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'Kleider machen Leute' - das galt in Antike und Mittelalter nicht anders als heute und so verwundert es nicht, dass Kleidung in sozialen Systemen schon immer repräsentative und machtpolitische Funktionen erfüllte. Adel und Klerus versuchten einander mit prachtvoller Kleidung, Schmuck und Insignien zu übertreffen, zugleich reglementierten Kleidungsvorschriften soziale Hierachien. Zum repräsentativen Prunk formierte sich jedoch auch eine Gegenbewegung: Nach biblischem Vorbild forderten die mittelalterlichen Mönche der Bettelorden möglichst schlichte Gewänder. Der Band 'Kleidung und…mehr

Produktbeschreibung
'Kleider machen Leute' - das galt in Antike und Mittelalter nicht anders als heute und so verwundert es nicht, dass Kleidung in sozialen Systemen schon immer repräsentative und machtpolitische Funktionen erfüllte. Adel und Klerus versuchten einander mit prachtvoller Kleidung, Schmuck und Insignien zu übertreffen, zugleich reglementierten Kleidungsvorschriften soziale Hierachien. Zum repräsentativen Prunk formierte sich jedoch auch eine Gegenbewegung: Nach biblischem Vorbild forderten die mittelalterlichen Mönche der Bettelorden möglichst schlichte Gewänder. Der Band 'Kleidung und Repräsentation in Antike und Mittelalter' fasst Beiträge eines Kolloquiums des Paderborner Mittelalter-Kollegs zusammen, die die Bedeutung der interdisziplinä-ren Zusammenarbeit zwischen Archäologen, Historikern, Kunsthistorikern, Theologen und Philologen einmal mehr sichtbar machen und konkrete Ansätze für aktuelle Forschungsfelder liefern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2006

Ohne Hosen, ohne Fell
Wissenschaftler vor den Kleidern der Antike und des Mittelalters

Man muß nicht Platons "Politeia" gelesen haben, um zu wissen, daß Kleidung nach der Nahrung und neben der Wohnung unseren Grundbedürfnissen dient. Vielleicht verhilft aber die biblische "Genesis" zu der Erkenntnis, daß mit ihr auch die Geschichte des Sehens und Deutens begonnen hat. Denn Adam und Eva flochten die Feigenblätter zusammen, weil nach der Verführung durch die Schlange "ihrer beider Augen aufgetan" und sie ihrer Nacktheit gewahr wurden. Was die Scham und den übrigen Leib bedeckt, verweist mit dem Sündenfall auf Erfahrenes, Gedachtes und Gewolltes. Die Kleidung schützt und wärmt nicht nur, sie steht auch stellvertretend für anderes, sie gehört zur Geschichte der Lebensbewältigung ebenso wie zur Geschichte der Repräsentation.

Mit dem Christentum erfuhr der Kleidungsdiskurs eine verstörende Wendung. Denn in der Bergpredigt entwertete Jesus die Bedürfnisbefriedigung radikal: "Deshalb sage ich euch: Sorgt nicht um eure Seele, was ihr essen werdet, und nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht die Seele mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? . . . Sorgt euch also nicht, indem ihr sagt: Was essen wir? Oder: Was trinken wir? Oder: Womit umkleiden wir uns? Denn dies alles erstreben die Völker. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr dies alles braucht. Strebt zuerst nach der Königsherrschaft und seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugegeben werden. Sorgt also nicht für den Morgen, denn der Morgen wird für sich selbst sorgen." Erst recht verwarf das Evangelium den Kleiderluxus und die Unbarmherzigkeit mit den nackten Bedürftigen, wie etwa die Geschichte von Lazarus und dem in Purpur und Byssos gehüllten Reichen zeigt.

Im Mittelalter konnte das Gleichheitspostulat der christlichen Botschaft der Überbewertung ständisch gebotener Lebensführung entgegenwirken und damit auch zur "Versachlichung" der Kleidung beitragen. Das zeigt etwa eine - erbaulich gemeinte - Erzählung des St. Galler Mönchs Notker über Karl den Großen vom späten neunten Jahrhundert. Der Kaiser habe einmal einen Festtag zum Anlaß genommen, mit seinem Gefolge dem typisch adligen Vergnügen der Jagd nachzugehen, obschon es regnerisch und kühl war. Karl habe dabei einen Schafspelz getragen, "der nicht viel mehr wert war als der Rock des heiligen Martin, mit dem dieser seine Brust verhüllte, wenn er Gott ein Opfer darbrachte". Die Höflinge hatten dem Festtag gemäß kostbare Gewänder angelegt, zumal sie gerade durch einen Kaufmann aus Venedig an die Schätze des Orients gelangt waren. Sie gingen einher, "gekleidet in die Häute phönizischer Vögel, die mit Seide eingefaßt waren, und geziert mit Pfauenhälsen samt den Rücken und gefiederten Bürzeln mit tyrischem Purpur oder zitronenfarbigen Streifen, andere in kostbare Tuche oder in Hermelin gehüllt". Natürlich zerschlissen sie die erlesenen Stücke in den Wäldern an Zweigen und Dornen, der Regen und das Blut der erlegten Tiere taten ein übriges. Karl habe die Jagdgenossen am nächsten Tag in ihren verkommenen Kleidern vor sich gebeten und selbst seinen unbeschädigten Pelz getragen: "Ihr törichtesten unter den Sterblichen!", so leitete er die grimmige Belehrung ein. "Welcher Pelz ist nun wertvoller und brauchbarer, meiner hier, den ich für einen Schilling gekauft habe, oder eure ,Pelze', die ihr nicht bloß mit Pfunden, sondern mit vielen Talenten bezahlt habt?" Da schlugen, wie Notker wissen will, die vornehmen Herren die Augen nieder "und konnten seinen furchtbaren Tadel nicht ertragen".

In der spätkarolingischen Erzählung ist freilich auch Karls Gewandung decodiert. Denn der Pelz des Einsiedlers Martin, an dem sich Karl orientiert haben soll, war ein Bedeutungsträger von Charisma, der hier (im Dienst eines nüchternen Herrscherbildes) auf seine bloße Funktionstüchtigkeit reduziert wird.

Zu neuerlichem Nachdenken über Kleidung und Repräsentation regt ein neuer Sammelband des berufsbezogenen Paderborner Mittelalterkollegs "Kloster und Welt" an. Konzeption und Durchführung haben ganz bei den Doktoranden und Stipendiatinnen gelegen, wie es der herrschenden Tendenz entspricht, den wissenschaftlichen Nachwuchskräften früher Verantwortung zu übertragen. Soll man deshalb den noch nicht promovierten Herausgebern nachsehen, daß sie ihren recht schmalen Band mit dem monumentalen Titel "Kleidung und Repräsentation in Antike und Mittelalter" überlastet haben? Daß sie weder die intensiven Forschungsdebatten über "Repräsentation" aufgriffen noch sonst eine klare und differenzierte Fragestellung für ihre Autorinnen und Autoren entwarfen? Gut beraten waren sie jedenfalls darin, gar nicht erst den Versuch zu machen, die acht ungleichgewichtigen und thematisch nur lose verknüpften Beiträge zusammenzufassen.

Manches wirkt in dem Band etwas deplaziert und hätte vielleicht unveröffentlicht bleiben sollen. Das gilt mindestens für einen Beitrag über Architekturtextilien, der kaum Bezüge zur menschlichen Kleidung bietet, und für das Abstract anderswo publizierter Aufsätze über die Kleidung von Gesandten der Schweizer Eidgenossenschaft im späten Mittelalter. Etwas ergiebiger war die Auswertung von Bischofsornaten in Kölner Gräbern um die Jahrtausendwende und von Autorenbildern zur Reiseerzählung des angeblichen Jean de Mandeville aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Der Durchsicht von spätantiken und frühmittelalterlichen Schriftzeugnissen über Bischofs- und Abtstäbe soll man entnehmen, daß diese "nicht etwa eine Weiterführung römischer Traditionen" darstellen, sondern daß es sich "um germanische Neuerfindungen der Völkerwanderungszeit handeln wird". Diese Kontrastierung der römisch-antiken Kultur mit einer "germanischen", die es ja nie gegeben hat und die nur auf die simplifizierende Eingruppierung verschiedener Völker durch die Römer selbst zurückgeht, wirkt schief und antiquiert. Wenn der Autor noch als seine These hinzufügt, daß "die Bischofsstäbe sich zuerst und zunächst als Hoheits- und Herrschaftszeichen entwickelt haben, nicht so sehr als Hirtenstäbe, als die sie das spätere Mittelalter und die Überlieferung bis heute so gerne sehen", ist man sprachlos. Denn natürlich war der Hirte immer auch der Herrscher, und zwar gut belegt schon im Orient (Mesopotamien, Ägypten), auch im Alten Testament, dann aber in Griechenland; bei Homer etwa war der König der "Völkerhirt". Mochte also auch die wortgeschichtliche Brücke zwischen römischer Antike und Mittelalter schmal oder fragil sein, so spricht doch alles für die Ableitung des Stabs von Bischof und Abt von jenen Kulturen, in denen das nomadische Leben dem Hirten die Herrschaft über seine Herde gegeben hatte.

Lehrreich ist die Studie von Götz Hartmann über die Fellkleidung des christlichen Wundertäters in der Spätantike. Das reiche Material des Neuen Testaments über religiöse Normen der Kleidung (Askese, Caritas) und über "Kleidung als Statussymbol" entfaltet Martin Leutzsch. Mit größtem Gewinn liest man die Abhandlung des in Lille (als Professor) lehrenden Althistorikers Javier Arce über die Kleidervorschriften in einigen Gesetzen des Codex Theodosianus. Nach Arce, der darin anderen folgt, habe die "Constitutio Antoniniana" des Kaisers Caracalla vom 11. Juli 212, die ja fast allen Bewohnern des Reiches das Bürgerrecht zuerkannte, die Toga als Erkennungszeichen des freien Römers entwertet. Deshalb habe Kaiser Alexander Severus (222 bis 235) versucht, eine Kleiderordnung für soziale Klassen und für Amtsträger durchzusetzen, diese Ambition aber stark zurückgenommen, als ihn seine Berater, die Juristen Ulpian und Paulus, auf drohende soziale Konflikte hinwiesen. Unter den von Arce ausgewählten Gesetzen an der Wende zum fünften Jahrhundert fallen Verfügungen der Kaiser Arcadius und Honorius beziehungsweise Honorius und Theodosius II. ins Auge. Diese verboten den Bewohnern der Stadt Rom, Hosen und Stiefel beziehungsweise langes Haar und Fellkleidung zu tragen. Wie der Autor darlegt, ging es wohl darum, die Übernahme als germanisch identifizierter Bräuche und Moden durch freie Männer zu unterbinden. Arce weist darauf hin, daß noch ein großer Quellenbestand über römische Kleidervorschriften zu erheben sei; erst recht gilt dies trotz mancher vorhandener Studie zu den Kleiderordnungen von Städten auch für das Mittelalter. Künftige Arbeiten zu diesem Themenfeld sollten allerdings die Anregungen rezenter Forschungen zu Ritual und Repräsentation ernsthafter aufgreifen, als es in diesem Band aus Paderborn geschehen ist.

MICHAEL BORGOLTE

Ansgar Köb, Peter Riedel (Hrsg.): "Kleidung und Repräsentation in Antike und Mittelalter". Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 137 S., Farb- u. S/W-Abb., br., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nichts gegen den Nachwuchs, doch was dieser von Doktoranden und Stipendiaten des Paderborner Mittelalterkollegs erstellte Sammelband leistet, genügt Michael Borgolte ganz und gar nicht. Nicht nur vermisst er Bezüge zur gegenwärtigen Repräsentationsforschung, auch eine deutliche, die Texte verbindende Fragestellung sucht er vergebens. Manchen Beitrag (über "Architekturtextilien") hätte Borgolte lieber gar nicht gelesen, andere (über die Fellkleidung christlicher Wundertäter in der Spätantike, über Kleidervorschriften im Codex Theodosianus) hält er dagegen schon für "lehrreich".

© Perlentaucher Medien GmbH