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Die Lebensbeschreibung Leistikows durch Lovis Corinth ist nicht nur ein Künstler- und Gedenkbuch. Mit diesem Band liegt ein wichtiges Stück Berliner Kulturgeschichte vor, das zwei Dekaden um das Jahr 1900 umfaßt und den Blick freigibt auf die Aufbruchphase der künstlerischen Moderne in Berlin, an der Leistikow als Mitbegründer der Berliner Secession entscheidenden Anteil hatte. Das "Leben Walter Leistikows" ist ein bedeutendes Quellenwerk, welches das Bild jener Epoche in wesentlichen Zügen geprägt hat.

Produktbeschreibung
Die Lebensbeschreibung Leistikows durch Lovis Corinth ist nicht nur ein Künstler- und Gedenkbuch. Mit diesem Band liegt ein wichtiges Stück Berliner Kulturgeschichte vor, das zwei Dekaden um das Jahr 1900 umfaßt und den Blick freigibt auf die Aufbruchphase der künstlerischen Moderne in Berlin, an der Leistikow als Mitbegründer der Berliner Secession entscheidenden Anteil hatte. Das "Leben Walter Leistikows" ist ein bedeutendes Quellenwerk, welches das Bild jener Epoche in wesentlichen Zügen geprägt hat.

Autorenporträt
Dr. Reimar F. Lacher, Studium der Kunstgeschichte, Sprachwissenschaft und Rhetorik in Tübingen und Berlin. Promotion 2003, anschließend Volontariat bei den Staatlichen Museen zu Berlin. Seit 1998 freiberufliche Tätigkeit für Museen und Ausstellungen, Kunsthandel und Forschung. Arbeitsgebiet: Berliner Kunst vom ausgehenden 18.bis ins 20. Jahrhundert; Werk und Biographie Johann Gottfried Schadows.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Wein, ich bin ganz wild auf Wein
Lovis Corinth prostet Walter Leistikow zu / Von Ilona Lehnart

Zwei Jahre nach dem frühen Tod seines Freundes Walter Leistikow entschließt sich Lovis Corinth, die Vita des Berliner Landschaftsmalers in einer Biographie festzuhalten. Niederschrift und Erstedition des reichillustrierten Buches fallen nicht ohne tieferen Grund in das Jahr 1910. Im Vorjahr erst hatte Corinth für die Berliner Secession eine Ausstellung arrangiert, die dem ehrenden Andenken Walter Leistikows galt, zugleich aber auch das zehnjährige Bestehen der Künstlervereinigung feierte. Mit der ersten Dekade - das spürte Corinth wohl - neigte sich nun die enthusiastische Phase des Stürmens und Drängens dem Ende zu. "Die Bataille ist aus, die Modernen haben gesiegt", hatte der Berliner Kunstkritiker Max Osborn schon 1903 festgestellt, mochten die künstlerischen Renegaten auch nach wie vor auf den Widerstand der wilhelminisch-konservativen Obrigkeit stoßen. Zwar mußten die Secessionisten noch die "Tschudi-Affäre" bestehen, im großen und ganzen jedoch hatte sich die Avantgarde um 1910 etabliert: Mit Liebermann, Slevogt und Corinth war der Impressionismus in Berlin zur führenden Kunstanschauung geworden.

Der kämpferische Ton war eben im Begriff zu verflachen, eine gewisse Selbstzufriedenheit lähmte den revolutionären Schwung, da meldete sich mit der Morgenröte des Expressionismus die jüngere Generation lautstark zu Wort. Daß der Streit just nach dem Tod Walter Leistikows in aller Heftigkeit aufflammte, gab Corinth den Anstoß, eine Lebensschilderung des Freundes zu verfassen. Denn mit ihm, dem "Ordnenden, Sorgenden, Ausgleichenden", hatte die Secession ihren "unparteiischen Schiedsrichter in kunstpolitischen Ereignissen" verloren, und es ist fraglos auch die Vorahnung säkularer Erschütterungen der Kunst, die Corinth veranlaßt, dem Freund mit "egoistischem Schmerz" nachzutrauern: "Lebte er noch, die Zerwürfnisse und Intrigen in der Secession wären nicht in dieser explosiven Art entstanden."

So also, ganz im elegischen Ton, setzt die Eloge auf den Freund ein. Indes, und das ist das Eigenartige, ist sie trotz aller melancholischen Gestimmtheit nichts weniger als ein Abgesang. Vielmehr zeichnet Corinth ein ungemein lebendiges Bild von der Berliner Kunst- und Kulturszene ebenjener beiden Dekaden um die Jahrhundertwende, die ihn mit Leistikow verbanden. Dieser élan vital, so ungebrochen er scheinen mag, läßt mutmaßen, daß der postume Freundschaftsdienst den verklärenden Rahmen bildet für die eigentliche, im Untertitel anklingende Absicht des Autors, nämlich "Ein Stück Berliner Kulturgeschichte" zu schreiben.

Hier tritt der intentionale Kern des Buches zutage, denn der Grad, in dem beide, Corinth wie Leistikow, in diesen aufregenden Entwicklungsgang involviert waren, ja ihn anstießen und beschleunigten, darf als das implizite Movens des Erzählers gelten. Es verschwindet freilich im flüssigen Erzählstrang. Nur unterbrochen von schriftstellerischen Zeugnissen von der Hand des Freundes - sie haben dessen kunstkritisches Urteil und Engagement zu beglaubigen -, besteht Corinths Buch zur Gänze aus nachgetragenen Erinnerungen. Wie nahtlos sich dabei Historizität mit mythischer Verdichtung vermengt, wird dem Leser erst ersichtlich, wenn er im Nachwort des Reprints erfährt, wie großzügig, ja bisweilen flüchtig und kursorisch der Erzähler ganze Lebenspassagen seines Helden behandelt.

"Er besaß eine wunderbare Heiterkeit des Gemüts, eine glückliche Veranlagung, die mit einer angeborenen Nüchternheit des Charakters einherging." Das sind die geläufigen Topoi der Künstlerbiographik: der Charakter wird als integer beschrieben, das Werk wird belobigt in dem Sinne, daß der Künstler "in der Summe seiner Taten neue Werte geschaffen hat". Die eigentliche Essenz aber lautet: "Keine Neuerung oder Änderung im Kunstbetrieb Berlins ist ohne ihn vonstatten gegangen."

Wie eminent wichtig die künstlerische und menschliche Integrität Leistikows für Corinth ist, erschließt sich leichter, liest man das Buch nicht als Biographie, sondern als apologetische Programmschrift. Corinth führt offensichtlich Persönlichkeit und Leistung des Verstorbenen als bonum exemplum an, als nacheifernswürdiges Vorbild. Er ist entschlossen, die jungen, nachstürmenden Expressionisten auf Erfüllung des künstlerischen Erbes der Avantgarde zu verpflichten, indem er ihnen Walter Leistikow als untadeligen Gründer der Berliner Secession ins Gedächtnis ruft. Es ist, kurz gesagt, der Schöpfungsmythos der Moderne, den Corinth den Jungen, nicht uns, vorträgt.

Dabei waren sich Corinth und Leistikow im Grunde wesensfremd. Der Kunsthistoriker Werner Weisbach, der oft bei Leistikow in der kleinen Grunewaldvilla zu Gast war und dort die Bekanntschaft Corinths machte, hielt denn auch nicht mit seinem Erstaunen zurück: "Zu dem hageren, beweglichen und gesprächigen Leistikow bildete der vierschrötige, schwerfällige, scheue und wortkarge ostpreußische Hüne den größten Gegensatz, der, kaum an der Unterhaltung sich beteiligend, seine ganze Aufmerksamkeit dem vor ihm stehenden Glas Bordeaux zuwandte und mit selig verklärtem Blick jeden Schluck begleitete." Das wundert nicht. Walter Leistikow, dem die Welt größte Liebenswürdigkeit attestierte, war die gesellig-aktive Integrationsfigur der künstlerischen und literarischen Avantgarde Berlins. Er, der sich lauthals gegen den Akademismus polemisierend zum Apologeten der Moderne machte, verdankte dem intellektuellen Milieu um Gerhart Hauptmann wesentliche Impulse. Geboren 1865 in Bromberg, in einer kinderreichen Familie "ohne jede künstlerische Tradition", erwarb er sich freilich weniger durch ein blendendes Talent als durch "langsamen Fortschritt in Mühsal" die ersehnte Anerkennung als Landschaftsmaler. Corinth aber, der ungebärdig schöpferische Demiurg neuer Bildwelten, der Farbenorgiast und Seelenanalytiker, Corinth beschaut das stille, ins Melancholische und Symbolistische schweifende OEuvre des Freundes mit liebender Anteilnahme.

"Er dürfte zunächst kopiert, dann nach der Natur gemalt haben. Die Anfänge sind recht niedlich in malerischer Wirkung gesehen. In nichts verrät aber das Werk den großen Aquarellisten, der er später geworden ist." Wußte Corinth, daß Edvard Munch den jungen Leistikow tief beeindruckt hatte? Wußte er, daß ihm in Paris das Werk des Symbolisten Maurice Maeterlinck zur Offenbarung geworden war, daß er, erstaunter noch, in der Landschaftsauffassung des Neoidealisten Puvis de Chavanne die ihm gemäßen Ausdrucksformen erkannte? Corinth erwähnt nichts dergleichen. Er würdigt den Maler, der das Idyllische des Nordens in feinen Tonskalen erfaßt, vor allem aber die herbe Schönheit der märkischen Wälder und Seen: "Der melancholische Reiz, der in den Kieferwaldungen liegt, wie sich die dunklen Wipfel knorrig gegen die wehenden Wolken absetzen und zu Füßen sich in schwarzen Tümpeln spiegeln, hat Leistikow verstanden wiederzugeben wie kein anderer. Er ist für die Welt zum Dolmetsch dieser spröden Natur geworden."

Lovis Corinth: "Das Leben Walter Leistikows". Ein Stück Berliner Kulturgeschichte. Neu herausgegeben von Reimar F. Lacher. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2000. 246 S., 67 Farb- u. S/W-Abb., geb., 198,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Warum dieses erstmals 1910 erschienene "Stück Berliner Kulturgeschichte", wie es im Untertitel hochtrabend heißt, gerade jetzt neu aufgelegt wird, bleibt im Dunkeln. Die Rezensentin kümmert`s nicht. Stattdessen nährt Ilona Lehnart noch das Unverständnis, wenn sie uns mitteilt, Lovis Corinth habe weniger eine Künstlerbiografie als vielmehr den Schöpfungsmythos der Moderne niedergeschrieben, den er den Jungen (gemeint ist die damals nachdrängende expressionistische Avantgarde), keinesfalls aber uns, vortrage. Die Adressaten des Buches also sind längst tot! Und wenn das entstandene "ungemein lebendige Bild von der Berliner Kunst- und Kulturszene" um die Jahrhundertwende auch noch in "mythischer Verdichtung" gründet, was sich praktischerweise dem Nachwort des Bandes entnehmen lässt, wie Lehnart schreibt, fragt sich, was eigentlich noch bleibt. Corinth beschaue das Werk Leistikows mit liebender Anteilnahme, hören wir, aber kümmert`s uns?

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