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Zum Rückblick auf das Schillerjahr: Schillers Geschichtsschreibung zwischen Teleologie und kritischer Selbstreflexivität - ein Forschungsfeld, das Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft gleichermaßen interessiert. Mit dem linguistic turn der Geschichtswissenschaft, mit deren selbstreflexiver Einsicht in die Bedeutung narrativer Strukturen geschichtlichen Wissens, ist auch die Chance zur Neubewertung des Historikers und Geschichtsdramatikers Schiller gekommen. Den Beiträgen geht es um die Verortung der Werke Schillers im europäischen Geschichtsdiskurs, damit auch um die Lektüre der…mehr

Produktbeschreibung
Zum Rückblick auf das Schillerjahr: Schillers Geschichtsschreibung zwischen Teleologie und kritischer Selbstreflexivität - ein Forschungsfeld, das Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft gleichermaßen interessiert. Mit dem linguistic turn der Geschichtswissenschaft, mit deren selbstreflexiver Einsicht in die Bedeutung narrativer Strukturen geschichtlichen Wissens, ist auch die Chance zur Neubewertung des Historikers und Geschichtsdramatikers Schiller gekommen. Den Beiträgen geht es um die Verortung der Werke Schillers im europäischen Geschichtsdiskurs, damit auch um die Lektüre der Texte vor dem Hintergrund seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Aufklärung. Der interdisziplinäre Ansatz schafft fruchtbare Irritationen: So wird die literaturwissenschaftliche Analyse von den aktuellen Debatten zur Historiographie her neu fundiert, umgekehrt lässt sich die geschichtswissenschaftliche Lektüre der historischen Schriften von aktuellen Beschreibungsmodellen ästhetischer Strukturen inspirieren.
Autorenporträt
Prof. Dr. Jörn Rüsen ist Präsident des kulturwissenschaftlichen Instituts im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Essen und Professor für allgemeine Geschichte und Geschichtskultur an der Universität Witten-Herdecke.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2007

Wie feurig darf's denn sein?

Ein überaus ertragreiches, zudem ein überaus traditionsreiches Thema der Historiographie: Schiller und die Geschichte. Immerhin lehrte der Dichter das Fach einige Jahre lang an der Universität Jena und verfasste eine Reihe berühmter historischer Schriften. Die Debatte über den Geschichtsschreiber Schiller hat nun mit einem verdienstvollen Sammelband einen neuen Impuls bekommen ("Schiller und die Geschichte". Herausgegeben von Michael Hofmann, Jörn Rüsen und Mirjam Springer. Wilhelm Fink Verlag, München 2006. 260 S., br., 19,90 [Euro]). In dem Band sind die meisten Autoren versammelt, die sich in den letzten Jahren mit diesem Thema in mehr und manchmal auch weniger tiefschürfender Form beschäftigt haben. Solche Buchbindersynthesen sind, wie man weiß, nicht immer ertragreich; in diesem Fall aber wird man von einem gelungenen Unternehmen sprechen können, und zwar gerade deshalb, weil sich, was keineswegs zu erwarten war, die Autoren durchaus nicht einig sind.

Im Gegenteil: Hier prallen kaum zu vereinbarende Deutungen aufeinander. Der Mitherausgeber Jörn Rüsen, einer der einflussreichsten Geschichtstheoretiker der Gegenwart, versucht in seinem Beitrag am Beispiel und Vorbild der Historiographie Schillers das "Feuer der Geschichte" anzufachen: Eine Geschichte, sagt er, "ist dann ,feurig', wenn sie in der Lage ist, kulturell eine Gegenwart im Rückgriff auf die Vergangenheit über Zukunftschancen zu informieren". Rüsen kommt es darauf an, Schillers Blick auf die Geschichte im Sinne der Utopie eines "neuen Humanismus" auch politisch für die Gegenwart fruchtbar zu machen, und einige weitere Autoren des Bandes (vorzüglich solche, die Rüsens Alterskohorte angehören) folgen ihm darin, unter anderem Johannes Rohbeck, der die utopischen Aspekte von Schillers universalgeschichtlichen Reflexionen herausarbeitet.

Ganz anders hingegen argumentieren einige der jüngeren Beiträger, von denen die zuweilen recht durchsichtig politisch grundierten Aktualisierungsversuche der Ideen und überhaupt der Historiographie Schillers deutlich zurückgewiesen werden. Man könnte diese Deutungsversuche unter die programmatische Überschrift "Zurück zu Schiller" stellen, womit vor allem gemeint ist: Zurück zu den Texten, zurück zu präziser und subtiler Analyse dessen, was Schiller wirklich gesagt und geschrieben hat - und unter kühner Vernachlässigung all dessen, was andere seit zweihundert Jahren über ihn geschrieben oder aus ihm herausgelesen haben.

Diesen Weg beschreitet Johannes Süßmann in seinem vorzüglichen und kenntnisreichen Beitrag, in dem er im Gegensatz zu vielen älteren und neueren Deutungen betont, dass Schiller gerade "keine allgemeine Geschichtstheorie" gehabt habe und "offensichtlich an einer solchen nicht interessiert" gewesen sei. Anhand einer detaillierten Analyse der Entstehung und des Aufbaus von Schillers erstem großen Geschichtswerk, der "Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung", kann er aufzeigen, dass es Schiller in erster Linie darauf ankam, seinem Publikum eine faktenreiche, glänzend geschriebene, auf literarisch-dramatische (besonders auch tragische) Effekte hin stilisierte und nicht zuletzt multiperspektivisch argumentierende historische Darstellung vorzulegen.

Michael Hofmann weist ebenfalls auf die durchaus nicht genuin fortschrittsoptimistischen, sondern letztlich das Tragische betonenden Aspekte der Schillerschen Geschichtsinterpretation hin und er unterstreicht besonders die Desillusionierung des Dichters durch den von ihm bekanntlich aufmerksam wahrgenommenen Verlauf der anfangs noch begrüßten Französischen Revolution.

Eindeutig zu kurz gekommen ist in dem Sammelband allerdings das eigentlich naheliegende Thema: Wie hat Schiller Geschichte geschrieben, wie hat er gearbeitet, welche gedruckten und ungedruckten Quellen standen ihm zur Verfügung, auf welche Weise hat er diese Quellen ausgewertet, in welcher Form und mit welchen Absichten hat er sich mit der bis dahin vorliegenden Geschichtsschreibung zu den von ihm behandelten großen Themen (Abfall der Niederlande, Dreißigjähriger Krieg) auseinandergesetzt? Und im Weiteren fehlt ebenfalls eine genaue Verortung Schillers im Umkreis der deutschen, aber auch der französischen und englischsprachigen Geschichtsschreibung der Spätaufklärung.

Zwei der Beiträger des Bandes, Hans Schleier und Horst Walter Blanke, haben auf diese Defizite hingewiesen, die Aufgabe selbst indes nicht angepackt. Anschließend an die älteren, noch vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Forschungen von Ernst Ferdinand Koßmann und Richard Fester wäre hier - gerade auch mit den heute zur Verfügung stehenden neuen technischen Methoden und Zugängen - noch manches zu leisten und gewiss die eine oder andere Entdeckung zu machen. Vielleicht gibt dieses Buch, das alte und neue Blicke auf den Historiker Schiller in gleich anregender Weise präsentiert, den Anstoß hierfür.

HANS-CHRISTOF KRAUS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Soviel steht für den Rezensenten fest: Die Autoren dieses Sammelbandes bestellen kein neues Feld. Dass Hans-Christof Kraus die Texte insgesamt dennoch für gelungen und sogar für anregend hält, hat damit zu tun, dass die Beiträger unterschiedlichen Forschergenerationen angehören und sich "durchaus nicht einig" sind. Das Nebeneinander von Texten, die Schiller gerne politisch aktualisieren möchten einerseits und solchen, denen es vor allem um Textimmanenz geht, darum, Schiller möglichst präzise zu lesen und zu analysieren, ergibt für Kraus den Reiz des Ganzen. Vermisst hat er den Blick auf Schillers historische Arbeitsweise, seine Quellen und Absichten sowie seine Einordnung innerhalb der europäischen Geschichtsschreibung der Spätaufklärung. Mit den heutigen Forschungsmöglichkeiten, meint Kraus, geht da noch jede Menge.

© Perlentaucher Medien GmbH