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Produktdetails
  • Hersteller: Droste
  • EAN: 9783770052516
  • Artikelnr.: 12430344
Autorenporträt
Josef Boyer, geb. 1959, Dr. phil.; arbeitet in der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien an einer Geschichte der Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN 1983-1990.

Joachim Wintzer, geb. 1967 in Göttingen, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In "gewohnt hervorragender Manier" hat die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien nach Ansicht von Rezensent Rolf Steininger mit diesem Band wieder eine "vorbildliche Quellenedition" vorgelegt. Für Steininger wird darin nicht nur ein Kapitel politischer Kultur lebendig. Es ergeben sich für ihn aus den Protokollen auch sehr plastische Eindrücke berühmter westdeutscher Politiker. Auch die Problematik von Ausschusspolitik im Spannungsverhältnis vom Parlamentarismus und Geheimhaltung erschloss sich für den Rezensenten recht gut, so dass der Band ihm insgesamt einen tiefen Einblick in die Außenpolitik der Bundesrepublik ermöglicht hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2004

Das Wesentliche wenigstens andeuten
Gepflegte Aussprache auf hohem Niveau: Protokolle des Auswärtigen Ausschusses bis 1961

Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1957-1961. Eingeleitet von Joachim Wintzer, bearbeitet von Joachim Wintzer und Josef Boyer in Verbindung mit Wolfgang Dierker. Droste Verlag, Düsseldorf 2003. CLII und 1429 Seiten, 160,- [Euro].

Zur 29. Sitzung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten am 19. März 1959 hatte sich der Bundeskanzler persönlich angesagt, um über die außenpolitische Lage zu informieren. Was dann folgte, glich einem jener berühmten Teegespräche, die Konrad Adenauer mit Journalisten pflegte. Er unterrichtete die Ausschußmitglieder über die Reise des britischen Premierministers Harold Macmillan in die Sowjetunion, gab seine Meinung dazu zum besten, genauso wie über eine mögliche Gipfelkonferenz der Regierungschefs. Er schloß seinen Vortrag mit den Worten: "Ich glaube, ich habe Ihnen alles gesagt, was ich Ihnen sagen kann, und was ich Ihnen sagen kann, ist aber auch wirklich das Wesentliche; sonst habe ich das Wesentliche wenigstens angedeutet."

Der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer fragte nach, was denn das Verhandlungsprogramm der deutschen Bundesregierung für die in Washington anstehende westliche Außenministerkonferenz sei. Darauf gab es keine Antwort. Als der SPD-Abgeordnete Metzger etwas über das Gespräch des Bundeskanzlers mit Macmillan wissen wollte, wurde in Adenauers Antwort deutlich, was er vom Ausschuß hielt: "Wenn Herr Macmillan mich um eine Unterredung unter vier Augen bittet, an der nicht einmal sein eigener Außenminister teilnimmt, kann ich doch hier nicht vor vierzig oder mehr Herren und Damen sagen, was wir da besprochen haben. Ein weiteres Verhandeln ist doch überhaupt nicht möglich, wenn der britische Premierminister zu mir das Vertrauen hat, daß er sich unter vier Augen offen ausspricht, und ich dann hingehe und irgendwem etwas davon sage."

Das war die eine Seite des Ausschusses, die andere war das hohe Sozialprestige seiner 29 Mitglieder (sechzehn von der CDU/CSU, zehn von der SPD, zwei von der FDP, einer von der DP). Der Auswärtige Ausschuß war der "Königsausschuß" der 26 Ausschüsse des Bundestages. Seine Mitgliedschaft galt als Indikator, um den Stellenwert eines Abgeordneten in der Fraktion zu bestimmen. Es gab allerdings auch noch andere, eher triviale Gründe, sich um einen Sitz im Ausschuß zu bewerben. Eine Abgeordnete, die dabeisein wollte, meinte privat, sie habe zwar keine Ahnung von der Außenpolitik, aber "wird man da nicht oft eingeladen?" Schaut man auf die Liste der Mitglieder und deren Stellvertreter, so findet man bekannte Namen: Von der CDU/CSU-Fraktion der Fraktionsvorsitzende Heinrich Krone, dann Kurt Georg Kiesinger (Vorsitzender), Kurt Birrenbach, Karl Arnold, Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, Richard Jäger, Johann Baptist Gradl, Hermann Höcherl, Fürst von Bismarck. Von der SPD Erich Ollenhauer, Herbert Wehner, Fritz Erler, Karl Mommer, Wenzel Jaksch, Carlo Schmid (als stellvertretender Vorsitzender).

Von November 1957 bis Oktober 1961 gab es 72 Sitzungen. Im Ausschuß ging es weniger um die Beratung von Gesetzesvorlagen als um die freie Aussprache über den außenpolitischen Kurs der Bundesregierung; er erhob dabei auch den Anspruch, die Außenpolitik der Regierung zu kontrollieren. Für Carlo Schmid war der Ausschuß "eine Art Seminar", in dem die "Problematik als solche noch nach möglichen Modellvorstellungen durchdacht werde", während Herbert Wehner klarmachte: "Wir sind hier kein Seminar, wir sind ein Parlamentsausschuß, und das verpflichtet in gewisser Weise." Die Frage war, wozu?

Kiesinger ging so weit zu behaupten, daß der Ausschuß "es sich kaum nehmen lassen wird, über die aktuelle Problematik zu beraten; er hat das Recht und die Pflicht, von seiner Initiativmöglichkeit Gebrauch zu machen". Der Berliner Johann Baptist Gradl suchte das Gespräch mit den SPD- und FDP-Mitgliedern, um zu einer gemeinsamen Position nach außen zu kommen. Ähnlich sah das auch Kiesinger; er verstand den Ausschuß als ein Forum, in dem sachlich über die richtige Außenpolitik gerungen wurde, während Außenminister Heinrich von Brentano seine Interpretation in der Bundestagsdebatte am 30. Juni 1960 gab: "Es geht nicht um die gemeinsame, es geht um die richtige Außenpolitik." Und hier wurde das Dilemma deutlich, wenn der Ausschuß den Anspruch erhob, die Außenpolitik der Bundesregierung nicht nur zu kontrollieren, sondern auch zu gestalten. Adenauer sah das nämlich vollkommen anders. Er hatte schon immer geklagt, daß der Ausschuß ein zu großes Gremium sei und die Vertraulichkeit der Aussprache nicht gewährleisten könne. Und in der Tat kam es vor, daß vertrauliche Mitteilungen an die Presse weitergegeben wurden. Für Außenminister von Brentano war klar, daß damit "unsere Politik im In- und Ausland an Glaubwürdigkeit verliert". Kiesinger sah das genauso: "Wenn wir so weitermachen, kann dieser Ausschuß einpacken, und ich packe auch ein."

Die Problematik der Geheimhaltung von Ausschußsitzungen wurde im Herbst 1960 deutlich, als der SPD-Abgeordnete Alfred Frenzel, Mitglied des Verteidigungsausschusses, des Landesverrats für die Tschechoslowakei überführt wurde. Adenauer sah sich in seinem Mißtrauen gegenüber den Parlamentsausschüssen bestätigt; von ihm erhielten die Ausschüsse keine Informationen mehr. Es kam hinzu, daß man im Kanzleramt keine besonders hohe Meinung von den Ausschußmitgliedern hatte. Zwischen Kanzler und den Abgeordneten bestand in der Tat ein erheblicher Unterschied an Wissen und Fähigkeit zur vorurteilsfreien Analyse: Die Mitglieder stellten ihre Fragen eben nicht nur aus sachlichen Erwägungen und auf Faktenwissen beruhend, sondern um ihr Prestige zu erhöhen oder um ihre Vorurteile bestätigt zu bekommen. Das Ergebnis war, daß Außenminister von Brentano häufig nicht mehr mitteilte, als was man in der Zeitung lesen konnte - allerdings teilte ihm Adenauer meistens auch nicht mehr mit. Adenauer hatte da seinen eigenen Stil. Noch ein weiteres Mal nahm Adenauer an einer Sitzung des Ausschusses teil, am 10. März 1961. Seine Ausführungen wurden diesmal allerdings nicht protokolliert.

Der Ausschuß erfuhr auch sonst wenig bis gar nichts von hochpolitischen, brisanten Überlegungen: nichts von Einschätzungen der Briten zum Ultimatum Chruschtschows im November 1958, nichts über die Gespräche Adenauer-Dulles Anfang 1959, nichts über die Gespräche, die Adenauer mit Eisenhower und Kennedy führte, nichts über jene von Franz Josef Strauß in Washington im Juli 1961. Und dennoch: Der Ausschuß war ein Gremium der auf hohem Niveau gepflegten Aussprache; polemische Zusammenstöße wie in den Plenardebatten im Bundestag gab es hier nicht; im Gegenteil, es entwickelte sich zwischen einigen Mitgliedern unterschiedlicher Parteicouleur sogar ein besonderes Vertrauensverhältnis, etwa zwischen Kiesinger und Wehner; hier wurde jener Weg vorgezeichnet, der 1966 zur Großen Koalition führte.

Daß trotz alledem nicht alles Harmonie war, zeigte sich an den unterschiedlichen außenpolitischen Auffassungen, als etwa die SPD im Frühjahr 1959 ihren "Deutschlandplan" vorlegte; für Außenminister von Brentano "das erstaunlichste und peinlichste Dokument, was in den letzten Jahren zum Vorschein kam". Der parteiübergreifende Konsens hielt in der Krise. Als am 13. August 1961 die Mauer gebaut wurde, warf man sich in einer Sondersitzung nicht gegenseitig die Fehler der Vergangenheit vor, sondern versuchte, zu einer gemeinsamen Entschließung zu kommen.

In gewohnt hervorragender Manier hat die "Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien" hier wieder eine vorbildliche Quellenedition vorgelegt, die trotz der genannten Probleme tiefe Einblicke in die Außenpolitik der Bundesrepublik ermöglicht.

ROLF STEININGER

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