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Produktdetails
  • Verlag: Prestel
  • Seitenzahl: 95
  • Englisch
  • Abmessung: 305mm
  • Gewicht: 1075g
  • ISBN-13: 9783791325972
  • ISBN-10: 3791325973
  • Artikelnr.: 09941630
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2001

Der Weltreisende an der kurzen Leine: Paul Almasys Fotografien von Paris

Im Jahr 1910 wurde "Das Archiv des Planeten" ins Leben gerufen, eine fotografische Sammlung, an der sich verschiedene Fotografen beteiligten und die von dem Bankier Albert Kahn finanziert wurde. Kahn mußte 1931 Konkurs anmelden, das Unternehmen wurde eingestellt. Am Ende umfaßte das Archiv 73 000 Fotos aus 37 Ländern, aufgenommen auf vier Kontinenten.

Als vier Jahre später der gescheiterte Medizinstudent Paul Almasy erstmals im Auftrag einer Zeitung auf den Auslöser seiner Leica drückt, weiß er nichts von Kahns "Archiv des Planeten". Er kennt die meisten großen Fotografen seiner Epoche nicht einmal dem Namen nach. Er interessiert sich nicht sonderlich für Fotografie, und schon gar nicht ahnt er, daß er ein halbes Jahrhundert später selbst ein Archiv besitzen wird, das Kahns Projekt mühelos in den Schatten stellt: etwa 125 000 Aufnahmen aus 108 Ländern, geschaffen von einem einzigen Fotografen, der dem größeren Publikum noch heute weitgehend unbekannt ist. Auf die Frage, welchen Bruchteil des ihm zustehenden Ruhms Paul Almasy bislang erhalten hat, könnte man mit den Verschlußzeiten seiner Kamera antworten: vielleicht ein Sechzigstel, vielleicht ein hundertfünfundzwanzigstel.

Rund 1560 Reportagen hat Almasy während seiner Laufbahn geschrieben, mehr als 1300 davon waren Fotoreportagen. Almasy hat sich stets als Journalist verstanden, der seine eigenen Artikel mit Bildern versieht, kein Fotokünstler, sondern ein Fotoreporter, kein Apologet des richtigen Augenblicks wie Cartier-Bresson, kein Nahkämpfer wie Robert Capa, sondern ein Bildhandwerker, der sein Arbeitsethos in schlichte Worte kleidet: "Für mich ist die Fotografie keine Sprache. Ein Foto redet schließlich nicht, es zeigt. Also ist die Fotografie eine Schrift, die man lesen kann. Ich hatte nie die Ambition, ,schöne' Fotos zu machen, ich wollte immer ,gute' Fotos, die die Information dem ,Leser' am besten wiedergeben".

Almasy wird Fotograf, weil er ein guter Journalist ist und weil ein anderer Fotograf, Joachim Krack von der damals renommierten "Berliner Illustrirten Zeitung", klug genug ist zu wissen, daß Almasy besitzt, was ihm, Krack, fehlt: journalistisches Gespür für Themen, Situationen, Gegenstände. Krack schlägt dem jungen Kollegen die Zusammenarbeit vor, einige gemeinsame Fotoreportagen entstehen, bis Krack eines Tages kurz vor der Abreise zu einem Termin nach Finnland krank wird und Almasy erstmals nicht nur den Text, sondern auch die Bilder zu einer Reportage liefert. Wenig später durchquert Almasy im Auftrag der Zeitung die Sahara; noch im selben Jahr, 1936, entsteht eine Porträtserie über afrikanische Stammesfürsten in zwölf Folgen.

In den folgenden dreißig Jahren ist Almasy jeweils neun bis zehn Monate im Jahr unterwegs, die restliche Zeit verbringt er mit seiner Familie, schreibt, ordnet sein Archiv. Bevor mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion einige neuen Namen auf der Landkarte auftauchten, konnte Almasy von sich behaupten, er habe seinen Fuß in jeden Staat der Erde gesetzt, ausgenommen die Mongolei. Almasy reist im Auftrag von über zwanzig Blättern, später auch für die Unesco, für Unicef und die Weltgesundheitsorganisation. Er war diesen Institutionen aufgefallen, weil er mit Vorliebe soziale Themen behandelte. Ihn beschäftigten die großen Probleme der Dritten Welt: Hunger und Kindersterblichkeit, Drogensucht, Analphabetismus, Armut, Geburtenkontrolle. Der Fotograf, der privat mit Otto von Habsburg und Guy de Rothschild verkehrt (und sie wie zahllose Prominente, Künstler und Politiker fotografiert), schreibt Reportagen über die Folgen des Wassermangels oder den aussichtslosen Kampf gegen die Malaria.

Erst zu Beginn der siebziger Jahre, als er eine erste Dozentur übernimmt, der weitere Lehrtätigkeiten folgen, schränkt der rastlose Almasy seine Reisen ein wenig ein. Jetzt findet er die Muße, sich intensiv mit dem Werk jener Fotografen zu beschäftigen, die sich wie er für soziale Randgruppen, den Graben zwischen Arm und Reich und die Phänomene des Alltagslebens interessiert haben, also für Lewis Hine, Walker Evans und Dorothea Lange.

Gegen Ende des Krieges, den Almasy als Korrespondent verschiedener Schweizer Blätter in Monaco verbringt, siedelt er nach Paris über; 1956 nimmt er die französische Staatsbürgerschaft an, und noch immer lebt der bald Sechsundneunzigjährige in der Nähe der französischen Hauptstadt auf dem Land. Für Almasy war Paris zunächst die Stadt Jules Vernes, des großen Idols aus Kindheitstagen, dessen Bücher ihm den Wunsch eingebrannt hatten, die ganze Welt zu bereisen. Aus eintausend Paris-Bildern des Almasy-Archivs haben die Herausgeber Klaus Kleinschmidt und Axel Schmidt, die sich seit einigen Jahren um Almasys Werk verdient machen, jetzt eine Auswahl getroffen, die von den ersten Kriegsjahren bis in die späten Sechziger reicht: Stadtansichten, Straßen- und Bistroszenen, Reportagefotos und Porträts, von Jean Cocteau, Jacques Prevert oder dem jungen Serge Gainsbourg am Flipperautomaten einer Bar. Mehre Bilder zeigen Alberto Giacometti, mit dem der Fotograf befreundet war: im Café, in der Werkstatt, vor dem Eingang zum Atelier. Unsere Abbildungen sind in den fünfziger und sechziger Jahren am Ufer der Seine entstanden.

Daß Almasys Paris-Band nicht ganz die überwältigende Wirkung des 1999 ebenfalls von Kleinschmidt und Schmidt herausgegebenen Bandes "Paul Almasy: Zaungast der Zeitgeschichte" erreicht, mag an der kurzen Leine liegen, an die der Fotograf hier genommen wird. Für den Weltreisenden ist selbst die Weltstadt zu klein. (Paul Almasy: "Paris." Hrsg. von Klaus Kleinschmidt und Axel Schmidt. Mit zwei Essays der Herausgeber in englischer Sprache. Prestel Verlag, München, London und New York 2001. 95 S., geb., Abb., 78,- DM.)

HUBERT SPIEGEL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Hubert Spiegels Rezension ist zunächst eine Hymne an den Fotografen und Journalisten Paul Almasy, dessen faszinierenden Werdegang er kurz skizziert. Etwa 125.000 Aufnahmen aus 108 Ländern seien während dieses langen Fotografenlebens entstanden, der dem größeren Publikum noch heute weitgehend unbekannt sei. Von dem ihm zustehenden Ruhm habe Almasy bisher vielleicht "ein hundertfünfundzwanzigstel" erhalten. Der vorliegende Band selbst erreicht allerdings in Spiegels Augen nicht ganz die "überwältigende Wirkung" des von den gleichen Herausgebern publizierten Bandes "Paul Almasy - Zaungast der Zeitgeschichte". Die Ursache dafür sucht der Rezensent in der Beschränkung des Sujets: Für den Weltreisenden sei selbst die Weltstadt zu klein. Almasy werde durch die Auswahl "an die kurze Leine genommen". Dennoch hat die Auswahl der Pariser Fotos, die von den ersten Kriegsjahren bis in die späten Sechziger Jahre reicht, beim Rezensenten einen intensiven Eindruck hinterlassen.

© Perlentaucher Medien GmbH"