici-Herrschaft auf, prangerte den Luxus an und bekämpfte eine verweltlichte, heidnisch-hedonistische Kunst, speziell auch jene Frauenporträts und Aktbilder, die Botticelli zu so großartiger Entfaltung gebracht hatte. Savonarola veranstaltete 1498, kurz bevor er selber auf dem Scheiterhaufen endete, Bücher- und Bilderverbrennungen. Botticelli war nicht unbeeindruckt, er geht offenbar in sich und wendet sich vom höfischen Schönheitskult und den weltlichen Umtrieben ab. Seine Nachdenklichkeit und Bußfertigkeit schlagen sich in der Spiritualität und expressiven Aufladung seiner späten Bilder nieder, die sich am schönsten in der Erschütterung zweier "Beweinungen" (heute in München und Mailand), in einer "Mystischen Kreuzigung" und einer "Mystischen Geburt Christi" manifestieren. Stilistisch wollte man hier teils spätgotische Reminiszenzen, teils frühmanieristische Artikulationen sehen. Doch in der Florentiner Kunst waren solche seelischen Ekstasen längst vorbereitet, wenn man an den erzählerischen Furor der späten Reliefs Donatellos denkt. Der Bildhauer hatte bereits die Kunst Oberitaliens, zumal Ferraras, durch seine Arbeit in Padua in Unruhe versetzt.

Zu den eindringlichsten Partien des Buches gehören die Analysen von Bildern, die sich in die Zeitgeschichte einmischen, die so zum Beispiel den apokalyptischen Ängsten der Zeit um 1500 ein Weihnachts-, Friedens- und Versöhnungsbild entgegensetzen und damit die Dämonen vertreiben. Die "Verleumdung des Apelles" ist ein Gemälde auch in eigener Sache: Botticelli verteidigt das Recht des Kunstpraktikers gegen die hegemonialen Ansprüche der Kunsttheorie.

Rätselhaft bleibt, warum Botticellis Produktion in seinem letzten Lebensjahrzehnt verebbt. Vasari schreibt sie dem "grübelnden Verstand" des Malers zu, der den Lehren Savonarolas verfiel. Überdies habe ihn die zehrende Arbeit an der Illuminierung von Dantes "Göttlicher Komödie" am Malen gehindert und "große Unordnung" in sein Leben gebracht. Zöllner sieht das heute anders: Botticelli habe sein Werk getan und seine Produktion zuletzt einer gut trainierten Werkstatt überlassen können.

EDUARD BEAUCAMP

Frank Zöllner: "Botticelli". Prestel Verlag, München 2005. 320 S., 240 zum Teil ganzseitige Farb-Abb., geb., in Kassette, 148,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2009

Die Locke der Nymphe
Das Frankfurter Städelmuseum zeigt erstmals in Deutschland Sandro Botticellis bis heute einflussreiche Gemälde
Sandro Botticelli? Hat der wirklich im Florenz des 15. Jahrhunderts gemalt? dpa jedenfalls denkt angesichts der ersten großen deutschen Schau des Künstlers im Frankfurter Städelmuseum an die „Botticelli-Schönheiten” Kate Moss und Uma Thurman. Und die Frankfurter Rundschau zeigt auf ihrer Titelseite eine goldblonde nackte Venus des Meisters und titelt: „Pin-up”.
Das ist natürlich grob ahistorisch gedacht und tut weh. Aber so ist das bei Botticelli: Die moderne Rezeption seines Stils hat sich in sein Œuvre eingefressen wie salzige Feuchtigkeit in ein altes Fresko. Auch wer um historische Gerechtigkeit ringt, kommt an einer Frage nicht vorbei: Was macht ausgerechnet Botticelli zum Ahnherr der Populärkultur, zu demjenigen Künstler, auf den sich Filmstudios und Modelagenturen, meistens unwissentlich, beziehen? Aus dessen Stilrepertoire sich die visuelle Figurenwelt unserer Zeit nährt und Geschöpfe wie Claudia Schiffer gebiert, die nur eines wollen: auch so lange Beine, einen so hohen Hals, so halbbrav, halbwild gestuftes Haar, so volle Lippen, hohe Wangenknochen, sanfte Augen wie Botticellis schaumgeborene Venus in Florenz, die auf Teetassen, Kalenderblättern und Küchenschürzen ihr Nachleben feiert.
Nun hat schon Botticelli Werkstatt das Motiv der schamvollen Nackten mit langem Goldhaar variiert und kopiert, hat die Muschel verworfen, die Dame vor schwarzem Hintergrund isoliert und sie dem Betrachterblick so als auratische, nun mythenfreie Einzelfigur dargeboten. Zwei dieser Fassungen sind in Frankfurt zu sehen, und sie sind wie alle weiblichen Idealgestalten des Künstlers: kaum antikisch, nämlich nicht an Volumen, Dreidimensionalität und Standhaftigkeit griechischer Statuen orientiert. Diese Mädchen schweben eher als dass sie stehen, ihre Bäuche und Beine sind graziös, aber grafisch gefasst wie aus mittelalterlicher Buchmalerei entsprungen. Nicht spürbare Leiblichkeit, Erdenschwere und Vielansichtigkeit schützen ihre Körper vor dem Zerfließen, sondern starke Konturen um klare Oberflächen. Schon Aby Warburg staunte, wie Botticelli Bewegung nicht durch Gestik und Mimik ausdrückt, sondern sie auslagert in periphere Elemente wie fliegende Locken. Dafür hatte der Maler freilich gute Gründe: Die sozialen Normen setzten feminine Schönheit und Keuschheit gleich; Mädchen lernten früh, den Blick außer Haus zu senken. Und misst man Botticelli an Perugino oder Ghirlandaio, so muss man anerkennen, welchen Frei- und Denkraum er sich und seinen Göttinnen erkämpfte.
Etwa im Ausgangs- und Glanzstück der Frankfurter Schau, dem hauseigenen Idealbildnis der Simonetta Vespucci. Zumindest ein Winkel auch des linken Augenlids blitzt hier auf, und so entweicht das Mädchen schon leicht dem klassischen weiblichen Profilbildnis, das aus Schicklichkeitsgründen Blickkontakt mit dem Betrachter verbot. Ihr Haar schmücken Perlen und wohl falsche Fransen; eine Locke weht ihr von der Stirn.
Das ist dann auch schon das Maximum der Unbändigkeit. Wer der Figur näherkommen wollte, müsste erst einmal die zwischen den Brüsten verknoteten Zöpfe lösen und würde dann am schwarz schimmernden Panzer der Minerva verzweifeln, den sie darunter als BH trägt. Nur bedingt einladend wirkt auch der Kettenanhänger, eine Darstellung des Apoll, der Marsyas schindet für dessen zu lustvolles Flötenspiel. Wehrhaft sollte diese Dame sein, denn sie war Maskottchen der Medici, und die beanspruchten für sich Weisheit und Kriegskunst der Minerva.
Giuliano de’ Medici erwählte die junge – und im Übrigen schon verheiratete – Simonetta Vespucci im Januar 1475 als Turnierdame und zog mit viel Pomp, blankpolierter Rüstung und einer von Botticelli gestalteten Fahne zu Ehren Simonettas in den sportlichen Wettkampf. Sein Dichter Angelo Polizian machte Simonetta literarisch zur Nymphe, in die sich Giuliano unglücklich verliebt. Um sie zu beeindrucken, zieht er demnach auf Rat von Venus in das Turnier. In einem Traum erscheint ihm Simonetta als Minerva, von der er sich die – siegbringenden – Waffen für den Wettkampf leiht. Die Gunst der keuschen Nymphe erringt er natürlich nicht.
Wie Polizians Simonetta, so ist auch Botticellis bella in Frankfurt mehr der Kriegs- als der Liebesgöttin verpflichtet. Die Tafel entstammt wohl dem Bilderkult, der nach dem frühen Tod der beiden Protagonisten in Florenz erblühte: Simonetta starb im Alter von 23 Jahren an Tuberkulose; Giuliano wurde zwei Jahre später in einem Attentat der Medicigegner erstochen. Botticelli malt ihn noch mit Turteltaube, die auf seine Treue gegenüber der toten Freundin hindeuten könnte. Beide Bildnisse, seines und ihres, heben sich schon durch übermenschliche Größe von den gängigen Porträts ab.
Andere Ehefrauen malte Botticelli übrigens entgegen der Konvention einigermaßen realistisch, mit langen Nasen, schlichten Kleidern und viel häuslichem Leerraum um sie herum. Simonetta aber erlangt mythologische Tiefe, was bei einem so gebildeten und stets gut beratenen Maler nicht wundert. Noch einmal begegnet einem eine solche kühle Göttin in der Schau: Diesmal zieht sie sanft, aber bestimmt einen traurigen Kentaur am Schopf, der doch eigentlich schon gestraft genug ist mit seinem Pferdekörper, der ihm in der Schamgegend wächst. Schild und Lanze trägt die Frau, zudem auf dem Gewand die harten Diamantenringe der Medici. Die vermutliche Minerva mag die kluge, tugendhafte Führung der Stadtherren verkörpern – und deren Wehrbereitschaft nicht weniger.
Die Zähmung des Widerspenstigen ist ein Thema in dieser Malerei, nicht immer aber gerät es so zum Nachteil der Männer wie bei dem Kentaur. Im Gegenteil, gerade die Bildnisse junger Männer sind von höchster Sensibilität, hier öffnet der Maler seinen Modellen die Augen und lässt sie groß und neugierig in die Zukunft schauen. So der Jüngling aus der National Gallery of Art in Washington, der nun wissenden Blickes das Frankfurter Publikum vorbeischlendern sieht. Er hält ein Heiligenbildnis in der Hand, was das Kontemplative seiner Haltung noch verstärkt: Hier ruht jemand in sich und nimmt, geschützt durch eine schmale Brüstung, die Welt um sich herum aus angemessener Distanz und doch voller Empfindsamkeit auf.
Man könnte sagen, Botticelli hat mehr für den männlichen Eros getan als für den weiblichen, er hat den Männern die Souveränität der Verletzlichkeit geschenkt, so wie in der – leider nicht ausgeliehenen – Londoner Tafel von Venus und Mars, wo er die zwei Götter ins Gras legt: Sie wohl frisiert, ausgehfertig angezogen, wachen Blickes auf den Freund, selbst kurz nach dem Sex noch Herrin der Lage. Der Krieger dagegen nackt, schlafend, dahingeflossen; machtlos auch gegen die paar Satyrkinder, die seine Waffen verulken.
So viel Hingabe mag Botticelli, Kind seiner Zeit, seinen Frauen nicht zugestehen, sie müssen kühl und selbstkontrolliert sein und für das höhere Prinzip der Vernunft einstehen – auch und vor allem dort, wo diese den Männern abhanden kommt. Als Judith retten sie ihr Volk, als gepanzerte Minerva stehen sie für die angeblich so friedliche, doch stets kampfesbereite Herrschaft der Medici. Sie sind das, was manche Leute heute „starke Frauen” nennen würden und damit einseitige Lastenverteilung gutheißen.
So lässt sich nach dem Parcours auch erahnen, was es für eine Befreiung gewesen sein muss, als schon kurze Zeit nach Botticelli die Maler im Norden Italiens den Sex nicht mehr nur andeuteten, sondern Frauengestalten erfanden, die ihre Hintern und Brüste zu gebrauchen wissen und beim Pudicagestus zugreifen statt, wie Botticellis Schaumgeborene aus Florenz, das lange blonde Haupthaar zwischen Finger und Scham zu schieben. Diese neuen leibesfreundlichen Bilder schafften es damals bis in die Brautgemächer. Mit solcher Libertinage räumte die Gegenreformation um 1600 gründlich auf, wenn es auch immer ein Fortleben gab, etwa in der Malerei von Rubens.
Botticelli wurde seit dem mittleren 16. Jahrhundert aus anderen Gründen missachtet: Der Kunstschriftsteller Giorgio Vasari hatte ihn zum Anhänger des Bußpredigers Savanorola stilisiert, was so nicht stimmen kann, wie die neuere Forschung nachweist. Erst die Präraffaeliten begeisterten sich wieder für seine Werke. Wie so viele Phänomene der Renaissance, hat es also auch Botticellis betont stilisierte Figurenmalerei über den Umweg des 19. ins frühe 21. Jahrhundert geschafft. Freilich wurden seine teilweise großartigen religiösen Bilder dabei übersehen, und es gehört zu den Verdiensten der wissenschaftlich wie didaktisch hochkonzentrierten Frankfurter Schau (zusammengestellt von Andreas Schumacher), an die nicht weniger idealschönen Marien Botticellis zu erinnern.
Die Populärkultur heute reagiert auf das Zeichenhafte dieser Malerei; sie führt auf ihre Weise den Prozess der Entkleidung fort, mit dem Botticellis Werkstatt einst begann, als sie der schaumgeborenen Venus in späteren Varianten die Muschel unter den Füßen wegzog. Von seinen sinnreichen und witzigen Anspielungen auf das Geistesleben ist bei Auftritten von Claudia Schiffer nicht mehr viel übrig. Des Meisters flächige, wenig körperliche und nie wirklich anstößige Figuren werden zur Chiffre für eine leidenschaftslose Schönheit, die niemandem wehtut. Das allerdings hat Botticelli nicht verdient.KIA VAHLAND
„Botticelli. Bildnis – Mythos – Andacht”, im Städelmuseum Frankfurt bis 28. Februar, Katalog (Hatje Cantz): 49,80 Euro. www.staedelmuseum.de. Zudem: Frank Zöllner: Botticelli, Prestel Verlag, München 2009, 320 Seiten, 39,95 Euro.
Botticelli verdammt seine Frauen zur Vernunft; seine Männer dagegen dürfen kopflos sein
Giuliano de’ Medici (links unten) verehrte Simonetta Vespucci (links oben) als Nymphe und Minerva; Botticelli widmete ihm und ihr übergroße Bildnisse. Vom Sieg der Tugend über die Leidenschaft erzählt auch Botticellis Gemälde von einer Frau mit Kentaur, das ursprünglich neben seiner „Primavera” hing. Abb.: Katalog
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein Vierteljahrhundert hat die Restaurierung der Florentiner Botticelli-Bilder in Anspruch genommen, und die Entfernung der Schmutzschichten hat den Gemälden eine solch neue, alte "Klarheit, Pracht und Leuchtkraft" zurückgeben, schreibt Edouard Beaukamp, dass sie tatsächlich neu betrachtet werden müssen. In seiner monumentalen Monografie hat Frank Zöllner dies getan, und der Rezensent ist beeindruckt. Zöllners Arbeit ist für passionierte Liebhaber wie Kenner und Gelehrte angelegt. Im ersten Teil zeichnet sie sie Botticellis Werdegang nach, von seinem Frühwerk, seinen Porträts und Wandmalereien in der Sixtinischen Kapelle über die Moritaten und Monumentalgemälde bis zu seinem unruhigen Alterswerk. Der zweite Teil ist der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Werk nach neuen Erkenntnissen gewidmet. Wohlwollend bemerkt Beaucamp, dass Zöllner auf "intellektuelle Akrobatik" verzichte, denn "allzu viel Tiefsinn" versperre eher den Blick auf die Bilder, als ihn zu erschließen. "Die klar gebauten, groß gedachten, fast aufklärerischen Kompositionen verwandeln sich in tüftelige Rätselbilder." Sanfte Kritik übt Beaucamp an den Reproduktionen, die nicht immer "höchsten Ansprüchen" genüge. Trotzdem, versichert er, wirke die "Schönheitsdroge" Botticelli sofort.

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