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Am 19.12. 2006 wird die berühmte Meinungsforscherin 90 Jahre alt. Jetzt erscheint ihre Autobiografie - ein Spiegel der deutschen Zeitgeschichte. Die Grande Dame der Meinungsforschung und Gründerin des Instituts für Demoskopie Allensbach prägte als"Pythia vom Bodensee"das politische und wissenschaftliche Leben in Deutschland. Sie beriet Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl. Nach Amerikaaufenthalten gründete sie 1947 mit ihrem Mann Erich-Peter Neumann das Institut, das sich der Erforschung der öffentlichen Meinung und ihrer Wirkung auf Politik und Gesellschaft widmet. In ihren brillant…mehr

Produktbeschreibung
Am 19.12. 2006 wird die berühmte Meinungsforscherin 90 Jahre alt. Jetzt erscheint ihre Autobiografie - ein Spiegel der deutschen Zeitgeschichte.
Die Grande Dame der Meinungsforschung und Gründerin des Instituts für Demoskopie Allensbach prägte als"Pythia vom Bodensee"das politische und wissenschaftliche Leben in Deutschland. Sie beriet Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl. Nach Amerikaaufenthalten gründete sie 1947 mit ihrem Mann Erich-Peter Neumann das Institut, das sich der Erforschung der öffentlichen Meinung und ihrer Wirkung auf Politik und Gesellschaft widmet. In ihren brillant geschriebenen Erinnerungen lässt Elisabeth Noelle-Neumann die großen Momente ihres ereignisreichen Lebens Revue passieren.
Autorenporträt
Prof. Dr. phil. Dr. oec. h. c. Elisabeth Noelle-Neumann, Publizistik, Institut für Demoskopie, Allensbach.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2006

Seid umschlungen, Millionen!
Elisabeth Noelle-Neumanns Blick zurück auf sich selbst und natürlich auf die Meinungsforschung

"Ich liege und blicke nach oben, also muß ich im Kinderwagen sein." Mit diesem Satz eröffnet Elisabeth Noelle, die Nestorin der deutschen Demoskopie, ihre Memoiren. Eineinhalb Jahre sei sie damals gewesen, am Ende des Ersten Weltkrieges. Das "also" charakterisiert sie, ein Denken, Kontrollieren, Nachspüren, das auf den Grund der Dinge vorstoßen will. Die Großväter sind bereits Millionäre. Insbesondere der im Bismarckreich namhafte Bildhauer Fritz Schaper, der beachtliche historistische Denkmäler in Berlin und anderswo errichtete, hat es ihr angetan, aber auch ansonsten das großbürgerliche Ambiente ihrer Kindheit: Villa, Musikunterricht, Besuch des Kaisers in der Großelternfamilie Schaper, Bericht über das emanzipierte Leben einer Großtante, die bereits 1911 als erste Frau sich an der Universität Zürich habilitiert. Und noch etwas Überraschendes offenbart die Berlinerin: ein Vorfahre dürfte aus königlichem Geblüt sein, ihr Urgroßvater, ein Revierförster. Louis Prinz Ferdinand von Preußen habe dazu gesagt: "Wunderbar. Dann sind wir also miteinander verwandt!" Und sie habe sich gedacht, es könne nichts schaden, wenn man solche Vorfahren habe.

"Mit zehn beschloß ich, Journalistin zu werden." Heinz Ullstein rät der Ehrgeizigen, erst das Abitur abzulegen. Die Intelligenz und der Unternehmungsgeist bereiten den Eltern einige Probleme. "Du verdirbst deine Brüder", bekam sie zu hören. In der Konsequenz wird Elisabeth weg von Berlin auf diverse Schulen verfrachtet, darunter nach Salem. Das Internat prägt sie ihr Leben lang. Kurt Hahn warnt die Primaner damals vor Hitler. Im Wintersemester 1935/36 beginnt Elisabeth Noelle das Studium der Zeitungswissenschaft bei Emil Dovifat. Immer wieder kommt sie in kritischer Absicht auf ihn zu sprechen. Jedenfalls möchte sie, zwischenzeitlich in Königsberg, ein Auslandsjahr einlegen in Frankreich und benötigt dafür die Zustimmung der Universität. Der dort lehrende SS-Standartenführer Franz Alfred Six verweigert es ihr, ein Heidelberger Gutachter ist vehement für sie. Frankreich ist nicht machbar, weswegen sie eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens in wenigen Sekunden fällt, in die Vereinigten Staaten zu gehen. Um stipendiabel zu sein, muß sie jetzt endlich in irgendeine NS-Organisation eintreten. Bei ihr ist es die unverfängliche "Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen". Ein Ausflug der Gruppe führt sie auf den Obersalzberg - und zu einer Begegnung mit Hitler selbst, zwei Stunden lang. Sein Charisma habe sie beeindruckt. Letztlich vergleicht sie seine Eigenschaften mit denen, die in der Literatur dem Teufel zugeschrieben werden.

In Amerika macht sie dann die Entdeckung ihres Lebens: Massenbefragungen. Das wurde schon öfter geschildert. Daß sie von einem "Kulturschock" spricht und mehrfach auch die Distanz zu den Vereinigten Staaten betont, ist - bei aller Sympathie - neu. Jedenfalls beschließt sie über das Thema repräsentative Befragungen zu promovieren. Zunächst weilt die Doktorandin in den Staaten, erlebt Romanzen, aber auch Verdächtigungen besonderer Art, denn aus ihrer journalistischen Feder fließt ein Artikel, von dem es heißen wird, er sei NS-Propaganda. Dieser Vorgang wird sie noch Jahrzehnte später als Gastprofessorin in den Vereinigten Staaten unangenehm berühren. Ihre Rück- beziehungsweise Weltreise führt sie nach Westen: Hawaii, Japan, Mandschurei, Korea, Peking, Schanghai, Hongkong, Manila, Sumatra, Ceylon, Ägypten, Griechenland, Italien, Schweiz sind die Stationen der polyglotten, bald Zweiundzwanzigjährigen, die mit ihrer Underwood-Schreibmaschine reist.

Auch Artikel über Amerika hatte sie verfaßt. Einer war 1938 sogar in der Weihnachtsausgabe der DAZ, der Deutschen Allgemeinen Zeitung, erschienen. Dessen Chefredakteur rät ihr nach der Rückkehr, zuerst zu promovieren, was ihr innerhalb eines Vierteljahres auch gelingt. Für ihr Lebensthema Demoskopie sind damit die Grundlagen gelegt. George Gallups Buch über seine Methode erscheint sogar erst ein halbes Jahr später. Die Wirkung der Massenmedien kann nun nachgewiesen werden - spannender als alles, was Dovifat jemals forschte. Es folgen die Tätigkeiten bei der DAZ und der an das Ausland gerichteten Zeitung "Das Reich", wo sie Erich Peter Neumann kennenlernt. Neumann wird nun eine zentrale Person der Erinnerungen, denn mit ihm wird sie später das Institut für Demoskopie in Allensbach am Bodensee gründen. Er steht für die unmittelbare Politikberatung des IfD in Bonn, er gehört zu den Gründern der "Politischen Meinung" und vieler anderer PR-Einrichtungen des regierungsnahen Umfeldes. Bekannt ist bereits, daß Elisabeth Noelle eine Adjutantenstelle bei Joseph Goebbels angeboten bekam, der sie sich durch lange Krankheit entzieht. Paul Sethe holt sie schließlich zur FZ, der Frankfurter Zeitung, der Vorläuferin der späteren F.A.Z. In der kurzen Zeit bis zum Verbot wird sie sehr geprägt vom freiheitlichen und vertrauensvollen Klima der FZ-Redaktion mitten in der NS-Zeit. Spannend die Erfahrungen im untergehenden Berlin und "Drittem Reich" - doch wie weiter danach? Wichtige Namen, Begegnungen und Personen werden erzählerisch einnehmend vorgestellt: Carlo Schmid in Tübingen, Albert Speer in Heidelberg, Hans Filbinger, Ernst Jünger, Lea Rosh; aus der Wissenschaft etwa Seymour Martin Lipset, Paul Lazarsfeld.

Französische Besatzer und Ludwig Erhard haben das in einer Garage entstandene "Institut für psychologische und soziometrische Forschungen" durch Aufträge ermöglicht, dessen Geschichte bis heute erst noch zu schreiben wäre. Es ist natürlich eines, das neben allen anderen Forschungszweigen politisch eng mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl zu dem wurde, was es ist - ohne ein CDU-Institut zu werden. Beide werden, wie zu erwarten, am ausführlichsten gewürdigt.

Will man noch einige Akzente aus einem überaus dicht bestückten, fast romanhaft zu lesenden Band herausgreifen und setzen, so nimmt man der Journalistin, Unternehmerin und vor allem der weltweit respektierten Wissenschaftlerin ab, wie solitär sie als Frau ihren Weg gegangen ist. Von ihren berühmten Feinden, von Anfeindungen ganz zu schweigen, ist auch die Rede - mit Vehemenz von Theodor W. Adorno und dessen verhängnisvollem Einfluß auf das intellektuelle Klima. Aber auch viele Freunde tauchen auf, die als solche nicht ohne weiteres erwartet werden dürften, so etwa Henri Nannen; auch zu Helmut Schmidt habe es einen angenehmen Kontakt gegeben. Daß wissenschaftsgeschichtlich sowohl diverse Irrtümer der Zunft (so der "rationale Wähler") wie durch sie bewirkte neue Errungenschaften (beispielsweise die Medienwirkung) sehr pointiert vorgetragen werden, versteht sich.

Letztlich steht und fällt für sie alles mit der innovativen Funktion der Demoskopie, neue Fragen aufwerfen zu können, also eine eigene Agenda-setting-Funktion zu haben, die die vierte Gewalt der Medien, besonders die des Fernsehens, zu kontrollieren in der Lage ist. So gehört eine unabhängige Demoskopie wie eine unabhängige Presse gleichermaßen zu einem freien Land. Das der Grundlagenforschung gewidmete Institut, das eben kein bloß kommerzielles sein kann, hat damit eine Aufgabe übernommen, die ziemlich einzigartig im Raum steht. Genauso wie seine Gründerin. Sie hat sich hier selbst ein Denkmal gesetzt.

TILMAN MAYER

Elisabeth Noelle-Neumann: Die Erinnerungen. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2006. 315 S., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Angetan berichtet Rezensent Tilman Mayer über diese Memoiren der Meinungsforscherin und Journalistin Elisabeth Noelle-Neumann, der "Nestorin der deutschen Demoskopie". Ausführlich rekapituliert er ihre Lebensgeschichte, ihre journalistische Ausbildung, die Aufenthalte in den USA, wo sie erstmals mit der Meinungsforschung in Kontakt kam, bis zur Gründung des Instituts für Demoskopie Allensbach. Als spannend, "fast romanhaft" erzählt lobt Mayer die Erinnerungen, in denen zahlreiche große Namen und Personen darunter Carlo Schmid, Albert Speer, Hans Filbinger, Ernst Jünger, Lea Rosh, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard oder Helmut Kohl auftreten. Zudem unterstreicht er Noelle-Neumanns wissenschaftsgeschichtlich prägnante Darstellung von Irrtümern, aber auch von Innovationen der Meinungsforscherzunft.

© Perlentaucher Medien GmbH