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Die Kunstgeschichte hat eine eigentümliche Opposition entwickelt und lange festgeschrieben: die Alternative von historischem oder ästhetischem Bildumgang. Diese Opposition von Kunst oder Geschichte verstellt jedoch die Janusköpfigkeit kunsthistorischen Arbeitens: Die Geschichte ist kunsthistorisch genauso unhintergehbar wie die Sinnlichkeit. Wenn sich das Fach aus dieser Spannung konstituiert, wie kann es mit diesen Prämissen angemessen umgehen? Die vorliegende Arbeit diskutiert dies ausführlich an Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp. Gerade in der Deutungsgeschichte dieses Bildes zeigt sich die…mehr

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Produktbeschreibung
Die Kunstgeschichte hat eine eigentümliche Opposition entwickelt und lange festgeschrieben: die Alternative von historischem oder ästhetischem Bildumgang. Diese Opposition von Kunst oder Geschichte verstellt jedoch die Janusköpfigkeit kunsthistorischen Arbeitens: Die Geschichte ist kunsthistorisch genauso unhintergehbar wie die Sinnlichkeit. Wenn sich das Fach aus dieser Spannung konstituiert, wie kann es mit diesen Prämissen angemessen umgehen? Die vorliegende Arbeit diskutiert dies ausführlich an Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp. Gerade in der Deutungsgeschichte dieses Bildes zeigt sich die Alternative von Kunst oder Geschichte besonders deutlich. Gegen diese Opposition wird hier gefragt, ob nicht aus den ästhetisch gewonnenen Erkennntisleistungen der Kunst, wie sie beispielsweise die Ikonik Imdahls entwickelt hat, ein Brückenschlag zu einer historischen Erfahrung möglich ist. In dieser Perspektive ist die Rembrandtsche Anatomie kein Spiegel ihrer Zeit, sondern eröffnet Erfahrungen von Geschichte, wie sie allein vom Bild aus zugänglich werden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.09.2004

Wortmasken- verleihanstalt
Kunst und Tod: Claus Volkenandt über Rembrandts Anatomiestunde
Was haben Dr. Tulp, die zentrale Figur in Rembrandts gleichnamigem Gemälde einer Anatomie-Szene, und Gunter von Hagens, der umstrittene Leichen-Plastinator, gemeinsam? Mehr als man auf den ersten Blick denkt. Von beiden gibt es Abbildungen, die sie beim Präparieren einer Leiche zeigen und durchaus der Selbststilisierung dienen. Auch eine gewisse Eitelkeit, die auf den Nachruhm schielt, ist den beiden Anatomen, die mehr als 350 Jahre Medizingeschichte voneinander trennt, nicht fremd. Außerdem sind beide nicht unter ihrem eigentlichen Namen bekannt geworden: Dr. Nikolaus Tulp (1593 bis 1674) wurde als Claes Pieterszn geboren, bevor er sich nach jener Blume nannte, die damals in den Niederlanden hoch im Kurs stand; der Heidelberger Anatom hieß Gunter Liebchen, bevor er den Namen seiner ersten Ehefrau annahm, der ihm womöglich mehr Distinktion zu versprechen schien. Und nicht zuletzt gehört Dr. Tulp in die Ahnenreihe der bekannten Anatomen, in die sich der wegen seiner Exzentrik häufig kritisierte Erfinder des Plastinationsverfahrens von Leichen gerne stellt.
Um so gespannter nimmt man eine kunsthistorische Dissertation in die Hände, die dem Leser die „Anatomie eines Bildes” verspricht, das zu Rembrandts berühmtesten Werken zählt und auch den Besucher der Körperwelten-Ausstellung, der reale anatomische Ganzkörper-Präparate zu Gesicht bekommen hat, nicht unberührt lässt. Keine leichte Aufgabe für einen Kunsthistoriker, denn über dieses Gemälde sind bereits mehrere dicke Bücher geschrieben und hunderte von Aufsätzen, Kommentaren und Bildbeschreibungen verfasst worden.
Erkenne dich selbst
Dazu zählt die Studie von Alois Riegl aus dem Jahr 1902 über das holländische Gruppenporträt im 16. und 17. Jahrhundert. Darin wird der Versuch unternommen, über die Figurenanordnung die Rembrandts künstlerische Leistung und die auch heute noch faszinierende Bildästhetik der „Anatomie des Dr. Tulp” zu erklären. Eine andere Pionierarbeit ist die 1958 erschienene Monographie von William S. Heckscher, der als Schüler von Panofsky dessen Interpretationsschema (von der Ikonographie zur Ikonologie) übernahm und auf Rembrandts Anatomie-Szene anwandte. Seiner akribischen Quellen- und Motivforschung verdankt auch Volkenandt viel. Zu den bedeutenden Studien gehört weiterhin die von William Schupach aus dem Jahre 1982, die Rembrandts „Anatomie” als Versinnbildlichung der Delphischen Maxime des „Erkenne-Dich-Selbst” deutet. Und schließlich ist noch der Aufsatz des verstorbenen Bochumer Kunsthistorikers Max Imdahl zu nennen, der in Rembrandts Bild die szenische Verdichtung eines außergewöhnlichen Hör- und Sehvorgangs zu erkennen glaubt.
Nicht nur diese, auch andere Interpretationsversuche werden in der vorliegenden theoriegesättigten Dissertation ausführlich dargestellt, wobei an Zitaten in der Originalsprache nicht gespart wird. Vor allem der Sprachmix trübt den Lesegenuss enorm. Das gilt insbesondere für das deutsch-niederländische Kauderwelsch, das einem vielfach begegnet. Ein Beispiel möge hier genügen: „Lübke war dem Enkel van Hoogstratens in der Thematisierung der einzelnen Porträts, seinen eenwezich als gleichheitliche Anordnung der Porträtierten gefolgt.” Überhaupt hat der Autor seine Sprache durch philosophische Versatzstücke, die er bei Gadamer, Simmel und anderen entlehnt, eher verdunkelt. Kostproben sollen hier dem Leser erspart bleiben. Wie sagte schon Wittgenstein im Tractatus Logico- Philosophicus: „Alles was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen”. Das wünscht man sich auch für eine kunsthistorische Darstellung, die zwischen ästhetischen und historischen Erklärungsansätzen vermitteln will. So bleibt unklar, was die „okkasionelle Kunstgeschichte”, der hier das Wort geredet wird, eigentlich Neues bringt. Wenn lediglich die Erkenntnis bleibt, dass Rembrandts Gemälde vermag, „nicht nur bestimmte Persönlichkeiten und ihren Gruppenzusammenhang zur Darstellung zu bringen, sondern damit zugleich bestimmte historische Persönlichkeiten und den sie verbindenden historischen Gruppenzusammenhang thematisch werden zu lassen”, dann wird man auch die Kunstgeschichte als „Wortmaskenverleihanstalt” bezeichnen müssen.
Kliniken und Krematorien
Statt einen künstlichen Graben zwischen Kunst und Geschichte aufzuwerfen, den es angeblich zu überbrücken gilt, wäre es sinnvoller gewesen, darüber nachzudenken, was der heutige Betrachter empfindet, wenn er sich diese Darstellung einer historischen Anatomie-Szene im Museum anschaut, also jenseits des früheren Aufbewahrungsorts, des Versammlungsraums der Amsterdamer Chirurgen-Gilde. Sicherlich wird er die kunstvolle Bildregie Rembrandts, seine Hell- und Dunkelkontraste bewundern, aber sein Blick wird auch unwillkürlich auf den friedlich ruhenden Leichnam fallen und Empfindungen auslösen, die nicht unbedingt um den „memento mori”-Gedanken kreisen, sondern um den eigenen Umgang mit dem Tod in einer Gesellschaft, in der dieser weitgehend in die Kliniken und Krematorien verbannt worden ist.
ROBERT JÜTTE
CLAUS VOLKENANDT: Rembrandt. Anatomie eine Bildes. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 432 S., 49,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In "gespannter" Erwartung hat Rezensent Robert Jütte Claus Volkenandts Dissertation über Rembrandts berühmtes Gemälde "Die Anatomie des Dr. Tulp" zur Hand genommen. "Keine leichte Aufgabe" sei es, diesem Gemälde neue Aspekte abzugewinnen, so Jütte, da bereits "dicke Bücher" und "Hunderte von Aufsätzen" dazu vorliegen. Der informierte Rezensent lässt die wichtigsten Arbeiten Revue passieren, um dann Volkenandts "theoriegesättigte" Studie zu loben, weil sie den Vorarbeiten "ausführlich" Rechnung trage. Allerdings trübte die Verwendung von Originalzitaten Jüttes "Lesegenuss enorm", besonders das "deutsch-niederländische Kauderwelsch" missfiel ihm. Außerdem ärgerten ihn die zahlreichen "philosophischen Versatzstücke", mit denen Volkenandt seine Thesen "verdunkelt". Auch dem theoretischen Ansatz Volkenandts, zwischen "ästhetischen" und "historischen" Interpretationen zu vermitteln, konnte Jütte nichts abgewinnen. Für sein Befinden wird damit nur ein "künstlicher Graben zwischen Kunst und Geschichte" aufgeworfen. Statt dessen, so empfiehlt Jütte, hätte Volkenandt besser die Perspektive des "heutigen" Betrachters wählen sollen.

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