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Ein Jude, der als Handlanger der SS hingerichtet wird, und ein Philosoph, der mit der Waffe gegen die Nazis kämpft: Weiter können sich Lebenswege kaum entzweien als die von Paul Raphaelson (1906-1947) und Hans Jonas (1903-1993). Fast gleichzeitig als Söhne jüdischer Fabrikantenfamilien in Mönchengladbach geboren, schienen ihnen sorgenfreie Karrieren gezeichnet zu sein. Doch in den Wirren der Weimarer Republik und unter dem Terror des NS-Regimes nehmen ihre Lebensläufe andere Bahnen. Der Emigrant Hans Jonas zieht als alliierter Soldat in den Krieg. Paul Raphaelson, verarmt und von der Gestapo…mehr

Produktbeschreibung
Ein Jude, der als Handlanger der SS hingerichtet wird, und ein Philosoph, der mit der Waffe gegen die Nazis kämpft: Weiter können sich Lebenswege kaum entzweien als die von Paul Raphaelson (1906-1947) und Hans Jonas (1903-1993). Fast gleichzeitig als Söhne jüdischer Fabrikantenfamilien in Mönchengladbach geboren, schienen ihnen sorgenfreie Karrieren gezeichnet zu sein. Doch in den Wirren der Weimarer Republik und unter dem Terror des NS-Regimes nehmen ihre Lebensläufe andere Bahnen.
Der Emigrant Hans Jonas zieht als alliierter Soldat in den Krieg. Paul Raphaelson, verarmt und von der Gestapo drangsaliert, wird in einem Arbeitslager des Ghettos Theresienstadt als Aufseher zum Folterknecht. Nach Kriegsende treffen die beiden Männer in ihrer Heimatstadt aufeinander. Jonas will helfen, die Schuld des als Kriegsverbrecher gesuchten Raphaelson zu klären. Ein Unterfangen, das tief in eine moralische Grauzone führt: Was darf ein Mensch tun, um in der Hölle des Holocausts sein Leben zu retten?
Autorenporträt
Holger Hintzen, geb. 1964, hat in Köln Geschichte, Germanistik und Politik studiert und ist Redakteur der Rheinischen Post.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2012

Gefolterter Folterknecht
Ein Philosoph und ein "Kapo": Schicksale von zwei Juden

Zwei Rheinländer, Juden, in demselben Mönchengladbacher Stadtteil geboren, aus denselben gutbürgerlichen Kreisen stammend: Der eine wird als israelischer Staatsbürger ein berühmter Philosoph; der andere wird 1947 in der Tschechoslowakei wegen Verbrechen hingerichtet, die er an Mithäftlingen in Theresienstadt und anderen Lagern des nationalsozialistischen Regimes begangen hat. Hans Jonas, der 1979 mit seiner Schrift "Prinzip Verantwortung" zu Weltruhm gelangte, war mit Paul Raphaelson bekannt, den ein Schnellgericht in Prag nach dem Zweiten Weltkrieg für seine Grausamkeiten im Dienst der SS zum Tode verurteilte. Der Journalist Holger Hintzen nimmt die eher flüchtige Bekanntschaft zwischen Jonas und Raphaelson zum Ausgangspunkt, um die Biographien der beiden Männer in einer Parallelmontage zu rekonstruieren. Er tut dies mit vorbildlichem Sinn für historische Gerechtigkeit und Sensibilität für die Problematik eines "jüdischen Täters" im Kontext des Holocaust.

Die Lebensgeschichten, die mit sehr ähnlichen Wurzeln im rheinischen Unternehmermilieu beginnen, driften rasch auseinander. Während Jonas eine stetige Bildungskarriere absolviert, erlebt Raphaelson aufgrund des kriegsbedingten wirtschaftlichen Ruins der Familie den sozialen Abstieg. Für ihn beginnt mit der frühen Jugend eine unstete Existenz, beruflich prekär, privat instabil. Jonas schließt sich dem Zionismus an und tritt mit "Makkabäerzorn" kämpferisch für die Rechte der Juden und für einen jüdischen Staat in Palästina ein, wohin er 1933 emigriert. Raphaelson hingegen gerät mit dem Gesetz in Konflikt, kommt in eine Erziehungsanstalt und scheint sich meist nur mühsam über Wasser gehalten zu haben.

Tatsächlich ist die Quellenlage zu seinem Leben bescheiden. Hintzen hat vor allem behördliche Akten, Angaben von Meldeämtern und Polizeiberichte, ausgewertet, aber er muss sich vielfach mit bloßen Vermutungen zufriedengeben. Dennoch ist seine Darstellung plausibel, nicht zuletzt, weil er die dürftigen gesicherten Notizen mit weiteren zeitgenössischen Erzählungen und mit Forschungsergebnissen anreichert, die den Kontext von Raphaelsons Vita erhellen. So gelingt dem Autor ein erschütterndes Doppelportrait, das gleichsam die Extreme des zwanzigsten Jahrhunderts markiert.

Wie Kippfiguren eines paranoiden Schicksals treten die beiden Hauptpersonen hervor. Fassungslos liest man, dass Jonas' Eltern ihren Sohn 1936 in Jerusalem besuchten, dann aber nach Deutschland zurückkehrten. Die Mutter wurde wenige Jahre später nach Lodz verschleppt und dort ermordet. Mit gleicher Bestürzung folgt man aber auch Raphaelsons Weg, der ihn bei Kriegsende zunächst zurück in die Heimat führt, wo er den Vorsitz der kleinen verbleibenden Jüdischen Gemeinde übernimmt und ein ehrbarer Bürger zu werden scheint, bis er aufgrund der Anschuldigungen ehemaliger Mitgefangener verhaftet und vor das Prager Volksgericht gebracht wird. Als "Kapo" habe er sich brutalster Misshandlungen anderer Lagerinsassen schuldig gemacht, besagte das Todesurteil, das sogleich vollstreckt wurde. Überzeugend plädiert Hintzen dafür, mit dem heutigen Wissen um die Grausamkeit der Überlebensnot im Lager die Figur des gefolterten Folterknechts als Schreckensgestalt des zwanzigsten Jahrhunderts zu sehen, die jegliche moralische Eindeutigkeit verbietet.

CHRISTIANE LIERMANN

Holger Hintzen: Paul Raphaelson und Hans Jonas. Ein jüdischer Kapo und ein bewaffneter Philosoph im Holocaust. Greven Verlag, Köln 2012. 362 S., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zwei vergleichbare und doch vollkommen unterschiedliche Lebenswege hat der Journalist Holger Hintzen in diesem Buch parallelisiert: die Biografien des Philosophen Hans Jonas ("Prinzip Verantwortung") und des wegen Verbrechens an Mitgefangenen nach dem Krieg hingerichteten KZ-Häftlings Paul Raphaelson. Für Christiane Liermann tut Hintzen das mit vorbildlicher historischer Umsicht und Sinn für die Problematik des "jüdischen Täters" im Zusammenhang mit dem Holocaust. Außerdem gelingt es dem Autor, wie Liermann schreibt, den Lebensweg Raphaelsons trotz magerer Quellenlage mittels zeitgenössischer Erzählungen und Forschungsergebnissen überzeugend nachzuzeichnen. Entstanden ist laut Rezensentin ein aufwühlendes Doppelporträt, das die Extreme des vergangenen Jahrhunderts zeigt.

© Perlentaucher Medien GmbH