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Produktdetails
  • Verlag: Hirmer
  • 1999.
  • Seitenzahl: 175
  • Deutsch
  • Abmessung: 25mm x 247mm x 325mm
  • Gewicht: 1612g
  • ISBN-13: 9783777483405
  • ISBN-10: 3777483400
  • Artikelnr.: 08308996
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2000

Dann ist das ja noch wenig
Doppelt lebensgroß und dennoch kleiner als die Vorgänger: Marc Aurel, der reitende Philosoph

Ein Paradoxon der Geschichte: Die Bombenexplosion auf dem Kapitol am 19. April 1979 bedeutete letztlich die Rettung der Reiterstatue Marc Aurels vor der endgültigen Zerstörung. Zwar wurden bei den sofort durchgeführten Untersuchungen keine Beschädigungen durch Splitter an dem Standbild des römischen Kaisers (161 bis 180) festgestellt, dafür aber derart schwere Umweltschäden an Ross und Reiter, dass man um die Erhaltung des Denkmals bangen musste. Einigkeit herrschte darüber, dass Marc Aurel, der seit über 450 Jahren der Mittelpunkt des von Michelangelo neu gestalteten Kapitols war, nicht länger dort bleiben konnte, sondern dringend restauriert werden musste. Anfang 1981 wurden Kaiser und Pferd von ihrem neuzeitlichen Sockel gehoben und einer ungemein aufwendigen, neun Jahre dauernden Restaurierung unterzogen. Aber als das Werk vollendet war, kehrte der "Philosoph auf dem Kaiserthron" nicht mehr auf seinen angestammten Platz zurück, sondern bezog im benachbarten Kapitolinischen Museum einen kleinen Raum. Dort hat das Kunstwerk zwar kaum Luft zum "Atmen", fehlt ihm die großartige Wirkung, dafür aber ist es vor den schädlichen Umwelteinflüssen geschützt.

Das Fehlen dieses Wahrzeichens der Ewigen Stadt, des eigentlichen, vom stern- und wabenförmigen Ornament des Platzes eindrucksvoll unterstützten Zentrums auf dem Kapitol, wurde von Römern und Besuchern schmerzlich registriert. Der verwaiste Sockel hielt Tag für Tag die Erinnerung an den Verlust wach. Die Lücke war unübersehbar und unerträglich. So entschloss man sich zur Aufstellung einer maßstabgetreuen, 4,24 Meter hohen, 3,84 Meter langen und gut 2,5 Tonnen schweren Bronzekopie, die 1997 auf den Sockel gehievt wurde. Das Unternehmen war eine technologische Pionierleistung, eine glückliche Verbindung von modernster Computertechnik und traditionellem Gussverfahren.

Zugegeben: Trotz akribischer Werktreue und höchstem Einsatz der beteiligten Techniker, Künstler und Handwerker kann die Kopie in der Farbe neu gegossener Bronze das antike Meisterwerk nicht wirklich ersetzen, fehlt ihm - auch wenn man nicht dem modernen Originalitätsfanatismus frönt - die Ausstrahlung des einst blattvergoldeten, im Lauf der Jahrhunderte großenteils von türkisgrüner Patina überzogenen Reiterstandbilds. So hat der Platz auf dem Kapitol zwar wieder einen Marc Aurel in seinem Zentrum, aber nicht mehr "seinen". Dieser Kompromiss ist der notwendige Tribut für die Umweltsünden der Industriegesellschaft, aber wenigstens ist das originale Reiterstandbild nebenan vor weiterem Verfall bewahrt.

Die wechselvolle Geschichte und Vorbildfunktion des kapitolinischen Marc Aurel von der Antike bis in die Neuzeit sowie eine Dokumentation der konservatorischen Maßnahmen am Original und der Arbeiten am Nachguss sind jetzt ausführlich in einem empfehlenswerten, mit prachtvollen Farbaufnahmen ausgestatteten Bildband nachzulesen (etwas geschmäcklerisch das Layout, unnötig klein gesetzt die Bildunterschriften). Während Ulrich Hommes, Philosophieprofessor in Regensburg, in seinem Beitrag den Philosophen auf dem Caesarenthron würdigt - auf jeder linken Seite stellt er dem Leser unter Stichworten wie "Heiterkeit", "Gleichmut", "Lebenskunst" oder "Tod" Beispiele aus den "Selbstbetrachtungen" Marc Aurels vor -, gibt der Direktor der Münchner Glyptothek, Raimund Wünsche, einen kenntnisreichen Überblick zu Aussehen und Bedeutung der Reiterstatue des Kaisers und deren Vorgängern seit der griechisch-archaischen Zeit.

Bedenkt man, dass die Reiterstandbilder für Domitian und Trajan in vier- bis fünffacher beziehungsweise fünf- bis sechsfacher Lebensgröße ausgeführt worden waren, so erscheint der mit seiner rechten Hand Frieden gebietende siegreiche Marc Aurel in nur etwa doppelter Lebensgröße geradezu kleinformatig. Man mag dies durchaus mit der Bescheidenheit des Kaisers und seiner von der Stoa geprägten Lebensweise in Verbindung bringen. Der noch im zwölften Jahrhundert erwähnte, unter dem rechten Vorderhuf liegende besiegte Barbar ist nicht mehr erhalten. Zwar passt die Darstellung des Besiegten nicht in unser Bild vom Philosophenkaiser und auch nicht in unser ästhetisches Empfinden, aber die Münzbilder sprechen hier eine eindeutige Sprache.

Wo der in "erhabener Gelassenheit" dargestellte Kaiser ursprünglich aufgestellt war, ist unbekannt. Gewiss aber ist, dass sein Bildnis bereits in der römischen Antike Vorbildcharakter annahm, der sich dann bis in die Neuzeit erhalten sollte. Interessant ist die von Wünsche geäußerte Vermutung, dass das Reiterstandbild erst nach dem Tod Marc Aurels gefertigt wurde und sich sein Sohn Commodus zum eigenen Ruhm in einem ebensolchen, daneben stehenden Reiterstandbild verewigen wollte. Der Gedanke, dass der Philosophenkaiser "nur" Teil einer Gruppe gewesen sein könnte, erscheint aus heutiger Sicht schwer vorstellbar - zu stark ist unser Bild von der Aufstellung Michelangelos geprägt -, ist aber deswegen nicht unmöglich.

Reinhold Baumstark, der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, zeichnet den Weg der Reiterfigur, die vermutlich seit etwa 750 am Lateran, dem Sitz der Päpste, stand und später als Darstellung des christlichen Kaisers Konstantin galt - obwohl dessen Bildnisse bartlos sind -, bis in die Neuzeit nach. Die translatio von Theoderichs Reiterbild aus Ravenna in die Kaiserpfalz von Aachen wird Karl der Große durchaus als programmatischen Akt mit Blick auf das Werk im Lateran unternommen haben, waren doch Teile der Pfalz als Lateran benannt. Vor dem Bildnis in Rom ließ Karl auch 799 die dreihundert Aufrührer hinrichten. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wurde das Reiterbild als Marc Aurel identifiziert und Papst Paul III. Farnese (1534 bis 1549) schließlich ordnete die Überführung auf das Kapitol an.

Seine Funktion als exemplum für spätere Künstler und Herrscherdarstellungen ist bekannt. Die Beispiele reichen von Benozzo Gozzolis Darstellung eines der Heiligen Drei Könige in der Florentiner Medici-Kapelle (1459) über Donatellos Reitermonument des Erasmo da Narni in Padua (1444/53) bis hin zu Girardons Reiterstandbild Ludwigs XIV. (1699) und Thorvaldsens Darstellung des Fürsten Jozef Poniatowski (1826/27). Marc Aurel wurde also Vorbild für eine eigene Kunstgattung, das Reitermonument der Neuzeit.

Den Kaiser vom Kapitol vor, während und nach der Restaurierung zeigen eindrucksvolle Aufnahmen. Details vom Porträt Marc Aurels, seiner Hände, des Pferdekopfes mit dem Zaumzeug ermöglichen dem Betrachter ein Studium von Feinheiten des Kunstwerks, die ihm in dieser Eindringlichkeit sonst kaum möglich sein werden. Zusammen mit der Lektüre von Giorgio Accardos Bericht über den Nachguss lernt er weitere Feinheiten des Originals kennen: Seien es die vertikalen Schnitte an den Pferdenüstern zwecks Steigerung der Leistungsfähigkeit, die Anomalie des dens in dente, des einen Mittelzahns im Unterkiefer statt deren zwei, die um einige Zentimeter gegeneinander versetzten Abschlussringe der Kandare oder die unterschiedliche Größe der Hände des Kaisers - Hinweise darauf, dass wohl mehr als ein Bildhauer an dem Werk arbeitete, dessen Wirkung bis heute ungebrochen und dessen Erhaltung auch für künftige Generationen nun gesichert ist.

MICHAEL SIEBLER

Giorgio Accardo, Reinhold Baumstark, Ulrich Hommes: "Marc Aurel". Der Reiter auf dem Kapitol. Teilweise aus dem Italienischen von Ulrike Bauer-Eberhard und Raimund Wünsche. Hirmer Verlag, München 2000. 175 S., Abb., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Siebler geht in seiner ausführlichen Rezension zunächst auf die Restaurierungsarbeiten der Reiterstatue ein. Diese Statue, die 450 Jahre auf dem von Michelangelo gestalteten Kapitol gestanden hatte, musste 1981 wegen Umweltschäden restauriert werden und befindet sich nun im Kapitolinischen Museum. Auf dem Platz selbst ist nur noch eine Kopie der Statue zu sehen. Im vorliegenden Band sieht der Rezensent die Geschichte der Statue und die Restaurierungsarbeiten vorzüglich dokumentiert. Er lobt das Buch als "empfehlenswerten, mit prachtvollen Farbaufnahmen ausgestatteten Bildband", auch wenn er am Layout ein paar Kleinigkeiten auszusetzen hat. Besonders die Detailaufnahmen ermöglichten dem Leser eine genauere Betrachtung der "Feinheiten des Kunstwerks", was seiner Ansicht nach überraschende Erkenntnisse nach sich zieht. Als Beispiel nennt er u. a. die unterschiedliche Größe der Hände Marc Aurels, was darauf schließen lasse, dass die Statue möglicherweise von mehreren Bildhauern angefertigt worden ist. Auch die Erläuterungen zur Geschichte der Statue scheint der Rezensent äußerst aufschlussreich zu finden.

© Perlentaucher Medien GmbH